Der zweite Brief an die Thessalonicher

Kapitel 1

Der zweite Brief an die Thessalonicher

Nach seiner Einleitung und Begrüßung in den Versen 1 und 2, die fast gleichlautend sind wie die einleitenden Verse im ersten Brief, wohin wir deshalb den Leser verweisen, spricht der Apostel mit einigen Worten Gott gegenüber seinen Dank aus über den Zustand, in dem seine geliebten Thessalonicher sich befanden. „Wir sind schuldig, Brüder, Gott allezeit für euch zu danken, wie es billig ist, weil euer Glaube überaus wächst und die Liebe jedes Einzelnen von euch allen gegeneinander überströmend ist, so dass wir selbst uns euer rühmen in den Versammlungen Gottes wegen eures Ausharrens und Glaubens in allen euren Verfolgungen und Drangsalen, die ihr erduldet“ (Verse 3 und 4).

Nachdem Paulus seinen ersten Brief geschrieben hatte, waren neue und, wie aus dem Folgenden hervorgeht, heftigere Verfolgungen über die Versammlung in Thessalonich angebrochen. Diese Drangsale hatten aber dazu gedient, die dortigen Heiligen im Glauben zu befestigen und ihre Herzen in noch innigerer Liebe miteinander zu verbinden, was dem Apostel allen Grund gab, Gott allezeit für sie zu danken. Dennoch können wir, wenn wir obige Worte des Apostels vergleichen mit dem, was er in seinem ersten Brief über ihren geistlichen Zustand gesagt hat, schließen, dass die Frische des Lebens und die Freude in Christus nicht mehr so lebendig vorhanden waren wir damals. Während der Apostel im ersten Brief sagen kann, dass ihr Glaube an Gott so sehr an jedem Ort verbreitet war, dass er es nicht nötig hatte, etwas darüber zu sagen, weil die Welt selber die Grundsätze, die sie beseelten und von denen sie sich leiten ließen, überall verkündigte, so sagt er hier, dass er sich selbst in den Versammlungen Gottes ihrer rühmte wegen ihres Ausharrens und Glaubens in allen ihren Verfolgungen. Und während er im ersten Brief vor allem den Nachdruck legt auf ihre Hoffnung im Herrn Jesus Christus und auf ihre Erwartung Seines Kommens, so spricht er hier mit keinem einzigen Wort über ihre Hoffnung, wenn er auch Gott dafür danken kann, dass ihr Glaube zugenommen und ihre Liebe zueinander sich vermehrt hatte.

Die Ursache hiervon bleibt uns nicht verborgen. Wie wir aus Kapitel 2, 2 ersehen, hatten sich falsche Lehrer bei ihnen eingeschlichen, die sie in Bezug auf den Tag des Herrn in große Verwirrung gebracht hatten. Wie war dies möglich? Wir haben doch bei unserer Betrachtung des ersten Briefes gesehen, dass die Thessalonicher gut auf dem Laufenden waren betreffs des Tages des Herrn, da der Apostel sagen konnte, dass er ihnen diesbezüglich nicht zu schreiben brauche. Sie wussten, dass dieser Tag ein Tag der Finsternis und des Gerichts sein würde – ein Tag, an dem der Herr kommen würde wie ein Dieb in der Nacht, um über die Gottlosen ein jähes Verderben zu bringen. Wie können wir uns bei diesem Sachverhalt erklären, dass die Thessalonicher sich überreden ließen, dass der Tag des Herrn schon gegenwärtig sei? Der Teufel hatte dies wirklich listig angestellt. Zuerst hatte er schreckliche Verfolgungen über sie gebracht und hernach falsche Lehrer gesandt, um ihnen weiszumachen, dass die Verfolgungen, unter denen sie litten und durch die sie erschreckt wurden, ein Beweis seien, dass der Tag des Herrn bereits da sei. So waren ihre Herzen erschüttert und ihre Erwartung, „dem Herrn entgegengerückt zu werden in der Luft“, ins Wanken geraten. Angesichts des Gesagten können wir vielleicht eher verstehen, dass wir hier nicht die gleiche Frische und Innigkeit des göttlichen Lebens finden wie im ersten Brief.

Wir können aus diesem Fall lernen, welchen Einfluss der Teufel auf ein Herz ausüben kann, das nicht im Frieden und in der Freude Gottes bewahrt wird. Die unmöglichsten Dinge werden dann geglaubt; man lässt sich erschrecken und durch Dinge in die Ängste jagen, die man bei ruhigem Nachdenken als ungereimt verurteilen würde. In diesem Zusammenhang möchten wir ein Wort des Apostels Paulus an die Philipper anführen: „Lasst euch in nichts erschrecken von den Widersachern!“

In der Absicht, diesem Irrtum entgegenzutreten, geht der Apostel auf seine gewohnte Weise ans Werk. Aber bevor er den Irrtum selber behandelt, stellt er den Gegenstand, weswegen die Thessalonicher in Verwirrung waren, in das rechte Licht und beruft sich dabei auf die Erkenntnis, die sie darüber bereits empfangen hatten. Dann entwickelt er die Wahrheit, um darnach den Irrtum zu bekämpfen. Das ist die wahre, göttliche Weise, um einem Irrtum entgegenzutreten. Nur die Wahrheit kann uns frei machen von falscher Lehre. Nur wenn wir die Wahrheit verstehen, können wir einen Irrtum richtig beurteilen. Wie wichtig ist es doch, dass auch wir, besonders, da wir uns in einer Zeit des allgemeinen Verfalls der Christenheit befinden, feststehen in der Wahrheit! Nur dann vermögen wir, uns in ihrem Licht erfreuend, den Irrtum, der außerhalb uns steht und mit dem wir nichts zu tun haben, zu erkennen.

Beachten wir nun, auf welche Weise der Apostel hier die Wahrheit ins Licht stellt. Nachdem er gesagt hat, dass er in den Versammlungen Gottes sich der gläubigen Thessalonicher rühmte wegen ihres Ausharrens und ihres Glaubens in allen Verfolgungen und Drangsalen, die sie ertrugen, fährt er weiter mit den Worten: „Ein offenbares Zeichen des gerechten Gerichtes Gottes, dass ihr würdig geachtet werdet des Reiches Gottes, um dessentwillen ihr auch leidet: wenn es anders bei Gott gerecht ist, Drangsal zu vergelten denen, die euch bedrängen, und euch, die ihr bedrängt werdet, Ruhe mit uns bei der Offenbarung des Herrn Jesus vom Himmel“ (Verse 5–7). Der Tag des Herrn ist ein Tag der Gerechtigkeit und des Gerichts, ein Tag der Rache. Dass der Herr denen, welche die Seinen hienieden bedrängt haben, die Drangsal vergilt, ist ein Beweis, dass Er an diesem Tag gerecht urteilen wird; ja, die gegenwärtigen Drangsale der Seinen werden die Gerechtigkeit Gottes verherrlichen, wenn Er der Welt die Drangsal vergilt. Doch ist zugleich auch das ein Beweis von Gottes Gerechtigkeit, dass Er an jenem Tag die Seinen, die während ihrem Erdenleben den Herrn geehrt und selbst Verfolgungen und Drangsale für Ihn ertragen haben, Seines Königreiches würdig erachtet und ihnen einen erhabenen Platz in diesem Reich bereitet. Jetzt allerdings ist es noch das Teil der Gläubigen, von der Welt verhasst und verfolgt zu werden, während diese in Ruhe und Sicherheit ihren Weg geht; am Tag des Herrn jedoch wird es gerade umgekehrt sein; dann werden, während die Welt gerichtet wird, die Heiligen eine glückselige Ruhe genießen. Diese Ruhe wird ihr Teil sein, während der Herr Jesus vom Himmel offenbart werden wird zum Gericht über die Ungläubigen. Solange aber die Heiligen von der Welt noch bedrängt und bedrückt werden und die Welt sich in Ruhe und Sicherheit befindet, kann der Tag des Herrn, welcher ein Tag des Gerichts und der Rache Gottes ist, niemals gekommen sein. Dieser Tag bezweckt doch niemals die Heiligen zu bedrücken, sondern die Gottlosen zu strafen.

Die Beschreibung dieses Gerichts über die Welt finden wir in den folgenden Versen: „Der Herr Jesus wird offenbart werden mit den Engeln Seiner Macht, in flammendem Feuer, wenn Er Vergeltung gibt denen, die Gott nicht kennen, und denen, die dem Evangelium unseres Herrn Jesus Christus nicht gehorchen“ (Verse 7 und 8). Das gleiche, was im Alten Testament von Gott gesagt wird, dass Er in flammendem Feuer zum Gericht erscheinen wird (siehe z. B. Daniel 7, 9. 10), wird hier vom Herrn Jesus gesagt. Er wird vom Himmel offenbart werden mit den Engeln Seiner Macht, d. h. durch die Seine Macht sich offenbart, da sie die Vollstrecker Seiner Befehle sind. In Matthäus 24 sagt Jesus, dass, wenn der Sohn des Menschen kommen wird auf den Wolken des Himmels mit großer Macht und Herrlichkeit, Er Seine Engel aussenden wird mit starkem Posaunenschall, um Seine Auserwählten (nämlich die gläubigen Juden) von den vier Winden her zu versammeln; und in Matthäus 25 lesen wir: „Wenn aber der Sohn des Menschen kommen wird in Seiner Herrlichkeit, und alle Engel mit Ihm, dann wird Er auf Seinem Thron der Herrlichkeit sitzen, und vor Ihm werden versammelt werden alle Nationen“.

Der Herr Jesus wird also vom Himmel her kommen mit den Engeln Seiner Macht, um Rache zu üben an denen, die Gott nicht kennen und dem Evangelium unseres Herrn Jesus Christus nicht gehorchen. Der Vater wird alles Gericht dem Sohn übergeben (Joh 5, 22); Er wird Seine Feinde zum Schemel Seiner Füße legen (Heb 10, 13). Dieser Tag wird der Tag des Zornes des Lammes sein (Off 6, 16). Und dieser Zorn wird kommen sowohl über die, welche Gott nicht kennen, über die unwissenden, Gott entfremdeten Heiden, als auch über die Juden, die das Evangelium unseres Herrn Jesus Christus wohl vernommen, aber nicht befolgt haben, „welche Strafe leiden werden, ewiges Verderben vom Angesicht des Herrn und von der Herrlichkeit Seiner Stärke“ (Vers 9).

Entsetzliches Gericht! Es ist das ewig selige Vorrecht der Erlösten, einst das Angesicht des Herrn zu sehen; schon der Gedanke daran lässt ihr Herz vor Freude springen; ihre Seelen werden sich nie daran sättigen können. Die Herrlichkeit und die Allmacht des Herrn sind die Erquickung der Heiligen und bereiten ihnen unaussprechliche und ewige Segnungen. Und von diesem Angesicht des Herrn, von dieser „Herrlichkeit Seiner Stärke“ werden alle Ungläubigen für immer weit entfernt sein; sie werden im ewigen Verderben schmachten! Wie schrecklich! Einem jeden, der nicht Eigentum des Herrn ist, mag er auch den christlichen Namen tragen und zur bekennenden Christenheit gehören, wartet ein entsetzliches „Wehe“ bei der Offenbarung des Herrn Jesus! jetzt ist aber noch Gnadenzeit, jetzt ist noch Gelegenheit, dem Gericht zu entkommen.

Doch der Apostel beschreibt nicht nur das entsetzliche Gericht der Ungläubigen, sondern auch die unaussprechliche Herrlichkeit der Heiligen. „Wenn Er kommen wird, um an jenem Tag verherrlicht zu werden in Seinen Heiligen und bewundert in allen denen, die geglaubt haben; denn unser Zeugnis bei euch ist geglaubt worden“ (Vers 10). An jenem Tag der Ankunft des Herrn werden die Heiligen mit Ihm in Seiner Herrlichkeit erscheinen. „Wenn Er offenbart wird, dann werden wir mit Ihm offenbart werden in Herrlichkeit“ (Kol 3, 4); dann werden wir Ihm gleich sein, „denn wir werden Ihn sehen, wie Er ist“ (1. Joh 3, 2), so dass wir uns dann in einem solch herrlichen Zustand befinden werden, dass der Herr, der uns diese Herrlichkeit erworben und geschenkt hat, in uns verherrlicht und bewundert wird. Alle Nationen der Erde werden die Christus gleichgestalteten Heiligen, die mit Ihm auf den Thron der Herrlichkeit gesetzt sind, bestaunen, und hierin wird der Herr verherrlicht und Seine Gnade bewundert werden, die Gnade, die imstande war, arme, verlorene Sünder zu reinigen und zu heiligen, damit sie Teilhaber Seiner Herrlichkeit und Freude sein könnten.

Wenn nun diese Herrlichkeit offenbart wird, dann würden auch die Gläubigen in Thessalonich daran teilhaben, denn der Herr wird in allen, die geglaubt haben, bewundert werden; „und zu diesen gehört auch ihr“, sagt gleichsam der Apostel, „denn unser Zeugnis bei euch ist geglaubt worden“, so dass hierin ein neuer Beweis dafür vorliegt, dass die Verfolgungen, die sie zu ertragen hatten, kein Zeichen für den Anbruch des Tages des Herrn sein konnten.

Es ist wichtig zu beachten, dass das, was der Apostel in diesem Kapitel lehrt, in vollkommener Übereinstimmung ist mit dem, was er in seinem ersten Brief dargestellt hat. „Der Herr Jesus wird mit allen Seinen Heiligen kommen“, lesen wir im dritten Kapitel jenes Briefes. Diese Heiligen werden entsprechend dem vierten Kapitel vor jener Zeit „dem Herrn entgegen in die Luft“ aufgenommen werden, denn, um mit Ihm in Herrlichkeit zu erscheinen, müssen sie zuerst bei Ihm in der Herrlichkeit sein. Beim Kommen Jesu mit Seinen Heiligen wird gemäß dem fünften Kapitel das Gericht ein plötzliches Verderben – über die gottlose und ungläubige Welt kommen.

Die Herrlichkeit, zu der uns Gott berufen hat, und die wir an jenem Tag empfangen werden, ist so köstlich, dass der Apostel stets für die Thessalonicher betet, „dass Gott sie dieser Berufung würdig erachten und alles Wohlgefallen Seiner Gütigkeit und das Werk des Glaubens in Kraft in ihnen erfüllen möchte, damit der Name unseres Herrn Jesus Christus in ihnen verherrlicht werde und sie in Ihm, nach der Gnade unseres Gottes und des Herrn Jesus Christus“ (Verse 11 und 12).

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