Betrachtungen über die Briefe des Apostels Johannes

1. Johannes 1

Betrachtungen über die Briefe des Apostels Johannes

Niemand erkennt den Sohn als nur der Vater, noch erkennt jemand den Vater als nur der Sohn und wem der Sohn Ihn offenbaren will (Mt 11,27).

Wenn hier gewagt wird, über den so wichtigen ersten Brief des Johannes einige Gedanken zu Papier zu bringen, so geschieht es mit dem Gebet, dass es unter der Leitung des Heiligen Geistes geschehen möge und dass der Herr in seiner Gnade uns allen die Beschäftigung mit diesem köstlichen Brief zum reichen Segen ausschlagen lasse.

Es wird allgemein angenommen, dass der Apostel Johannes diesen Brief in den Jahren 90 bis 95 von Ephesus aus geschrieben habe. Die Veranlassung dazu gab das Auftreten von Menschen, die sich damit brüsteten, neue Offenbarungen zu besitzen und auf diese Weise die einfältigen Gläubigen zu beunruhigen suchten. Sie gaben vor, auf einer höheren Stufe der Erkenntnis zu stehen und leugneten dadurch die Vollkommenheit der Offenbarung Gottes in Jesus Christus, seinem Sohn. Sehr bald trat in Erscheinung, was in einer ganz besonderen Weise schon der Apostel Paulus angekündigt hatte:

Böse Arbeiter, Zerschneidung, falsche Apostel, betrügerische Arbeiter, welche die Gestalt von Aposteln des Christus annahmen (Phil 3,2; 2. Kor 11,13), traten auf und suchten unter den Gläubigen Eingang zu finden und sie für sich und ihre falschen, durchaus irreführenden Anschauungen zu gewinnen. In besonderer Weise galt der Angriff Satans der Person unseres hochgelobten Herrn, dem Sohn Gottes! Weil mit dieser Person das Christentum steht und fällt, war es notwendig, für die christlichen Wahrheiten einzutreten und „für den einmal den Heiligen überlieferten Glauben zu kämpfen“ (Jud 3).

Als die Kinder Israels durch die Wüste pilgerten, war es die Aufgabe der Söhne Kehats, „die Lade des Zeugnisses“ und alle sich in der Stiftshütte befindenden Gegenstände zu tragen (4. Mo 4,4–20). Alle ihrer Obhut anvertrauten Gegenstände zeigen uns vorbildlich die Person und das Werk unseres Herrn Jesus Christus. Es musste darauf geachtet werden, dass der Stamm der Familien der Kehatiter nicht ausgerottet wurde. Es sollten immer Männer da sein, die mit aller nur erdenklichen Ehrerbietung diese Gegenstände behandelten und trugen. Wenn nun Gott schon für jene Vorbilder solche Sorgfalt hat walten lassen, wieviel mehr dann der Person unseres gelobten Herrn selbst!

So sehen wir, wie der Apostel Johannes sich hinsichtlich der Person des Sohnes Gottes als ein wahrer Kehatiter betätigt und erweist. Seine Schriften bezeugen uns, mit welch einem heiligen Eifer er seines Dienstes waltet. Diesen seinen Dienst hat der Herr bereits angedeutet in den Worten: „Wenn ich will, dass er bleibe, bis ich komme, was geht es dich an?“ (Joh 21,22.23). Er ist von größter Bedeutung bis zur Ankunft des Herrn. Die Person unseres Herrn Jesus Christus ging dem Johannes über alles, und für sie tritt er in seinen Briefen ein. Möge sein Eifer auch uns anspornen und uns die Person Jesu, des Herrn der Herrlichkeit, immer größer und bewunderungswürdiger machen!

Ohne irgendeine Einleitung macht uns der Apostel sofort bekannt mit dem Hauptgegenstand dieses Briefes: „Das Wort des Lebens“ (V. 1). Dies war erforderlich, einerseits weil die Irrlehrer über die Person des Herrn ganz irreführende Anschauungen verbreiteten, und andererseits weil sie den Gläubigen den Besitz des ewigen Lebens abzusprechen suchten.

Er beginnt mit den Worten: „Was von Anfang an war“ (V. 1), und stellt uns gleichsam direkt in die Gegenwart des Sohnes Gottes, der seinen Platz hier auf der Erde einnahm. Das ist der Anfang des Christentums: das Herabkommen des Herrn der Herrlichkeit. Diesen Anfang erwähnt Johannes auch in seinem Evangelium: „Und das Wort wurde Fleisch und wohnte unter uns (und wir haben seine Herrlichkeit angeschaut, eine Herrlichkeit als eines Eingeborenen vom Vater) voller Gnade und Wahrheit“ (Joh 1,14). Im ersten Vers seines Evangeliums redet er auch von dem „Wort“, aber so wie es „von jeher“, bevor irgendetwas Geschaffenes war, sein Dasein hatte. Davon heißt es in Sprüche 8,22.23: „Der HERR besaß mich im Anfang seines Weges, vor seinen Werken von jeher. Ich war eingesetzt von Ewigkeit her.“

Der dritte Vers des ersten Kapitels des Evangeliums Johannes macht uns dann vertraut mit der Tätigkeit „des Wortes“, des Sohnes Gottes, im Anfang, wie es uns der erste Vers der Bibel mitteilt. „Alles wurde durch dasselbe, und ohne dasselbe wurde auch nicht eins, das geworden ist.“

Es ist sehr zu befürchten, dass wir die große Bedeutung dessen, „was von Anfang an war“, vielfach nicht genug erfassen, wie es uns hier der Heilige Geist durch den Apostel vorstellt. Der Schöpfer der Welten, durch den und für den alles ins Dasein gerufen worden ist, steht hier als ein wahrer Mensch vor unseren Blicken. Welch eine wunderbare Person! Würden wir das mehr erfassen, wie würden unsere Herzen auch mehr überfließen von Lob, Preis und Anbetung angesichts der Tatsache des großen Geheimnisses der Gottseligkeit: „Er, der offenbart worden ist im Fleisch“ (1. Tim 3,16). Es ist ergreifend zu sehen, wie uns hier in den ersten drei Versen in Kürze der ganze Inhalt der vier Evangelien vorgestellt wird, und zugleich die gesegnete Stellung eines jeden Kindes Gottes.

Kein Mensch dies Wunder fassen kann,
Kein Engel kann's verstehen.
Der Glaube schaut's und betet an,
Bewundert, was geschehen.

Überaus lehrreich und gesegnet ist es auch, über die verschiedenen Mitteilungen der Schrift, über „das Wort“ zu sinnen. Wir erinnerten uns schon an sein Dasein in der Ewigkeit, also vor Grundlegung der Welt. Und dann sein Herabkommen in Niedrigkeit – und dennoch ist Er so erhaben – begleitet von solchen, die „Augenzeugen und Diener des Wortes“ waren (Lk 1,2).

In Offenbarung 19,11–16 erblicken wir dann den Herrn, hervortretend aus dem geöffneten Himmel, sitzend auf einem weißen Pferd, um zu richten. Er ist genannt „Treu und Wahrhaftig“, und „Sein Name heißt: Das Wort Gottes“. Das ist unser geliebter Herr – „das Wort des Lebens“. Wer vermag hier je voll und ganz zu erfassen, was es bedeutet, dass „das Leben offenbart worden ist“? Bei der Schöpfung offenbarte sich die Macht des Wortes. In der Offenbarung sehen wir „das Wort Gottes“ beim Ausführen des gerechten Gerichtes. Aber sowohl im Evangelium wie auch in unserem Brief kommt „das Wort“ mit den größten und reichsten Segnungen zu uns. Der Sohn Gottes nimmt teil an Fleisch und Blut, um uns Gott, den niemand jemals gesehen hat, zu offenbaren. Ja, noch mehr, Er kam um uns durch seine Dahingabe den Weg zum Vaterherzen Gottes zu öffnen. Beim Betrachten dieses Wunders müssen wir überwältigt ausrufen:

O Liebe ohne gleichen!
Kein Sinn kann je erreichen,
Wie Du, o Herr, uns liebst.

Wir haben es hier nicht mit einer Vision zu tun, o nein! Der ewige Sohn Gottes kam in die Stellung (nicht in den Zustand!) des Menschen, um dadurch den gottfeindlichen, sündigen Menschen durch seinen Opfertod in die innigste Verbindung mit Gott einzuführen.

Der Brief wendet sich an solche, die wiedergeboren und mit Gott versöhnt sind. Deshalb wird auch sofort die bereits bestehende, gekannte und so gesegnete Verbindung erwähnt, in der sich jeder Erlöste von dem ersten Augenblick seiner Errettung an befindet. Oft hört man von Gläubigen den Ausspruch: „Ach, wenn ich doch damals gelebt hätte, als der Herr Jesus hier war“ – Gewiss ist es wunderbar und herrlich gewesen, Augen- und Ohrenzeugen von dem zu sein, was der Herr getan und gelehrt hat.

Zeugnisse wie: „Herr, zu wem sollen wir gehen? Du hast Worte ewigen Lebens; und wir haben geglaubt und erkannt, dass du der Heilige Gottes bist“ (Joh 6,68.69). „Und alle gaben ihm Zeugnis und verwunderten sich über die Worte der Gnade, die aus seinem Mund hervorgingen“ (Lk 4,22). Oder: „Wir haben heute außerordentliche Dinge gesehen“ (Lk 5,26). Ferner: „Niemals hat ein Mensch so geredet wie dieser Mensch“ (Joh 7,46) und viele andere Stellen zeigen uns den Eindruck seiner Tätigkeit bei denen, die Ihn sahen. Und dennoch teilt uns hier der greise Apostel und treue Knecht des Herrn mit, dass keiner der Erlösten des Herrn diesbezüglich zu kurz kommen soll. Sie alle, die nicht das Vorrecht hatten, den Herrn Jesus dem Leib nach hier kennen zu lernen, sollen mit den Aposteln Gemeinschaft haben „mit dem Vater und seinem Sohn Jesus Christus“.

Freue dich, geliebtes Kind Gottes! Die vier Evangelien führen uns des Herrn Person und sein Tun und Werk vor Augen, und der Heilige Geist erweist sich so lebendig, „als ob man selbst Ihn – den Herrn – sähe“. Welche Gnade und welches Vorrecht ist es, sagen zu können: Dieses Leben, das beim Vater war und hier offenbart worden ist, ist mein Leben! Glückselig jeder, der das im Glauben bejahen kann! Möge es nun dem Heiligen Geist gelingen, uns, die wir durch Gnade des ewigen Lebens teilhaftig geworden sind, dazu zu führen, dass dieses Leben sich zur Verherrlichung des Herrn praktisch immer mehr und mehr offenbare!

Sollte irgendjemand diese Zeilen lesen, ohne bezeugen zu können: „Ich besitze das ewige Leben durch den Glauben an den Sohn Gottes“, o dann gönne dir, liebe Seele, keine Ruhe, bis auch du, so wie du bist, mit deinen Sünden zum Herrn gekommen und Ihn vertrauensvoll als deinen Erretter, der für dich am Kreuz starb, ergriffen hast! Dann hast du nicht allein Vergebung deiner Sünden, sondern das ewige Leben. Welch ein herrliches, gesegnetes Teil!

Nachdem der Apostel begonnen hat, von der Gemeinschaft zu reden, führt er es noch klarer aus, indem er hinzufügt: „und zwar ist unsere Gemeinschaft mit dem Vater und mit seinem Sohn Jesus Christus. Und dies schreiben wir euch, damit eure Freude völlig sei“ (Verse 3 und 4).

Was will aber das Wort „Gemeinschaft“ ausdrücken? Die uns geschenkte neue Natur ist göttlich und deshalb bringt sie dieselben Gedanken zum Ausdruck, wie der Vater sie hat bezüglich des Sohnes, und ebenso auch wie sie der Sohn hat im Blick auf den Vater. Wir haben schon hervorgehoben, dass jeder Erlöste im Besitz des ewigen Lebens ist. Der Herr selbst ist unser Leben, und deshalb muss dieses Leben, wie es sich bei Ihm so vollkommen offenbarte, auch bei uns gesehen werden. Zu dieser Gemeinschaft sind wir befähigt worden durch die Wiedergeburt und durch die Gabe des Heiligen Geistes. Dieser ist tätig, dieses Leben immer mehr zur Entfaltung zu bringen. Dadurch offenbaren sich bei uns, in unserem Leben, „die Tugenden dessen“, der uns berufen hat aus der Finsternis zu seinem wunderbaren Licht (1. Pet 2,9). Da entwickelt sich und reift die Frucht des Geistes, so wie sie uns in Galater 5,22 vor Augen geführt wird. Möge sie aber auch durch unser Leben praktisch vorgeführt werden zur Verherrlichung des Herrn und zum Segen allenthalben, wo wir stehen und gehen. Berühmte Maler hatten ihre Schüler. Wenn diese dann selbständig arbeiteten, so konnte man an ihren Arbeiten erkennen, von wem sie gelernt hatten. Auch unser Leben und unser ganzes Verhalten soll deutlich offenbaren, wessen Geistes Kinder wir sind.

Gemeinschaft mit dem Vater und mit seinem Sohn Jesus Christus ist nicht allein das Teil der bevorzugten Apostel gewesen, nicht das Teil nur einiger hervorragender und besonders begabter Gläubigen. Nein, es ist das gesegnete Teil eines jeden, auch des schwächsten Kindes Gottes, weil es auf die Familien-Beziehungen gegründet ist. So wie im Irdischen nicht allein die erwachsenen Kinder an den Tisch des Vaters gehören, sondern alle, so ist es noch vielmehr, ja vollkommen, in geistlicher Hinsicht der Fall. Gott sei gepriesen dafür, dass Er uns in solch herrliche Beziehungen zu seinem Sohn, und durch Ihn zu Ihm selbst – dem Vater – als seine Kinder gebracht hat! Aber noch einmal, was will der Ausdruck „Gemeinschaft“ sagen? Was schließt er in sich? Wir verstehen diesen Ausdruck ganz gut, wenn wir ihn anwenden auf das Verhältnis zwischen einer Frau und ihrem Mann. Wenn das Verhältnis gut ist, so geht die Frau auf alles ein, was der Mann vorhat. Sie geht völlig in seine Gedanken ein. Sie nimmt Anteil an seinen Freuden, wie auch an seinen Übungen und Sorgen. Sie hat Gemeinschaft mit ihm. Genauso ist es auch bei ihrem Mann. Nun ist aber dieses Beispiel eine nur sehr schwache, hinkende Erklärung des Wortes „Gemeinschaft“.

Gottes Wort zeigt uns die Gemeinschaft zwischen dem Vater und dem Sohn. Wenn wir den Mitteilungen des Neuen Testamentes folgen, so finden wir die Gedanken des Vaters über seinen Sohn. Immer wieder nehmen wir wahr, was der Sohn für den Vater ist. Er ist der lieblichste Gegenstand des Vaterherzens Gottes, seine Wonne und Freude. Der Vater sucht den Sohn zu verherrlichen. Er will, dass „alle den Sohn ehren, wie sie den Vater ehren“ (Joh 5,23; siehe Joh 3,35; 5,20).

Was finden wir anderseits bei dem Sohn, unserem geliebten Herrn? Der Wille des Vaters führte Ihn herab. Die Ausführung dieses Willens war sein steter Beweggrund. Er konnte sagen: „Darum liebt mich der Vater, weil ich mein Leben lasse“ (Joh 10,17.18). „Der mich gesandt hat, ist mit mir; er hat mich nicht allein gelassen, weil ich allezeit das Ihm Wohlgefällige tue“ (Joh 8,29). Seine Speise war, „den Willen dessen zu tun, der Ihn gesandt hatte“. Und selbst hinsichtlich des Schwersten konnte Er sagen: „Vater, verherrliche deinen Namen!“ (Joh 12,28). Da sehen wir die Gemeinschaft des Vaters und des Sohnes.

Weil nun ein jeder der Erlösten aus Gott geboren ist, besitzt er eine neue Natur, und diese neue Natur offenbart unter der Wirksamkeit des Heiligen Geistes, wenn auch nur in Schwachheit, dieselben göttlichen Gedanken und Gefühle. Er liebt den Sohn Gottes und begehrt Ihn zu verherrlichen, er freut sich, wenn er sieht, dass der Herr erhoben wird, und so bringt er die gemeinschaftlichen Gedanken mit dem Vater zum Ausdruck. Ebenso teilt er die Gedanken und Gefühle des Sohnes im Blick auf den Vater. Darin offenbart sich die Wirksamkeit des Heiligen Geistes und der neuen Natur in dem Gläubigen. Die neue Natur hegt und offenbart in ihm die gleichen Gedanken und Gefühle, wie sie der Vater und der Sohn haben. Je mehr der Heilige Geist von uns Besitz nimmt, umso mehr wirkt sich die Gemeinschaft mit dem Vater und dem Sohn in unserem täglichen Leben aus. Umso mehr genießt dann der Gläubige – selbst inmitten all der Umstände, durch die er zu gehen hat – die völlige Freude in dem Bewusstsein solch einer innigen Verbindung mit dem Vater und dem Sohn. Eine höhere Stellung und Verbindung konnte uns nicht gegeben werden. Es ist sehr zu beklagen, dass die Frucht dieser Gemeinschaft in unserem täglichen Leben oft nur sehr wenig wahrgenommen wird. Je mehr der Heilige Geist bei uns diese Frucht hervorbringen kann, umso mehr sind wir dann auch ein Segen und Zeugnis für unsere ganze Umgebung. Möge dies bei uns allen so sein!

Die ersten Verse machen uns, wie wir gesehen haben, mit der kostbaren Tatsache vertraut, dass Gott uns in der Person seines Sohnes das „Leben“ sandte. „Wer an den Sohn glaubt, hat ewiges Leben“ (Joh 3,36; 5,24; 6,40.47 und andere Stellen). Jeder Erlöste ist durch die Wirksamkeit des Heiligen Geistes der göttlichen Natur teilhaftig geworden, und steht nun vor Gott, dem Vater, als sein Kind. Einen höheren Platz und eine größere Segnung konnte uns Gott nicht geben. Wie groß aber auch diese Gnade, vor dem Vater zu stehen, ist, so groß ist auch der Ernst dieser herrlichen Verbindung, und das drückt der fünfte Vers aus: „Und dies ist die Botschaft, die wir von ihm gehört haben und euch verkündigen: dass Gott Licht ist und gar keine Finsternis in ihm ist“.

Jesus Christus, der eingeborene Sohn, der im Schoß des Vaters ist, kam, um Gott, den niemand je gesehen hat, hier kundzutun (Joh 1,18). Er ist „das Licht der Welt“. Sowohl sein ganzes Leben wie auch alle seine Worte waren der Ausdruck der Wahrheit und taten die Botschaft kund, dass „Gott Licht ist und gar keine Finsternis in Ihm ist“. Dem natürlichen Menschen ist diese Botschaft nicht willkommen. Er wünscht nicht, dass dieses Licht ihn bloßstelle. Darum bemüht er sich, demselben zu entfliehen, wie es einst auch Adam und Eva im Garten Eden und die Menschen zur Zeit des Sohnes Gottes hier auf der Erde taten. „Die Menschen haben die Finsternis mehr geliebt als das Licht, denn ihre Werke waren böse“ (Joh 3,19). In diesem Licht erkennt sich auch der religiöseste Mensch als einen verlorenen Sünder und Übertreter der heiligen Gebote Gottes. „Gott aber ist Licht“. Kann nun die Finsternis vor Ihm bestehen? Das ist unmöglich! Wie gut aber, dass dieser Gott, der Licht ist, auch Liebe ist, und deshalb hat Er in der Dahingabe seines geliebten Sohnes einen Boden bereitet, auf dem aus einem Menschen, der von Natur Finsternis ist, „ein Kind des Lichtes“ wird. Als solches ist der Erlöste völlig passend für die Gegenwart Gottes, der Licht ist. Welch ein Wunder des Erbarmens Gottes!

Der unbekehrte Mensch hasst das Licht und flieht es. Das Kind Gottes aber, ein Kind des Lichtes, liebt und sucht es. Es fühlt sich nur in diesem Licht wohl. Es ist nicht mehr „im Fleisch“ vor Gott, sondern, der neuen Stellung nach, „im Geist“. Weil aber das Fleisch, die Sünde, noch in uns ist, sind wir in steter Gefahr und können sogar in Sünden und einen schlechten Zustand hinein geraten. Deshalb wird an dieser Stelle die Botschaft, dass Gott Licht ist, eingeführt. Wenn der Apostel vom Vater redet, dann zeichnet er die innigsten Beziehungen zu Ihm und die Segnungen unserer Kindschaft. Wenn Er aber als Gott vorgestellt wird, dann ist von unserer Verantwortlichkeit die Rede. Weil Gott Licht ist, kann in seiner Gegenwart nichts bestehen, was der Finsternis angehört. Lasst uns dies stets im Auge behalten!

Wie schon zuvor erwähnt, sind alle Erlösten Kinder des Lichts Licht im Herrn. Die uns geschenkte neue Natur ist aus Gott und passt in seine Gegenwart. Es kann aber vorkommen, dass man nicht im Licht wandelt. Deshalb ist der fünfte Vers gleichsam eine Warnungstafel. Meine Stellung in Christus als ein Kind Gottes entspricht völlig dem Licht Gottes und ist unantastbar. Hier gilt es aber, sich zu prüfen, ob auch mein Zustand dem entspricht. In der Gegenwart Gottes lerne ich alles erkennen, was diesem Licht nicht entspricht, denn das Licht ist es, welches alles offenbar macht (Eph 5,15).

Lasst auch uns die Aufforderung befolgen: „Kommt ... und lasst uns wandeln im Licht des HERRN“ (Jes 2,5). Der Psalmist ruft hoch beglückt aus: „Denn bei dir ist der Quell des Lebens, in deinem Licht werden wir das Licht sehen“ (Ps 36,10). Während der unbekehrte Mensch vor dem Licht flieht, sucht das Kind Gottes es auf, und nur in dem Licht der Gegenwart des Herrn fühlt es sich wohl und glücklich. Da allein ist man auch befähigt, alles nach seinem wahren Wert zu erkennen und zu behandeln. Die natürliche Folge davon ist, hier auf der Erde als Licht (eigentlich als Himmelslicht) zu scheinen. Das ist auch der Weg, um nach unserem schwachen Maß „das Wort des Lebens“ darzustellen inmitten der uns umgebenden Finsternis (Phil 2,15.16). Vor Gott stehend, werden wir auch befähigt zum Abweisen jeder Versuchung, durch die wir verunreinigt und des Genusses der Gemeinschaft mit dem Vater und dem Sohn beraubt werden könnten.

Vers 6 zeigt uns, dass es möglich ist, ein Bekenntnis zu haben, das nicht der Wahrheit entspricht. Ein Wandel in Verbindung des Herzens mit dem Herrn führt den Gläubigen auf den Weg der Absonderung vom Bösen jeder Art. Wenn aber jemand vorgibt, in Gemeinschaft mit Gott zu sein und in Verbindung mit Werken der Finsternis steht, so straft ihn schon sein praktisches Leben Lügen. Solches Verhalten widerspricht der Wahrheit und stellt das Bekenntnis der betreffenden Person als eine Lüge hin. Der Herr wird dadurch verunehrt und das ganze Zeugnis kommt in Verruf.

Es verhält sich damit wie mit den Schafen des guten Hirten. Sie haben ihr Kennzeichen, und dieses besteht in dem „Hören“ und in dem „Folgen“ der Stimme des guten Hirten. Wenn jemand bekennt, dem guten Hirten anzugehören, ohne dass diese Merkmale vorhanden sind, muss man ihm nahelegen, dass er sich selbst betrügt. Und ähnlich ist es mit einem, der ein sehr hohes Bekenntnis im Mund führt, dessen Wandel aber mit seinem Bekenntnis in völligem Widerspruch steht. Er lügt und tut nicht die Wahrheit. Lasst uns wachsam sein, um ja nicht durch den Betrug der Sünde in solchen Zustand zu geraten. Es möge niemand denken, dass dies bei einem Kind Gottes nicht möglich sei. Es ist äußerst ernst, wenn der Apostel Petrus von einem Zustand der Blindheit und Kurzsichtigkeit redet, wo man „die Reinigung seiner vorigen Sünden vergessen hat“. Da wird uns gleichsam zugerufen: „Fürchte dich!“, und das Herz wendet sich nach oben und fleht: „Bewahre mich, Gott, denn ich suche Zuflucht bei dir!“ (Ps 16,1).

Ein bloßes Lippenbekenntnis, dass man in Gemeinschaft mit Gott stehe, ohne Wirklichkeit, ist Lüge. Demgegenüber trägt der Wandel im Licht der Gegenwart Gottes gesegnete Frucht. Zunächst genießt das Herz persönlich die Nähe des Herrn. In dieser Nähe lernt man immer mehr die Gnade schätzen, die uns für dieses Licht passend gemacht hat. Weil aber alle Erlösten des Herrn Kinder Gottes, Kinder des Lichts, Glieder der Familie Gottes sind, da weiß man sich in diesem Licht mit ihnen allen eins. Wir haben „Gemeinschaft“ mit ihnen. Dieselben Vorrechte und Segnungen sind das gesegnete und köstliche Teil aller Gläubigen. Es muss aber wohl beherzigt werden, dass diese Gemeinschaft der Kinder Gottes nur auf dem Weg des Wandelns im Licht genossen werden kann.

Hier müssen wir unwillkürlich daran denken, welch ein großer Schaden und Verlust es ist, wenn so manche Kinder Gottes in Verbindung mit Irrlehren stehen. Das ist nicht ein Wandel im Licht. Andere wieder sind in Verbindung geblieben mit der Welt und ihren religiösen Einrichtungen, so dass selbst wenn man solche Kinder Gottes kennt, die praktische Gemeinschaft nicht gepflegt werden und zum Ausdruck kommen kann. Auf solchem Boden kann Gott die Ihm gebührende Anbetung nicht dargebracht werden. Die ganze Familie Gottes leidet darunter und viel Segen geht dadurch verloren. Es ist ein herrliches Zeugnis, das den Gläubigen der ersten Zeit ausgestellt worden ist: „Die Menge derer aber, die gläubig geworden waren, war ein Herz und eine Seele“ (Apg 4,32).

Dies war die gesegnete Frucht des „Verharrens in der Lehre der Apostel“ (Apg 2,42). Welch eine herzliche Erfüllung der Bitte unseres Herrn, die Er an seinen Vater richtete: „Damit sie alle eins seien, wie du, Vater, in mir und ich in dir, damit auch sie in uns eins seien, damit die Welt glaube, dass du mich gesandt hast“ (Joh 17,21). Da war ein Wandel im Licht. Alle hatten nur einen Gegenstand: Christus, und deshalb herrschte auch diese liebliche Gemeinschaft unter ihnen. Dies war ein mächtiges und wirkungsvolles Zeugnis der Welt gegenüber, und daher war der Feind so tätig, solches Zeugnis zu zerstören. Wie gut es ihm gelungen ist, das sehen wir jetzt in der Christenheit, und leider auch unter uns. Darüber sollen wir trauern und uns vor dem Herrn beugen und demütigen. Der Dichter Gerok sagt:

Und dräute die arge Welt mit Ketten, Schwert und Flammen!
Die Brüder hielten treugesellt nur brünstiger zusammen,
Beim Liebesmahl im lichten Saal, wie in des Kerkers Höhle,
Man brach das Brot, man ging zum Tod, ein Herz und eine Seele!

In Trauer sagt er aber weiter:

O gold'ne Zeit, wo bist du hin, die Zeit der ersten Liebe?
Wo wohnst du noch, o Brudersinn im wüsten Weltgetriebe?
Ob Christi Heer durch Land und Meer nach Millionen zähle:
Die Krone, ach! Die Liebe brach: Ein Herz und eine Seele!

Wir wissen wohl, dass jene erste Zeit hier auf der Erde nicht wiederkehren wird. Alle dahin gehenden menschlichen Bemühungen offenbaren nur noch mehr die traurige Wirklichkeit der Zersplitterung. Dies soll uns aber weder beirren noch entmutigen, wohl aber sollen wir über diesen Zustand der Familie Gottes tief trauern. Anderseits aber sollen wir danach trachten, im Licht zu wandeln. Da werden wir sowohl unterwiesen wie auch befähigt zur Pflege der Gemeinschaft miteinander, so wie es den Gedanken unseres Gottes und Vaters entspricht, wenn auch nur wenige diesen Platz einnehmen.

Der Wandel im Licht bringt uns aber auch zum Bewusstsein, was wir von Natur sind. Der Stellung nach im Besitz einer neuen Natur, die uns befähigt, im Licht zu wandeln und Gott zu genießen, sehen wir in uns auch noch die alte Natur. Manche, besonders junge Gläubige, nehmen diese alte Natur – die in ihnen wohnende Sünde – wahr, und indem sie nicht darüber belehrt sind, dass durch das Werk des Herrn Jesus auch dies göttlich geordnet ist, kommen sie in die größte Unruhe. Die böse Natur ist wohl vor Gott im Tod des Christus richterlich beseitigt, aber sie ist noch in mir.

Dies ist aber, wenn ich die Sünde in mir nicht wirken lasse, und mich im steten Selbstgericht übe, kein Grund zur Beunruhigung. Das Blut von Jesus Christus ist in Gottes Gegenwart, und ich sehe dessen Wirksamkeit. Gott selbst belehrt uns in seinem Wort über den Wert dieses kostbaren Blutes. Christus hat nicht allein für unsere Sünden gelitten, sondern auch für das, was wir von Natur sind, also auch für die Sünde. Er, der sich auf dem Kreuz eins gemacht hat mit meinem traurigen Zustand, hat mich auch eins gemacht mit sich selbst in seiner Auferstehung. Mit tiefem Frieden und seliger Freude darf ich nun weilen in der Gegenwart Gottes, der Licht ist. Das Blut von Jesus Christus ist die einzige, aber auch vollkommene und ewige Grundlage meines Friedens und meiner Freude vor Gott. Gott sei gepriesen für solche grenzenlose Gnade! Sollte aber irgendeiner unserer Leser die reinigende Wirkung des Blutes von Jesus Christus noch nicht erfahren haben, dann möge er doch jetzt zum Herrn eilen und sein Blut auch für sich in Anspruch nehmen. Bald könnte es zu spät sein!

Zu sagen, dass wir keine Sünde haben, würde ein Betrug für uns selbst bedeuten (V. 8). Und dennoch gibt es in unseren Tagen manche, die die Sündlosigkeit lehren. Sie behaupten, dass der Gläubige schon hier auf der Erde einen Zustand erreichen könne, bei dem es in ihm keinerlei Neigung zum Sündigen mehr gebe. Unser Vers bezeichnet dies als Selbstbetrug und bezeugt, dass in solch einer Person die Wahrheit nicht ist. Die „Perfektionisten“, d.h. die Vertreter dieser Lehre, in welchen Lagern sie auch sein mögen, müssen entweder unaufrichtig werden, indem sie das Böse nicht mehr Sünde nennen, oder sie übersehen die Heiligkeit Gottes. Wenn wir Psalm 19 lesen: „Von verborgenen Sünden reinige mich“, so denken wir nicht an heimliche, sondern an noch nicht erkannte Sünden. Lasst uns nicht außer Acht lassen, dass der Maßstab des Gottes, der heilig ist, ein anderer ist als der, den wir anzulegen pflegen. „Verirrungen, wer sieht sie ein?“ Der Apostel Paulus konnte sagen: „Denn ich bin mir selbst nichts bewusst“, fügt aber sofort hinzu: „aber dadurch bin ich nicht gerechtfertigt“ (1. Kor 4,4). Möge der Herr uns alle bewahren vor dem Betrug, dass wir keine Sünde haben!

Lasst uns aber die Sünde nicht verwechseln mit Sünden! Die Sünde ist die böse Wurzel, aus der die Sünden hervorsprießen, wenn wir nicht wachen. Diese böse Wurzel kann nie veredelt, auch nicht ausgerissen oder aus unserem Innern ausgebrannt werden. Sie bleibt in uns, solange wir hier zu leben haben. Vor Gott aber ist sie durch das Blut von Jesus Christus zugedeckt. Gott sieht sie nicht mehr. Ich bin mir ihres Vorhandenseins bewusst, ohne beunruhigt zu sein, weil ich im Licht der Gegenwart Gottes die Wirksamkeit und den Wert des Blutes des Sohnes Gottes sehe. Der in mir wohnende Geist Gottes ist die Kraft, mich der Sünde für tot zu halten. Wenn dies aber versäumt wird, dann tritt die Sünde in Tätigkeit und ich werde dadurch verunreinigt. Dann entsteht die Frage: „Wie kann ich wieder von der Verunreinigung befreit werden?“, und darauf gibt der 9. Vers eine klare Antwort: „Wenn wir unsere Sünden bekennen, so ist er treu und gerecht, dass er uns die Sünden vergibt und uns reinigt von aller Ungerechtigkeit.“

Viele der Geliebten des Herrn sind der Meinung, dass es nach einem Fehltritt oder einer Sünde nötig sei, erneut Gebrauch zu machen von dem Blut des Herrn Jesus, Unser Vers gibt uns aber eine andere Belehrung. Bevor wir jedoch darauf eingehen, dürfte es nützlich sein, daran zu erinnern, dass ein jeder, der bußfertig das Erlösungswerk unseres Herrn Christus sich im Glauben angeeignet hat, dadurch auf ewig sichergestellt ist. Er kann frohlocken:

Gericht und Tod mich nicht mehr schreckt,
Dein Blut mich allzeit schirmt und deckt,
Weil Du, Herr droben thronest.

Diese Grundlage ist unerschütterlich. Der verherrlichte Sohn des Menschen zur Rechten Gottes droben ist der Beweis und auch die Bürgschaft dafür. Zugleich ist jeder Erlöste wiedergeboren. Er besitzt eine neue Natur, die aus Gott ist, und somit ist er fähig gemacht für die Gemeinschaft mit dem Vater und mit seinem Sohn Jesus Christus. Dadurch ist der Gläubige in ein unauflösliches Verhältnis zum Vater gebracht worden als sein geliebtes Kind.

Immer wieder ist es nötig, darauf aufmerksam zu machen, dass diese zwei Gnadengeschenke feststehen und uns weder genommen noch verloren gehen können. Eine ganz andre Sache ist es aber, wenn der Genuss der Liebe und die Gemeinschaft mit dem Vater und dem Herrn in Betracht kommen. Dieser Genuss gleicht einer äußerst zarten Pflanze, die schon durch den leisesten kalten Hauch im Wachstum aufgehalten wird und leidet. So wird selbst durch scheinbar geringfügige Unachtsamkeit, durch einen Fehltritt oder eine Sünde, die Freude der Gemeinschaft gestört und unterbrochen, denn Gott ist Licht! Aber welch eine Herablassung seitens unseres Gottes ist es doch, dass Er uns den Weg weist, auf dem wir wieder in den Genuss der Gemeinschaft mit Ihm gelangen können!

Bei der Beschäftigung mit manchen Christen stellen wir immer wieder fest, dass sie den Herrn um Vergebung bitten, wenn sie gefehlt haben. Wenn dies auch zu verstehen ist, so ist es doch nicht der Weg, den uns die Schrift zeigt. Unser Wort redet von einem Bekenntnis der Sünden. Gott erwartet ein rückhaltloses, ehrliches Bekenntnis der Verschuldung (siehe 3. Mo 5,5; 4. Mo 5,7; Ps 32,5; Ps 51,1–12).

Auch der Sünder, der nach der Errettung verlangt, bekennt seine Schuld und erlangt die bedingungslose Vergebung. Unser Gott will nicht, dass seine Kinder nach einem Fall wer weiß wie lange unglücklich dahinziehen. Seine Liebe wünscht sie glücklich zu sehen. Seine Heiligkeit fordert aber eine Verurteilung der Sünden, ein Bekenntnis der begangenen Untreue. Selbstverständlich ist es weitaus leichter, einfach zu sagen: „Vergib!“ Wenn aber ein Bekenntnis stattfindet, dann gehen diesem tiefere, innere Übungen und Schmerzen über begangenes Unrecht voraus. Die Schrift liefert uns dazu manche Beispiele, und auch wir wissen aus eigener Erfahrung, dass dem so ist. Die Heiligkeit Gottes, aber auch seine Liebe, fordert den Weg des Bekennens. Dieser Weg bedeutet für uns aber auch einen besonderen Segen. Unser Gewissen kommt dabei In eine heilsame Übung. Wir erkennen besser, was wir dem Herrn, der für uns so unsäglich gelitten hat, angetan, und welch ein Schaden es für uns ist. Dadurch bekommen wir in der Folge mehr Furcht vor der Sünde, und wir werden wachsamer und vorsichtiger.

Auf ein solches Bekenntnis werden wir erfahren, „dass Gott treu und gerecht ist und die Sünden vergibt und uns reinigt von aller Ungerechtigkeit.“ Er ist treu seiner Zusage als Vater, und gerecht dem Opfer-Werk seines geliebten Sohnes gegenüber, das der Herr Jesus auf Golgatha ein-für-allemal vollbracht hat. Um etwaigen Missverständnissen vorzubeugen, sei hier nebenbei bemerkt, dass diese Schriftstelle nicht Fälle behandelt, wo eine Ausübung der Zucht erforderlich ist.

Während in Vers 8 die gegenwärtig noch in uns wohnende Sünde erwähnt wird, lenkt Vers 10 unsere Gedanken in die Vergangenheit. In der Christenheit begegnen wir vielfach Menschen, die nicht zugeben wollen, dass sie gesündigt haben, oder die sich über ihre Sünden einfach hinwegsetzen. Gottes: „Alle haben gesündigt“ gilt ihnen, nach ihrer Meinung, nicht. Es mag hier berechtigt sein, die Frage aufzuwerfen, warum in diesem 10. Vers die Möglichkeit hervorgehoben wird, dass einer unter den Gläubigen sagen könne: „Ich habe nicht gesündigt“. Es scheint dies zu zeigen, dass sich in der Mitte der Kinder Gottes schon solche befanden, die sich nie im Licht Gottes kennengelernt hatten, und deshalb auch behaupteten, nicht gesündigt zu haben. Es mochten dies wohl die Gnostiker gewesen sein. Es waren dies Menschen, vor denen auch Paulus warnte (1. Tim 6,20.21). Das war aber nichts anderes als ein offenbares Leugnen des Zeugnisses Gottes, das immer wieder den traurigen Zustand des Menschen von Natur beschreibt. Durch solch eine Behauptung wurde Gott selbst zum Lügner gestempelt. Wie furchtbar ist das! Zugleich brachte es den Beweis, dass in den Herzen derer, die solches sagten, das Wort Gottes nicht wirkte, ja nicht einmal Eingang gefunden hatte, um sie aus dem Sündenschlaf aufzuwecken.

Wenn es sich um die Erlösten des Herrn handelt, so war es gerade die Erkenntnis ihrer Sündenschuld, die sie zu Jesus geführt hatte. Durch den Glauben an seinen Namen hatten sie die Gewissheit der Vergebung ihrer Sünden erhalten, so dass sie dem Vater danksagen konnten, unter anderem auch dafür, dass Er sie „errettet hat aus der Gewalt der Finsternis und versetzt hat in das Reich des Sohnes seiner Liebe, in dem wir die Erlösung haben, die Vergebung der Sünden“ (Kol 1.12–14). Selbst wenn es sich um den Weg der Nachfolge handelt, würde es eine furchtbare Verblendung bedeuten, wenn jemand zu sagen wagte, dass bei ihm auf dem Pfad des Glaubens keine Sünden geschahen. Der Herr möge jeden seiner Geliebten vor solch einem Zustand bewahren! Wir möchten hier noch einmal die zwei bereits angeführten Stellen Psalm 19,12 und 1. Korinther 4,4 in Erinnerung bringen (Siehe auch Jak 3,2).

Man kann wohl sagen, dass, je treuer ein Kind Gottes begehrt, dem Herrn nachzufolgen, es auch umso mehr nicht allein seinen Zustand der Schwachheit, sondern auch so manchen Fehltritt und manches Versagen erkennt. Vor mehreren Jahren war der Schreiber zugegen, als ein alter, treuer Knecht des Herrn einem jüngeren Bruder, der viel auf sich hielt, sagte: „Ich bin in der Nachfolge des Herrn alt geworden. Mein Verlangen war stets, treu dem Herrn zu folgen und zu dienen. Wenn ich aber zurückblicke, dann muss ich bekennen, dass ich auch manchen Fehler begangen habe.“ Im Licht wandelnd, erkennen wir immer mehr die Gnade Gottes, die uns dem ewigen Verderben entrissen hat. Das macht uns demütig und bewahrt uns vor der Verblendung, zu sagen: „Ich habe nicht gesündigt“. Ergreifend ist das Zeugnis des Apostels Paulus, zu einer Zeit, als er schon Jahre dem Herrn angehörte und diente: „Das Wort ist gewiss und aller Annahme wert, dass Christus Jesus in die Welt gekommen ist, um Sünder zu erretten, von denen ich der erste bin“ (1. Tim 1,15; siehe auch Gal 2,17).

Äußerst ernst ist es, nur ein bloßes Lippenbekenntnis zu haben, verbunden mit einem Wandel in der Finsternis. In solch einem Fall sind wir Lügner, solche, die nicht durch Wahrheit geleitet werden. Wie verhängnisvoll ist es, zu sagen, „dass wir keine Sünde haben“! Das Ist ein schlimmer Selbstbetrug, der ernsthafte Folgen nach sich ziehen muss. Zugleich ist es ein Beweis, dass die Wahrheit Gottes in unseren Herzen noch nicht zu ihrem Recht gekommen ist. Noch viel ernster ist es aber, zu sagen, dass wir „nicht gesündigt haben“. In solch einer Person hat das Wort Gottes, das uns so klar bezeugt, was der Mensch ist, keinen Raum, und Gott ist dadurch zum Lügner gemacht. Wie furchtbar ist eine solche Verblendung! Möge keiner unserer Leser in einem solchen Zustand sein! Gesegnet ist aber der Wandel im Licht! Da genießt das Herz die Liebe des Christus, des Sohnes Gottes, und die Liebe des Vaters. Da erfreut man sich der wunderbaren Wirksamkeit und des ewigen Wertes des Blutes des Sohnes Gottes, durch das alles Gott entsprechend geordnet worden ist. Hier ist auch der unwandelbare Boden der Gemeinschaft der Kinder Gottes. Wie muss aber unser Herz trauern, im Gedanken daran, dass so viel Böses sich bei uns eingeschoben hat, dass der Zustand und die vielfach so ungesunden Verbindungen vieler Kinder Gottes die praktische Gemeinschaft in manchen Fällen geradezu unmöglich machen! Dennoch gilt es aber, im Herzen alle Gläubigen einzuschließen und mit Gebet und Flehen „für alle Heiligen“ einzutreten (Eph 6,18).

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