Einführende Vorträge zur Offenbarung

Kapitel 2

„Dem Engel der Versammlung in Ephesus schreibe: Dieses sagt, der die sieben Sterne in seiner Rechten hält, der da wandelt inmitten der sieben goldenen Leuchter“ (V. 1). Hier befinden wir uns offensichtlich auf einem ausgedehnten Boden. Die Kennzeichen sind allgemein gehalten. Der erste Brief, die Botschaft an den Engel der Versammlung in Ephesus, blickt auf den Zustand des christlichen Zeugnisses auf der Erde in seiner umfassendsten Gestalt und zwar, so nehme ich an, wie in den Tagen des Apostel Johannes selbst. Der Herr stellt sich folglich in einer ähnlichen Weitläufigkeit vor. „Der die sieben Sterne in seiner Rechten hält.“ Das ist seine Stellung, wie Er sie dem Dienst und der Versammlung gegenüber einnimmt – sein Verhältnis zu den Engeln, d. h. denjenigen, die sittlich die Versammlungen vor seinem Auge vertreten, sowie auch zu den Versammlungen selbst. Der Stern ist jener Gegenstand, der auf die Versammlung einwirkt. Bekanntermaßen handelt es sich um den Träger des Lichts von Seiten des Herrn, das sich mit dem Zustand der Erlösten Gottes beschäftigt. Wenn dieses Licht unwirksam ist – wenn es sich mit Bösem mischt –, ist auch der Zustand einer Versammlung davon betroffen. Ist es strahlend, wird eine Versammlung dadurch sittlich erhöht. Das ist, denke ich, hier gemeint. So erkennen wir in Ihm, der sie alle in seiner Rechten hält und inmitten der goldenen Leuchter wandelt, Christus nicht allein als Denjenigen, der solche ideellen Repräsentanten festhält, sondern auch als Den, der an den Versammlungen selbst Anteil nimmt. Kurz gesagt, handelt es sich um Christus unter seinem umfassendsten, den Dienst und die Versammlung betreffenden Gesichtspunkt – natürlich entsprechend dem Charakter dieses Buches.

Auch der Zustand der Versammlung in Ephesus ist allgemeiner Art. „Ich kenne deine Werke und deine Arbeit und dein Ausharren, und dass du Böse nicht ertragen kannst; und du hast die geprüft, welche sich Apostel nennen, und sind es nicht, und hast sie als Lügner erfunden“ (V. 2). Dort bestand Treue, und zwar besonders im Umgang mit dem Bösen, welches Satan zu jener Zeit einführen wollte. Die Apostel verschwanden allmählich. Vielleicht war nur noch Johannes übrig. Letzteres möchte ich selbstverständlich nicht fest behaupten. Natürlich würde Satan versuchen, nachdem die Apostel abgeschieden waren, um beim Herrn zu sein, solche Männer herbei zu schaffen, die gerne eine apostolische Nachfolge (Sukzession) für sich beanspruchen wollten. Die Versammlung in Ephesus hatte diese vorgeblichen Apostel geprüft. Das geschah insbesondere durch den „Engel“, welcher den Gläubigen dort durch die Gnade von Seiten des Herrn geholfen hatte. Wie uns gesagt wird, wirkte der Stern soweit noch über der Versammlung zum Guten. In der Versuchung prüfte letztere und fand jene mangelhaft, welche sich als Apostel aufspielten.

Doch wir finden hier viel mehr. Die Gläubigen in Ephesus wurden noch durch anhaltende Treue und Hingabe gekennzeichnet. „Du hast Ausharren und hast getragen um meines Namens willen, und bist nicht müde geworden. Aber ich habe wider dich, dass du deine erste Liebe verlassen hast“ (V. 3–4). Das ist die Rüge des Herrn an sie. Offensichtlich handelt es sich hier – wie immer – um das erste Abweichen – das allgemeinste Merkmal des Niedergangs. Was Schaden zufügt und am Ende alles verdirbt, stammt unveränderlich aus dem Inneren und nicht von außen. Vergeblich sucht Satan solche niederzuwerfen, die auf Christi Liebe ruhen und Ihn als den geliebten Gegenstand für ihr Leben und ihre Seele besitzen. War letzteres nicht so, als durch Paulus der Brief an die Epheser geschrieben wurde? Hatten sie nicht jetzt ihre erste Liebe verlassen. Das geschieht nicht auf einmal. In dieser Hinsicht gab es Versagen. Hierin hatten sie nachgelassen, jedoch nicht in ihren Werken. Darin gingen sie ihren Weg mit Sorgfalt, wie wir hier erfahren. Es gab Werke und Arbeit und Ausharren. Doch wo waren die Werke des Glaubens? Wo die Arbeit der Liebe? Wo das Ausharren der Hoffnung? (vgl. 1. Thes 1,3!; Übs). Was einst die gewaltigen Ergebnisse hervorgebracht hatte, war nicht länger wirksam – und konnte es auch nicht. Die Auswirkungen liefen weiter, aber die Quelle war vertrocknet. Sie hatten in ihrer ersten Liebe nachgelassen. Mit ihnen war alles vorbei, es sei denn, sie richteten sich selbst, sodass Christus durch die Macht des Heiligen Geistes seinen Platz zurückgewann.

„Gedenke nun, wovon du gefallen bist, und tue Buße und tue die ersten Werke; wenn aber nicht, so komme ich dir und werde deinen Leuchter aus seiner Stelle wegrücken, wenn du nicht Buße tust“ (V. 5). Sei es Christus, der vorgestellt wird, oder die Beschreibung des Zustands der Versammlung – sei es das Versagen, das zur Last gelegt wird, oder das angebotene Heilmittel – sei es das drohende Gericht oder die aufrechterhaltene Verheißung – in allem finden wir eine sehr allgemein gehaltene Beschreibung. Der Herr bleibt im Brief an den Engel der Versammlung in Ephesus bei Einzelheiten von der umfassendsten und allgemeinsten Bedeutung.

„Aber dieses hast du, dass du die Werke der Nikolaiten hassest, die auch ich hasse. Wer ein Ohr hat, höre, was der Geist den Versammlungen sagt! Dem, der überwindet, dem werde ich zu essen geben von dem Baume des Lebens, welcher in dem Paradiese Gottes ist“ (V. 6–7). Auch hier ist alles zusammenfassend dargestellt Was könnte weit gefasster sein als ein Essen vom Baum des Lebens im Paradies Gottes?

Im Schreiben an den Engel der Versammlung in Smyrna treffen wir auf einen ganz anderen Zustand. Dem Wesen nach handelt es sich um einen besonderen Fall im Unterschied zu dem allgemeinen, den wir schon gesehen haben. Dem Herrn gefiel es, nach dem Abweichen von der apostolischen Reinheit und vor allem von der ersten Liebe Trübsal zu bringen. Er erlaubte alle Arten von Prüfungen über sein Volk, indem Er der Macht Satans Freiheit gab, welche durch heidnische Verfolger wirkte. Das ist, wie wir sehen, der Anlass zum Brief an die Versammlung in Smyrna. „Dieses sagt der Erste und der Letzte, der starb und wieder lebendig wurde: Ich kenne deine Drangsal und deine Armut (du bist aber reich) und die Lästerung von denen, welche sagen, sie seien Juden, und sind es nicht, sondern eine Synagoge des Satans“ (V. 8–9).

Beachte: Hier geht es nicht um eine Versuchung durch falsche Apostel. Ein neues Übel tritt auf. So lange wahre Apostel auf der Erde waren, gelang es Satan nie zu bewirken, dass in der Kirche Gottes Judaismus1 anerkannt wurde. Das Konzil in Jerusalem nahm die Nichtjuden ausdrücklich davon aus, unter das Joch des Gesetzes gestellt zu werden; und der Apostel Paulus zeigt, dass es in Wirklichkeit eine Leugnung Christi ist – ein Aus–der–Gnade–fallen (Galater 5, 4) –, falls das Gesetz entweder zur Rechtfertigung oder als Regel für den Christen eingeführt wird. Für die Rechtfertigung ist diese Wahrheit eigentlich klar, in Hinsicht auf eine Lebensregel anscheinend nicht. Dennoch handelt es sich in letzterem Fall genauso um eine Leugnung des Evangeliums. Wenn Christus die Lebensregel für einen Christen ist und das Gesetz die Regel des Todes für einen Juden, ist das Aufgeben dieser Wahrheit durch einen Christen eindeutig eine Neigung zum Abfall (Apostasie). So judaisierten die ersten Kirchenväter; und seitdem wirkt dieser Sauerteig weiter. Nimmt jemand auf diese Weise die Stellung eines Juden ein, dann gehört er zu denen, welche sagen, sie seien Juden, und sind es nicht, sondern, ach!, Satans Synagoge.

Der Herr betrachtet hier die bösen Arbeiter. Dazu sind jene Männer, die nach Werken rufen, inzwischen geworden. Sie bilden jetzt eine besondere Partei. Es geht nicht mehr einfach darum, dass Satan für die Einführung des Judaismus kämpft, denn der Herr spricht über „Lästerung [Beschimpfung, Verleumdung] von denen, welche sagen, sie seien Juden, und sind es nicht, sondern eine Synagoge des Satans.“ Es handelt sich nun um einen festgefügten Block, sodass von einer „Synagoge“ gesprochen werden kann, und nicht mehr um die Neigung Einzelner. Früher waren es Einzelpersonen. Hier sind es viele. Es handelt sich um eine voll entwickelte und allgemein bekannte Partei mit größter Anmaßung. Diese Menschen behaupteten, gerechter und heiliger zu sein als die übrigen, die sie als Antinomier2 verleumdeten, weil diese in der wahren Gnade Gottes standen. In Wirklichkeit waren sie selbst, ohne es zu wissen, die Verderber und Zerstörer des echten Christentums. Indem Satan sie betrog, wurden sie zu seinen eifrigen Werkzeugen; und da sie dem Fleisch nach in sich selbst ernst und ehrenhaft waren, konnten sie umso wirksamer andere verführen.

Die patristische Partei – die gewöhnlich als „die Kirchenväter“ bezeichnet wird – scheint der Führer dieser Gruppe gewesen zu sein, auf die sich hier bezogen wird. Auf ihnen liegt die schreckliche Schande, die Kirche Gottes judaisiert3 zu haben. Dieser Einfluss wurde von solchen Menschen zu allen Zeiten ausgeübt und das hier ist wohl, wie ich annehme, die Bibelstelle, wo die Herausbildung des Judaismus aus jenen als System vom Herrn Jesus Christus gebrandmarkt wird. Indem sie sich gegen den Herrn stellten, widersprachen sie ganz und gar dem Grundsatz der Gnade. Ihre Wesenszüge sind eindeutig. Sie zogen den Christen aus seiner ihm gehörenden himmlischen Beziehung auf den Boden eines unechten Juden. Bei Johannes liegt der bezeichnende Gesichtspunkt noch mehr darin, dass sie die ganze Wahrheit eines wirklichen Lebens, das uns in Christus gegeben wurde, verlieren. Sie verdarben Seelen und bildeten Sekten nach einem irdischen Muster unter solchen Menschen, die nach Paulus eigentlich himmlisch waren. Sie trennten letztere vom Leben Christi und einem Wandel nach seinem Vorbild, um sie einfach unter jüdische Verordnungen zu stellen. Ja, diese Kirchenväter verdienten, wie ich befürchte, als Menschenklasse vollständig jene schreckliche Beurteilung, die der Herr ihnen hier gibt.

Wenn Menschen auf diese Weise nach dem jüdischen Muster alles regelten, wurde dem Grundsatz nach die ganze Schönheit und das Ziel der Kirche (Versammlung) Gottes ruiniert. Doch der wichtigste Gesichtspunkt in diesem Zusammenhang besteht darin, dass gerade zu dieser Zeit der Grundsatz einer [apostolischen; Übs.] Sukzession (Nachfolge) und die kirchlichen Regeln definiert wurden. Das ist der große Wechsel, der als Gegensatz zu den inspirierten Briefen schon bei den vor–nikäischen Vätern4 gefunden werden kann. Hier scheint mir der Herr darauf hinweisen zu wollen, dass diese Grundsätze schon zu der Zeit wirkten, als Gott unter den heidnischen Verfolgungen in einem gewissen Maß die treuen Gläubigen zum Guten benutzte. Sogar damals war Satan nicht müßig, seine Synagoge zu bilden, „welche sagen, sie seien Juden, und sind es nicht.“

Auf der anderen Seite sagt Christus zu den Leidenden: „Fürchte nichts von dem, was du leiden wirst. Siehe, der Teufel wird etliche von euch ins Gefängnis werfen, auf dass ihr geprüft werdet, und ihr werdet Drangsal haben zehn Tage“ (V. 10). Die Prüfung war nicht unbegrenzt. Der Herr bestimmte ihre Dauer. „Sei getreu bis zum Tode, und ich werde dir die Krone des Lebens geben.“ „Wer überwindet, wird nicht beschädigt werden von dem zweiten Tode“ (V. 11). Der erste Tod mag sie beschädigen, aber nicht derjenige der folgen wird und endgültig ist. Es handelt sich um eine Frage des Glaubens an Gott. Wir müssen durch viele Trübsale in das Königreich eingehen. (Apg 14,22).

An den Engel der Versammlung in Pergamus gelangt eine ganz andere Botschaft. Auch diese ist einzigartig. „Dieses sagt, der das scharfe, zweischneidige Schwert hat: Ich weiß, wo du wohnst“ (V. 12–13). Es ist eine ernste Sache, wo und wie wir wohnen. „Du wohnst, wo der Thron des Satans ist.“ Wie kam es dazu? Wir können verstehen, wenn diese Gläubigen über den Schauplatz der Macht Satans wandelten; aber auffallend ist, dass sie dort wohnten. Liebten sie es, nahe bei einem Thron zu weilen, auch wenn es der Thron Satans war? Dort zu wohnen? Liebten sie den Schatten und den Glanz menschlicher Macht?

Doch der Herr erkennt alles Gute an. „Du hältst fest an meinem Namen und hast meinen Glauben nicht verleugnet.“ Es ist bemerkenswert, dass nach den größten Verfolgungen, in welchen die Christenheit und sogar die einzelnen Christen dazu verleitet wurden, die Schutzherrschaft der Welt anzunehmen, es bis zu jenem Zeitpunkt noch wahre Treue gab in der Ablehnung aller Versuche, die Gottheit Christi zu leugnen. Unter demselben Konstantin5, der das Werkzeug war, den Schirm der Welt über die Christenheit zu bringen, wurde der Kampf gegen den arianischen Feind6 geführt und gewonnen. Das berühmte Konzil von Nicaea, wo der Glaube an die Trinität (Dreieinigkeit) öffentlich begründet wurde, stand unter seiner Oberaufsicht und war letztlich von ihm einberufen worden. Ich sage natürlich nicht, dass das Konzil für die Christen notwendig war, die ein solches Bollwerk nicht benötigen, sondern für die Christenheit. So wurde also zu jener Zeit das Glaubensbekenntnis veröffentlicht, welches gewöhnlich als das „Nicänische“ bezeichnet wird und als seinen Gegenstand Christi wesensmäßige Gottheit geltend macht. Ich kann nicht anders denken, als dass auf diesen Zustand hingewiesen wird, wenn wir lesen: „Du hältst fest an meinem Namen und hast meinen Glauben nicht verleugnet, auch in den Tagen, in welchen Antipas mein treuer Zeuge war, der bei euch, wo der Satan wohnt, ermordet worden ist.“ Welch ein ernstes Zusammentreffen! Dort wo äußerlich der Thron Satans stand, hielt gleichzeitig in diesem Umfeld die Barmherzigkeit Gottes diese grundsätzliche Wahrheit über die persönliche Herrlichkeit Christi aufrecht.

„Aber ich habe ein weniges wider dich, dass du solche dort hast, welche die Lehre Balaams festhalten“ (V. 14). Sehr schnell wurde jetzt der Klerikalismus eingeführt. Die Autorität der Welt führte weltliche Gesichtspunkte ein; und jetzt wurde aus dem Dienst Klerikalismus, ein mehr oder weniger einträglicher Beruf. Die Gründer dieses Standes waren solche, welche die Lehre Balaams festhielten. Das war natürlich davon begleitet, dass alle Arten an Kompromissen mit der Welt eingebracht wurden. Der Klerus (Geistlichkeit) ermutigte durch einen Missbrauch der Heiligen Schrift jegliche Art von Umgang mit den bösen Wegen der Welt. So wird hier gesagt: „Der den Balak lehrte, ein Ärgernis vor die Söhne Israels zu legen, Götzenopfer zu essen und Hurerei zu treiben.“ Ich zweifle nicht, dass dieses alles sinnbildlich gemeint ist. Aber der Kurs ist klar genug für den erkennbar, bei dem das Gewissen nicht abgestumpft ist. Dort, wo dasselbe Übel besteht und alles verloren ist, was die Kirche als eine keusche Jungfrau und Verlobte Christi bewahrt (2. Kor 11,2), brauchen wir uns nicht zu wundern, dass diese Warnung missverstanden wird. Die Welt ist eingedrungen; und so ist es immer noch. Dabei werden, ach!, die Menschen durch jene besänftigt, welche ihren beruflichen Stand diesem schrecklich verdorbenen und verderbenden Einfluss verdanken. Derselbe Geist des Unglaubens, der das Unheil einführte, behält es auch weiterhin bei, indem er die wahre Anwendung des zweischneidigen Schwertes damals wie heute herabsetzt. Die Christen waren geblendet von der Macht und Herrlichkeit der Welt, welche zweifellos angewandt wurden, um nicht nur sie selbst, sondern auch den öffentlichen Glauben des Christentums in jenen Tagen zu schützen. Zur gleichen Zeit gaben sie durch ihren Bund mit der Welt in verhängnisvoller Weise Christus preis. Daraus folgte praktisch eine Rückkehr in die Welt, aus der die Gnade die Kirche herausgenommen hatte, um sie mit Christus in Herrlichkeit zu vereinen.

„Also hast auch du solche, welche in gleicher Weise die Lehre der Nikolaiten festhalten“ (V. 15). Der erste dieser Briefe, der an den Engel der Versammlung in Ephesus, brandmarkte „die Werke der Nikolaiten.“ Inzwischen wurde dieses Übel (anscheinend betrifft sie Antinomismus7) zu einer Lehre. „Tue nun Buße; wenn aber nicht, so komme ich dir bald und werde Krieg mit ihnen führen mit dem Schwerte meines Mundes“ (V. 16). So kämpfte der Herr nicht mehr zur Verteidigung seines Volkes, noch benutzte Er den Hass und die Verfolgung des Feindes, um die Knospe bzw. Frucht böser Auswüchse abzukneifen. Das sahen wir vorher. Nun tritt eine größere Versuchung auf. Doch, ach!, der Zustand jener, die seinen Namen trugen, war solcherart, dass Er so ernst mit ihnen handeln musste.

„Wer ein Ohr hat, höre, was der Geist den Versammlungen sagt! Dem, der überwindet, dem werde ich von dem verborgenen Manna geben!“ (V. 17). Als die Kirche einen Platz öffentlicher Herrlichkeit suchte, wurde das verborgene Manna zur Ermutigung des Glaubens. Mochte es wenigstens persönliche, wenn auch ungewürdigte Treue zum Herrn Jesus geben! Es gab, wie ich nicht bezweifle, einige Erlöste, die seinem Namen treu blieben, obwohl jene Zeit, in der die Treuen in die Stellung eines Überrests versetzt oder gezwungen wurden, noch nicht gekommen war. Es ging noch nicht darum, die öffentliche Körperschaft zu verlassen. Dafür war wahrscheinlich nicht genug Kraft des Glaubens da. Auf jeden Fall fehlte es nicht an Treue zu Christus; und wo diese gefunden wurde, galt: „Dem, der überwindet, dem werde ich von dem verborgenen Manna geben; und ich werde ihm einen weißen Stein geben, und auf den Stein einen neuen Namen geschrieben, welchen niemand kennt, als wer ihn empfängt.“ Für ein treues Herz ist seine Zustimmung genug und lieblicher als jeder Triumph vor dem ganzen Universum.

Darauf folgt die letzte dieser vier Versammlungen. „Und dem Engel der Versammlung in Thyatira schreibe“ (V. 18). Ich kann nicht bezweifeln, dass dieser Brief eine treffende Skizze enthält – soweit die damals gegenwärtigen Umstände es schon zuließen – von dem, was in mittelalterlichen Zeiten gefunden werden konnte. „Dieses sagt der Sohn Gottes, der seine Augen hat wie eine Feuerflamme und seine Füße gleich glänzendem Kupfer.“ Christus wird jetzt nicht nur in seiner alles durchschauenden Macht des sittlichen Urteils geoffenbart, sondern auch als Jemand, der auf das Gericht gegen das Böse vorbereitet ist – „seine Füße gleich glänzendem Kupfer.“ „Ich kenne deine Werke und deine Liebe und deinen Glauben und deinen Dienst und dein Ausharren, und weiß, dass deiner letzten Werke mehr sind als der ersten“ (V. 19). Im Mittelalter gab es trotz der Finsternis und Unwissenheit, die in Hinsicht auf die Lehre vorherrschte, eine beachtenswerte Hingabe. Doch jene, die den Herrn liebten, zeigten ihre Liebe nicht so sehr durch Einsicht in seine Wege, sondern durch schonungslose und ausgelebte Selbstverleugnung. Ich spreche jetzt nicht von dem, was aus Aberglaube geschah – sei es in Bezug auf Maria oder die Kirche, als beide zu einer Art bona Dea8 wurden. Ich rede von der Frucht des Blicks auf Christus, wenn auch in aller Einfalt.

„Aber ich habe wider dich, dass du das Weib Jesabel duldest“ (V. 20). Das war eine ganz und gar neue Art von Übel. Das ist nicht einfach Klerikalismus, noch handelt es sich um Personen, welche die Lehre Balaams festhalten. Es geht um einen öffentlichen Zustand, wie ihn das Sinnbild einer Frau gewöhnlich [im Wort Gottes; Übs.] darstellt. Untersuche die symbolische Bedeutung der Frau und du wirst, wie ich glaube, diese Wahrheit erkennen! Der Mann stellt den wirkenden Grundsatz dar, der vorwärts schreitet [aktiv; Übs.], die Frau einen Zustand, der hervorgebracht wird [passiv; Übs.]. Darum ist jetzt Jesabel das passende Sinnbild so wie gerade vorher Balaam. Die Tatkraft lag in der Geistlichkeit (Klerus), welche den schändlichsten Kompromiss mit der Welt einging und die Ehre Christi für Silber und Gold, für Wohlleben und Würde verkaufte. Hier finden wir etwas später Jesabel. Das war der öffentliche Zustand, wie man ihn im Mittelalter dort hervorbrachte und duldete, wo der Herr genannt wurde.

So wird hier gesagt: „Dass du das Weib Jesabel duldest, welche sich eine Prophetin nennt.“ Das ist genau der Anspruch, den die sogenannte Kirche erhebt – die Behauptung einer fortdauernden Unfehlbarkeit sowie die Begründung einer Art inspirierter Autorität, um die Lehre endgültig festzulegen und alles im Namen Gottes zu bestimmen. Handelt der Romanismus (die Römisch–Katholische Kirche) nicht genau so? Steht sie nicht auf dem Platz von Jesabel? – „Welche sich eine Prophetin nennt, und sie lehrt und verführt meine Knechte, Hurerei zu treiben und Götzenopfer zu essen.“ Zweifellos handelt es sich jetzt um Früchte dessen, was früher Werke waren, doch in einem weit ausgereifteren Zustand. „Und ich gab ihr Zeit, auf dass sie Buße täte, und sie will nicht Buße tun von ihrer Hurerei. Siehe, ich werfe sie in ein Bett und die, welche Ehebruch mit ihr treiben, in große Drangsal, wenn sie nicht Buße tun von ihren Werken. Und ihre Kinder werde ich mit Tod töten“ (V. 21–23).

Jesabel war tatsächlich eine Mutter – eine heilige Mutter, wie die Verführer und Verführten sagten. Was sagt aber der Herr? Was sagten solche, die lieber eine große Verfolgung erduldeten, als mit ihr Hurerei zu treiben? – Diese Ärgernis erregende kirchen–weltliche Verderbnis war nun zu einer feststehenden Einrichtung geworden. Es handelt sich nicht einfach um eine vorübergehende Wolke des Irrtums. Es ist jetzt eine Körperschaft in höchster weltlicher Stellung – eine Königin, die außerdem auf die höchste geistliche Macht Anspruch erhebt. Eine sogenannte Prophetin hatte sich dauerhaft in der Christenheit festgesetzt und gebar eine bestimmte Art von Nachkommenschaft der Schlechtigkeit – „ihre Kinder.“ Doch Er, der Augen hat wie eine Feuerflamme, sagt: „Ihre Kinder werde ich mit Tod töten, und alle Versammlungen werden erkennen, dass ich es bin, der Nieren und Herzen erforscht: und ich werde euch einem jeden nach euren Werken geben.“

„Euch aber sage ich, den übrigen, die in Thyatira sind“ (V. 24). Hier geht es eindeutig um einen Überrest. Lasst uns diese bemerkenswerten Worte ein wenig erwägen. Jetzt finden wir zum ersten Mal die offizielle Anerkennung von Erlösten, die nicht im öffentlichen Zustand der Versammlung enthalten sind, obwohl sie noch nicht so offen abgetrennt sind wie in späteren Zeiten. Dennoch werden sie zu einer bekennenden Körperschaft – mehr oder weniger – im Geist. Sie gehören nicht zu jenem System, welches die höchste Anmaßung in tiefgründig bösester Gemeinschaft mit Jesabel zeigt. Auf diese Weise richtet und brandmarkt der Herr das, was die Menschen „unsere Mutter, die heilige Katholische Kirche“ nennen.

„Euch aber sage ich, den übrigen, die in Thyatira sind, so viele diese Lehre nicht haben, welche die Tiefen des Satans, wie sie sagen, nicht erkannt haben: Ich werfe keine andere Last auf euch; doch was ihr habt haltet fest, bis ich komme.“ So spricht der Herr mit äußerster Zartheit von denen, welche seinem Namen treu blieben. Er erwartete nichts Grosses von ihnen. Ich bezweifle nicht im Geringsten, dass diese Stelle sich auf jene Menschen bezieht, die gewöhnlich „Waldenser“ und „Albigenser“9 genannt werden, und andere Personen von ähnlichem Wesen. Sie waren treu und eifrig, besaßen indessen nicht viel Licht der Erkenntnis, wenn wir sie mit einem volleren und reicheren Zeugnis vergleichen, das der Herr später aufrichten wollte und wie es im nächsten Kapitel vorausgezeigt wird.

Der Herr gibt am Ende eine Verheißung, wie sie zu dieser Lage passt. „Wer überwindet und meine Werke bewahrt bis ans Ende, dem werde ich Gewalt über die Nationen geben“ (V. 26). Diese böse Jesabel verfolgte nicht nur die wahren Heiligen des Herrn, sondern suchte auch eine alles umfassende Oberhoheit – eine weltweite Herrschaft über Seelen. Der Herr gebietet letztlich den Treuen, nichts mit ihr zu tun zu haben. Er will die wahre Macht mitteilen, wenn Er selbst sie übernimmt. Mögen die Erlösten auf dem Platz der Geduld verharren, auch wenn dort Verfolgungen sind! So muss es geschehen, falls sie bereit sind, jetzt um Christi willen zu dulden. „Wer überwindet und meine Werke bewahrt bis ans Ende, dem werde ich Gewalt über die Nationen geben; und er wird sie weiden mit eiserner Rute, wie Töpfergefäße zerschmettert werden, wie auch ich von meinem Vater empfangen habe.“ Die Treuen werden an Christi Macht bei seinem Kommen teilhaben und mit Ihm in seinem Königreich verbunden sein. Doch das genügt der Gnade nicht. „Und ich werde ihm den Morgenstern geben“ (V. 28). Das spricht nicht von Vereinigung mit Christus in seiner öffentlichen Regierung, sondern von dem, was zu Ihm ganz und gar außerhalb der Welt gehört. Sowohl die himmlische Hoffnung bei Christus zu sein wird hier verheißen, als auch eine Teilhabe am Königreich.

Hier findet, wie schon richtig festgestellt wurde, ein beachtenswerter Wechsel statt. Die Aufforderung zu hören, folgt jetzt zum ersten Mal der Verheißung, anstatt ihr voraus zu gehen. Der Grund besteht darin, dass nun ein Überrest gebildet wird. Dieser begleitet nicht mehr den öffentlichen Zustand der Kirche. Darum gibt der Herr hinfort zunächst die Verheißung. Offensichtlich hat es nicht länger einen Sinn zu erwarten, dass die Kirche in ihrer Gesamtheit sie annimmt. Die Aufforderung geht an den Überwinder, der folglich der Aufforderung zu hören vorangestellt wird. In den drei vorigen Versammlungen können wir feststellen, dass der Aufruf zu hören vorangeht, weil der Herr sich noch mit dem allgemeinen Gewissen der Kirche beschäftigt. Das wird jetzt aufgegeben. Nur ein Überrest überwindet; und die Verheißung ist für seine Glieder. Der Herr beachtet in seinem Aufruf nur noch sie. In Bezug auf die anderen ist alles vorbei.

Fußnoten

  • 1 d. i. die Lehre des Judentums (Übs.).
  • 2 In der Theologie handelt es sich bei Antinomiern (anti (griech./lat.) = gegen; nomos (griech.) = Gesetz) um Gegner von Gesetz und Gesetzlichkeit, wegen der es in der alten Kirche und während der Reformation heftige Auseinandersetzungen gab (Übs.).
  • 3 d. i., zu den Grundlagen des Judentums zurückgeführt (Übs.).
  • 4 Anm. d. Übs.: Das sind die „Kirchenväter“ vor dem berühmten Konzil von Nicaea (325 n. Chr.), das mit seinen Beschlüssen die Lehre und die Entwicklung der etablierten christlichen Kirchen bis in unsere Zeit bestimmt.
  • 5 Kaiser Konstantin der Große (272/273–337) beendete mit dem Toleranzedikt von Mailand im Jahr 313 die Christenverfolgungen im Römischen Reich und war der erste römische Kaiser der die christliche Kirche unter staatlichen Schutz stellte (Übs).
  • 6 Es handelt sich um den Arianismus, der von dem alt-kirchlichen ägyptischen Theologen Arius (um 260–336) eingeführt und vertreten wurde. Der A. leugnet die Gottheit Christi und betrachtet Ihn als das höchste Geschöpf Gottes. (Übs.).
  • 7 Anm. d. Übers.: vgl. Fußnote auf S. 26! Es geht um die Bekämpfung der als Antinomismus geschmähten christlichen Freiheit.
  • 8 lat.: „gute Göttin“ (Übs.).
  • 9 Anm. d. Übers.: Waldenser und Albigenser sind christliche Gruppen des Mittelalters, die sich von der korrupten Römisch-Katholischen Kirche getrennt hielten und von ihr auf das heftigste verfolgt und im Fall der Albigenser völlig ausgerottet wurden.
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