Das Kommen des Herrn, Israel und die Gemeinde

Indirekte Hinweise auf das Kommen des Herrn für lebende Gläubige

Wir haben die direkten Aussagen der Schrift in Bezug auf das Kommen des Herrn für die lebenden Gläubigen betrachtet. Es ist eindeutig, dass dieses Kommen eine gegenwärtige Hoffnung ist. Obwohl kein Datum genannt wird, wird es als Ereignis vorgestellt, das der Gläubige ständig erwarten soll. Gott wiederholt sich nicht und wir haben daher an keiner anderen Stelle genau die gleichen Lehraussagen. Die Briefe sind allerdings voll mit Hinweisen auf diesen Gegenstand und wir können sehr wertvolle Wahrheiten daraus ziehen.

Solche indirekten Hinweise sind ein Beweis dafür, dass diese Hoffnung den frühen Christen bekannt und vertraut war, dass sie einen großen Platz in ihren Gedanken und Herzen einnahm und auch in praktischer Hinsicht Auswirkungen hatte. In diesem Licht mag es jetzt für uns nützlich sein, diese zu untersuchen.

I. Die Erwartung der baldigen Rückkehr unseres Herrn wird immer als Ansporn für Nüchternheit, Mäßigung und ein gottgefälliges Leben genommen. Daher schreibt der Apostel nach diversen praktischen Ausführungen: „Und dieses noch, da wir die Zeit erkennen, dass die Stunde schon da ist, dass wir aus dem Schlaf aufwachen sollen; denn jetzt ist unsere Errettung näher als damals, als wir gläubig wurden: Die Nacht ist weit vorgerückt, und der Tag ist nahe. Lasst uns nun die Werke der Finsternis ablegen, die Waffen des Lichts aber anziehen“ (Röm 13,11.12). Die „Errettung“ wird hier als nahe Zukunftsaussicht dargestellt, daher stellt sich die Frage, was hier mit Errettung gemeint ist. Es ist nicht die Umkehr oder Vergebung von Sünden, denn diese sind keine Hoffnung, sondern ein gegenwärtiges Teil; der Gläubige ist „in Christus“ und somit weder Verdammnis noch Trennung unterworfen. Es ist auch nicht der Tod, zumindest wird der Tod an keiner anderen Stelle so beschrieben. Es ist nicht das Ende der Welt, denn das war, wie die Römer wussten, ein Ereignis der fernen Zukunft. Dieses als nahe bevorstehend darzustellen, hätte jeglichen Appell nicht nur wirkungslos sein lassen, sondern wäre auch falsch gewesen.

Von welcher „Errettung“ wird dann hier gesprochen? Wir haben gesehen, dass im Hebräerbrief „Errettung“ in Verbindung mit dem Kommen des Herrn zum „zweiten Mal“ steht. Nachdem Er bei seinem ersten Kommen die Sünde getragen hat, wird Er „zum zweiten Mal“ erscheinen – nicht der Welt, sondern „... denen, die ihn erwarten, ohne Sünde ... zur Errettung.“ Alle Gläubigen halten nach dem Herrn Jesus Ausschau und ich zweifle nicht, dass hier alle eingeschlossen sind. Die Errettung findet also bei seinem zweiten Kommen statt. Wenn daher „Errettung“ im Römerbrief die gleiche Bedeutung hat wie im Brief an die Hebräer, dann ist die nahende „Errettung“ das, was beim Kommen des Herrn für die Seinen erreicht wird. Da sich die Briefe aber in ihrem Charakter und Thema unterscheiden, ist es vielleicht gut zu untersuchen, ob es irgendeinen Hinweis auf die Bedeutung des Wortes im Brief an die Römer selbst gibt. Betrachten wir einmal folgenden Vers: „Auch wir selbst seufzen in uns selbst, erwartend die Sohnschaft: die Erlösung unseres Leibes. Denn in Hoffnung sind wir errettet worden“ (Röm 8,23.24). Die Errettung, von der hier gesprochen ist, ist nicht die Sicherheit oder Freiheit von Verdammnis, die der Gläubige bereits genießt, sondern eine Hoffnung, die er, obwohl wir die „Erstlinge des Geistes“ haben, seufzend erwarten. Es ist auch nicht der Tod des Leibes oder dass Geist und Seele zum Herrn gehen. Es ist genau das Gegenteil, „die Sohnschaft: die Erlösung unseres Leibes.“ Gläubige sind „zuvor bestimmt, dem Bild seines Sohnes gleichförmig zu sein“ (Röm 8,29). Sie haben bereits den „Geist der Sohnschaft“ empfangen, „in dem wir rufen: Abba, Vater!“ Der Leib entspricht jedoch noch nicht dem Bild Christi und das Werk der Sohnschaft ist nicht eher vollendet, bis dieser ebenfalls erlöst ist. Das ist es, worauf wir warten. Das ist die Errettung, die wir erhoffen. Aber diese „Erlösung des Leibes“ ist es, was Christus mit seinem Kommen für die Seinen bewirkt, wenn alle Gläubigen „verwandelt werden, in einem Nu, in einem Augenblick“ oder, wie im Brief an die Thessalonicher gesagt wird, „danach werden wir, die Lebenden, die übrig bleiben, ... entrückt werden in Wolken dem Herrn entgegen in die Luft.“ Die Errettung ist somit sowohl im Römerbrief als auch im Hebräerbrief die Umgestaltung der Gläubigen, die stattfinden wird, wenn der Herr Jesus wiederkommt, um sie an den Ort zu bringen, den Er für sie bereitet hat.

Und wie wird über diese Errettung gesprochen? Als eine ferne Hoffnung, die sich erst zu einem viel späteren Zeitpunkt erfüllt? Nein, sondern als lebendige Hoffnung, die sich jederzeit erfüllen kann und deren nahe Aussicht den Gläubigen zu Wachsamkeit und Nüchternheit anspornen sollte. Es wird tatsächlich als bevorstehendes Ereignis betrachtet, denn in Gottes Gedanken ist ein Tag wie tausend Jahre und tausend Jahre wie ein Tag. Zeiten und Zeitpunkte sind in seiner Hand und es steht dem Gläubigen nicht zu, Berechnungen über Zeitpunkte anzustellen, sondern die Wiederkehr des Herrn zu erwarten. Gott in seiner Weisheit und Gnade mag diesen Tag hinauszögern, der Kirche hingegen sollte die Hoffnung immer gegenwärtig sein.

Das Kommen des Herrn wird in der gleichen praktischen Weise im Brief an die Philipper angewendet. Sie werden gewarnt nicht „auf das Irdische (zu) sinnen“ und ermahnt dem Apostel zu folgen: „Denn unser Bürgertum ist in den Himmeln, von woher wir auch den Herrn Jesus Christus als Heiland erwarten, der unseren Leib der Niedrigkeit umgestalten wird zur Gleichförmigkeit mit seinem Leib der Herrlichkeit, nach der wirksamen Kraft, mit der er vermag, auch alle Dinge sich zu unterwerfen“ (Phil 3,20.21). Auch hier sieht der Apostel nicht dem Tod entgegen, sondern dem Kommen des Herrn, den er als Erretter erwartet, d. h. als jemand, der Errettung bringt und diese ist die „Erlösung unseres Leibes“, die im Römerbrief die Hoffnung der Gläubigen genannt wird, die Umgestaltung, die im Korintherbrief als Erwartung der lebenden Gläubigen beschrieben wird, die Entrückung, die wir im Thessalonicherbrief finden und die alle „Lebenden, die übrig bleiben“ herbeisehnen, die Errettung, die im Hebräerbrief das Ziel des zweiten Kommens des Herrn für seine Erlösten ist. Und auch hier ist es eine gegenwärtige Hoffnung, der Apostel sagt „von woher wir den Heiland erwarten“, das heißt eine Erwartungshaltung haben. Das zeigt uns nicht nur die Gegenwartsform. Der unmittelbare Charakter der Hoffnung wird zum Anlass genommen, sich nicht durch irdische Dinge vereinnahmen zu lassen, so werden sie im nächsten Kapitel ermahnt: „Lasst eure Milde (oder Nachgiebigkeit) kundwerden allen Menschen; der Herr ist nahe“ (Phil 4,5). Die Erwartung der baldigen Rückkehr des Herrn sollte sie dazu bringen, sich auf Selbstbehauptung und Selbstsucht zu prüfen. Es ist keine generelle Ermahnung zur Milde, sondern eine Ermahnung, die sich auf die Wahrheit gründet, dass der Herr nahe ist. So real und praxisverbunden war diese Hoffnung für die Gläubigen in Philippi!

Ähnliches finden wir im Brief an Titus: „Denn die Gnade Gottes ist erschienen, heilbringend für alle Menschen, und unterweist uns, damit wir, die Gottlosigkeit und die weltlichen Begierden verleugnend, besonnen und gerecht und gottselig leben in dem jetzigen Zeitlauf, indem wir erwarten die glückselige Hoffnung und Erscheinung der Herrlichkeit unseres großen Gottes und Heilandes Jesus Christus“ (Tit 2,11–13). Hier wird nach zwei Dingen Ausschau gehalten: die „Erscheinung der Herrlichkeit“ und die „glückselige Hoffnung“. Was ist nun mit letzterem gemeint? Es geht hier weder um die Bekehrung, da diese eine Tatsache ist, noch um den Tod, denn der wird uns an keiner Stelle als Hoffnung vorgestellt. Im Römerbrief ist die Hoffnung die „Erlösung unseres Leibes“, im Brief an die Philipper die Umgestaltung unseres Leibes in Gleichförmigkeit mit dem Leib Christi, die bei seinem Kommen stattfinden wird und zu Lebzeiten eines Gläubigen sein kann. Diese Hoffnung war Titus bekannt und sicher nimmt der Apostel hier darauf Bezug. Noch deutlicher wird das, wenn wir sehen, wie eng der andere Teil des Kommens des Herrn, hier die „Erscheinung in Herrlichkeit“, mit dem ersten Teil seiner Wiederkehr für die Seinen verbunden ist. Abgesehen von der Schlussfolgerung an dieser Stelle, belegen andere Stellen der Schrift, dass die hier erwähnte „glückselige Hoffnung“ die gleiche ist, auf die in anderen Stellen häufig Bezug genommen wird.

In seinem Brief an die Thessalonicher stellt Paulus diese Hoffnung als eine Aussicht mit heiligender Wirkung auf den inneren Menschen vor. Sein Wunsch: „Er selbst aber, der Gott des Friedens, heilige euch völlig; und euer ganzer Geist und Seele und Leib werde untadelig bewahrt bei der Ankunft unseres Herrn Jesus Christus“ (1. Thes 5,23). Sofern sie die Ankunft des Herrn zeit ihres Lebens erwarteten, ist diese Ausdrucksweise nachvollziehbar. Wieso sollte man jedoch derartiges sagen, wenn der Heilige Geist den Gläubigen vermitteln will, dass dieses Kommen lange nach ihrem Tod stattfinden wird? Geht es um den Tod, so heißt es: „die Zeit meines Abscheidens ist gekommen“ oder „sei getreu bis zum Tod.“ Diese Worte werden von den meisten Christen als allgemein verwendbare Ausdrücke gebraucht. Warum also differenziert der Heilige Geist hier so? Warum sollen sie nach dem Kommen des Herrn Ausschau halten, anstatt den Tod zu erwarten? Sicherlich deshalb, weil das Kommen des Herrn – und nicht der Tod – das ist, worauf die Gläubigen warten sollen. Diese Haltung sehnsüchtiger Erwartung ist es, die der Herr Jesus und der Heilige Geist gleichermaßen wünschen. Und so finden wir in einem späteren Schreiben an die gleiche Versammlung, dass der Apostel betet: „Der Herr aber richte eure Herzen zu der Liebe Gottes und zu dem Ausharren des Christus!“ (2. Thes 3,5). Das „Ausharren des Christus“, Er wartend im Himmel und wir, in Gemeinschaft mit Ihm, hier auf der Erde.

Diese Wahrheit wird jedoch nicht nur von Paulus verkündet. Die lehrmäßigen Aussagen finden wir in der Tat nur bei ihm, an anderen Stellen finden wir diese Wahrheit im Zusammenhang mit praktischen Belehrungen. So sagt Petrus: „Es ist aber nahe gekommen das Ende aller Dinge. Seid nun besonnen und seid nüchtern zum Gebet“ (1. Pet 4,7). „Das Ende aller Dinge“ ist nicht der Tod und damit kann auch nicht das Ende der Welt gemeint sein, denn das Ende der Welt stand nicht kurz bevor. Es handelt sich um ein Ereignis von außerordentlichem Ausmaß, wie die Worte zeigen, das außerdem in Kürze zu erwarten war. Es gibt nur eine weitere Stelle, in der solch ein Ereignis erwähnt wird. Das Kommen des Herrn wird als gegenwärtige Erwartung vorgestellt, als ein Ansporn zu Nüchternheit und Wachsamkeit und als ein Geschehen von immenser Bedeutung: Gottes gegenwärtiges Handeln wird damit zum Abschluss gebracht und eine völlig neue Ordnung der Dinge wird eingeführt werden. Das Kommen wird hier tatsächlich im weitesten Sinn betrachtet und umfasst beide Teile. Dass es hier jedoch um das Kommen des Herrn geht, ist ohne Zweifel. Und von diesem Ereignis wird gesagt, dass es „nahe“ und ein Anlass zur Nüchternheit und zum Gebet ist.

Auch in der Offenbarung wird uns diese Hoffnung in den Schlussversen vorgestellt: nach Beschreibung der Ereignisse, die auf der Erde geschehen werden und der Herrlichkeit der „Braut, der Frau des Lammes“, wendet sich der Herr noch einmal an seine Knechte und zeigt ihnen die moralische Wirkung, die diese Offenbarung in den Herzen derer, die sie empfangen, bewirken soll: „Und siehe, ich komme bald. Glückselig, der die Worte der Weissagung dieses Buches bewahrt!“ In Verbindung mit der persönlichen Verantwortung des Gläubigen fügt er hinzu: „Siehe, ich komme bald, und mein Lohn mit mir, um einem jeden zu vergelten, wie sein Werk ist“ (Off 22,7.12). Es ist überaus bemerkenswert zu sehen, wie in diesen letzten Worten der Ermahnung und Warnung an seine Kirche, die Zuneigungen seines Volks geweckt und ihre Gewissen durch die wiederholte Erinnerung an seine baldige Rückkehr aufgerüttelt werden.

II. In den obigen Zitaten haben wir gesehen, wie diese „glückselige Hoffnung“ immer als Anlass gesehen wird, ein heiliges und gottgefälliges Leben zu führen. Darüber hinaus wird sie auch gebraucht, um inmitten der verdorbenen Kirche zu Treue und Hingabe aufzurufen. Sie ist die Umzäunung, die Gott für uns als Schutz gegen das Böse innerhalb der Kirche und der uns umgebenden Welt vorgesehen hat. Verderbtheit und Boshaftigkeit hatte sich in Thyatira gezeigt und dafür drohte Gericht. Mitten in all diesem Versagen gab es jedoch einige Treue, denen der Herr sagt: „Euch aber sage ich, den Übrigen, die in Thyatira sind, so viele diese Lehre nicht haben, die die Tiefen des Satans, wie sie sagen, nicht erkannt haben: Ich werfe keine andere Last auf euch; doch was ihr habt, haltet fest, bis ich komme“ (Off 2,24.25). Die Versammlung in Philadelphia war schwach, sie hielt jedoch inmitten aller Anfeindung an der Wahrheit fest. Ihnen schreibt der Herr: „Halte fest, was du hast, damit niemand deine Krone nehme!“ (Off 3,11). Um sie herum war alles schwach und verdorben und den Treuen wird gesagt, „halte fest“, was du hast. Aber bis wann? An einer Stelle heißt es „bis ich komme“, eine andere Stelle gibt uns die Hoffnung „ich komme bald.“ Warum also das Kommen des Herrn erwähnen, wenn der Gläubige nach dem Tod Ausschau halten soll und nicht nach dem Kommen des Herrn? Wo der Tod gemeint ist, wird der Tod auch erwähnt. Gerade in diesen Sendschreiben sagt der Herr: „Sei getreu bis in den Tod.“ So wie Er den Jüngern, als Er noch auf der Erde war, sagte: „Jeder, der euch tötet“ wird meinen, „Gott einen Dienst zu erweisen.“ Der Tod war also nicht das, wonach die treuen Gläubigen in Thyatira und Philadelphia Ausschau halten sollten, sondern ein anderes Ereignis ist gemeint. Dieses andere Ereignis könnte zu ihrer Lebenszeit stattfinden, denn wie sonst konnten sie ermahnt werden, festzuhalten, was sie hatten, bis dieses eintrat? Oder warum sollte ihnen gesagt werden, dass der Herr bald kommt, wenn dies nicht ihre Herzen als eine gegenwärtige Erwartung erfreuen sollte?

So auch in dem Brief an die Hebräer. Einige von ihnen standen in Gefahr in ihrem Glauben erschüttert zu werden. Sie wurden verfolgt und sie hatten noch nicht „bis aufs Blut widerstanden.“ Der Apostel befürchtete, dass das Werk in den Herzen einiger von ihnen nicht echt war und warnt sie eindringlich davor abzufallen, nachdem sie so viele Wahrheiten empfangen hatten und zu Teilhabern derart sichtbarer Wunderwerke gemacht worden waren. Er bittet sie ernstlich: „Werft nun eure Zuversicht nicht weg, die eine große Belohnung hat. Denn ihr habt Ausharren nötig, damit ihr, nachdem ihr den Willen Gottes getan habt, die Verheißung davontragt. Denn noch eine ganz kleine Zeit, und der Kommende wird kommen und nicht ausbleiben‘“ (Heb 10,35–37). Ein moderner Prediger würde vielleicht sagen: „Noch eine kurze Zeit und dann wird dieser Abschnitt zu Ende sein. Der Tod wird deinen Leiden ein Ende machen und du wirst bei dem Herrn Jesus sein, was weit besser ist.“ Das ist jedoch nicht die Sprache des Heiligen Geistes. Warum nicht? Weil der Heilige Geist die Gedanken Gottes kennt und immer das Kommen des Herrn und nicht den Tod als die Hoffnung der Gläubigen vorstellt. Diese glückselige Hoffnung stand vor den Hebräern und mit dieser vor Augen sollten sie Geduld haben, den Willen Gottes tun und nach der sicheren Verheißung Ausschau halten. Auch uns wird gesagt, aufeinander Acht zu haben „zur Anreizung zur Liebe und zu guten Werken, indem wir unser Zusammenkommen nicht versäumen, wie es bei einigen Sitte ist, sondern einander ermuntern, und das umso mehr, je mehr ihr den Tag näher kommen seht“ (Heb 10,24.25). Hier wird „der Tag“ zwar nicht ausdrücklich als Hoffnung vorgestellt, sondern eher als ein Ansporn zur Treue. Das Kommen des Herrn wird in seiner ganzen Bandbreite betrachtet. Es geht um mehr als den speziellen Aspekt seiner Wiederkehr, um die Gläubigen zum Haus des Vaters mitzunehmen. Dennoch ist das, wie der erste Teil des Kommens, natürlich darin eingeschlossen und wir finden hier erneut, dass von einem Herannahen dieses Ereignis gesprochen wird. Es ist so nahe, dass sie ermahnt werden, sich so zu verhalten, wie es sich für einen Gläubigen unter diesen Umständen geziemt.

III. In diesen zuletzt genannten Fällen hat der Apostel die Versuchung und Verfolgung vor Augen. Das Kommen des Herrn wird hier erwähnt, um die Geprüften gegen das sie umgebende Böse zu stärken. Die gleiche Hoffnung wird auch für Schwierigkeiten unterschiedlichsten Ursprungs vor die Herzen gestellt. In einem so praktischen Brief wie dem von Jakobus würden wir niemals Aussagen finden, über die man spekulieren kann. Denn hier wird die Hoffnung auf die Wiederkehr des Herrn als Trost für die armen und unterdrückten Brüder erwähnt. „Habt nun Geduld, Brüder, bis zur Ankunft des Herrn“ (Jak 5,7). Hätte Jakobus gemeint „bis zum Tod“, hätte er es so gesagt. Es ist außerdem klar, dass er nicht das Ende der Welt meinte. Es war seine Absicht, das Kommen des Herrn als ein Ereignis vorzustellen, das vor dem Tod stattfindet und das für sie eine tröstliche Aussicht auf die Zukunft darstellte. Das wird in den folgenden Versen deutlich: „Siehe, der Ackerbauer wartet auf die köstliche Frucht der Erde und hat Geduld ihretwegen, bis sie den Früh- und den Spätregen empfängt. Habt auch ihr Geduld, befestigt eure Herzen, denn die Ankunft des Herrn ist nahe gekommen“ (Verse 7 und 8). Bemerkenswert, wie passend und mitfühlend diese Worte des Trosts ausgesprochen werden. Die glückselige Hoffnung wird ihnen nicht nur einmal, sondern zweimal vorgestellt, um ihre verwundeten Herzen zu heilen und doch werden sie vor Ungeduld gewarnt. Langes Warten mag nötig sein. Sie sollten aber nicht die Hoffnung verlieren, weil diese noch nicht erfüllt wurde, denn, was für den Menschen wie eine Verspätung aussieht, ist dem Wort Gottes nach „nahe gekommen“.

IV. Diese Hoffnung auf das Wiederkommen des Herrn, unabhängig davon, dass sie auch als Warnung, Ermahnung und Trost dient, hat ihre Kraft vor allem darin, dass sie ein Ausdruck der Zuneigung eines aufrichtigen Herzens ist, das sehnsüchtig auf den abwesenden Herrn wartet. Der, „den ihr, obgleich ihr ihn nicht gesehen habt, liebt“, ist der Eine, dessen Rückkehr und Gegenwart wir sehnsüchtig erwarten sollten. Und vor diesem Hintergrund haben wir das Kommen des Herrn noch einmal vor uns. In dem letzten Kapitel der Offenbarung sagen „der Geist und die Braut“ – das ist die Kirche – „Komm!“ und die letzten Worte unseres Herrn in diesem Buch sind „Ja, ich komme bald“, worauf die Antwort lautet: „Amen; komm, Herr Jesus!“ (Off 22,17–20). Auf welches Kommen nimmt der Herr hier Bezug? Sicherlich auf das, was Er seinen Jüngern als Vermächtnis der Hoffnung hinterlassen hatte, als Er ihnen sagte, dass Er gehe, um eine Stätte für sie zu bereiten und wiederkommen werde, um sie zu sich zu holen. Er verbindet dieses Kommen mit dem Schreiber des Buchs durch die bemerkenswerten Worte: „Wenn ich will, dass er bleibe, bis ich komme, was geht es dich an?“ An dieser Stelle möchte ich betonen, dass bei dem oben genannten Vers aus Offenbarung nicht einzelne Gläubige sprechen, sondern die Kirche, die Braut und auch der Geist. Bei einem einzelnen Gläubigen hätte man glauben können, dass er auf den Tod wartet, um beim Herrn zu sein. Diese Auslegung ist jedoch offensichtlich unzulässig, wenn es hier um Geist und Braut geht. Noch weniger sinnhaft wäre es, wenn mit diesem Ruf der Kirche nach dem Kommen des Herrn, das Kommen am Ende der Welt gemeint wäre, denn in der Offenbarung werden die schrecklichsten Ereignisse vorhergesagt, die vor dem Schlusswort des Buchs sicherlich noch nicht stattgefunden hatten. Doch der Herr Jesus sagt: „Ja, ich komme bald“, und die Antwort nach oben ist: „Amen; komm, Herr Jesus!“ Wir können daraus nur schließen, dass das Kommen des Herrn berechtigterweise vor diesen Ereignissen erwartet werden kann. Keiner, der die Voraussagen der Schrift kennt, hätte sagen können „Komm, Herr Jesus“, wenn dieses Kommen erst nach Eintreten dieser Voraussagen stattfinden würde. Diese Worte implizieren, dass das im Gebet erwähnte Ereignis jederzeit passieren konnte und nicht erst am Ende einer langen Reihe unerfüllter Prophezeiungen.

V. „Denn aus der Fülle des Herzens redet der Mund“ und wenn das Herz wirklich erfüllt ist mit dieser wunderbaren Aussicht, wird sich die Erwartung in verschiedenen unvorhergesehenen Gelegenheiten ausdrücken. Das ist eine andere Art und Weise, in der die Hoffnung auftritt. Sie dient als Grundlage für einen Appell: „Wir bitten euch aber, Brüder“, sagt Paulus den Thessalonichern, „wegen der Ankunft unseres Herrn Jesus Christus und unseres Versammeltwerdens zu ihm hin, dass ihr euch nicht schnell in der Gesinnung erschüttern noch erschrecken lasst“ (2. Thes 2,1.2). Auch beim Mahl des Herrn, was nur als Gedenkhandlung an ein zurückliegendes Ereignis gesehen werden könnte, wird der gleiche Gedanke an das Kommen des Herrn vorgestellt: „Denn sooft ihr dieses Brot esst und den Kelch trinkt, verkündigt ihr den Tod des Herrn, bis er kommt“ (1. Kor 11,26). An diesen Schriftstellen wird im Gegensatz zu den anderen Stellen nichts darüber gesagt, um welches Kommen es geht, noch, dass es bald stattfinden wird. Sie zeigen aber, wie beständig es vor den Herzen der Apostel und der frühen Gläubigen war, sie vereinnahmte und ihr ganzes Denken, Reden und Handeln beeinflusste. Eine gedämpfte, allgemeine Erwartung seiner Ankunft am Ende der Welt würde eine Einführung, wie wir sie hier sehen, nicht rechtfertigen.

VI. Dieses Kommen des Herrn hat jedoch noch einen anderen Aspekt, den wir den Gläubigen ernsthaft vor Augen führen möchten, die es für eine sonderbare und unseriöse Spekulation halten. Gerade das Missachten und Verspotten dieser Glaubenslehre wird den Niedergang der letzten Tage besonders kennzeichnen. „Indem ihr zuerst dieses wisst, dass in den letzten Tagen Spötter mit Spötterei kommen werden, die nach ihren eigenen Begierden wandeln und sagen: Wo ist die Verheißung seiner Ankunft? Denn seitdem die Väter entschlafen sind, bleibt alles so von Anfang der Schöpfung an. Denn nach ihrem Willen ist ihnen dies verborgen, dass von alters her Himmel waren und eine Erde, entstehend aus Wasser und im Wasser durch das Wort Gottes, durch welche die damalige Welt, von Wasser überschwemmt, unterging. Die jetzigen Himmel aber und die Erde sind durch dasselbe Wort aufbewahrt für das Feuer, behalten auf den Tag des Gerichts und des Verderbens der gottlosen Menschen. Dies eine aber sei euch nicht verborgen, Geliebte, dass ein Tag bei dem Herrn ist wie tausend Jahre, und tausend Jahre wie ein Tag. Der Herr zögert die Verheißung nicht hinaus, wie es einige für ein Hinauszögern halten, sondern er ist langmütig euch gegenüber, da er nicht will, dass irgendwelche verloren gehen, sondern dass alle zur Buße kommen. Es wird aber der Tag des Herrn kommen wie ein Dieb“ (2. Pet 3,3–10).

Für die Gläubigen ist das Kommen des Herrn eine glückselige Hoffnung, für die bekennende Christenheit bedeutet es jedoch das Ende der Hoffnung. Die Gnadentür wird verschlossen und alle, die vor der Tür stehen, werden dem Schrecken entgegensehen, der am Tag des Herrn eingeführt wird, wenn Er kommt und „Vergeltung gibt denen, die Gott nicht kennen“. Noch schlimmer wird es sein, wenn dieser Tag mit dem Untergang der Welt und dem Gericht vor dem großen weißen Thron endet. Von der bekennenden Christenheit sagt der Apostel, dass sie in den letzten Tagen das Kommen des Herrn verspotten werden. Die Menschen werden in die sie umgebende Welt schauen und alles in ihr als erfolgreich und nicht änderungsbedürftig wahrnehmen. „Denn nach ihrem Willen ist ihnen dies verborgen“, sie sind bewusst unwissend. So war es auch vor der Sintflut der Fall. Hatte der Spott, der durch die langanhaltenden Warnungen hervorgerufen wurde, verhindert, dass die Flut kam und die Spötter in ihr umkamen? Spott und Lästerung werden auch nicht dem Gericht über die Welt standhalten, auf deren Standfestigkeit sich die Menschen verlassen. Die Zeit mag uns lang erscheinen, aber Gottes Maßstäbe der Zeit sind anders. Der Herr hat sein Versprechen nicht vergessen. Wenn Er dessen Erfüllung hinausschiebt, dann deshalb, damit die Verächter seiner Gnade zur Umkehr kommen. Er will nicht, dass irgendjemand verloren geht, sondern dass alle zur Buße kommen. Wenn die Zeit gekommen ist, wird dieses Versprechen erfüllt und der Schrecken des Herrn wird kommen wie ein Dieb in der Nacht, um die zu vernichten, die übrig geblieben sind.

Bemerken wir nicht diesen Spott um uns herum? Noch trauriger ist es zu sehen, dass viele echte Kinder Gottes diesen Ausruf spöttelnder Ungläubigkeit noch lauter werden lassen, sowohl in ihren religiösen Systemen als auch in ihrem politischen Kalkül und in ihrem ganzen weltlichen Verhalten, indem sie mit gleicher Ungläubigkeit oder Gleichgültigkeit der ernsten Frage begegnen: Wo ist die Verheißung seiner Ankunft?

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