Elisa, der Prophet

Die Sunamitin

Die Sunamitin

„Und es geschah eines Tages, da ging Elisa nach Sunem hinüber; und dort war eine wohlhabende Frau, und sie nötigte ihn, bei ihr zu essen. Und es geschah, sooft er durchzog, kehrte er dort ein, um zu essen. Und sie sprach zu ihrem Mann: Sieh doch, ich merke, dass dieser ein heiliger Mann Gottes ist, der ständig bei uns durchzieht. Lass uns doch ein kleines gemauertes Obergemach machen und ihm Bett und Tisch und Stuhl und Leuchter hineinstellen; und es geschehe, wenn er zu uns kommt, kann er dort einkehren.

Und es geschah eines Tages, da kam er dahin, und er kehrte in das Obergemach ein und schlief dort. Und er sprach zu Gehasi, seinem Knaben: Rufe diese Sunamitin! Und er rief sie, und sie trat vor ihn hin. Und er sprach zu ihm: Sprich doch zu ihr: Siehe, du hast dir unsertwegen all diese Sorge gemacht; was ist für dich zu tun? Ist für dich mit dem König zu reden oder mit dem Heerobersten? Und sie sprach: Ich wohne inmitten meines Volkes. Und er sprach: Was ist denn für sie zu tun? Und Gehasi sprach: Doch! Sie hat keinen Sohn, und ihr Mann ist alt. Und er sprach: Rufe sie! Und er rief sie, und sie trat in die Tür. Und er sprach: Zu dieser bestimmten Zeit übers Jahr wirst du einen Sohn umarmen. Und sie sprach: Nicht doch, mein Herr, du Mann Gottes, belüge deine Magd nicht!

Und die Frau wurde schwanger und gebar einen Sohn zu dieser bestimmten Zeit übers Jahr, wie Elisa zu ihr geredet hatte. Und das Kind wuchs heran. Und es geschah eines Tages, da ging es hinaus zu seinem Vater, zu den Schnittern. Und es sprach zu seinem Vater: Mein Kopf, mein Kopf! Und er sprach zu dem Diener: Trag ihn zu seiner Mutter. Und er nahm ihn auf und brachte ihn zu seiner Mutter; und er saß auf ihren Knien bis zum Mittag, und er starb. Da ging sie hinauf und legte ihn auf das Bett des Mannes Gottes und schloss hinter ihm zu und ging hinaus. Und sie rief ihren Mann und sprach: Sende mir doch einen von den Dienern und eine von den Eselinnen, und ich will zu dem Mann Gottes laufen und wiederkommen. Und er sprach: Warum willst du heute zu ihm gehen? Es ist weder Neumond noch Sabbat. Und sie sprach: Es ist gut. Und sie sattelte die Eselin und sprach zu ihrem Diener: Treibe immerfort; halte mich nicht auf im Reiten, es sei denn, dass ich es dir sage! So zog sie hin und kam zum Mann Gottes auf den Berg Karmel. Und es geschah, als der Mann Gottes sie von fern sah, da sprach er zu Gehasi, seinem Diener: Sieh dort die Sunamitin! Nun lauf ihr doch entgegen und sprich zu ihr: Geht es dir gut? Geht es deinem Mann gut? Geht es dem Kind gut? Und sie sprach: Gut. Und sie kam zum Mann Gottes auf den Berg und umfasste seine Füße. Da trat Gehasi herzu, um sie wegzustoßen. Aber der Mann Gottes sprach: Lass sie, denn ihre Seele ist betrübt; und der HERR hat es mir verborgen und es mir nicht kundgetan. Und sie sprach: Habe ich einen Sohn von meinem Herrn erbeten? Habe ich nicht gesagt: Täusche mich nicht? Da sprach er zu Gehasi: Gürte deine Lenden, und nimm meinen Stab in deine Hand und geh hin; wenn du jemand triffst, grüße ihn nicht, und wenn jemand dich grüßt, antworte ihm nicht; und lege meinen Stab auf das Gesicht des Knaben. Und die Mutter des Knaben sprach: So wahr der HERR lebt und deine Seele lebt, wenn ich von dir lasse! Da machte er sich auf und ging ihr nach. Gehasi aber war ihnen vorausgegangen und hatte den Stab auf das Gesicht des Knaben gelegt; aber da war keine Stimme und kein Aufmerken. Und er kehrte zurück, ihm entgegen, und berichtete ihm und sprach: Der Knabe ist nicht erwacht.

Und als Elisa in das Haus kam, siehe, da war der Knabe tot, hingelegt auf sein Bett. Und er ging hinein und schloss die Tür hinter ihnen beiden zu und betete zu dem HERRN. Und er stieg auf das Bett und legte sich auf das Kind, und er legte seinen Mund auf dessen Mund, und seine Augen auf dessen Augen, und seine Hände auf dessen Hände und beugte sich über ihn; und das Fleisch des Kindes wurde warm. Und er kam zurück und ging im Haus einmal dahin und einmal dorthin, und er stieg wieder hinauf und beugte sich über ihn. Da nieste der Knabe siebenmal, und der Knabe schlug seine Augen auf. Und er rief Gehasi und sprach: Ruf diese Sunamitin. Und er rief sie, und sie kam zu ihm herein. Und er sprach: Nimm deinen Sohn! Da kam sie und fiel ihm zu Füßen und beugte sich zur Erde nieder. Und sie nahm ihren Sohn und ging hinaus“ (2. Könige 4,8–37).

Das Adjektiv „wohlhabend“, das hier für die Frau aus Sunem gebraucht wird, bezieht sich zweifellos in erster Linie auf ihre Stellung in der Welt als eine bedeutende Person. Sie war aber auch „wohlhabend“ in Bezug darauf, was in Gottes Augen groß ist – ihr Glaube (2. Kön 4,8). Darin war sie in ihrer Generation herausragend. Wir finden eine Anzahl Glaubenshelden Gottes in Hebräer 11, Männer und Frauen, „deren die Welt nicht wert war“.

Die Sunamitin war der Witwe von Zarpat insofern geistlich überlegen, da sie davon überzeugt war, dass Elisa ein heiliger Mann Gottes war, bevor das Wunder geschah. Die Witwe kam zur gleichen Überzeugung in Bezug auf Elia, nachdem das Wunder stattgefunden hatte (1. Kön 17,24). „Ich merke“ sagt die Frau in 2. Könige 4,9. Oh, dass wir doch alle eine schärfere geistliche Wahrnehmung hätten!

Als gastfreundliche Person, hatte die Sunamitin Elisa häufig beherbergt. Wer seine herzliche Gastfreundschaft nicht dem Sohn Gottes selbst zukommen lassen kann, so wie Martha und Maria es taten, hat dennoch immer die Möglichkeit, sich in liebevoller Fürsorge denen zuzuwenden, die Ihn repräsentieren, sofern dies ein Herzensanliegen ist, was gut und angenehm vor Gott ist (1. Tim 2,3; 1. Tim 5,10). Was sie in Elisas Leben sah, veranlasste die Sunamitin, zu ihrem Mann zu sagen: „Sieh doch, ich merke, dass dieser ein heiliger Mann Gottes ist, der ständig bei uns durchzieht“. Es ist gut, wenn das Leben eines Menschen so von Gott redet. Der Apostel konnte die Thessalonicher daran erinnern, was er und seine Mitarbeiter unter ihnen waren um ihretwillen. Er konnte sogar sagen: „Ihr seid Zeugen und Gott“ (1. Thes 1,5; 1. Thes 2,10). Bei Timotheus konnte er sich nicht nur auf seine Lehre berufen, die gesund war, sondern auch auf sein „Betragen, ... Vorsatz, ... Glauben“ etc. (2. Tim 3,10). Bei seiner letzten Unterredung mit den Freunden aus Ephesus konnte er sein ganzes Verhalten unter ihnen für sie als Beispiel zur Nachahmung darstellen (Apg 20,18–35). Treuer Diener! Ein wahrer Botschafter des abwesenden Christus!

Eines Tages, als Elisa im Haus der Sunamitin war, bat er Gehasi, seinen Diener, sie zu ihm zu rufen. Er äußerte ihr gegenüber den Wunsch, als Anerkennung ihrer zahlreichen Beweise der Freundlichkeit, etwas für sie zu tun. „Ist für dich mit dem König zu reden oder mit dem Heerobersten?“ (Möglicherweise hatte Elisas Dienst während des Feldzugs nach Moab ihm einen gewissen Einfluss am Königshof verschafft). Die Antwort der Frau ist beeindruckend: „Ich wohne inmitten meines Volkes“. Weltliche Ehren hatten keinen Einfluss auf sie, sie liebte die Einfachheit ihrer Umgebung. Wie hätten wir wohl auf eine derartige Frage reagiert? Was bedeutet uns die Welt – alles oder nichts? Hätten wir die Fürsprache beim König für uns gewünscht? Für den Christen ist „mein Volk“ die Versammlung. Finden wir dort wirklich unsere wahre Freude, obwohl die Versammlung aus dem Törichten der Welt, dem Schwachen, dem Unedlen, dem Verachteten etc. besteht (1. Kor 1,26–29)? Manchmal begehen wir den Fehler, dass wir die Gläubigen als natürliche Menschen betrachten, anstatt sie im Licht der unendlichen Gnade Gottes zu sehen. Was sie für Christus sind, und die Tatsache, dass Er in ihrer Mitte ist, sollte unsere Herzen für die Seinen mehr als alles andere erwärmen. Wie glücklich sind wir, wenn unsere Seelen in der Gemeinschaft mit den Seinen völlig zufriedengestellt sind, so dass wir jedes Angebot mit den Worten beantworten können: „Ich wohne inmitten meines Volkes“. In der Nähe Gottes, abgesondert von der Welt, ist der sicherste und auch der einzig richtige Platz für uns alle.

Weltliche Ehren bedeuteten der Sunamitin nichts, sie sollte einen familiären Segen erhalten. Also versprach Elisa ihr einen Sohn, der nach entsprechender Zeit auch geboren wurde. Nach einigen kurzen Jahren häuslichen Glücks, legte sich der dunkle Schatten des Todes auf das Haus. Der Tod des Jungen brachte jedoch die ganze geistliche Vornehmheit der Mutter zum Vorschein. Dass sie sich ihrem Ehemann gegenüber zurückhaltend betreffs ihrer großen Not äußert, legt nahe, dass ihr Mann entweder gar nicht aus Gott geboren war, oder dass er nicht das gleiche Glaubensniveau hatte wie sie. Wir sehen, wie sie durch die Ebene Jisreel eilt (vllt. knapp 50 km), um ihren Kummer zu den Füßen des Mannes Gottes am Berg Karmel loszuwerden. Ihr Gottvertrauen war so groß, dass sie auf die Frage: „Geht es dir gut? Geht es deinem Mann gut? Geht es dem Kind gut?“, antworten konnte: „Gut“. Brüder, es ist immer „gut“. „Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Guten mitwirken, denen, die nach Vorsatz berufen sind“ (Röm 8,28).

Im Gegensatz zu dem in Amos 3,7 dargelegten Prinzip, hatte der Herr es nicht für angemessen befunden, Elisa im Vorfeld über das Anliegen der Frau zu informieren. Sobald er verstanden hatte, worum es ging, bat er Gehasi, seinen Stab zu nehmen und ihn auf das Gesicht des Jungen zu legen. So gut diese Anweisung auch gemeint war, sie stellte die Sunamitin nicht zufrieden. Sie sagte zu dem Propheten: „So wahr der HERR lebt und deine Seele lebt, wenn ich von dir lasse!“ Sie zog die lebende Person dem leblosen Stab vor, obwohl letzterer ein Zeichen der Macht gewesen sein mag. Vielleicht hatte Elisa sie auch nur prüfen wollen, wie Elia ihn geprüft hatte am Tag seiner Entrückung. Wenn dem so war, finden wir hier eine schöne Glaubensantwort. Wie viel Zeit verschwenden wir leider auf leblose Formen (Sakramente etc.) und vernachlässigen dadurch den lebendigen Christus! Auf ihrem Weg nach Sunem begegnen der Prophet und die Mutter dem zurückkehrenden Gehasi, der berichtet: „Der Knabe ist nicht erwacht“. Als Elisa das Haus betrat „stieg (er) auf das Bett und legte sich auf das Kind, und er legte seinen Mund auf dessen Mund, und seine Augen auf dessen Augen, und seine Hände auf dessen Hände und beugte sich über ihn; und das Fleisch des Kindes wurde warm“. Genauso kann nur der Kontakt mit dem lebendigen Christus Leben geben und Leben erhalten, wenn es empfangen wurde.

„Ruf diese Sunamitin“, befiehlt Elisa Gehasi. „Nimm deinen Sohn“, sagt er zu der Mutter. „Da kam sie und fiel ihm zu Füßen und beugte sich zur Erde nieder. Und sie nahm ihren Sohn und ging hinaus“. Diese Szene ist voller moralischer Größe: Kein Ausdruck der Begeisterung und Überraschung gegenüber dem Geschehenen; nein, das hatte sie erwartet. Ihr Glaube hatte den Gott der Auferstehung ergriffen. „Frauen erhielten ihre Toten wieder“ „durch Glauben“ (Heb 11,35). Die Sunamitin konnte nur zu den Füßen dessen niederfallen, der ihr das Leben gebracht hatte. In ähnlicher Weise werfen auch wir uns vor Ihm nieder, der für uns die Macht des Todes zunichte gemacht und uns ewiges Leben zugesichert hat.

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