Das Kommen des Herrn, Israel und die Gemeinde

Die Einheit der Kirche auf der Erde

Obwohl die Kirche im Hinblick auf ihre Berufung, ihren Charakter und ihre Verbindungen himmlisch ist, befindet sie sich doch immer noch in der Welt und bedarf daher besonderer Führung und Bewahrung. „Und ich bin nicht mehr in der Welt, und diese sind in der Welt, und ich komme zu dir. Heiliger Vater! Bewahre sie in deinem Namen, den du mir gegeben hast, damit sie eins seien wie wir“ (Joh 17,11). Wir haben bereits gesehen, dass die Kirche als Leib Christi vollkommen ist und dass ihr himmlischer Charakter einen entsprechenden Lebenswandel des Gläubigen verlangt. Aber der Gläubige wird nicht nur als Einzelperson betrachtet. Da er ein Glied des Leibes Christi ist, ist er nicht nur aus der Welt herausgenommen, sondern gleichzeitig in die Versammlung hineingebracht. Er hat Aufgaben innerhalb dieser Gemeinschaft und steht in Beziehung zu seinen Mitgeschwistern. Der ganze Leib Gläubiger hat einen körperschaftlichen Charakter, den es in der Welt aufrechtzuerhalten gilt. Die Kirche untersteht göttlicher Ordnung und göttlichen Verwaltungsprinzipien. Lasst uns daher nun einmal untersuchen, was uns das Wort Gottes zu diesem Thema sagt.

An dieser Stelle könnte man fragen, ob die Schrift überhaupt irgendeine Ordnung vorgibt. Kann nicht der Einzelne entsprechend seinem Charakter Dinge selbst entscheiden und beurteilen? Könnte die kirchliche Ordnung nicht unter Berücksichtigung unterschiedlicher Gegebenheiten in einzelnen Ländern, Zeitepochen oder sonstigen Umständen aufgestellt werden? Die Kirche so sich selbst zu überlassen, wäre unvereinbar mit Gottes generellem Handlungsprinzip und mit seiner speziellen Fürsorge für die Versammlung. Es widerspricht grundsätzlich dem Handlungsprinzip Gottes, irgendwelche Regelungen menschlicher Weisheit zu überlassen. „Die Welt (erkannte) durch die Weisheit Gott nicht“. Selbst das Predigen göttlicher Wahrheiten „in Redeweisheit“ führt nur dazu, dass „das Kreuz Christi zunichtegemacht“ wird. Für die, die nach Weisheit streben, ist „Christus als gekreuzigt ... eine Torheit“ (1. Kor 1,23). Kurz gesagt, menschliche Weisheit wird durch das Kreuz völlig beiseitegesetzt. Lässt man zu, dass der Mensch eigene Überlegungen und eigenen Willen in göttliche Dinge hineinbringt, wird das immer zu katastrophalen Ergebnissen führen. Als David die Lade auf seine Weise anstatt auf die Weise Gottes nach Jerusalem holen wollte, endete der Versuch mit der Verfehlung Ussas. Er hatte seine Führer und nicht den Herrn um Rat gefragt, und obwohl er etwas Richtiges tat, musste er feststellen, welch bittere Früchte es trägt, wenn man dem Rat menschlicher Weisheit folgt, wie es hier der Fall war. Menschliche Weisheit ist in göttlichen Dingen nicht zulässig und kann nur negative Folgen haben. Gott hat seine eigene Ordnung, und als Glaubende sollten wir gehorchen und nicht diskutieren.

Wenn Gott also generell nach diesem Prinzip handelt – wenn das die notwendige Konsequenz dessen ist, dass der Mensch sich von Gott entfernt hat und Gott den alten Menschen durch das Kreuz beiseitesetzen musste – wie unpassend und unglaubwürdig wäre es dann, wenn Gottes Handeln mit der Kirche auf einem anderen Grundsatz basierte. Als ein himmlisches Volk hat Er an ihnen besonderes Wohlgefallen. Als himmlisches Volk hier auf der Erde benötigt es jedoch besonderer Weisung, wie es sich an diesem Ort verhalten soll, da es sich hier wie ein Fremder auf der Durchreise aufhält. Würde Gott wohl sein himmlisches Volk mitten in einer feindlichen Welt zurücklassen, ohne ihm seine Anweisungen für das gemeinschaftliche Verhalten mitzuteilen? Wenn die Versammlung, in Christus gesehen, „den Fürstentümern und den Gewalten in den himmlischen Örtern“ die Vielfalt der Weisheit Gottes kundtun sollte, soll dann die Versammlung, wenn man sie auf der Erde betrachtet, nicht auch Gottes Weisheit darstellen? Soll nur der Einzelne ein Zeuge Christi sein? Soll das wunderbare Werk, das an Pfingsten geschah und wodurch alle Gläubigen zu einem Leib getauft wurden, für die Welt vollkommen unsichtbar sein – nutzlos im Hinblick auf das Zeugnis nach außen? Gott hat sein Wort als Leitfaden für das Leben des einzelnen Gläubigen gegeben: „Heilige sie durch die Wahrheit: Dein Wort ist Wahrheit“ (Joh 17,17). Hat Er deshalb die Versammlung ohne Anweisungen hiergelassen? Hat Er sie der Weisheit überlassen, die den Herrn nicht kennt und die Vollendung des Werkes, das Er in seiner Weisheit begonnen hat? Der bloße Gedanke daran bedeutet schon, Ihn zu verunehren! Er hat aus uns die wunderbarste Gemeinschaft überhaupt gebildet, Er hat uns zum Leib und zur Braut Christi im Himmel gemacht. Wenn Er uns jetzt uns selbst überlassen würde, so dass wir uns nach Belieben gemäß eigener „Ansichten“ und „Vorlieben“ versammeln könnten, wenn wir keine göttlichen Vorgaben und Handlungsmaßstäbe von Ihm erhalten hätten, entspräche das sicher nicht der Art und Weise, in der Gott mit seinen Kindern umgeht.

Gewiss, Er hat uns den Geist gegeben, aber handelt der Geist jemals unabhängig von dem Wort? Was die Weisung im persönlichen Verhalten angeht, bewirkt der Geist Verständnis des Wortes und Appell an das Gewissen. Das Wort ist der einzige Maßstab, und jede Verhaltensweise, die nicht in Übereinstimmung mit dem Wort ist, wird von geistlichen Menschen unmittelbar als Wirken des Fleisches und nicht des Heiligen Geistes verurteilt. Wenn das der Standard für das persönliche Verhalten ist, gilt das dann nicht genauso für das Handeln der Versammlung? Leitet der Heilige Geist sie nicht in gleicher Weise? Und wenn Regeln und Vereinbarungen ohne Autorität des Wortes getroffen werden, sollten dann nicht geistlich Gesinnte diese als Werke des natürlichen Menschen ablehnen anstatt sie als vom Heiligen Geist gewirkt anzunehmen? Es kann nicht sein, dass es ein Dutzend verschiedene Formen der Kirchenverwaltung und -ordnungen gibt, die alle in Übereinstimmung mit dem Wort Gottes sind. Wie kann man dann sagen, dass sie durch den Geist Gottes gewirkt wurden? Und wenn das nicht der Fall ist, wie kann man die Leitung des Geistes in der Praxis erwarten? Ich zweifle nicht einen Moment daran, dass Gott ungeachtet des kirchlichen Systems Segen gibt, wenn sein Wort in Aufrichtigkeit verkündet wird. Dennoch billigt Er damit nicht das System, das nicht in Übereinstimmung mit seinem Wort ist oder schmälert die Verantwortung der Gläubigen in Bezug auf ihre Verbindung zu solch einem System. Entweder hat Gott Vorgaben für seine Versammlung gemacht oder Er hat die kirchliche Ordnung den Menschen überlassen. Sofern Er Anordnungen getroffen hat, gelten diese eindeutig für alle, und jede Abweichung davon ist ein Akt des Ungehorsams. Wenn Er die Regelung der kirchlichen Ordnung menschlichem Willen und Weisheit überlassen hätte, würde das nicht nur zu Unordnung und Trennung führen?

Wenn wir lesen, was die Schrift dazu sagt, werden wir feststellen, dass Gott die Verwaltung der Versammlung keineswegs dem Menschen überlassen hat, sondern dass Er jegliche menschliche Einmischung aufs Schärfste verurteilt. Er selbst stellt die Regeln auf für diese Kirche, die Ihm so überaus kostbar ist, die seine Weisheit so herrlich darstellt und die die auserwählte Braut seines geliebten Sohnes ist. Was ist nun also seine göttliche und vollkommene Ordnung? Die Verhaltensmaßstäbe für den einzelnen Gläubigen entsprechen der himmlischen Natur seiner Berufung. In gleicher Weise soll auch die Kirche Gottes Gedanken im Hinblick auf sie widerspiegeln. Sieht man die Kirche in Übereinstimmung mit Gottes Gedanken, so ist sie eine Einheit, ein Leib – der Leib Christi – verbunden mit dem lebendigen Haupt und gebildet durch den Heiligen Geist, der auf die Erde gesandt wurde. Da sie somit in und mit Christus eins ist, ist sie von der Welt getrennt, sie hat himmlischen Charakter. Sie ist auf der Erde, um während seiner Abwesenheit Zeugnis von Christus zu geben und darauf zu warten, dass Er kommt und sie in die Herrlichkeit aufnimmt. Ihre Zusammenkünfte sollen allein „im Namen unseres Herrn Jesus [Christus]“ (1. Kor 5,4) stattfinden und selbst für die kleinste Anzahl Gläubiger, die so zusammenkommt, gilt, dass Er in ihrer Mitte sein und sie leiten wird. Das ist die Kirche nach Gottes Gedanken. Alle Anordnungen bezüglich ihrer Verwaltung sind in göttlicher Übereinstimmung mit ihrem generellen Charakter.

Der erste große Grundsatz ist, dass sie eine Einheit ist, der Leib Christi. Das ist zweifellos ein Bild, aber es ist eine Illustration, die der Heilige Geist immer wieder verwendet, um die Einheit der Glieder untereinander und mit Christus sowie die Abhängigkeit voneinander und von Christus darzustellen. Wenn die Kirche der Leib Christi ist, sind die Gläubigen „ein Leib in Christus, einzeln aber Glieder voneinander“ (Röm 12,5). Daher gilt: „Das Auge aber kann nicht zu der Hand sagen: Ich brauche dich nicht; oder wiederum das Haupt zu den Füßen: Ich brauche euch nicht“ (1. Kor 12,21). Sondern vielmehr: „... wenn ein Glied leidet, so leiden alle Glieder mit; oder wenn ein Glied verherrlicht wird, so freuen sich alle Glieder mit“ (1. Kor 12,26). Der Leib ist daher, obwohl er nur als Bild gebraucht wird, nicht bloß eine Metapher, die bis zu einem bestimmten Punkt wahr ist, dann aber in der Anwendung versagt. Er ist ein immer wiederkehrendes Bild, das verwendet wird, um die engste Einheit unter Gläubigen zu zeigen. Da die Kirche ein Leib, der Leib Christi, ist, ist sie auch dazu berufen, von dieser Einheit auf der Erde Zeugnis zu geben. Das können wir ganz sicher daraus schlussfolgern, denn die Kirche hier auf der Erde, so wie Gott sie errichtet hat, spiegelte der Welt seine Gedanken wider, und der Mensch war dafür verantwortlich, diese zu bewahren. Der Heilige Geist hat uns jedoch nicht unseren Schlussfolgerungen überlassen. Da dieser Gegenstand von enormer Bedeutung ist und Satan daher alles versuchen würde, den Menschen von Gottes Gedanken abzubringen, hat Er uns in dieser Sache ganz klare Anweisungen gegeben.

So bittet der Herr Jesus den Vater: „Bewahre sie in deinem Namen, den du mir gegeben hast, damit sie eins seien wie wir“ (Joh 17,11). Hier geht es um Einheit, und zwar um eine höchst wunderbare Art der Einheit, ein Abbild der Einheit zwischen dem Vater und dem Sohn. Die Einheit als Wesensart hat in der Tat eine Tiefe, die menschliches Verständnis nie ergründen können wird; die Einheit nach Vorsatz und aus Liebe wurde göttlich festgelegt. Diese Einheit sollen die Gläubigen gegenüber der Welt darstellen. Der Herr spricht hier zwar nicht explizit von der Kirche, aber von solchen, aus denen der Heilige Geist die Kirche in Kürze bilden würde. Die Einheit sollte durch die, aus denen die Kirche bestehen würde, dargestellt werden. Die Taufe mit dem Heiligen Geist konnte diese Verpflichtung nicht abschwächen oder die Bedeutung der Einheit, um die hier gebeten wird, herabsetzen.

Man könnte dem jedoch entgegensetzen, dass der Herr Jesus nur von den Aposteln spricht, dass also diese Einheit nicht nach außen dargestellt wird, sondern nur im Geist vorhanden sein sollte, sichtbar für Gott. Lasst uns daher eine andere Stelle hinzuziehen. „Aber nicht für diese allein bitte ich, sondern auch für die, die durch ihr Wort an mich glauben; damit sie alle eins seien, wie du, Vater, in mir und ich in dir, damit auch sie in uns [eins] seien, damit die Welt glaube, dass du mich gesandt hast. Und die Herrlichkeit, die du mir gegeben hast, habe ich ihnen gegeben, damit sie eins seien, wie wir eins sind; ich in ihnen und du in mir, damit sie in eins vollendet seien“ (Joh 17,20–23). Hier betet der Herr Jesus für alle, „die durch ihr Wort an mich glauben“. Sicher wird das jeder Gläubige gerne für sich in Anspruch nehmen. Aber wenn dies alle Gläubigen betrifft, gilt es für alle, dass sei eins sein sollen, so wie Er und der Vater eins sind. Diese Einheit war weit davon entfernt, unsichtbar für die Welt zu sein, da sie gegenüber der Welt beweisen sollte, dass der Vater den Sohn gesandt hatte. Wenn Gott wollte, dass sie der Welt etwas bezeugen sollte, musste sie für die Welt sichtbar sein. Ist die Einheit der Gläubigen für die Welt nicht zu sehen, hat die Kirche als Zeuge versagt. Es mag genug Einzelpersonen geben, die bezeugen, dass der Vater den Sohn gesandt hat, aber das hier erwähnte Zeugnis, das Zeugnis, das durch die sichtbare Einheit der Gläubigen gegeben werden sollte, kann nicht von einer zertrennten Kirche kommen.

Das ist aber noch nicht alles. Die Einheit, die, wie wir gesehen haben, als Zeugnis gegenüber der Welt dienen soll, verbindet der Herr mit der Herrlichkeit, die Er von seinem Vater empfangen hat, und gibt sie den Gläubigen. „Die Herrlichkeit, die du mir gegeben hast, habe ich ihnen gegeben, damit sie eins seien, wie wir eins sind“. So wird also die besondere Herrlichkeit, die den Gläubigen gegeben wurde – nein, die Herrlichkeit, die Christus selbst gegeben wurde – hinsichtlich ihrer Außendarstellung mit der sichtbaren Einheit seiner Jünger verbunden. Welche Betrübnis und Verunehrung Christi bedeutet doch der derzeitige Zustand der Uneinigkeit und Spaltung derer, die mit dieser wunderbaren Aufgabe betraut waren!

Zweifellos gibt es einen großen Unterschied zwischen Einheit und Gleichförmigkeit. Gleichförmigkeit, die nicht der Einheit entspringt, ist nur lebloser Schein. Ohne Frage ist die Einheit, von der hier gesprochen wird, die Einheit des Geistes. Aber wie zeigt sich diese Einheit des Geistes? In zahllosen Trennungen? In unzähligen Splittergruppen? Indem man der Welt gegenüber den Wunsch nach Einheit äußert? Geht man davon aus, dass die sogenannte Kirche, die am lautesten mit der Einheit prahlt, nur eine hohle und leblose Einheitlichkeit vorzuweisen hat – lässt das den Schluss zu (da einmal eine unechte Einheitlichkeit, die nicht aus Gott ist, vorhanden war), dass wahre Einheitlichkeit, die Frucht der Einheit des Geistes, nicht Gottes Absicht war? Wahre Einheit des Geistes bringt Einheitlichkeit hervor. In der Kirche, so wie Gott sie gegründet hat, finden wir beides. Die Bilder, die gebraucht werden, um diese Einheit zu beschreiben, zeigen ihren wahren Charakter. Die Gläubigen sollen eins sein, wie der Vater und der Sohn eins sind. Könnte man sich etwas Vollkommeneres erdenken, sowohl was die innere Gesinnung als auch die äußere Darstellung betrifft? Das ist also die Einheit, die die Gläubigen zusammenhält, und die hier in der Welt davon zeugen soll, dass der Vater den Sohn gesandt hat. Wird jemand behaupten wollen, dass die heutige Christenheit oder die Kirche ein solches Zeugnis abgibt? In einem anderen Bild finden wir, dass Gläubige ein Leib sind. Wenn das erste ein vollkommenes Bild der Einheit für das Herz ist, so stellt dieses das perfekte Bild für die Sinne dar. Ein zerstückelter Körper mag für den Anatom immer noch eins sein, die Welt sieht das jedoch anders. Gott sieht in den zerstreuten Gliedern zweifellos die Einheit des Leibes Christi, aber für die Welt sind sie zertrennte Gliedmaßen, die keine Verbindung zueinander haben. Das ist sicherlich nicht nach den Gedanken Gottes.

Was aber ist der Grund dafür, dass die Einheit nach außen nicht sichtbar ist? Das liegt daran, dass es Unterschiede in den Bereichen Lehre, Zucht, Organisation u. ä. gibt. Man könnte sagen, dass es hier immer Unterschiede geben wird, da sich die Menschen in ihren Denkstrukturen unterscheiden. Ohne Frage, wenn menschlicher Wille und Urteilsvermögen Einfluss nehmen, ergeben sich zwangsläufig solche Unterschiede. Aber Gott gibt menschlichen Gedanken keinen Raum. Er hat die Regelung dieser Dinge nicht menschlichem Verstand überlassen. Wäre die Kirche treu gewesen, hätte die Gegenwart Christi in ihrer Mitte über alle Fragen entschieden. Hätte man sich nach dem Wort als unfehlbarem Leitfaden und dem Heiligen Geist als unfehlbarem Übermittler ausgerichtet, gäbe es keine unterschiedlichen Ansichten. Dass Dinge unterschiedlich beurteilt wurden, ist auf mangelnde Unterordnung unter Gottes Gedanken zurückzuführen. Die Leitung des Geistes hatte den Menschen nicht länger genügt, und sie begannen, selbst zu urteilen. Sie brachten weltliche Philosophien ein, wählten ihre Lehrer nach eigenem Gutdünken und führten Lehren ein, die ihren Neigungen entsprachen.

Das liegt zweifellos in der Natur des Menschen. Aber ist das eine Entschuldigung? Für das geistliche Auge ist das nur ein weiterer Beweis dafür, wie böse sie ist. „Der natürliche Mensch aber nimmt nicht an, was des Geistes Gottes ist, denn es ist ihm Torheit, und er kann es nicht erkennen, weil es geistlich beurteilt wird“ (1. Kor 2,14). Wenn man sagt, dass es etwas Natürliches ist, sagt man damit automatisch, dass es gegen Gottes Gedanken ist. Aber mildert die Schrift diese Unterschiede, weil sie aus der menschlichen Natur heraus entstehen? Nein, das ist genau der Grund, weshalb sie verurteilt werden. „Und ich, Brüder“, schreibt der Apostel, „konnte nicht zu euch reden als zu Geistlichen, sondern als zu Fleischlichen, als zu Unmündigen in Christus. Ich habe euch Milch zu trinken gegeben, nicht Speise; denn ihr vermochtet es noch nicht, aber ihr vermögt es auch jetzt noch nicht, denn ihr seid noch fleischlich. Denn da Neid und Streit unter euch ist, seid ihr nicht fleischlich und wandelt nach Menschenweise? Denn wenn einer sagt: Ich bin des Paulus; der andere aber: Ich des Apollos; seid ihr nicht menschlich?“ (1. Kor 3,1–4). Hier lehrt der Heilige Geist eindeutig, dass Abspaltungen und Parteiungen nicht von Gott, sondern vom Menschen sind, dass sie das Resultat von geistlichem Mangel, Fleischlichkeit und menschlicher Lebensführung sind. Und doch verteidigen sie das als Folge der menschlichen Natur. „Wir leben nur unserer menschlichen Natur entsprechend“, sagen sie. „Wenn ihr nach Menschenweise wandelt“, entgegnet der Apostel, „so seid ihr fleischlich und ich kann nicht zu euch als zu Geistlichen reden“. Was für eine erschreckende Kluft zwischen dem, was Christen denken und den Gedanken Gottes!

Der Heilige Geist hat an einer anderen Stelle des gleichen Briefs die eigentliche Wurzel dieser Spaltungen und das Gericht Gottes über sie aufgezeigt. Dort heißt es: „Indem ich aber dieses vorschreibe, lobe ich nicht, weil ihr nicht zum Besseren, sondern zum Schlechteren zusammenkommt. Denn zuerst einmal, wenn ihr als Versammlung zusammenkommt, höre ich, es seien Spaltungen unter euch, und zum Teil glaube ich es. Denn es müssen auch Parteiungen unter euch sein, damit die Bewährten unter euch offenbar werden“ (1. Kor 11,17–19). Hier werden diese Spaltungen als Anlass zum Tadel genommen und von ihren Versammlungen sagt Er, dass sie, solange diese Spaltungen bestehen würden, zum Schlechteren anstatt zum Guten zusammenkämen. Dennoch müssen Spaltungen sein – aber warum? Damit die Bewährten offenbar werden. Werden damit Trennungen gerechtfertigt? Der Herr sagt: „Wehe der Welt der Ärgernisse wegen! Denn es ist notwendig, dass die Ärgernisse kommen; doch wehe dem Menschen, durch den das Ärgernis kommt!“ (Mt 18,7). Hier erklärt der Herr ganz deutlich, dass Ärgernisse kommen werden, aber billigt oder entschuldigt Er diese deshalb? Er wusste, was in dem Menschen war und sagt die traurigen Folgen davon voraus. Dies tut Er jedoch nur, um dem Verursacher des Ärgernisses Gericht anzukündigen. In ähnlicher Weise sagt auch der Heilige Geist (durch Paulus) in dem oben zitierten Abschnitt voraus, was bereits zum Teil sichtbar war. Dass der Eigenwille des Menschen und die Achtlosigkeit gegenüber der Wahrheit Spaltungen in die Kirche bringen würden, was wiederum zu einem Ausleseprozess führen würde, den nur treue Gläubige bestehen würden. Aber Er billigt diese Spaltungen genauso wenig, wie Christus die Ärgernisse billigte, die Er dennoch für notwendig erachtete. Im Gegenteil, obwohl Er die Ärgernisse bereits als unausweichliche Folge der menschlichen Natur vorhersagte, verurteilt Er sie ganz scharf als etwas Böses.

Wie ermahnt der Apostel sie? Sagt er etwa: „Das ist unvermeidbar, es können nicht alle Menschen einer Meinung sein; jeden in die gleiche Form pressen zu wollen, würde die Individualität eines Menschen zerstören, eine stumpfe Gleichförmigkeit schaffen und geistlichem Wachstum und Eifer die Kraft nehmen“. Leider ist eine derartige Argumentation das Werk des natürlichen Herzens, das Gottes Wort und den Heiligen Geist durch menschliche Gedanken und Überlegungen ersetzt. Wie anders die Worte des Apostels! „Die Waffen unseres Kampfes“, sagt er, „sind nicht fleischlich, sondern göttlich mächtig zur Zerstörung von Festungen, indem wir Vernunftschlüsse zerstören und jede Höhe, die sich erhebt gegen die Erkenntnis Gottes, und jeden Gedanken gefangen nehmen unter den Gehorsam des Christus“ (2. Kor 10,4.5). Menschliche Überlegungen sind nicht etwa gestattet, sondern gehören zu den Dingen, die durch die Waffen des Kampfes, den Paulus hier vorstellt, zunichtegemacht werden. Anstatt natürliche Überlegungen einzubringen, nimmt er jeden Gedanken gefangen unter den Gehorsam des Christus. Und was erfordert dieser Gehorsam? „Ich ermahne euch aber, Brüder, durch den Namen unseres Herrn Jesus Christus, dass ihr alle dasselbe redet und nicht Spaltungen unter euch seien, sondern dass ihr in demselben Sinn und in derselben Meinung vollendet seiet“ (1. Kor 1,10). Ist das unmöglich umzusetzen? Warum diese Forderung des Heiligen Geistes? Wenn menschlichen Überlegungen Platz gemacht wird, dann ist es unmöglich; nicht aber, wenn jeder Gedanke gefangen genommen wird unter den Gehorsam des Christus.

Der Apostel geht jedoch noch weiter, die Worte, mit denen er diese Spaltungen charakterisiert, sollten die Gläubigen aufrütteln: „Denn es ist mir über euch berichtet worden, meine Brüder, durch die Hausgenossen der Chloe, dass Streitigkeiten unter euch sind. Ich sage aber dies, dass jeder von euch sagt: Ich bin des Paulus, ich aber des Apollos, ich aber des Kephas, ich aber des Christus. Ist der Christus zerteilt? Ist etwa Paulus für euch gekreuzigt, oder seid ihr auf den Namen des Paulus getauft worden?“ (1. Kor 1,11–13). Lasst uns nun einen Moment darüber nachdenken, welches Thema der Apostel hier behandelt. Unter den Gläubigen in Korinth gab es die Tendenz verschiedene Lehrmeinungen zu haben, je nachdem welchen Lehrer man bevorzugte. Bis zu diesem Zeitpunkt war es in den Augen der Welt noch nicht zu einer Spaltung gekommen. Es war nicht etwa so, dass eine Partei nicht mehr das Brot mit der anderen brach und sich getrennt von dieser versammelte. Kurz gesagt, diese Tendenz hatte noch nicht die Früchte hervorgebracht, die wir heutzutage so reichlich finden. Und obwohl Böses da war, war es doch weit schwächer ausgeprägt als das, was wir heute vorfinden. Geht der Apostel deshalb leicht darüber hinweg? Schreibt er in lieblichen Worten darüber? Beachten wir seine ernsten Worte. „Ist der Christus zerteilt?“, fragt er; „Ist etwa Paulus für euch gekreuzigt?“ Die Bedeutung ist wie folgt: da die Kirche der Leib Christi ist, bedeutet eine Spaltung der Kirche, selbst in schwacher Form, so wie es damals der Fall war, die Zerteilung Christi selbst. Die Kirche hier auf der Erde war ein so vollkommenes Abbild der Gedanken Gottes, dass der Gedanke an ihre Spaltung für jemanden, der wirklich in die Gedanken Gottes einging, genauso ungeheuerlich war, wie der Gedanke an einen zerteilten Christus. Das war die Kirche nach Gottes Gedanken und so lautete sein Urteil über derartige Trennungen. Trennungen, die die Menschen heutzutage entweder als Beweis ihrer Freiheit verherrlichen oder als unvermeidliche und daher erlaubte Folge der menschlichen Natur verteidigen.

Man mag vielleicht sagen, dass alle Gruppen im Namen Christi zusammenkommen und dass die Namen, mit denen sie sich voneinander unterscheiden, den Namen des Herrn nicht verdrängen, sondern nur ein Zusatz sind. Außerdem sei bei der Benennung einer eigenen Gruppe diese individuelle Ausrichtung nicht gleichzusetzen mit der gemeinsamen Identität aller Gläubigen, mit dem Glauben an die Person und das Werk des Herrn Jesus Christus. Ich gebe gerne zu, dass eine solche Aussage wahr ist, aber was ist dann der Unterschied zwischen den verschiedenen Gruppen der Christenheit und den Korinthern? So oder so stehen die Korinther in einem besseren Licht da, da sich bei ihnen immerhin nach außen noch Einheit zeigte. Sie hatten ihre bevorzugten Lehrer und Lehrmeinungen, aber sie dachten nicht im Traum daran, diese Lehrer gegen Christus auszuspielen. Sie waren lediglich mit den Lehrern und Lehren so beschäftigt, dass ihre Einheit in Christus nicht mehr vollkommen dargestellt wurde. Wir wollen doch nicht etwa behaupten, dass die Verunehrung, die Christus durch ein derartiges Verhalten erfahren hatte, dadurch hätte beseitigt werden können, dass sie sich, anstatt einen dem anderen vorzuziehen, in unterschiedliche Gruppen aufgeteilt hätten und an unterschiedlichen Orten mit unterschiedlichen Prinzipien zusammengekommen wären? Damit hätten sie der Welt gegenüber nicht die Einheit dargestellt, wie der Apostel es verlangt, sondern wären ein Bild der Spaltung und Trennung gewesen, wie wir es in der heutigen Christenheit sehen. Ist es nicht ganz offensichtlich, dass ein derartiges Verhalten weitaus schlimmer gewesen wäre als das, was der Apostel hier bemängelt? Die ernsten Worte, mit denen Paulus die Spaltungen, die sich hier bereits andeuteten, verurteilte, wären sicherlich um ein Vielfaches verschärft worden, wenn Paulus den derzeitigen Zustand hätte vorhersehen können. Die Einheit der Gläubigen sollte der Welt zeigen, dass der Vater Christus gesandt hatte und dass Er eins ist mit der Kirche. Die Spaltungen unter den Gläubigen zeigen genau das Gegenteil. Sie zeigen nicht die Wahrheit Gottes, sondern die Lüge der Menschen. Würden doch die Christen einmal über die ernsten Worte „Ist der Christus zerteilt?“ nachdenken und dann im Licht der Gedanken Gottes den Zustand der Dinge, den sie jetzt noch so anerkennenswert finden, beurteilen.

So wird alles, was auch nur im Geringsten auf eine Spaltung hinweist, verurteilt. Die Gleichgültigkeit gegenüber dem Wort Gottes, die heutzutage „Toleranz“ und „Offenheit“ genannt wird, was bedeutet „du hast deine Meinung, ich meine“, war Paulus unbekannt. Er musste jeden Gedanken unter den Gehorsam des Christus gefangen nehmen. Der Philosophie und dem Gedankengut der Welt stellt er das Kreuz gegenüber. „Wenn ihr mit Christus den Elementen der Welt gestorben seid, was unterwerft ihr euch Satzungen, als lebtet ihr noch in der Welt? .... nach den Geboten und Lehren der Menschen“ (Kol 2,20–22). Er erwartete nicht, dass jeder das gleiche Verständnis in allem hatte, aber es gibt keinen Hinweis darauf, dass ein unterschiedliches Maß an Schriftverständnis ein Trennungsgrund sein sollte. „Den Schwachen im Glauben aber nehmt auf“, so schreibt er, „doch nicht zur Entscheidung strittiger Überlegungen“ (Röm 14,1) oder an anderer Stelle: „Doch wozu wir gelangt sind, lasst uns in denselben Fußstapfen wandeln“ (Phil 3,16).

Für jemanden, der in Trennungen unter Gläubigen die Zerteilung Christi sah, waren geringste Anzeichen von Sektiererei bereits alarmierend. So ist es nicht verwunderlich, dass er schreibt: „Ich ermahne euch aber, Brüder, auf die zu achten, die Zwiespalt und Ärgernis anrichten, entgegen der Lehre, die ihr gelernt habt, und wendet euch von ihnen ab. Denn solche dienen nicht unserem Herrn Christus, sondern ihrem eigenen Bauch, und durch süße Worte und schöne Reden verführen sie die Herzen der Arglosen“ (Röm 16,17.18). Die Ältesten in Ephesus warnt er: „Und aus euch selbst werden Männer aufstehen, die verkehrte Dinge reden, um die Jünger abzuziehen hinter sich her“ (Apg 20,30). Auch beschreibt Paulus die Bildung von Gruppen und Parteien als verkehrtes Handeln des Menschen, das im Gegensatz zu dem steht, was der Heilige Geist lehrt. Die gleiche Haltung zeigt auch Judas, wenn er den Gläubigen sagt, dass „am Ende der Zeit Spötter sein werden, die nach ihren eigenen Begierden der Gottlosigkeit wandeln“, und er fügt hinzu: „Diese sind es, die sich absondern, natürliche Menschen, die den Geist nicht haben“ (Jud 18.19). Ist es nicht sehr ernst zu sehen, was das Wort Gottes zu den Trennungen und Spaltungen sagt, die schleichend Einzug in die Versammlung Gottes hielten? So beurteilt der Herr die Anzeichen von Spaltungen. Die Christenheit heutzutage sieht darin jedoch einen Beweis für geistliches Leben! Wie sehr unterscheidet sich dieser Appell des Apostels davon: „Der Gott des Ausharrens und der Ermunterung aber gebe euch, gleich gesinnt zu sein untereinander, Christus Jesus gemäß, damit ihr einmütig mit einem Mund den Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus verherrlicht“ (Röm 15,5.6). Gott sucht weder eine geteilte Anbetung noch einen zerteilten Christus.

Nein, der eigentliche Plan, weshalb Gott „die Glieder gesetzt, jedes einzelne von ihnen an dem Leib, wie es ihm gefallen hat“ – der wahre Grund dafür, dass „Gott ... den Leib zusammengefügt (hat), indem er dem Mangelhafteren reichlichere Ehre gegeben hat“, ist, „damit keine Spaltung in dem Leib sei, sondern die Glieder dieselbe Sorge füreinander hätten“ (1. Kor 12,18–25). Beim Mahl des Herrn, dem bewegenden Gedächtnis, das Christus uns von seiner hingebungsvollen Liebe hinterlassen hat, wird dieselbe Einheit in wunderbarer Weise fortgeführt. „Denn ein Brot, ein Leib sind wir, die Vielen, denn wir alle nehmen teil an dem einen Brot“ (1. Kor 10,17).

Wie eindringlich wird immer wieder appelliert, einmütig in Herz und Verstand zu sein. „Werdet vollkommen“, sagt der Apostel den Korinthern, „seid getrost, seid eines Sinnes, seid in Frieden, und der Gott der Liebe und des Friedens wird mit euch sein“ (2. Kor 13,11). Er fordert die Epheser auf, in Liebe zueinander zu leben „euch befleißigend, die Einheit des Geistes zu bewahren“, und fügt hinzu: „Da ist ein Leib und ein Geist, wie ihr auch berufen worden seid in einer Hoffnung eurer Berufung. Ein Herr, ein Glaube, eine Taufe, ein Gott und Vater aller, der über allen und durch alle und in [uns] allen ist“ (Eph 4,3–6). Viele Gläubige heutzutage sagen, dass es der beste Weg zur Wahrung der Einheit des Geistes und zur Darstellung dieser siebenfachen Einheit sei, wenn wir uns ganz nach unserem eigenen Willen und menschlichen Urteilsvermögen in alle möglichen Gruppierungen teilten! Die Austeilung der Gaben, die Christus uns gegeben hat, folgt diesem Grundsatz: „Zur Vollendung der Heiligen, für das Werk des Dienstes, für die Auferbauung des Leibes des Christus, bis wir alle hingelangen zu der Einheit des Glaubens und der Erkenntnis des Sohnes Gottes, zu dem erwachsenen Mann, zu dem Maß des vollen Wuchses der Fülle des Christus“ (Verse 12.13). Wo wir auch hinschauen, die Einheit, die die Kirche nach Gottes Gedanken darstellen soll, muss hier auf der Erde öffentlich sichtbar sein.

Es ist auch interessant und wichtig zu sehen, welche Priorität die Ermahnungen zur Einheit in Gottes Wort haben. Als der Herr für seine Jünger betete, geschah dies kurz vor seinem Weggang. Seine erste Bitte für sie lautete: „damit sie eins seien wie wir“ (Joh 17,11). Als Er den Kreis erweitert und auch die in sein Gebet einschließt, die „die durch ihr Wort an mich glauben“, ist auch hier seine erste Bitte für sie „damit sie alle eins seien“. Wenn die Gläubigen im Epheserbrief ermahnt werden, ein Leben gemäß ihrer Berufung zu führen, so sollte sich dieser Lebenswandel zuallererst so zeigen: „euch befleißigend, die Einheit des Geistes zu bewahren in dem Band des Friedens“. Dort, wo es (wie bei den Korinthern) an der zum Erhalt der Einheit erforderlichen Demut und Unterordnung, an Geduld und dem in Liebe Ertragen mangelte, tadelt der Apostel als erste von zahlreichen Verfehlungen die „Spaltungen“, die unter ihnen aufgetreten waren. Einheit nach außen hin ist, wie wir sehen, für Christus und im Wort Gottes bei Weitem kein zweitrangiges oder zu vernachlässigendes Thema.

Als die Jünger „alle an einem Ort beisammen“ waren, empfingen sie den Heiligen Geist, was als erstes folgendes Resultat hervorbrachte: „Alle aber, die glaubten, waren beisammen“ und „während sie täglich einmütig im Tempel verharrten und zu Hause das Brot brachen, nahmen sie Speise mit Frohlocken und Schlichtheit des Herzens“ (Apg 2,44–46). Die Philipper werden ermahnt: „Dass ihr feststeht in einem Geist, indem ihr mit einer Seele mitkämpft mit dem Glauben des Evangeliums“ (Phil 1,27) und „dass ihr gleich gesinnt seid, dieselbe Liebe habend, einmütig, eines Sinnes“ (Phil 2,2). Zwei Personen werden speziell genannt: „Evodia ermahne ich, und Syntyche ermahne ich, gleich gesinnt zu sein im Herrn“ (Phil 4,2). Der Apostel erbat für die Römer folgendes: „Der Gott des Ausharrens und der Ermunterung aber gebe euch, gleich gesinnt zu sein untereinander, Christus Jesus gemäß, damit ihr einmütig mit einem Mund den Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus verherrlicht“ (Röm 15,5.6). Im Brief an die Kolosser schreibt er: „Und der Friede des Christus regiere in euren Herzen, zu dem ihr auch berufen worden seid in einem Leib; und seid dankbar“ (Kol 3,15). Die Epheser werden angewiesen: „Deshalb, da ihr die Lüge abgelegt habt, redet Wahrheit, jeder mit seinem Nächsten, denn wir sind Glieder voneinander“ (Eph 4,25). Titus wird gesagt: „Einen sektiererischen Menschen (d. h. jemand, der Spaltungen verursacht und vorantreibt) weise ab nach einer ein- und zweimaligen Zurechtweisung, da du weißt, dass ein solcher verkehrt ist und sündigt, wobei er durch sich selbst verurteilt ist“ (Tit 3,10.11). Und auch Petrus ermahnt die Empfänger seines Briefes „seid alle gleich gesinnt“ (1. Pet 3,8). Was für ein Gegensatz sind diese Lehren zu dem Zustand, den wir heute um uns herum finden!

An keiner Stelle finden wir auch nur die geringste Spur der modernen Philosophie, die sich für eine Spaltung in verschiedene Gruppen ausspricht und dies als wichtig für den Erhalt der Vielfalt innerhalb der Einheit verteidigt. Es heißt: „Jeder Mensch kann zu allen Themen seine eigene Meinung haben, außer in Bezug auf die große Wahrheit der Errettung.“ Unterschiedliche Gruppen innerhalb der Christenheit werden als Spaltung Christi aufs Schärfste verurteilt. Jeder Gedanke muss gefangen genommen werden unter den Gehorsam des Christus. Spaltungen sind fleischlich, ungehorsam, eigenwillig. Übrigens: „nicht wesentliche Wahrheiten“ sind eine menschliche Erfindung, die Gott in höchstem Maß verunehrt. Was meint man mit diesem Ausdruck? Damit sind Wahrheiten gemeint, die für die Errettung nicht notwendig sind. Das Wort Gottes mag diese ganz deutlich lehren, es mag sich um wunderbare Offenbarungen der Herrlichkeit und Gnade Gottes handeln, aber warum sollten wir uns um sie scheren, wenn wir auch ohne sie in den Himmel kommen können? Kinder Gottes sollten sich vor solchen Gedanken hüten! Keine Wahrheit, die Gott uns enthüllt hat, ist unwesentlich. Keiner, der will, dass Er verherrlicht wird, wird sie als unwichtig ansehen.

In Bezug auf dieses Thema machen Gläubige oft gefährliche und zerstörerische Aussagen. Im Grunde genommen ist es so, dass es uns egal ist, ob wir Gott gehorchen oder nicht, solange die Errettung nicht davon betroffen ist. Das ist direkter Antinomismus und kein Christ könnte oder würde es so ausdrücken. Das menschliche Versagen und der Einfluss Satans haben jedoch den wahren Charakter derartiger Aussagen so geschickt „verkleidet“, dass viele gar nicht wirklich realisieren, was sie da sagen. Auf die persönliche Moral angewendet, würde man die wahre Natur dieser Lehre schnell entdecken, aber in Bezug auf die Versammlung Gottes behält man sich ganz offen das Recht vor, sich im Ungehorsam gegenüber dem Wort nach Belieben in unterschiedliche Gemeinschaften zu spalten. Der Grund dafür ist, dass Gläubige sich so an den gespaltenen Zustand der Kirche, wie man ihn in der Welt sieht, gewöhnt haben, dass sie entweder jegliches Empfinden für das Verlassen der Wahrheit Gottes in Bezug auf diesen Zustand verloren haben oder diesen langfristig als unvermeidlich ansehen. Spaltungen und Parteiungen werden daher nicht länger als Ungehorsam betrachtet und sind stillschweigend entweder als etwas Positives oder als notwendiges Übel akzeptiert worden. Wenn Gottes Wort es jedoch verurteilt, wie wir gesehen haben, kann es ganz gewiss nichts Gutes sein. Ist es also ein notwendiges Übel? Mit anderen Worten: müssen Gläubige entgegen Gottes Anweisungen handeln? Der bloße Gedanke verbietet sich schon. Die Annahme, dass Gott das Versagen der Menschen nicht vorhergesehen hätte oder dass Er die Seinen ohne Hilfe in diesem Zustand gelassen hätte, würde eine derartige Verunehrung bedeuten, dass sie nicht einen Moment lang aufrechterhalten werden kann. Dass Verfall eintreten wird, dass sich die Kirche der heutigen Zeit in ihrer Außendarstellung für die Menschen komplett von der Kirche, wie Gott sie gebildet und erdacht hat, unterscheidet, dass das Wort zur Einheit mahnt und der Mensch Spaltungen verursacht hat, all das war natürlich vorhergesehen. Dass Gläubige gegenüber der Anweisung Gottes, sich kirchlich als Einheit darzustellen, ungehorsam sein würden, war genauso bekannt und vorhergesagt wie das Versagen und der Ungehorsam Israels. Ungeheuerlich, wenn man sich vorstellen wollte, Gott hätte den Ungehorsam in seinem Volk vorhergesehen und denen, die Ihn ehren möchten, keinen Ausweg vorbereitet, so dass diesen nichts anderes übrigbliebe, als sich an diesem Ungehorsam zu beteiligen! Nein, lasst uns noch einmal feststellen, dass die Spaltungen in der Kirche entgegen Gottes Wort sind und dass Gott selbstverständlich einen Weg für die Seinen hat, den sie im Gehorsam Ihm gegenüber gehen können. Unsere Nachlässigkeit findet ihn vielleicht nicht, aber Gottes Treue hat diesen Ausweg dennoch vorgesehen.

Hier stellt sich jedoch eine schwerwiegende Frage. Man könnte fragen, ob Gläubige auch dann zusammenbleiben sollen, wenn böse Lehren oder Praktiken geduldet werden. Oder, wenn nicht, wie man eine Trennung vermeiden kann. Das Wort Gottes ist ganz klar. Trennungen werden verurteilt, Absonderung vom Bösen soll jedoch stattfinden. So sollte in Korinth, wo unmoralisches Verhalten vorgefunden wurde, der Sauerteig ausgekehrt werden (1. Kor 5,7); ein Sektierer sollte nach einer oder zwei Ermahnungen abgewiesen werden (Tit 3,10); für jemanden, der ein anderes Evangelium predigen würde als das, was Paulus die Galater gelehrt hatte, galt: „Er sei verflucht“ (Gal 1,8.9) und als Hymenäus und Alexander Schiffbruch im Glauben erlitten, wurden diese „dem Satan überliefert ... damit sie durch Zucht unterwiesen würden, nicht zu lästern“ (1. Tim 1,20). Das ist jedoch keine Spaltung. Es war jeweils eine gemeinschaftliche Handlung zur Absonderung vom Bösen. Selbst wenn einige Hymenäus und Alexander unterstützt hätten und mit ihnen gegangen wären, ja, sogar selbst wenn die ganze Versammlung zu ihnen gehalten hätte bis auf zwei oder drei, die sich in Treue zum Herrn von ihnen zurückgezogen hätten, so wäre dieses Zurückziehen lediglich als gottgemäße Trennung vom Bösen anzusehen, die Spaltung wäre jedoch von den falschen Lehrern verursacht worden und nicht von denen, die sich, im Gehorsam gegenüber den Gedanken Gottes, von ihnen abgesondert hätten. Was diese angeht, seien es viele oder wenige, wäre das Prinzip der Einheit der Kirche erhalten geblieben und der göttlichen Anordnung wäre weiterhin Folge geleistet worden. Sie wären auf dem Boden Gottes geblieben und hätten seine Versammlung oder Kirche dargestellt.

Angenommen ein Lehrer sagt seinen Schülern, dass sie zusammenbleiben sollen. Aus diesem Grund sollen alle auf dem Spielplatz bleiben. Der Spielplatz ist damit der Ort, wo sich ihre Einheit zeigt. Wenn einige Schüler zu benachbarten Plätzen gehen, ist die dargestellte Einheit zweifellos nicht mehr zu sehen. Es stellt sich nun die Frage, welche Schüler das Prinzip der Einheit bewahrt haben – die, die weggegangen sind oder die, die gemäß der Anweisung dort blieben. Selbst wenn nur zwei oder drei von zwei- oder dreihundert zurückgeblieben wären, hätten diese nicht die Spaltung verursacht. Ihre Trennung von denen, die dem Lehrer gegenüber ungehorsam waren und den Spielplatz verlassen hatten, hätte die Einheit nicht zerstört, sondern würde vielmehr bedeuten, dass sie an dem einzigen Ort geblieben waren, wo die vom Lehrer gewünschte Einheit öffentlich gezeigt werden konnte. Nehmen wir Israel als Beispiel. Ihre Einheit im Gottesdienst wurde durch göttliche Verordnungen eingerichtet. Aber die Menschen verließen Gottes Anweisungen und ersetzten sie durch ihre eigenen. Was wurde dann den Treuen gesagt, wie sie sich verhalten sollten? Sie sollten „der Menge nicht folgen, um Böses zu tun“ (2. Mo 23,2), sondern sich von den Bösen absondern und im Gehorsam handeln. Das war keine Spaltung, sondern die göttlich angeordnete Einheit im Gottesdienst wurde beibehalten, während die Verursacher der Spaltung diejenigen waren, die diese Anordnung verlassen hatten. Wenn wir unsere Augen nicht vor dem verschließen, was das Wort Gottes ganz klar lehrt, müssen wir sehen, dass die Schrift Spaltungen verurteilt und gleichzeitig Absonderung fordert. So wird der „auserwählten Frau“ gesagt: „Wenn jemand zu euch kommt und diese Lehre [die Lehre Christi] nicht bringt, so nehmt ihn nicht ins Haus auf und grüßt ihn nicht. Denn wer ihn grüßt, nimmt teil an seinen bösen Werken“ (2. Joh Verse 10.11). Göttliche Absonderung vom Bösen bedeutet nicht Spaltung und Sektiererei, denn Gott kann sich selbst nicht widersprechen. Absonderung vom Bösen führt nicht zur Sektiererei, sondern ist ein notwendiger Schritt zur Abschaffung unterschiedlicher Gruppierungen innerhalb des christlichen Bekenntnisses.

Unterschiedliche christliche Gruppierungen sind also vollkommen gegen Gottes Wort. Wird das dadurch besser, dass es diese seit Jahrhunderten gibt? „Nicht ein Mensch ist Gott, dass er lüge, noch ein Menschensohn, dass er bereue. Sollte er sprechen und es nicht tun, und reden und es nicht aufrechterhalten?“ (4. Mo 23,19). Was Er einmal für böse erklärt hat, wird mit der Zeit nicht gut. Wenn die Bildung unterschiedlicher christlicher Gemeinschaften ein Akt des Ungehorsams und der Unordnung war, eine vorsätzliche fleischliche Handlung, dann kann das Fortführen dieser Handlung nicht genau das Gegenteil werden. Wie lange würde es denn dauern, bis Ungehorsam in Gehorsam umgewandelt wäre? Oder Unordnung in Ordnung? Fleischlichkeit in Geistlichkeit? Eigenwille in Unterordnung? Angenommen, die Schuld derer, die den Verfall „erben“ wäre geringer als die Schuld derer, die ihn verursacht haben, dann bleibt doch das Wesen der Sache das gleiche. Auf die Frage, wie sich die Kinder Gottes verhalten sollen, wenn sie mit einer derart schlimmen Hinterlassenschaft belastet werden, werde ich später noch eingehen. Was ich an dieser Stelle betonen möchte, ist, dass es ein schreckliches Erbe ist –, dass der Zustand, in dem wir uns heute befinden, absolut widersprüchlich zu und verunehrend gegenüber dem Wort Gottes ist – und dass kein langer Fortbestand dieses Zustands, keine Argumente hinsichtlich Zweckmäßigkeit oder Notwendigkeit den Kern dieser Situation ändern oder das göttliche Urteil darüber mildern. Ich bin verpflichtet, das Wort Gottes darauf zu untersuchen, wie ich aus dieser Lage entkommen kann und muss das absolute Vertrauen haben, dass Er einen Ausweg für die vorgesehen hat, die in Treue des Glaubens danach suchen.

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