Das Evangelium nach Matthäus

Kapitel 20

Das Evangelium nach Matthäus

Dieses Kapitel beginnt mit dem Gleichnis vom Hausherrn und seinen Arbeitern, das in Vers 16 den letzten Punkt der vorhergehenden Betrachtung von neuem bekräftigt. Auch steht dieses Gleichnis in direktem Bezug zu der Frage des Petrus hinsichtlich einer klaren Zusage von Belohnung, indem es die unterschiedliche Behandlung der Arbeiter durch den Hausherrn einander gegenüberstellt. Da sind solche, denen er den Lohn nach Übereinkunft zumisst, und andere, die ohne Absprache, aber in dem Vertrauen die Arbeit aufnehmen, dass er ihnen geben würde, „was irgend recht ist“. Wir alle können die Gefühle der ersten Arbeiter gut verstehen und dass sie sich über eine unfaire Behandlung beklagten, da sie doch des Tages Last und Hitze getragen hatten. Gibt es wohl einen Arbeiter, der anders reagieren würde, als sie es taten? Doch dieser „Hausvater“ legte großen Wert auf jenes Vertrauen in seine Redlichkeit und den Glauben an das gegebene Wort, das die später gekommenen Arbeiter kennzeichnete. Er hatte ein Recht, mit seinem Geld zu tun, was er wollte, und er schätzte den Glauben so hoch ein, dass er den letzten gab, was er auch den ersten gegeben hatte. Und er begann mit den letzten, als er das Geld aushändigte. So waren die Letzten die Ersten und die Ersten die Letzten.

Es gibt hier eine Lektion zu lernen, die niemand von uns von heute auf morgen begreift. Der Herr wird keine Arbeit unterbewerten, doch Er wird den einfältigen Glauben an Ihn noch höher einschätzen – an Seine Gerechtigkeit, Seine Weisheit, Sein Wort –, den Glauben, der im Dienst für Ihn fortfährt, auch noch, wenn der Tag sich neigt, ohne viel an Lohn zu denken oder ein Geschäft machen zu wollen. Der Glaube und die Liebe als die Triebfedern zu einem Dienst für Ihn sind Ihm kostbarer als die eigentliche Arbeit, die getan werden kann. Es wird auch uns zu reichem Gewinn sein, wenn wir dieses Gleichnis beachten, lernen und gründlich überdenken.

Zum letzten Mal war Jesus jetzt auf dem Weg nach Jerusalem, und wiederum kündigte Er den Jüngern nachdrücklich Seinen bevorstehenden Tod und Seine Auferstehung an. Den Berichten dieses Evangeliums zufolge tat Er das zum vierten Mal, seitdem Er in Kapitel 16 das Bauen Seiner Versammlung vorhergesagt hatte. Hier werden mit wenig Worten viele Einzelheiten mitgeteilt. Er prophezeit Seinen Verrat durch Judas, Seine Verurteilung durch den Hohen Rat, Seine Überlieferung an Pilatus und seine Soldaten, die Verspottung, die Geißelung, die Kreuzigung und schließlich Seine Auferstehung ‑ alles in zwei Versen.

Doch die Jünger standen noch ganz in der Erwartung der raschen Aufrichtung des Reiches. Das führte bei der Mutter des Jakobus und des Johannes dazu, dass sie mit ihren Söhnen zu Jesus trat, um für sie herausragende Stellungen in diesem Reich zu erbitten. Er antwortete durch eine Frage, die erkennen ließ, dass Ehre im kommenden Reich im Verhältnis dazu stehen wird, wie weit jemand sich mit Ihm in Seinen Leiden und Seiner Verwerfung einsgemacht haben würde. Und gleichzeitig gab Er zu verstehen, dass Belohnungen im Reich vom Urteil des Vaters abhingen. Der Sohn des Menschen selbst wird das Reich von dem Vater empfangen, wie schon in Psalm 8 und in Daniel 7 vorausgesagt worden war, und so werden auch die Heiligen ihren Platz im Reich von dem Vater empfangen. Wenn wir daran denken, wird es uns helfen, zu verstehen, dass Er von der Belohnung sagte, sie „steht nicht bei mir zu vergeben“.

Soweit wir uns erinnern, ist dies der einzige Fall, wo Eltern der Kinder wegen eine Bitte zum Herrn hatten und keine Erhörung fanden. Allerdings bat hier die Mutter auch um eine hohe Ehrenstellung als Belohnung, während in allen anderen Fällen die Bitte dahin ging, einen Segen aus Seinen Händen zu empfangen. Solche Bitten waren immer erhört worden. Die Jünger waren offensichtlich nicht frei von Gefühlen der Konkurrenz, und die zehn empfanden, dass die zwei ihnen zuvorgekommen waren, und wurden unwillig. Das führte zu einer weiteren schönen Belehrung über die Demut, wie sie für das Reich von Vorteil ist. Selbst heute fällt es uns schwer, anzuerkennen, dass die im Reich Gottes vorherrschenden Grundsätze das genaue Gegenteil jener Prinzipien darstellen, die die Reiche der Menschen regieren. In der Welt drückt sich Größe in Herrschaft und Autorität aus. Wer größer ist, bestimmt über seine Mitmenschen. Unter Heiligen drückt sich Größe in Dienst und Fürsorge aus. Das Wort für Diener in Vers 26 ist „Diakon“ und das Wort für Knecht in Vers 27 „Sklave“, ein Wort, das Paulus für Timotheus und sich selbst in der Einleitung zum Philipperbrief gebraucht. Paulus war in hervorragender Weise ein Sklave Jesu Christi, und er wird nicht zu den Geringen gehören, wenn nach den Maßstäben des Reiches der Himmel gemessen wird.

Andererseits gab es in den Tagen des Apostels Paulus Männer, die auf Herrschaft und Autorität bedacht waren, indem sie Gläubige knechteten, sie aufzehrten, von ihnen nahmen, sich selbst überhoben und andere ins Gesicht schlugen. Doch solche waren falsche Apostel und betrügerische Arbeiter ‑ siehe 2. Korinther 11,13‑20. Auch heute gibt es Leute, die auf dieselbe Art ihre Machtstellung behaupten, und wir tun gut daran, uns vor ihnen in acht zu nehmen. Der Herr stellt sich selbst als der Sohn des Menschen vor uns, der nicht kam, um bedient zu werden, sondern um zu dienen, obwohl es Sein Recht gewesen wäre, sich bedienen zu lassen. Daniel 7,9‑14 zeigt uns dies auf zweifache Weise, denn Jesus kann mit dem „Alten an Tagen“ ebenso identifiziert werden wie mit dem Sohn des Menschen. Als dem Alten an Tagen dienten Ihm „tausend mal Tausende“, bevor Er zu uns herabstieg. Als dem Sohn des Menschen werden Ihm „alle Völker, Völkerschaften und Sprachen“ dienen. Aber dazwischen liegt die Zeit Seiner Erniedrigung, wo Er sich dem Dienst hingab, und das bis an den äußersten Punkt der Hingabe Seines Lebens zum Lösegeld für viele. So stellt der Herr zum fünften Mal seit Kapitel 16 den Jüngern Seinen Tod vor Augen, und diesmal sprach Er von dessen erlösender Kraft. Gott sei Dank, dass wir unter den „vielen“ sind.

Die abschließenden Szenen des Evangeliums beginnen mit der Begebenheit der beiden Blinden, die sich ereignete, als Er von Jericho auszog. Markus und Lukas erwähnen nur einen von ihnen mit Namen Bartimäus, doch offensichtlich waren es eigentlich zwei. Die gleiche Besonderheit ergibt sich bei den Berichten über die Austreibung von einer Legion Dämonen, wo Matthäus am Ende von Kapitel 8 von zwei Männern erzählt, während Markus und Lukas nur einen erwähnen. In beiden Fällen gab es zwei Zeugen der Macht und der Gnade Jesu. Matthäus macht diese genaue Angabe, die auf jüdische Leser ihren Eindruck nicht verfehlen würde, weil sie nach dem Gesetz an das gültige Zeugnis zumindest zweier Menschen gewöhnt waren, während ein einzelner Zeuge unbeachtet blieb.

Der Sohn Davids war nun zum letzten Mal auf dem Weg zu Seiner Hauptstadt. Diese Männer hatten genügend Glauben, Ihn anzuerkennen, und sie empfingen durch Ihn physisches Augenlicht, wie sie es ersehnten. Mit sehenden Augen wurden sie Seine Nachfolger. Das war sicherlich symbolisch für die geistliche Not der Volksmengen in Israel. Wenn nur ihre Augen wirklich offen gewesen wären, so würden sie in Jesus ihren Messias am Tag ihrer Heimsuchung erkannt haben. Die heutige Situation ist nicht viel anders. Die Menschen beklagen oft einen Mangel an Licht. Was ihnen aber wirklich fehlt, ist geistliches Wahmehmungsvermögen, d.h. Glauben, der sie befähigen würde, das Licht zu sehen, das in Ihm so klar geleuchtet hat.

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