Der Prophet Daniel und seine Botschaft
alter Titel: Notizen zum Buch Daniel

Kapitel 4 - Hochmut kommt vor dem Fall

Der Prophet Daniel und seine Botschaft

Einleitung

Die Kapitel 3 und 4 bilden eine Einheit. Beide behandeln Begebenheiten aus der Geschichte Nebukadnezars und zeigen uns etwas von dem Charakter dieses ersten und mächtigen Weltherrschers. Wie schon bei der Betrachtung von Kapitel 3 unterscheiden wir erstens die geschichtliche Bedeutung, zweitens die prophetische Komponente und drittens die praktische (moralische) Unterweisung für uns.

Was uns beim Lesen unmittelbar auffällt ist die Tatsache, dass das Kapitel wie der Teil einer Autobiographie verfasst ist. Man könnte in Verbindung mit dem Ende von Kapitel 3 von einem „offenen Brief“ sprechen, den Nebukadnezar an alle Völker schreibt. Er spricht in weiten Teilen des Kapitels von sich selbst (ausgenommen die Verse 25–30).1 Gott wollte, dass der mächtige König selbst ein Zeugnis über seinen Hochmut ablegte, aber auch am Ende bezeugte, dass Gott der Höchste ist

Die geschichtliche Bedeutung

Nebukadnezar regierte insgesamt über 40 Jahre. In Kapitel 1 und 2 sehen wir ihn am Anfang seiner Regierung. Die Ereignisse von Kapitel 3 scheinen sich deutlich später ereignet zu haben, und in Kapitel 4 ist er in der zweiten Hälfte seiner Regierungszeit angekommen. Am Ende von Kapitel 2 gelangt Nebukadnezar zu einer gewissen Erkenntnis Gottes. Er gibt zu, dass Er der „Gott der Götter und Herr der Könige und ein Offenbarer der Geheimnisse“ ist (Vers 47). Am Ende von Kapitel 3 nennt er Ihn den „höchsten Gott“ (Vers 26), der auf wunderbare Weise rettet (Vers 29). Aber diese Kenntnis brachte ihn innerlich nicht weiter. Er war nicht bereit, sich selbst vor diesem Gott zu beugen. Er war äußerlich beeindruckt, aber sein Gewissen blieb weitgehend unberührt. Es brauchte ein weiteres Werk Gottes, um Nebukadnezar schließlich nicht nur zu einer intellektuellen Einsicht, sondern zu einer gewissen inneren Umkehr2 zu bewegen. Das finden wir in Kapitel 4.

Kapitel 3 spricht von Götzendienst und Ignoranz in Bezug auf die Rechte Gottes. Gleichzeitig lernen wir, wie unberechenbar und brutal menschliche Gewalt ist, wenn sie entartet. Kapitel 4 zeigt uns, wie Nebukadnezar jedes Bewusstsein der Beziehung zu Gott verliert und sich selbst überhebt. Als Folge seiner Arroganz wird er von Gott auf die Stufe eines Tieres erniedrigt, das keinen Verstand hat. Er lernt die Wahrheit der Worte des Herrn Jesus kennen: „Denn jeder, der sich selbst erhöht, wird erniedrigt werden“ (Lk 14,11; 18,14).

Gott tritt Nebukadnezar in den Weg, um seinen Hochmut und Eigenwillen zu brechen. Dazu lässt Er ihn erneut träumen. Wie in Kapitel 2 tritt Daniel als ein treuer Zeuge Gottes auf, deutet den Traum und gibt dem König eine ernste Warnung mit auf den Weg. Diese Warnung wird ignoriert, so dass das von Gott angekündigte Gericht nicht ausbleibt. Dieses Gericht über Nebukadnezar ist ein ganz persönliches Gericht, um ihn zur Buße zu leiten. Am Ende erreicht Gott sein Ziel und Nebukadnezar lernt seine Lektion. Das Kapitel endet mit einem beeindruckenden Lobpreis des Königs.

Die prophetische Komponente

Kapitel 2 gibt uns die erste große Weissagung über den Charakter der vier Weltreiche in der Zeit der Nationen. Der erste Traum Nebukadnezars zeigt ihre äußere Entwicklung. Kapitel 7 greift das Thema auf und vertieft es. Dazwischen liegen die geschichtlichen Kapitel 3 bis 6, die uns wesentliche moralische Charakterzüge und Verhaltensweisen sowie Merkmale dieser Weltreiche zeigen und wie sie ihre von Gott gegebene Macht missbrauchen. Das betrifft nicht nur die zu der Zeit Daniels existierenden Weltreiche Babylonien und Medopersien, sondern es geht um die gesamte Zeitperiode bis zum Ende. W. Kelly schreibt in diesem Zusammenhang: „Der Anfang der Reiche der Nationen ist nur ein Schatten dessen, was es am Ende sein wird.“ 3

Parallel lernen wir etwas über die Erfahrungen des gläubigen Überrestes der Juden in der Zeit der Nationen, besonders am Ende. Diese Erfahrungen bilden einen Schwerpunkt in Kapitel 3. Dort sehen wir, wie der Überrest der Juden wegen seiner Treue zu Gott schwer geprüft wird, aber wie Gott ihn in der Prüfung rettet. In Kapitel 4 hören wir nicht sehr viel über den Überrest4, sondern mehr über das Völkerhaupt. Das sind genau die beiden großen Themen des ganzen Buches Daniel. Sie werden hier in den Kapiteln 3 und 4 anschaulich illustriert.

  • Kapitel 3 lehrt uns, dass die Regenten der Weltmächte die von Gott gegebene Macht missbrauchen, um Gott und seine Rechte völlig an die Seite zu stellen und diejenigen zu unterdrücken, die Gott treu bleiben möchten. In der extremsten Form finden wir das ganz am Ende, wenn der römische Weltherrscher auftritt.
  • Kapitel 4 lehrt uns, dass die Regenten der Weltmächte sich selbst in den Mittelpunkt stellen und erhöhen. Die Macht und Autorität, die Gott ihnen gibt, werden benutzt, um sich selbst in Stolz und Hochmut zu präsentieren. Wenn man Gott und seine Gedanken an die Seite stellt, wird der Mensch wie ein Tier, das keinen Verstand hat und ohne jeden Bezug zu Gott lebt. Auch das finden wir in der extremsten Form am Ende der Zeit der Nationen. Nicht umsonst wird der letzte Weltherrscher ein „Tier“ genannt (Off 13,1).
  • Kapitel 4 korrespondiert auffallend mit dem, was wir später in dem rein prophetischen Teil des Buches Daniel in Kapitel 7 finden. Dazu einige Beispiele:
    1.) Daniel 7 beschreibt die Weltreiche als unvernünftige Tiere. In Kapitel 4 wird der erste Weltherrscher zu einem Tier. Für eine Zeitlang (das ist die Zeit der Nationen) wird sein menschliches Herz verwandelt und ihm wird das Herz eines Tieres gegeben (Vers 13).
    2.) Von dem ersten Tier – Nebukadnezar – wird in Kapitel 7 gesagt, dass es wie ein Mensch auf seine Füße gestellt und ihm ein Menschenherz gegeben wird. (Vers 4). Kapitel 4 beschreibt uns, wie Nebukadnezar geheilt wurde und ihm sein „Menschenherz“ zurückgegeben wurde.
    3.) Von dem letzten Tier – dem römischen Weltherrscher – heißt es in Kapitel 7,8 und 25, dass es „große Dinge“ gegen „den Höchsten“ redete. Das finden wir in Kapitel 4 bestätigt. Nebukadnezar – als „Prototyp“ des letzten Weltherrschers – redet große, d. h. prahlerische und vermessene Dinge.
    4.) Daniel 7 endet mit der Feststellung, dass Gottes Reich ein ewiges Reich ist und alle Herrschaften Ihm dienen und gehorchen (Vers 27). Das Gegenstück dazu ist Daniel 4,22.23. Dort lesen wir, dass Nebukadnezar anerkennt, dass der Höchste herrscht, und zwar vom Himmel aus. Am Ende der Geschichte wird Gott auf seine Weise zeigen, wer der höchste Gott ist, wer in Ewigkeit regiert und wer das letzte Wort hat. Das werden die Nationen einmal anerkennen.

Die praktische (moralische) Unterweisung

Wie Kapitel 3 ist auch Kapitel 4 nützlich zu unserer Unterweisung, damit wir als Menschen Gottes vollkommen sind, „zu jedem guten Werk völlig geschickt“ (2. Tim 3,17). Ich möchte besonders auf vier Punkte hinweisen:

  1. Daniel 4 ist ein eindrucksvoller Beweis für die Wahrheit der Worte Salomos: „Stolz geht dem Sturz, und Hochmut dem Fall voraus“ (Spr 16,18). In 1. Samuel 2,3 wird der Stolz zum ersten Mal in der Bibel erwähnt: „Häuft nicht Worte des Stolzes, noch gehe Freches aus eurem Mund hervor; denn ein Gott des Wissens ist der Herr, und von ihm werden die Handlungen gewogen.“ Das macht die Geschichte Nebukadnezars sehr deutlich. „Gott widersteht dem Hochmütigen“ (Jak 4,6; 1. Pet 5,5). Wir lernen gleichzeitig, dass Umkehr zu Gott immer möglich ist. Gott lässt einen Menschen nicht am Boden liegen. Wer zu Ihm aufsieht und sich demütigt, findet Gnade und Wiederherstellung.
  2. Daniel tritt in diesem Kapitel als ein Werkzeug auf, das Gott benutzen kann, um dem heidnischen König Nebukadnezar nicht nur das Gericht anzukündigen, sondern ihm eine klare und persönliche Botschaft zu übermitteln. Daniel war sich seiner Verantwortung bewusst. Er stand nicht nur vor dem höchsten Herrscher der Erde, sondern war gleichzeitig ein treuer Zeuge Gottes. Wir lernen, dass Gottesfurcht schwerer wiegt als Menschenfurcht. Daniel schämte sich seiner Botschaft nicht, sondern sagte dem König das, was nötig war. Er tat das, was Paulus viele Jahrhunderte später an Timotheus schrieb, der auch in einer schweren Zeit lebte: „Predige das Wort, halte darauf zu gelegener und ungelegener Zeit; überführe, weise ernstlich zurecht, ermahne mit aller Langmut und Lehre“ (2. Tim 4,2).
  3. Daniel 4 hat auch eine evangelistische Komponente. Nebukadnezar war ein vom Erfolg verwöhnter Mensch. Er hatte mehr, als er zum Leben brauchte. Aber er lebte ohne Gott in seiner eigenen Religion, in seinem eigenen Stolz und in Hochmut. Dann kam er in Kontakt mit Menschen, die eine Beziehung zu dem lebendigen Gott hatten. Doch das veränderte ihn zunächst nicht. Auch die frommen Worte, die er in Kapitel 2 und 3 sprach, brachten ihn nicht zu einer inneren Umkehr. Im Gegenteil: Er verhielt sich ausgesprochen gottlos. Er diente seinen Göttern, verfolgte die Gläubigen und redete stolze Worte gegen Gott. Dennoch gab es Hoffnung für den gottlosen Despoten. Wir lernen, dass es bei Gott keine hoffnungslosen Fälle gibt. Kein Mensch ist zu schlecht, um umkehren zu können.
  4. Die Geschichte Nebukadnezars zeigt klar, dass jede Bekehrung ein Werk Gottes ist. Natürlich muss der Sünder sich bekehren, aber Gott bewirkt es. Gott griff – wenn auch auf sehr harte Weise – in sein Leben ein und führte alles so, dass er schließlich zur Umkehr kam.

Verse 1–6: Nebukadnezar träumt erneut

Verhängnisvolle Ruhe

Nebukadnezar befand sich in der zweiten Hälfte seiner Regierungszeit. Seine Feinde waren unterworfen, er hatte sein Reich im Griff und es ging ihm gut. Ein erfolgsverwöhnter, mächtiger Herrscher, dem nichts zu fehlen schien. Was er erreichen konnte, hatte er erreicht. Er wohnte in einem prunkvollen Palast und genoss die Ruhe. Doch das sollte sich bald ändern.

Alles im Leben hat seine Zeit, doch jede Zeit hat gleichzeitig ihre speziellen Gefahren. Das gilt auch für Zeiten der Ruhe. Es sind Gelegenheiten für besondere Angriffe des Teufels. Wir sehen das deutlich im Leben Davids. In 2. Samuel 11 wird uns berichtet, dass David genau zu der Zeit, wo die Könige auszogen, in Jerusalem in seinem Palast blieb, um dort auszuruhen. Erst am Abend stand er auf, um auf dem Dach des Königshauses umherzugehen. Von dort aus sah er dann Bathseba, und das Unheil nahm seinen Lauf. Die Ruhe wurde ihm zum Verderben. Er wurde ein Ehebrecher und ein Mörder.

Gott gibt uns Menschen Zeiten der Ruhe, und diese brauchen wir auch (vgl. Mk 6,31). Aber falsche Ruhe ist riskant und bringt uns leicht auf schlechte Gedanken. Der natürliche Mensch ohne Gott findet seine Befriedigung gern in dem, was er selbst geschaffen und geleistet hat – aber eben ohne Gott. Der Herr Jesus illustriert das anschaulich in der Begebenheit des erfolgreichen Landwirtschaftsunternehmers, der – ähnlich wie Nebukadnezar – im Leben viel erreicht hatte. Er schien wenig falsch gemacht zu haben, war reich, satt und zufrieden und sagte zu sich selbst: „Seele, du hast viele Güter daliegen auf viele Jahre; ruhe aus, iss, trink, sei fröhlich“ (Lk 12,19). Aber er hatte seine Rechnung ohne Gott gemacht und damit den größten Fehler seines Lebens begangen. Gott griff in sein Leben ein und setzte ihm ein jähes Ende.

Nebukadnezar träumt

Gott bezeugte sich erneut durch einen Traum an Nebukadnezar, weil Er ein Ziel mit ihm hatte: „Im Traum, im Nachtgesicht, wenn tiefer Schlaf die Menschen befällt, im Schlummer auf dem Lager: Dann öffnet er das Ohr der Menschen und besiegelt die Unterweisung, die er ihnen gibt, um den Menschen von seinem Tun abzuwenden und damit er Übermut vor dem Mann verberge, dass er seine Seele zurückhalte von der Grube, und sein Leben vom Rennen ins Geschoss“ (Hiob 33,15–18).

Es ist schlecht vorstellbar, dass Nebukadnezar den Traum von Kapitel 2 je vergessen hatte, obwohl es Jahrzehnte her sein mochte, dass er ihn geträumt hatte. Erinnerungen mögen in ihm hochgekommen sein. Deshalb sein Erschrecken und seine Angst. Er hatte von Daniel gehört, dass sein Reich einmal zu Ende kommen würde. Wann das sein würde, wusste er allerdings nicht. Ahnte er, dass der zweite Traum deutlich persönlicher war? Jetzt ging es nicht mehr primär um sein Reich, sondern um ihn als Person.

Der erste Traum mochte Nebukadnezar noch in gewissem Sinn geschmeichelt haben und ihn sogar möglicherweise veranlasst haben, in Kapitel 3 das große Götzenbild aufzustellen. Immerhin war er das Haupt von Gold, während alle nachfolgenden Reiche mit weniger wertigen Materialien beschrieben wurden. Obwohl auch der erste Traum eine Warnung war, wird dieser Charakterzug im zweiten Traum deutlicher sichtbar. Gott warnte ihn vor seinem Hochmut und machte ihm klar, dass Er ihn tief erniedrigen würde. Von der höchsten Höhe würde es in die tiefste Tiefe gehen.

Die Reaktion des Königs und das erneute Versagen der Weisen Babels

Der König konnte die genaue Bedeutung des Traumes nicht wissen, aber dass er nichts Gutes verhieß, war ihm sofort klar. So wurde seine Ruhe jäh unterbrochen. Er bekam einen mächtigen Schrecken. Wenn Gott einen Menschen in seinem Inneren anspricht und aufrüttelt, ist das eine verständliche und gute Reaktion. Seine Sorge veranlasste ihn nun, nach einer Lösung zu suchen. Deshalb wandte er sich an seine Sterndeuter und Wahrsager. Doch vergeblich.

Man fragt sich, warum Nebukadnezar sich zum zweiten Mal an die falsche Adresse wandte. Daniel war doch der „Oberste der Wahrsagepriester“, und trotzdem wurde er zunächst nicht befragt. Musste der König nicht davon ausgehen, dass seine Leute ihm erneut nicht helfen konnten? Er gleicht hier Menschen, die aus Erfahrung nicht klug werden. Möglicherweise hatte er Angst vor der richtigen Deutung und erwartete von den okkulten Sterndeutern und Wahrsagern eine bessere Aussage. Dann gleicht er Menschen, die ihre Augen vor der Realität verschließen.

Es wird darüber hinaus deutlich, dass ein „fleischlicher“ und ein „geistlicher“ Mensch nicht zusammen passen. Eine vergleichbare Verhaltensweise zeigte König Saul David gegenüber. Einerseits schätzte er dessen Fähigkeiten sehr – als Harfenspieler und als Soldat – und nutzte sie gerne. Gleichzeitig hasste er den, der ihm half. Das ist eigentlich nicht erklärbar, es sei denn, wir berücksichtigen, dass die Gegenwart Davids vermutlich eine beständige Anklage für Saul war. Nebukadnezar hatte von der Interpretation des ersten Traumes durch Daniel profitiert, aber er zögerte dennoch, den Propheten Gottes in seiner Gegenwart zu haben.

Gott sorgte dafür, dass die Weisen Babels nichts Falsches erzählten, sondern unverrichteter Dinge wieder weggehen mussten. Wenn es um göttliche Dinge geht, kann menschliche Weisheit nichts ausrichten. Um göttliche Dinge zu verstehen, müssen wir von Gott unterwiesen werden – selbst wenn sie, wie hier, primär die Erde betreffen. So vernichtet Gott noch einmal die „Weisheit der Weisen“ und tut den „Verstand der Verständigen“ weg (1. Kor, 1,19). „Der natürliche Mensch aber nimmt nicht an, was des Geistes Gottes ist, denn es ist ihm Torheit, und er kann es nicht erkennen, weil es geistlich beurteilt wird“ (1. Kor 2,14). Deshalb kann nur Daniel – unter der Leitung Gottes – die Deutung des Traumes angeben. In den Augen Nebukadnezars wurde Daniel als Letzter befragt – sozusagen die letzte Hoffnung. In den Augen Gottes ist er der Erste und Einzige, der die Lösung hat.

Wenn wir den Bibeltext genau lesen, bleibt zunächst offen, ob die Weisen die Wahrheit nicht sagen konnten, oder ob sie es nicht wollten, oder ob beides der Fall war. Wir lesen am Anfang nur die Tatsache, dass sie ihm die Deutung nicht kundtaten.5 In Kapitel 2 wird ihre Unfähigkeit deutlicher ans Licht gestellt. Sie steht dort im Gegensatz zu der Weisheit Gottes, die in Daniel gefunden wurde. Hier könnte es neben ihrer Unfähigkeit auch Unwille sein, vielleicht aus Angst vor Strafe. Wenn es so ist, dann steht dieser Unwille dem Mut Daniels gegenüber, der sich nicht scheute, dem König die unangenehme Botschaft zu verkündigen. Denn obwohl sich Daniel zunächst ebenfalls zurückhaltend verhielt, sagte er dem König die ganze Wahrheit.

Daniel wird gerufen

Als letzter trat Daniel vor den König. Nebukadnezar redete ihn zweimal direkt mit seinem heidnischen Namen „Beltsazar“ an (Vers 6 und 15). In seinem Bericht bezeichnete er ihn jedoch sowohl mit seinem jüdischen Namen „Daniel“ als auch mit seinem neuen Namen (Vers 5). Die Tatsache, dass er von ihm als „Daniel“ sprach, mag ein Hinweis darauf sein, dass er ihn wertschätzte und nicht ganz vergessen hatte, welche Herkunft und welchen Charakter er hatte. Dennoch ist seine Ansprache typisch für einen heidnischen Götzendiener. Trotz der Erlebnisse von Kapitel 2 und 3 und trotz seiner „Bekenntnisse“ am Ende beider Kapitel hatte er noch nicht wirklich begriffen, wer Gott war. Ihm war wichtig, dass der Name Beltsazar „nach dem Namens meines Gottes“ war und dass „der Geist der Heiligen Götter“ 6 in ihm war (Verse 5 und 15). Abgesehen davon, dass damit klar wird, dass er um die besonderen Fähigkeiten Daniels wusste, macht diese Formulierung klar, wie stolz der König auf seine eigenen Götter war. Das unterstreicht den Charakterzug des Hochmuts, der gerade in diesem Kapitel so besonders deutlich wird.

Der Name Beltsazar, den Daniel bekommen hatte (vgl. Kap. 1,7), leitete sich von einem der wichtigen Götter Babels ab, und darauf war Nebukadnezar stolz. Bel war einer der Hauptgötter Babels. Obwohl Nebukadnezar in Kapitel 2 und 3 erfahren hatte, wie überlegen der Gott Daniels seinen Göttern gegenüber war, spricht er hier nicht von dem Gott Daniels, sondern von seinen eigenen Göttern. Erst am Ende des Kapitels kam er zu der Einsicht, dass Gott in der Tat „der Höchste“ ist (Vers 31). Noch ignorierte er diesen Gott und wollte trotz besseren Wissens nicht wahr haben, dass er seine Macht und Herrschaft letztlich diesem Gott verdankte. Nebukadnezar hatte zwar „Kenntnis“, aber es war keine wirkliche „Erkenntnis“ oder „Einsicht“.

Verse 7–24: Der Traum und seine Deutung

Der Traum wird berichtet

Anders als in Kapitel 2 erzählte Nebukadnezar diesmal seinen Traum. Er erzählte ihn so, wie er ihn gesehen hatte. Der Bericht lässt sich einfach in drei Teile einteilen, die Daniel in seiner Interpretation aufgreift:

  1. Die Vision des Baumes (Verse 7–9)
  2. Das Abhauen des Baumes (Verse 10–13)
  3. Das Ziel des Traumes (Vers 14)

Nebukadnezar schließt seinen Bericht mit den Worten, dass alle Weisen seines Königreiches ihm die Deutung nicht kundtun können, sondern nur Daniel alleine fähig sei, das zu tun. Damit erkannte der König zum einen die Unfähigkeit seiner okkulten Berater und zum anderen die Überlegenheit Daniels als Traumdeuter an. Allerdings schrieb er die Fähigkeit Daniels erneut seinen „heiligen Göttern“ zu und nicht dem „höchsten Gott“.

Das Entsetzen Daniels

Bevor der Traum interpretiert wird, zeigt uns der biblische Bericht, wie Daniel auf die Ansprache des Königs reagierte. Anders als in Kapitel 2 hatte Daniel offensichtlich sofort verstanden, was der Traum bedeutete. Dennoch schwieg er eine Zeitlang. Es ist eine göttliche Tugend, wenn wir „langsam zum Reden“ sind (Jak 1,19). Spontane Reaktionen können oft verhängnisvoll sein. Allerdings kam bei Daniel etwas anderes hinzu. Er „entsetzte sich“ und „seine Gedanken ängstigten ihn“. Der König schien das bemerkt zu haben und ermunterte ihn zu reden. Bevor Daniel dann auf den Traum einging, sagte er zunächst zum König: „Mein Herr, der Traum gelte deinen Hassern und seine Deutung deinen Feinden.“

Es ist nicht ganz klar, was Daniel motiviert haben mag, dem König auf diese Weise zu antworten. Der Bibeltext schweigt darüber und zeigt nur die Tatsachen. Einige Ausleger äußern vorsichtig den Gedanken, dass Daniel hier nicht auf der vollen Höhe des Glaubens gewesen sein könnte und über seinen eigentlichen prophetischen Auftrag hinausging. Sie begründen das damit, dass der Text an dieser Stelle nur den babylonischen Namen Daniels gebraucht und ausdrücklich sagt, dass „Beltsazar“ antwortete und sprach. Die Formulierung fällt in der Tat auf. Wenn wir jedoch bedenken, dass dies der gebräuchliche Name Daniels in Babel war und wir hier einen Bericht des heidnischen Königs selbst haben, muss das nicht unbedingt verwunderlich sein.7 Wir wollen mit jeder Form von Kritik sehr vorsichtig sein. Gott schweigt dazu und kommentiert das Verhalten Daniels nicht.

Vielmehr können wir aus dem Verhalten Daniels eine positive praktische Belehrung ziehen. Daniel befand sich als Exiljude in der Macht dieses unberechenbaren Despoten. Er hatte als junger Mensch nie die Gelegenheit gehabt, sein Leben so zu gestalten, wie andere junge Menschen es konnten. Er war immer durch eine fremde Macht und Kultur „fremdgesteuert“. Hinzu kam, dass er aus Erfahrung und Beobachtung wusste, wie grausam und unberechenbar Nebukadnezar sein konnte. Das Geschehen von Kapitel 3 war ihm nicht verborgen geblieben. Es wäre nun aus menschlicher Sicht durchaus nachvollziehbar gewesen, wenn Daniel an dieser Stelle Gedanken der Rache oder Genugtuung gehabt hätte. Andere hätten sich im Stillen darüber gefreut, dass Gott diesen König nun demütigen würde. Aber von solchen Gedanken lesen wir nichts. Im Gegenteil. Daniel war entsetzt und formulierte in seiner ersten Reaktion sein Mitempfinden.

In 2. Thessalonicher 1,6 lesen wir, dass es „bei Gott gerecht ist, denen, die euch bedrängen, mit Drangsal zu vergelten“. Das bleibt wahr. Aber das heißt noch lange nicht, dass wir uns darüber freuen sollen. Was Gott tut, ist immer gerecht, aber auf unserer Seite sollte jeder Gedanke von Genugtuung und innerer Freude darüber ausgeschlossen sein. In der Bergpredigt sagt der Herr: „Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen“ (Mt 5,44). Das ist prophetisch bedeutsam für den gläubigen Überrest kommender Tage, den Daniel symbolisiert. Es hat gleichzeitig eine Bedeutung für uns heute. Es mag Menschen geben, die uns unfreundlich oder gar feindlich gesonnen sind. Es gibt Menschen, die in offener Gottlosigkeit ihren Weg gehen. Dennoch sollte bei uns nie der Gedanke aufkommen, dass es gut ist, wenn sie einmal von Gott bestraft werden. Im Gegenteil: Wir wollen uns die Barmherzigkeit schenken lassen, Gefühle des Mitleids für sie zu haben. Paulus fordert Timotheus auf, für Menschen in Hoheit zu beten (1. Tim 2,1). Für uns scheint das relativ einfach zu sein. Für Timotheus und die Gläubigen damals schloss es ein, für einen grausamen Herrscher wie Kaiser Nero zu beten, einen Mann, der Paulus am Ende getötet hat. Gott ist ein Heiland-Gott, der alle Menschen retten will.8 Deshalb brauchen wir die Gesinnung eines Daniel oder Paulus im Blick auf die Menschen um uns herum.

Nach dieser Einleitung geht Daniel dann ausführlich auf die Details des Traumes ein und erklärt sie. Das unterstreicht die Wichtigkeit des Traumes und seiner Bedeutung.

Der große Baum

Nebukadnezar sah im Traum einen Baum, der zunächst von ihm selbst ausführlich beschrieben wird. In der Erklärung Daniels werden die genannten Merkmale wiederholt.

Ein Baum ist in der Bibel oft ein Symbol, das entweder mit Frucht in Verbindung gebracht wird (vgl. z. B. Ps 1,3; Jer 17,8) oder von einem Platz hoher Würde und Bedeutung spricht (vgl. z. B. Ri 9,8; Hes 17,24). Israel wird mehrfach mit einem Baum verglichen. Gott nennt das Volk einen „Weinstock“ und „Feigenbaum“ (Joel 1,7) und vergleicht es mit einem „grünen Olivenbaum, schön an herrlicher Frucht“ (Jer 11,16). In Hesekiel 17,23 werden beide Aspekte – Frucht und Würde – miteinander verbunden: „Auf den hohen Berg Israels werde ich ihn pflanzen; und er wird Zweige treiben und Frucht tragen und zu einer herrlichen Zeder werden; und unter ihr werden alle Vögel wohnen, alles Geflügelte – im Schatten ihrer Zweige werden sie wohnen.“ Allerdings hatte Israel als Volk bisher keine dauerhafte Frucht für Gott gebracht und seiner Würde nicht entsprochen. Deshalb wurde es an die Seite gesetzt (Mt 21,19–21). In Matthäus 13 steht der große Baum symbolisch für die bekennende Christenheit. Aus einem kleinen Senfkorn wurde ein großer Baum, in dem die Vögel des Himmels sich niederlassen (Mt 13,31.32). Das Bild ist durchaus nicht positiv, denn es ist ein entarteter Baum.

Nicht anders war es bei Nebukadnezar. Der Baum, von dem er träumte, war ebenfalls ein entarteter Baum. Die Beschreibung zeigt das klar. Er symbolisiert die Macht, die Gott ihm als dem ersten Vertreter der Herrscher in der Zeit der Nationen gegeben hatte. In diesem Sinn ist der Baum das Bild eines (be)herrschenden Regierungssystems bzw. des Regenten dieses Systems. In Hesekiel 31 wird ein ähnliches Bild für Assyrien gebraucht: „Siehe, Assur war eine Zeder auf dem Libanon, mit schönen Zweigen, ein Schatten spendender Wald und von hohem Wuchs; und sein Wipfel war zwischen den Wolken“ (Hes 31,3). Daniel sagt klar und unmissverständlich in seiner Deutung: „Der Baum bist du.“ Es geht also um den König selbst, wobei man den König nicht von seinem Reich trennen kann. Vers 19 betont, dass Nebukadnezar groß und stark geworden war, dass seine Größe wuchs und bis an den Himmel reichte und seine Herrschaft bis ans Ende der Erde. Der Baum machte nach außen einen gewaltigen Eindruck und wurde von den Menschen bewundert. Sieben Dinge werden genannt:

  1. Er stand mitten auf der Erde und wurde bis an das Ende der ganzen Erde gesehen: Das macht klar, dass sich die Herrschaft Nebukadnezars und seiner Nachfolger in der Zeit der Nationen auf diese Erde konzentriert. Sie sind mit dieser Erde verbunden.
  2. Seine Höhe war gewaltig und reichte bis an den Himmel: Das deutet den Hochmut Nebukadnezars und seiner Nachfolger an. Sie wollten immer höher hinaus. Das ist das Streben des Menschen von Anfang an. Der erste Turm, der in der Bibel genannt wird, zeigt das deutlich, und es sicher nicht zufällig, dass er in Babel stand: „Wohlan, bauen wir uns eine Stadt und einen Turm, dessen Spitze an den Himmel reicht, und machen wir uns einen Namen, dass wir nicht zerstreut werden über die ganze Erde!“ (1. Mo 11,4).9
  3. Er wurde groß und stark: Das macht klar, dass Nebukadnezar nicht von Anfang an groß und stark war.10 Es entwickelte sich mit der Zeit so. Gott hatte ihm die Macht gegeben. Alle Herrscher in der Zeit der Nationen sind nur unter der Zulassung Gottes groß und stark geworden.
  4. Sein Laub war schön: Das Laub spricht von dem, was nach außen sichtbar ist. Die Pracht und Herrlichkeit Nebukadnezars und anderer Herrscher war ohne Frage für das menschliche Auge beeindruckend.
  5. Seine Frucht war zahlreich und diente zur Nahrung für alle: 11 Das macht klar, dass die Menschen im Königreich Babels letztlich von ihrem obersten Regenten abhängig waren. Ohne ihn konnten sie nicht existieren. In der Zeit des letzten Repräsentanten der Zeiten der Nationen wird das nicht anders sein. In Offenbarung 13,17 lesen wir, „dass niemand kaufen oder verkaufen kann als nur der, der das Malzeichen hat, den Namen des Tieres oder die Zahl seines Namens“. Alle Menschen werden von diesem letzten „Tier“ abhängig sein.
  6. Die Tiere des Feldes fanden Schatten unter ihm: Der Schatten spricht symbolisch von Schutz und Sicherheit. Im Reich Nebukadnezars fanden die Menschen Schutz und Sicherheit, und auch in der Zukunft wird es gerade der Gedanke an „Frieden und Sicherheit“ sein, den die Menschen mit dem Reich in seiner letzten Form in Verbindung bringen (vgl. 1. Thes 5,3).
  7. Die Vögel des Himmels nährten sich von ihm: In Kapitel 2,38 hatte Daniel gesagt, dass Gott nicht nur Menschen und Feldtiere in die Hand des Königs gegeben hatte, sondern sogar die „Vögel des Himmels“. Das bestätigt sich hier und zeigt, wie weit die Machtausübung Nebukadnezars ging.

Was der König sah, war ein einziger Baum. Es gab keinen zweiten, der mit ihm zu vergleichen gewesen wäre.

Das Gericht wird angekündigt

Auf die Beschreibung des Baumes folgt die Ankündigung des Gerichts durch einen himmlischen Boten. Der Baum sollte nicht komplett vernichtet, wohl aber abgehauen und verdorben werden. Seine Zweige sollten weggeschnitten, sein Laub abgestreift und seine Frucht umhergestreut werden. Die Tiere unter ihm sollten fliehen. Das zeigt klar, dass es mit dem Baum zunächst ein Ende haben würde. All das, was der Baum für andere darstellte, war dahin. Was blieb, war für das menschliche Auge unsichtbar.

Dem Auge Gottes entgeht nichts. Er sieht vom Himmel auf die Erde und in die Herzen der Menschen. Er kannte den Hochmut des Königs und Er schickte einen Engel vom Himmel, um zu ihm zu reden. Der „Wächter und Heilige“ (Vers 10) ist offensichtlich ein Engel vom Himmel. Eigentlich handelt es sich um einen einzigen Ausdruck. Man könnte auch sagen: ein „heiliger Wächter“. Engel sind – im Alten wie im Neuen Testament – Diener Gottes (vgl. Ps 104,4, Heb 1,7.14). Nebukadnezar hatte von seinen eigenen Göttern gesprochen, aber nun antwortet der Gott des Himmels durch einen seiner Boten, der vom Himmel herabsteigt. Was der Engel zu sagen hatte, ist „ein Beschluss der Wächter“ und „ein Befehl der Heiligen“12 (Vers 14). Es ist gleichzeitig – und das gibt dieser Aussage noch mehr Gewicht – ein „Beschluss des Höchsten“ (Vers 21). Das ist niemand anderes als Gott selbst, der über jede irdische Macht weit erhoben ist. Das alles steht im deutlichen Gegensatz zu den Göttern Babels. Von diesen Göttern hatte Jesaja lange vorher gesagt: „Bel krümmt sich, Nebo sinkt zusammen; ihre Bilder sind dem Tier und dem Vieh zuteil geworden; eure Tragbilder sind aufgeladen, eine Last für das ermüdete Vieh“ (Jes 46,1). Das bewahrheitet sich unter anderem in unserem Kapitel.

Das Gericht ist ganz offensichtlich ein persönliches Gericht an dem Herrscher des ersten Weltreiches. In Kapitel 2 ist Nebukadnezar das Haupt von Gold. Auch dort wird ein Gericht beschrieben, aber es trifft nicht nur das Haupt, sondern das gesamte Bild. Es ist das noch ausstehende Endgericht über alle Weltreiche. Nebukadnezar selbst würde einen Nachfolger haben, und erst unter seinem Nachfolger würde das Reich in die nächste Form übergehen. Aber hier geht es um den König selbst. Das Gericht sollte ihn treffen. Daran gab es keinen Zweifel.

David schreibt: „Ich habe einen Gottlosen gesehen, der gewaltig (gewalttätig) war und der sich ausbreitete wie ein saftvoller Spross; und man ging vorbei, und siehe, er war nicht mehr da; und ich suchte ihn, und er wurde nicht gefunden“ (Ps 37,35.36). Das ist die Geschichte jedes gottlosen Menschen, auch die von Nebukadnezar. Assyrien war es ähnlich ergangen. Wir sahen schon, dass diese Macht ebenfalls im Bild eines Baumes vorgestellt wird. Im gleichen Kapitel lesen wir: „Und Fremde, die Gewalttätigsten der Nationen, hieben ihn um und warfen ihn hin; seine Schösslinge fielen auf die Berge und in alle Täler, und seine Äste wurden zerbrochen und in alle Talgründe der Erde geworfen; und alle Völker der Erde zogen aus seinem Schatten weg und ließen ihn liegen“ (Hes 31,12). Das Gericht an Assyrien wurde von den Nationen ausgeübt. Das Gericht an Nebukadnezar würde von Gott selbst ausgeübt werden. Wenn wir an den letzten Weltherrscher denken, ist es ebenfalls der Herr Jesus, der dieses Gericht selbst ausübt (vgl. Off 19,19.20)

Der Baum wird umgehauen und verdorben

Der Baum sollte zum einen umgehauen und zum anderen verdorben werden. Das war ein doppeltes Gericht. Daniel erklärt, was das bedeutet. Erstens würden das Königtum und die Herrschaft weggenommen werden. Zweitens würde der König auf das Niveau eines Tieres herabsinken. Sein menschliches Herz würde sich in das Herz eines Tieres verwandeln. Mit anderen Worten: Der König würde wahnsinnig werden. Er würde von den Menschen ausgestoßen werden und bei den Tieren des Feldes wohnen. Er sollte Kraut essen und sich vom Tau des Himmels benetzen lassen. Es ist offensichtlich, dass es sich um ein persönliches Strafgericht Gottes handelte und nicht um das Ende des Babylonischen Reiches. Das finden wir später in dem Gericht über Belsazar, das sowohl sein persönliches Ende als auch das seines Reiches bedeutete (Dan 5,30.31).

Gott lässt keinen Zweifel daran, wer über den Obrigkeiten steht. Und Er lässt ebenso keinen Zweifel daran, dass sie nicht tun und lassen können, was ihnen beliebt. Gott setzt die Grenzen fest. Das war damals so, das ist heute so und das wird in der Zeit des kommenden römischen Weltherrschers so sein.

Mit der Gerichtsankündigung ist ein Wort der Hoffnung verbunden. Der Baum sollte zwar abgehauen, der Wurzelspross aber in der Erde gelassen werden. Hiob sagt: „Denn für den Baum gibt es Hoffnung: Wird er abgehauen, so schlägt er wieder aus, und seine Schösslinge hören nicht auf“ (Hiob 14,7). Allerdings würde es eine Zeitlang dauern. Bis dahin sollte der Wurzelspross in „Fesseln aus Eisen und Kupfer“ verwahrt werden. Das Eisen spricht von Festigkeit, und Kupfer (oder Erz) hat häufig mit der Gerechtigkeit Gottes im Gericht zu tun.13 Das macht deutlich, dass das zeitliche Gericht über Nebukadnezar fest beschlossen war und der Gerechtigkeit Gottes entsprach. Es war die Folge seines eigenen Verhaltens. Der Tau des Himmels, der dann erwähnt wird, zeigt klar, dass Gott seine Hand nicht dauerhaft abziehen würde. Der Tau des Himmels – zum ersten Mal in 1. Mose 27,28 erwähnt – spricht von der Zuwendung Gottes in Güte. Das würde der König nach der Zeit der Erniedrigung erfahren.

Sieben Zeiten

Nebukadnezar hörte die Worte der Gerichtsankündigung, aber er hörte auch, dass dieses Gericht „nur“ für eine bestimmte Zeit sein sollte. Der Wurzelstock des Baumes sollte in der Erde bleiben. Sieben Zeiten sollten vergehen. Daniel erklärt das so, dass ihm das Königtum zurückgegeben werden sollte, sobald er erkannt hatte, dass der Höchste über das Königtum herrscht und es verleiht, wem Er will. Der König sollte also seine königliche Würde und Position für eine Zeit verlieren, nicht aber das Königtum selbst. Der Stumpf sollte gelassen werden.

Der Ausdruck „Zeiten“ weist auf eine bestimmte und festgelegte Zeitperiode hin. Der Ausdruck wird viermal in unserem Kapitel erwähnt (Verse 13.20.22.29). Diese Zeit reichte aus, um den König zu lehren, dass nicht er, sondern die Himmel herrschen und dass nicht sein, sondern Gottes Reich ein ewiges Reich ist.

Wie lange die sieben Zeiten dauerten, können wir nicht mit letzter Sicherheit sagen. Der Ausdruck ist etwas vage. Die Zahl sieben weist jedenfalls darauf hin, dass es eine von Gott bestimmte und abgemessene vollständige Zeitperiode war. Er bestimmte den Anfang und das Ende. Ein Vergleich mit Daniel 12,7 und Offenbarung 12,14 lässt jedoch daran denken, dass es mit großer Wahrscheinlichkeit sieben Jahre14 waren. Daran schließt sich die Frage an, was diese sieben Zeiten prophetisch symbolisieren. Dazu geben bibeltreue Ausleger zwei Erklärungen ab, die beide in den Zusammenhang des Buches Daniel passen können:

  1. In Verbindung mit den 70 Jahrwochen in Daniel 9,24 und speziell mit der letzten Jahrwoche denken einige Ausleger bevorzugt an die letzten sieben Jahre der Zeiten der Nationen, die speziell durch die Gewaltherrschaft des römischen Weltherrschers geprägt sein werden. Die Zeiten der Nationen enden mit diesen sieben Kalenderjahren. In dieser Zeit regiert ein Herrscher, der sich in der Tat wie ein wildes Tier benehmen wird, der völlig unvernünftig und arrogant handelt und in gar keiner Weise mit dem Gott des Himmels rechnet. Er tritt zu einem bestimmten Zeitpunkt nach der Entrückung der Gläubigen auf, wenn die Versammlung Gottes nicht mehr auf der Erde ist. Dann wird das Böse völlig offenbar, weil nichts und niemand mehr da ist, das bzw. der bremst (2. Thes 2,3–12). Jetzt sind die Obrigkeiten noch von Gott eingesetzt (Röm 13,1). Das galt auch für Nebukadnezar. Aber dann wird es anders sein. Der kommende Herrscher ist das Tier, das direkt aus dem Abgrund kommt (Off 17,8) und seine Macht direkt aus der Hand Satans empfängt. Der Charakter dieser Regierung ist also ein anderer als bis dahin – auch wenn es immer schon satanische Despoten gegeben hat. Aber in den letzten sieben Jahren wird sich das „tierische“ Herz dieses Weltherrschers zeigen wie nie zuvor. Die Zeitlänge ist von Gott festgesetzt. Danach beginnt die Regierung des Himmels über der Erde, das ist das Tausendjährige Reich, in dem der Sohn des Menschen regieren wird.15
  2. Andere Ausleger beziehen diese sieben Jahre auf die komplette Periode der Zeiten der Nationen, von der kein Mensch genau weiß, wie lange sie dauert. Gott legt sie fest. Diese Erklärung scheint insofern einleuchtend zu sein, weil Daniel 7 von vier Tieren spricht und damit die vier großen Reiche meint, die während der gesamten Zeit die Herrschaft ausüben (Babylonien, Medo-Persien, Griechenland, Rom). Alle Herrscher in dieser Zeit benehmen sich letztlich wie unvernünftige Tiere, die sich selbst erheben und nicht mit den Geboten Gottes rechnen. Von wenigen Ausnahmen16 abgesehen, waren in der ganzen Phase der Zeiten der Nationen tatsächlich Regenten an der Macht, die bewiesen haben, dass sie mit Gott nichts zu tun haben wollten. Sie alle trugen – mehr oder weniger ausgeprägt – denselben moralischen Charakter, den hier der König von Babel offenbart.17

Das Ziel des Traumes

Der Traum hatte ein klares Ziel. Das macht der „Beschluss des Wächters“ bereits dem träumenden König klar: „... damit die Lebenden erkennen, dass der Höchste über das Königtum der Menschen herrscht und es verleiht, wem er will, und den Niedrigsten der Menschen darüber bestellt.“ Daniel erwähnt dieses Ziel in seiner Traumdeutung ebenfalls: Der König sollte erkennen, „dass der Höchste herrscht“ und „dass die Himmel herrschen“. Wenn wir den Text genau lesen, ist viermal von diesem „Erkennen“ die Rede (Verse 14.22.23.29).

Vers 14 macht klar, dass die Botschaft des Traumes nicht nur Nebukadnezar galt. Für ihn war es zuerst ein persönliches Gericht, aber ebenso ein Beweis der Barmherzigkeit Gottes, der ihm das Königtum wiedergeben würde. Der Augenblick sollte kommen, wenn er zur Einsicht kommen würde. Dann würde er nicht mehr auf sich vertrauen, sondern Gott die Ehre geben.

Der Traum lehrt alle Lebenden eine wichtige Lektion. Es geht nicht um unsere eigene Ehre und um das, was wir erreicht haben. Das Ziel Gottes mit dieser Erde ist nicht, sie dauerhaft unter die Herrschaft der Nationen zu stellen. Er hat „einen Tag festgesetzt, an dem er den Erdkreis richten wird in Gerechtigkeit durch einen Mann, den er dazu bestimmt hat“ (Apg 17,31). Das ist der Beginn des Tausendjährigen Reiches. Drei Dinge werden von der Regierung in diesem Reich gesagt:

  1. Der Höchste wird herrschen: Der „Höchste“ ist – wie wir später noch sehen werden – ein Titel Gottes in Verbindung mit der Herrschaft im kommenden Reich Gottes (vgl. Ps 89,28).
  2. Die Himmel werden herrschen: Das ist ein besonderer Ausdruck, den ich gerne mit dem „Reich der Himmel“ in Verbindung bringen möchte. Johannes der Täufer kündigte das Reich der Himmel an. Der Herr Jesus hat darüber gesprochen. Heute existiert es in einer verborgenen Form. Das ist der Grund, warum der Herr Jesus im Matthäus-Evangelium – dem Evangelium des Königs – wiederholt von den „Geheimnissen des Reiches der Himmel“ spricht. Aber einmal wird es kein Geheimnis mehr sein. Dann regiert der Sohn des Menschen vom Himmel aus über die Erde, um sie zu segnen. Dieses „Reich der Himmel“ ist nicht mit dem Himmel zu verwechseln. Es ist nicht das, was man landläufig unter dem „Himmelreich“ versteht. Das „Reich der Himmel“ ist ein anderer Ausdruck für das Reich Gottes, das auf dieser Erde existiert.18
  3. Der Höchste verleiht das Reich, wem Er will, und Er bestellt „den Niedrigsten der Menschen“ darüber: Wir denken dabei zunächst an Nebukadnezar. Gott hatte es ihm gegeben. Er hatte es ihm weggenommen, und Er würde es ihm wiedergeben, nachdem er auf die tiefste Stufe hinabgesunken war. Wir können bei dieser Aussage aber auch an den Herrn Jesus denken, den Sohn des Menschen (Dan 7,13.14). Er ist in Wahrheit der „Niedrigste der Menschen“ geworden. Im Unterschied zu Nebukadnezar wurde Er nicht wegen eigenen Fehlverhaltens erniedrigt, sondern Er erniedrigte sich selbst – freiwillig. Wir bringen diese Aussage mit Psalm 8 in Verbindung. Dort finden wir den Herrn Jesus ebenfalls als den Sohn des Menschen vorgestellt, der über alle Werke der Hände Gottes regiert (Ps 8,7). Doch vorher heißt es: „Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst, und des Menschen Sohn, dass du auf ihn Acht hast? Denn ein wenig hast du ihn unter die Engel erniedrigt; und mit Herrlichkeit und Pracht hast du ihn gekrönt“ (Ps 8,5.6). Er, der hier auf dieser Erde freiwillig den niedrigsten Platz eingenommen hat und sich selbst zu nichts gemacht hat, wird dann von Gott zum Herrscher bestimmt sein. Alle intelligenten Wesen werden sich vor Ihm beugen müssen und jede Zunge wird bekennen, „dass Jesus Christus Herr ist“ (Phil 2,11). „Der Niedrigste der Menschen“ ist letztlich niemand anderes als „der Höchste“. „Wer sich selbst erniedrigen wird, wird erhöht werden“ (Mt 23,12).

Der Rat Daniels

Daniel belässt es nicht dabei, den Traum zu deuten, sondern fügt einen Rat an. Dieser Rat ist höflich formuliert, aber nichtsdestoweniger eindeutig und klar. Daniel ist sich seiner untergeordneten Stellung bewusst und sagt: „Darum, o König, lass dir meinen Rat gefallen.“ Eine ähnliche Verhaltensweise finden wir bei Paulus, der den Statthalter Festus in seiner Ansprache mit „vortrefflichster Festus“ anredete (Apg 26,25). Davon können wir lernen. Die Botschaft des Evangeliums gibt uns nicht die Freiheit, menschliche Autoritäten zu ignorieren. Petrus schreibt: „Ehrt den König“ (1. Pet 2,17). Das gilt für alle von Gott gegebenen Autoritäten.

Für Nebukadnezar gab es eine Möglichkeit, dem Urteil Gottes zu entkommen. Jedenfalls deutet Daniel das an. Der Traum beinhaltete eine klare Warnung. Er glich einer Weissagung mit Bedingungen. Als Jona nach Ninive ging, predigte er nichts als eine Gerichtsbotschaft. Ninive sollte in vierzig Tagen umgekehrt werden (Jona 3,4). Die Leute von Ninive nahmen diese Botschaft zu Herzen. Sie taten Buße und das Gericht wurde aufgeschoben. Gott ist langsam zum Zorn und groß an Güte. Nebukadnezar hatte seine Chance. Doch er verpasste sie.

Bei allem Respekt vor dem König war Daniel gleichzeitig sehr mutig. Er kannte den König. Er kannte seinen Lebensstil. Er kannte seine Unbeherrschtheit. Dennoch sagte er ihm die Wahrheit und forderte ihn zur Buße auf. Er sollte mit seinen Sünden brechen, sonst würde der Friede keinen Bestand haben. Daniel stellte den Sünden die Gerechtigkeit und der Ungerechtigkeit die Barmherzigkeit gegenüber. Sünden und Gerechtigkeit haben es mit dem Verhalten Gott gegenüber zu tun. Ungerechtigkeit und Barmherzigkeit beziehen sich mehr auf das Verhalten Menschen gegenüber. Offensichtlich war der König in beiden Fällen schuldig geworden. Praktizierte Gerechtigkeit und erkennbares Mitleid wären der Beweis einer inneren Umkehr gewesen. Es wären die Früchte gewesen, an denen man seine innere Umkehr erkannt hätte. „Wer seine Übertretungen verbirgt, wird kein Gelingen haben; wer sie aber bekennt und lässt, wird Barmherzigkeit erlangen“ (Spr 28,13). „Er hat dir kundgetan, o Mensch, was gut ist; und was fordert der Herr von dir, als Recht zu üben und Güte zu lieben und demütig zu wandeln mit deinem Gott?“ (Micha 6,8).

Daniel repräsentiert hier einerseits den jüdischen Überrest kommender Tage. In Kapitel 2 sehen wir besonders die Weisheit und Abhängigkeit des Überrestes, in Kapitel 3 Hingabe an Gott und Treue und in Kapitel 4 den Mut und die Entschiedenheit im Zeugnis, die den Überrest kennzeichnen.

Das Beispiel Daniels ist andererseits richtungsweisend für uns. Gott hat uns zu einem Zeugnis für die Menschen auf dieser Erde gelassen. Wir sollen sie warnen vor dem Gericht, das auf sie wartet, wenn sie nicht umkehren. Wir müssen ihnen sagen, dass ihre Sünden ihr Verhältnis zu Gott zerstören und das Gericht über sie bringen wird. Wir dürfen ihnen die Wahrheit nicht verschweigen (vgl. 2. Kön 7,9). Ein positives Beispiel ist Paulus vor Felix. Er hat mit diesem hochgestellten Mann ebenso Klartext gesprochen wie Daniel und über „Gerechtigkeit und Enthaltsamkeit und das kommende Gericht“ geredet“ (Apg 24,25). Gleiches finden wir bei Johannes, dem Täufer. Er sagte dem König Herodes klipp und klar: „Es ist dir nicht erlaubt, die Frau deines Bruders zu haben“ (Mk 6,18). Ein treuer Zeuge sagt nicht das, was der Zuhörer hören will, sondern das, was dieser hören muss – egal, ob es ihm gefällt oder nicht. Ein weichgewaschenes und angepasstes Evangelium ist gar kein Evangelium.19

Nebukadnezar wird hier nicht zum ersten Mal gewarnt. Gott war ihm bereits mehrfach in den Weg getreten. „Doch in einer Weise redet Gott und in zweien, ohne dass man es beachtet“ (Hiob 33,14). „Siehe, das alles tut Gott zwei-, dreimal mit dem Mann“ (Hiob 33,29). So war es in der Zeit Noahs, des Predigers der Gerechtigkeit, der ebenfalls das Gericht ankündigte (1. Pet 3,20). So war es bei Pharao, über den zehn Plagen kamen, bevor Gott schließlich das finale Gericht über ihn brachte. So war es nach der Kreuzigung, als Gott vierzig Jahre wartete, bis das Gericht über Jerusalem kam. So ist es bis heute. „Der Herr zögert die Verheißung nicht hinaus, wie es einige für ein Hinauszögern halten, sondern er ist langmütig gegen euch, da er nicht will, dass irgendwelche verloren gehen, sondern dass alle zur Buße kommen“ (2. Pet 3,9).

Wie der König die Worte Daniels aufgenommen hat, wird uns nicht gesagt. Er ging zwar in seinen Worten nicht so weit wie der Pharao, der frech fragte: „Wer ist der Herr, auf dessen Stimme ich hören soll ...? Ich kenne den Herrn nicht ...“ (2. Mo 5,2). Jedenfalls blieb die Botschaft ohne Konsequenzen für ihn. Er scheint gleichgültig gewesen zu sein. Der biblische Bericht sagt nur: „Dies alles kam über den König Nebukadnezar.“ Dass es bis dahin ein Jahr dauerte, mag ein Hinweis darauf sein, dass die Warnung vielleicht für eine gewisse Zeit wirkte, aber nicht dauerhaft.

Verse 25–30: Die Erfüllung des Traumes – Teil 1: Nebukadnezar wird erniedrigt

Genaue Erfüllung

Babel war durch Nebukadnezar zu einer großen und bedeutenden Stadt geworden. Die hängenden Gärten Babylons gelten als eines der Weltwunder der Antike.20 Er selbst war ein mächtiger und gewaltiger Herrscher. Aber das alles machte Nebukadnezar nur stolz und hochmütig und wurde ihm schließlich zum Verhängnis.

Das Gericht über den König war ausgesprochen worden. Er wusste genau, was über ihn kommen würde. Nach Verlauf eines Jahres erfüllte sich der Traum in allen Einzelheiten. Das konnte nicht anders sein. Die Mühlen Gottes mahlen langsam, aber sehr genau: „Nicht ein Mensch ist Gott, dass er lüge, noch ein Menschensohn, dass er bereue. Sollte er sprechen und es nicht tun, und reden und es nicht aufrechterhalten?“ (4. Mo 23,19). Was Gott voraussagt, geschieht exakt. Das galt damals für Nebukadnezar. Das gilt im Blick auf die noch zukünftige Entwicklung in den Zeiten der Nationen. Es gibt nicht den geringsten Zweifel daran, dass sich die biblische Prophetie genau erfüllen wird, so wie sich vieles bereits genau erfüllt hat. Gott lässt durch den Propheten Jesaja sagen: „Und ich werde an dem Erdkreis heimsuchen die Bosheit und an den Gottlosen ihre Ungerechtigkeit, und ich werde dem Hochmut der Übermütigen ein Ende machen und den Stolz der Gewalttätigen erniedrigen“ (Jes 13,11).

Das Geschehen von Daniel 4 ist nicht nur biblisch belegt, sondern wird durch Autoren der antiken Welt bestätigt. Sie bezeugen, dass Nebukadnezar, nachdem er seine großen Kriege geführt hatte, plötzlich für eine bestimme Zeit von der Bildfläche verschwand und erst kurz vor seinem Tod wieder in Erscheinung trat. Sie sagen, dass er zuletzt auf dem Dach seines Palastes gesehen wurde und dann von einer eigenartigen Krankheit getroffen wurde.21

Allerdings – und das macht der Text in Daniel 4 ebenfalls klar – ist Gott in der Ausübung des Gerichts nicht schnell. Gott wartet und gibt Gelegenheit zur Buße. Das Gericht ist angekündigt, aber es wird nicht sofort vollzogen. Leider machen es viele Menschen wie Nebukadnezar. Sie ignorieren und verachten „den Reichtum seiner Güte und Geduld und Langmut“ und denken nicht daran, dass die Güte Gottes sie zur Buße leiten will (Röm 2,4). Er gab dem König von Babel ein Jahr lang Zeit. Gott ist langsam zum Zorn. Das Wort des Predigers bewahrheitet sich: „Weil das Urteil über böse Taten nicht schnell vollzogen wird, darum ist das Herz der Menschenkinder in ihnen voll, Böses zu tun“ (Pred 8,11). Eine ähnliche Verhaltensweise finden wir bei dem König von Ägypten. Über ihn lesen wir: „Man rief dort: Der Pharao, der König von Ägypten, ist verloren; er hat die bestimmte Zeit vorübergehen lassen!“ (Jer 46,17). Gott gibt jedem Menschen eine bestimmte Zeit. So war es bei Noah, bei dem Pharao, und so ist es heute. Die meisten Menschen verpassen diese Zeit. Eine seltene Ausnahme finden wir bei den bereits zitierten Bewohnern von Ninive, die die relativ kurze Zeit von nur 40 Tagen nutzten, um echte Buße zu tun. Gott warnt uns Menschen. Er gibt uns Zeit zur Umkehr. Aber wenn wir nicht hören wollen, gibt es keine Schonung. Dieses Prinzip können wir auch in der Regierung Gottes mit seinen Kindern beobachten. Das Volk Israel wurde mehrfach ernstlich gewarnt, bevor es in die Gefangenschaft nach Babel geführt wurde. Auch dieses Gericht war von Gott angekündigt worden.22

Stolz und Hochmut

Ein Jahr nach seinem Traum ging der König auf seinem prachtvollen Palast umher. Beim Anblick der Stadt wurde sein Herz mit Stolz erfüllt und sein Mund sprach das aus, was schon lange in seinem Herzen war. Der Herr Jesus sagte einmal: „Aus der Fülle des Herzens spricht der Mund“ (Mt 12,34). Das bewahrheitet sich hier. Der König nannte die Stadt „das große Babel, das ich zum königlichen Wohnsitz erbaut habe durch die Stärke meiner Macht und zu Ehren meiner Herrlichkeit“23. Obwohl er von Gott eindeutig vor dieser Sünde gewarnt worden war, beging er sie doch. Die Warnung Gottes löste keine Reaktion bei ihm aus. Er missachtete sie. Er verneinte Gott und rechnete nicht mit Ihm. Er selbst stand im Mittelpunkt seiner Gedanken und Überlegungen. Alles das, was Gott ihm gegeben hatte – das Königtum, die Macht, die Herrschaft, den Erfolg, den Reichtum – schrieb er sich selbst zu. Er sagte: „Ich habe die Stadt erbaut, und ich habe es durch die Stärke meiner Macht und zu Ehren meiner Herrlichkeit getan.“ Nebukadnezar schreibt seinen Erfolg hier nicht einmal seinen Göttern zu, sondern sich selbst. Er war hochmütiger, als er je gewesen war, und illustriert damit den Hochmut und die Arroganz des letzten Weltherrschers, der noch einen Schritt weiter gehen und sich selbst zum Gott machen wird (vgl. 2. Thes 2,4). Gott sagt an anderer Stelle: „Meine Ehre gebe ich keinem anderen“ (Jes 42,8; 48,11). Das musste Nebukadnezar nun schmerzlich erfahren.

Darin liegt eine Lektion für alle Menschen. Der große Baum – im Speziellen ein Bild von Nebukadnezar – hat eine Ansprache für uns: Er repräsentiert (allgemeiner gefasst) den natürlichen Menschen, dessen Bosheit groß ist und „alles Gebilde der Gedanken seines Herzens nur böse den ganzen Tag“ (1. Mo 6,5). Gott warnt uns eindringlich vor Stolz und Hochmut: „Stolz und Hochmut und den Weg des Bösen und den Mund der Verkehrtheit hasse ich“ (Spr 8,13). Gott widersteht dem Hochmut des Menschen. Er lässt uns auch die Folgen wissen: „Das Haus der Stolzen reißt der Herr nieder“ (Spr 15,25). „Stolz geht dem Sturz, und Hochmut dem Fall voraus“ (Spr 16,18). Seinem Volk Israel sagte er einmal: „Und ich werde euren starren Hochmut brechen und werde euren Himmel wie Eisen machen und eure Erde wie Erz“ (3. Mo 26,19). Das ist die erste Stelle in der Bibel, wo der Hochmut erwähnt wird. Das Gegenteil von Hochmut ist Demut. Diese Tugend lernen wir bei unserem Herrn, der Gott gepriesen in Ewigkeit ist und sich doch zu nichts gemacht hat (vgl. Phil 2,5). Er war „von Herzen demütig“ (Mt 11,29). Er dachte nicht an sich, sondern an andere.

Das Gericht wird vollzogen

Das, was das natürliche Auge Nebukadnezars sah und was ihn mit Stolz erfüllte, machte ihn für die – wenn auch unsichtbare – Realität blind. Er hatte das Wort noch nicht ganz ausgesprochen, als eine Stimme von Himmel kam. Jetzt war es keine Warnung mehr, sondern der unmittelbare Vollzug des Gerichts wird verkündet. Wenn Gottes Stunde gekommen ist, kann niemand sie mehr aufhalten. Den Obrigkeiten in der Endzeit wird es nicht anders ergehen. Gott wird ihnen eine bestimmte Zeit geben, aber dann kommt der von Ihm festgelegte Zeitpunkt, wo der Herr Jesus auf diese Erde kommt und das große Endgericht beginnt.

Gott ist langmütig und barmherzig, wer die Gnade Gottes jedoch dauerhaft mit Füßen tritt, trägt die Folgen. Nebukadnezar erinnert uns an den reichen und stolzen Landwirt, von dem der Herr Jesus sprach. Ihm sagte Gott: „Du Tor! In dieser Nacht fordert man deine Seele von dir; was du aber bereitet hast, für wen wird es sein?“ (Lk 12,20). So ergeht es heute vielen Menschen. Wohlstand und Erfolg führen leicht dahin, dass man Gott „außen vor lässt“ und selbstzufrieden alle Warnungen in den Wind schlägt. „Aber siehe, Wonne und Freude, Rinderwürgen und Schafeschlachten, Fleischessen und Weintrinken: ‚Lasst uns essen und trinken, denn morgen sterben wir!‘“ (Jes 22,13). Das kommende Gericht wird verdrängt. Der Herr Jesus vergleicht diese Verhaltensweise einmal mit den Tagen Noahs und den Tagen Lots. Auch dort lief das Leben in Saus und Braus. Sie aßen, tranken, heirateten, kauften, verkauften, pflanzten und bauten. Das ganze Leben war auf Egoismus und Bedürfnisbefriedigung aufgebaut. An das Gericht dachte niemand (Lk 17,26–28). Bezeichnenderweise bezieht der Herr das unmittelbar auf die Zeit, bevor Er in Macht und Herrlichkeit zum Gericht erscheinen wird: „Und wie es in den Tagen Noahs geschah, so wird es auch in den Tagen des Sohnes des Menschen sein“ (Lk 17,26). „An dem Tag aber, als Lot aus Sodom herausging, regnete es Feuer und Schwefel vom Himmel und brachte alle um. Ebenso wird es an dem Tag sein, da der Sohn des Menschen offenbart wird“ (Lk 17,29.30). Das Gericht wird kommen – daran gibt es keinen Zweifel.

So zeitnah, wie nach Nebukadnezars Aussage die Stimme vom Himmel kam, so zeitnah wurde das Gericht ausgeführt. „In demselben Augenblick wurde das Wort über Nebukadnezar vollzogen.“ Er wurde ausgestoßen und aß Kraut wie die Rinder. Sein Körper wurde vom Tau des Himmels benetzt, sein Haar wuchs wie Adlerfedern und seine Nägel wie Vogelkrallen. Ein beschämender Anblick, den mächtigsten Mann der damaligen Zeit so erniedrigt zu sehen.

Man hat versucht, das Gericht Gottes als eine natürliche Krankheit zu erklären, für die es medizinische Erklärungen24 gibt, aber letztlich ist es die Hand Gottes, die dahinter steckt. Gott hatte ihm, dem König der Könige, „die Macht und die Gewalt und die Ehre gegeben“ (Dan 2,37), allerdings hatte er das völlig ignoriert. Er hatte die Gabe Gottes missbraucht, und das ist immer eine ernste Angelegenheit.

Nebukadnezar wird einem Tier gleich.25 Auf ihn trifft das Wort der Söhne Korahs zu: „Der Mensch, der in Ansehen ist und keine Einsicht hat, gleicht dem Vieh, das vertilgt wird“ (Ps 49,21). Aber das gilt nicht nur für Nebukadnezar. Der Prediger schreibt: „Wer weiß vom Odem der Menschenkinder, ob er aufwärts fährt, und vom Odem der Tiere, ob er abwärts zur Erde hinabfährt?“ (Pred 3,21). Das zeigt den großen Unterschied zwischen Mensch und Tier nach Gottes Plan. Das Tier ist zur Erde hin orientiert. Ein Tier kann mächtiger und stärker als ein Mensch sein, es mag über einen ausgeprägten Instinkt verfügen, aber es sieht nach unten. Genau das ist das Kennzeichen von Menschen, die ohne Gott leben. Sie blicken auf die Erde und nicht zum Himmel.26 Der Blick nach oben würde später das erste Anzeichen der Veränderung und Umkehr bei dem König sein. Ein Tier kennt keine Übung des Gewissens. Es verfügt nicht über einen „Geist“ und hat als Folge davon keine Beziehung zu Gott. Gerade das ist es, was den Menschen vom Tier unterscheidet (vgl. Hiob 32,8).

So sieht Gott den natürlichen Menschen, der ohne Ihn lebt und nicht mit Ihm rechnet. Gott hat uns geschaffen, um nach oben zu sehen und mit Gott in Kontakt zu treten. Wenn wir das ablehnen, gibt es keine Kenntnis Gottes. Paulus schreibt über diese Menschen Folgendes: „Der natürliche Mensch aber nimmt nicht an, was des Geistes Gottes ist, denn es ist ihm Torheit, und er kann es nicht erkennen, weil es geistlich beurteilt wird“ (1. Kor 2,14). Im Judasbrief ist von „natürlichen Menschen“ die Rede, die den Geist nicht haben (Jud 1,19). Vorher spricht er von solchen, die lästern, was sie nicht kennen, „was irgend sie aber von Natur wie die unvernünftigen Tiere verstehen, darin verderben sie sich“ (Jud 1,10). Das macht zugleich deutlich, dass der Mensch ohne Gott sich moralisch völlig verderbt hat. Was hier als zeitliches Gericht über Nebukadnezar kommt, ist im Prinzip kennzeichnend für den Menschen ohne Gott. Er lebt ohne Gott und in moralischer Degeneration. Solange er nicht nach oben sieht und sich zu Gott wendet, bleibt er in diesem Zustand.

In dem Geschehen liegt gleichzeitig eine Warnung für Gläubige. Die Gefahr besteht, dass wir uns im praktischen Leben ebenfalls wie ein „Tier“ verhalten. Wir werden ausdrücklich gewarnt: „Seid nicht wie ein Ross, wie ein Maultier, das keinen Verstand hat“ (Ps 32,9). Genau das hatte David getan, als er, seinem natürlichen Trieb folgend, Ehebruch mit Bathseba beging. Er war wie ein triebhaftes Pferd ohne Verstand.

Werfen wir noch einen kurzen Blick auf die prophetische Bedeutung. Man hört und liest bisweilen die Aussage: „Humanität ohne Divinität führt zur Bestialität.“27 Das will sagen, dass der Mensch ohne Gott zum Vieh wird. Diese Aussage trifft insbesondere auf den letzten Machthaber, den römischen Weltherrscher, zu. Nicht ohne Grund wird in der Offenbarung über dreißig Mal von ihm als dem „Tier“ gesprochen. Seine Ignoranz einerseits und seine Arroganz andererseits werden nicht zu überbieten sein. Auf der einen Seite ist er schlimmer als ein „Wahnsinniger“, auf der anderen Seite weiß er sehr genau, was er tut. Er wird direkt von Satan inspiriert sein (Off 13,2). Seine Bestialität wird sich auch darin zeigen, dass er mit größter Brutalität gegen alles vorgeht, was sich ihm in den Weg stellen wird. Sein Verbündeter wird der Antichrist sein. Für sie gibt es nur Gericht – und zwar ewiges Gericht. Das letzte Mal, wo wir von dem „Tier“ lesen, wird darüber gesprochen: „Und der Teufel, der sie verführte, wurde in den Feuer- und Schwefelsee geworfen, wo sowohl das Tier ist als auch der falsche Prophet; und sie werden Tag und Nacht gepeinigt werden von Ewigkeit zu Ewigkeit“ (Off 20,10).

Verse 31–34: Die Erfüllung des Traumes – Teil 2: Nebukadnezar wird erhöht

Der Blick nach oben – Nebukadnezar kehrt um

Der König von Babel war tief erniedrigt worden. Tiefer nach unten ging es nicht. Er gleicht dem jüngeren Sohn des Vaters in Lukas 15, der erst bei den Schweinen landen musste, bevor er zu „sich selbst“ kam und umkehrte. Gott hatte die Zeit bestimmt, in der er ganz unten sein sollte. Am Ende dieser Zeit erhob Nebukadnezar seine Augen zum Himmel. Das war der entscheidende Wendepunkt. Der Blick nach oben veränderte alles. Als er auf sich selbst, auf seine eigene Macht, Größe und Herrlichkeit sah, wurde er erniedrigt. Als er nach oben schaute, kam ihm der Verstand wieder. Und nicht nur das. Gott gab ihm darüber hinaus seine Ehre, seine Herrlichkeit und seinen Glanz zurück. Seine Räte und Gewaltigen suchten ihn wieder auf. Am Ende wurde ihm sogar „ausnehmende Größe“ hinzugefügt. Gott setzte ihn nicht nur wieder in seine alte Stellung ein, sondern Er tat mehr. So handelt der Reichtum göttlicher Gnade. „Wo aber die Sünde überströmend geworden ist, ist die Gnade noch überreichlicher geworden“ (Röm 5,20).

Gott lässt durch den Propheten Jesaja sagen: „Wendet euch zu mir und werdet gerettet, alle ihr Enden der Erde! Denn ich bin Gott und keiner sonst. Ich habe bei mir selbst geschworen, aus meinem Mund ist ein Wort in Gerechtigkeit hervorgegangen, und es wird nicht rückgängig gemacht werden, dass jedes Knie sich vor mir beugen, jede Zunge mir schwören wird“ (Jes 45,22.23). Nebukadnezar hatte es vorher durch sein Verhalten abgelehnt, seine Knie vor Gott zu beugen. Jetzt hatte er seine Lektion gelernt und rühmte nicht mehr sich selbst, sondern Gott. Der Kontrast zwischen der arroganten Selbstverherrlichung in Vers 27 und dem, was er am Ende sagt, ist beeindruckend. Derjenige, der vorher dachte, er sei das Maß aller Dinge, erkennt nun die Größe und Herrlichkeit Gottes an. Das ist das Ziel Gottes im Leben jedes Menschen. Er möchte geehrt werden.

Der Text gebraucht vier verschiedene Ausrücke für das Lob Nebukadnezars. Er preist, er rühmt, er verherrlicht und er erhebt Gott. Das zeigt deutlich, dass Nebukadnezar nicht mehr an sich denkt, sondern alles Gott zuschreibt. Es fällt zwar auf, dass er in den Versen 33 und 34 insgesamt zwölfmal die Worte „ich“, „mir“ und „mein“ gebraucht, aber der Kontrast zu seiner Aussage in Vers 27 ist dennoch augenscheinlich. In Vers 27 ist er derjenige, der sich selbst alles zuschreibt. In den Versen 33 und 34 ist er derjenige, der alles von Gott bekommt und Ihn dafür lobt und preist.

Der Unterschied zu seinen Aussagen am Ende von Kapitel 2 und 3 ist bemerkenswert. Zuerst hatte er anerkannt, dass Daniels Gott der Gott der Götter und Herr der Könige war. Aber er hatte nicht Gott, sondern Daniel angebetet (Kap 2,46.47). Danach hatte er den Gott der Freunde Daniels gepriesen und ein Dekret erlassen, dass niemand etwas gegen diesen Gott sagen sollte (Kap 3,28.29). Bis zu diesem Zeitpunkt war sein Herz jedoch nicht verändert. Das hatte Gott jetzt erreicht, und das findet sich in seinem Lobpreis und Bekenntnis wieder.

Drei Titel Gottes

Wenn wir den Text aufmerksam lesen, nennt Nebukadnezar drei Titel Gottes, die in ihrer direkten Bedeutung mit der Herrschaft Gottes im Tausendjährigen Reich in Verbindung stehen.

  1. Er ist „der Höchste“: Diesen Ausdruck finden wir zum ersten Mal in Verbindung mit Melchisedek, dem König von Salem. Er wird Priester Gottes, „des Höchsten“, genannt (1. Mo 14,18). Er segnete Abraham und sagte: „Gesegnet sei Abram von Gott, dem Höchsten, der Himmel und Erde besitzt! Und gepriesen sei Gott, der Höchste, der deine Feinde in deine Hand geliefert hat!“ (1. Mo 14,19.20). Melchisedek ist ein Vorbild auf den Herrn Jesus als König und Priester im Reich (vgl. Ps 110; Sach 6,13). Dann kommt Er mit Segen heraus zu dem Überrest. In den Psalmen finden wir diesen Titel Gottes wieder. Psalm 97 beschreibt die Regierung des Herrn. In Vers 9 heißt es: „Denn du, Herr, bist der Höchste über die ganze Erde; du bist sehr erhaben über alle Götter.“ Genau diese Lektion musste Nebukadnezar lernen. Eine weitere Bestätigung finden wir in Psalm 83,19. Asaph schließt seine Überlegungen dort wie folgt ab: „... und erkennen, dass du allein, dessen Name Herr ist, der Höchste bist über die ganze Erde!“ (vgl. Ps 89,28; Lk 1,32). Der „Höchste“ ist der, der einmal als der „Niedrigste“ hier auf der Erde war (vgl. Vers 14).
  2. Er ist der „ewig Lebende“: Dieser Ausdruck ist in der Bibel einmalig. Er macht klar, dass Gott ewig lebt, d. h., dass Er keinen Anfang und kein Ende hat. Er sagt von sich selbst: „Vor mir wurde kein Gott gebildet, und nach mir wird keiner sein“ (Jes 43,10). Als „Jahwe“ (der Herr) ist Er der „ewig Seiende“, d. h., der sich nicht verändert. Bei dem „ewig Lebenden“ können wir an eine Aussage aus der Offenbarung denken. Dort heißt es von dem Herrn Jesus: „Ich bin der Erste und der Letzte und der Lebendige, und ich war tot, und siehe, ich bin lebendig von Ewigkeit zu Ewigkeit und habe die Schlüssel des Todes und des Hades“ (Off 1,18). Der Zusammenhang macht klar, dass es um die richterliche Herrlichkeit des Herrn Jesus geht, die bei seiner Offenbarung in Herrlichkeit sichtbar wird.
  3. Er ist der „König des Himmels“: Dieser Ausdruck ist ebenfalls einmalig, aber er weist in die gleiche Richtung wie der Ausdruck „Gott des Himmel“, den wir im zweiten Kapitel wiederholt gefunden haben (Verse 18.19.37.44). Die Herrschaft im Tausendjährigen Reich wird eine Herrschaft des Himmels über der Erde sein (vgl. Vers 23). Der Herr Jesus selbst ist dieser König des Himmels. Er ist gleichzeitig der „Fürst der Könige der Erde“ (Off 1,5). Vom Himmel aus wird Er über sie regieren.

Acht Attribute Gottes

Der Lobpreis enthält nicht nur die drei genannten Titel Gottes, sondern beschreibt eine Reihe von Attributen Gottes:

  1. Seine Herrschaft ist eine ewige Herrschaft: Nebukadnezar spricht nicht mehr von seiner eigenen Herrschaft. Er hat erkannt, dass diese Herrschaft endlich sein würde. Gottes Herrschaft hingegen ist ewig, d. h., nach seinem Reich wird kein weiteres Reich auf dieser Erde existieren. „Und er wird herrschen von Ewigkeit zu Ewigkeit“ (Off 11,15).
  2. Sein Reich währt von Geschlecht zu Geschlecht: Menschliche Reiche werden zwar auch häufig von Generation zu Generation weitergeführt, aber die Dynastien dieser Welt wurden alle irgendwann durch eine andere Dynastie ersetzt. Nebukadnezars Enkel würde der letzte Herrscher seines Königshauses sein. Keine Herrschaft hat wirklich Bestand gehabt.
  3. Alle Bewohner der Erde werden von Ihm wie nichts geachtet: Vor seiner Erniedrigung hatte der König das völlig anders gesehen. Aber jetzt ist ihm klar, wie groß Gott ist. „Siehe, Nationen werden erachtet wie ein Tropfen am Eimer und wie ein Sandkorn auf der Waagschale. Siehe, Inseln sind wie ein Stäubchen, das emporschwebt“ (Jes 40,15).
  4. Nach seinem Willen tut Er mit dem Heer des Himmels und mit den Bewohnern der Erde: Nebukadnezar hatte eine große Machtfülle gehabt. Aber er erkennt, dass sich weder im Himmel noch auf der Erde irgendjemand dem Willen Gottes widersetzen kann. Gott wird in der Fülle der Zeiten, das ist das Tausendjährige Reich, „alles unter ein Haupt zusammenbringen in dem Christus, das, was in den Himmeln, und das, was auf der Erde ist, in ihm“ (Eph 1,10). Heute ist Ihm bereits alles unterworfen, jedoch noch nicht sichtbar (vgl. Heb 2,8).
  5. Niemand kann seiner Hand wehren und zu Ihm sagen: „Was tust du?“ Nebukadnezar erkennt die Souveränität Gottes an. Paulus stellt im Römerbrief die Frage: „Wer bist du denn, o Mensch, der du das Wort nimmst gegen Gott? Wird etwa das Geformte zu dem, der es geformt hat, sagen: Warum hast du mich so gemacht? Oder hat der Töpfer nicht Macht über den Ton, aus derselben Masse das eine Gefäß zur Ehre und das andere zur Unehre zu machen?“ (Röm 9,20.21). Nebukadnezar hatte es selbst erfahren, und das war vielleicht die Hauptlektion, die er zu lernen hatte. Die Lehre von der Souveränität Gottes gibt uns Sicherheit, Trost und Kraft.28
  6. Seine Werke sind allesamt Wahrheit: Die Bibel bezeugt uns, dass die Worte Gottes Wahrheit sind (2. Sam 7,28; Ps 119,151). Sie bezeugt uns, dass die Rechte Gottes Wahrheit sind (Ps 19,10). Aber sie zeigt uns ebenso, dass seine Werke Wahrheit sind. „Die Taten seiner Hände sind Wahrheit und Recht“ (Ps 111,7). In den Werken Gottes wird Er sichtbar und erkennbar. David stellt fest: „Keiner ist wie du, Herr, unter den Göttern, und nichts ist deinen Werken gleich“ (Ps 86,8). Nebukadnezar hatte etwas von den mächtigen Werken Gottes gesehen und erkannt, dass sie allesamt Wahrheit sind.
  7. Seine Wege sind recht: Das hatte Nebukadnezar sehr schmerzlich lernen müssen. Mose hatte es auf eine andere Weise gelernt. Er sagt am Ende seines Lebens voller Erfahrungen mit seinem Gott: „Der Fels: Vollkommen ist sein Tun; denn alle seine Wege sind recht. Ein Gott der Treue und ohne Trug, gerecht und gerade ist er!“ (5. Mo 32,4). Wir verstehen Gottes Wege mit uns oft nicht. Aber wir halten daran fest, dass Er keinen Fehler macht. Seine Wege sind immer richtig, selbst wenn wir sie nicht erkennen. Gottes Wege sind im Heiligtum (Ps 77,14).
  8. Er erniedrigt diejenigen, die in Stolz einhergehen: Das sind die Schlussworte eines Mannes, der sich selbst hoch erhoben hatte. Damit gibt Nebukadnezar ein klares Bekenntnis ab. Er hatte sich in Stolz erhoben und Gott hatte ihn erniedrigt. Jetzt hatte er das getan, was Daniel ihm vorher geraten hatte. Er hatte mit seinen Sünden gebrochen.

Der Prophet Jesaja sagt: „... der die Fürsten zu nichts macht, die Richter der Erde in Nichtigkeit verwandelt. Kaum sind sie gepflanzt, kaum sind sie gesät, kaum hat ihr Stock Wurzeln in der Erde getrieben, da bläst er sie schon an, und sie verdorren, und ein Sturmwind rafft sie wie Stoppeln hinweg. Wem denn wollt ihr mich vergleichen, dem ich gleich wäre?, spricht der Heilige. Hebt zur Höhe eure Augen empor und seht: Wer hat diese da geschaffen? Er, der ihr Heer herausführt nach der Zahl, ruft sie alle mit Namen: Wegen der Größe seiner Macht und der Stärke seiner Kraft bleibt keines aus“ (Jes 40,23–26).

Die prophetische Bedeutung

Die prophetische Komponente der Wiederherstellung Nebukadnezars erschließt sich nicht auf den ersten Blick. Sie ist dennoch vorhanden. Der König von Babel ist am Ende seiner Geschichte nicht mehr ein Bild von dem letzten Weltherrscher, dem römischen Tier. Für diesen Diktator wird es keine Umkehr geben. Das macht das Neue Testament unmissverständlich klar. Das Tier kommt aus dem Abgrund und geht in den Abgrund (Off 11,7; 13,1; 19,20; 20,10). Er wird für alle Ewigkeit im Feuersee seine Strafe erleiden. Deshalb kann Nebukadnezar kein Bild mehr von ihm sein.

Die Bedeutung ist vielmehr diese: Gott möchte uns lehren, dass Er nach der Selbsterhöhung dieses Menschen der Sünde und seinem darauf folgenden Gericht das Königtum auf der Erde wiederherstellen wird. Dann wird es allerdings nicht mehr in die Hände der Nationen gegeben werden, sondern dann stellt Er es unter die herrliche Regierung und Herrschaft des Herrn Jesus, des Sohnes des Menschen. In diesem Reich werden die Nationen – und davon ist Nebukadnezar hier ein Bild – Gott alle Ehre und Herrlichkeit geben. Nicht nur das Volk Israel wird unter die Segensfolgen des Reiches kommen, sondern auch die Nationen. „Darum harrt auf mich, spricht der Herr, auf den Tag, an dem ich mich aufmache zur Beute! Denn mein Rechtsspruch ist, die Nationen zu versammeln, die Königreiche zusammenzubringen, um meinen Grimm über sie auszugießen, die ganze Glut meines Zorns; denn durch das Feuer meines Eifers wird die ganze Erde verzehrt werden. Denn dann werde ich die Lippen der Völker in reine Lippen verwandeln, damit sie alle den Namen des Herrn anrufen und ihm einmütig dienen“ (Zeph 3,8.9). Im Tausendjährigen Reich wird das wahr werden. Dann ist Gottes Ziel erreicht. Die Himmel werden herrschen, und auf der Erde wird diese Herrschaft anerkannt werden.

Wenn die Zeiten der Nationen und des Gerichts über sie vorbei sind, wird sich zeigen, dass Gott einen „Stumpf“ zurückgelassen hat, der lebt. Dieser „Stumpf“ in der Erde deutet an, dass die Nationen durch die Gerichte nicht gänzlich vernichtet werden. Für alle, die das Evangelium abgelehnt haben und sich von der Wahrheit abgewandt haben, gibt es keine Hoffnung. Aber es wird solche geben, die durch die Gerichte Gerechtigkeit lernen. Sie gehören zu diesem „Stumpf“, der unter göttlicher Zulassung in der Erde verborgen bleibt. Trotz aller Anarchie und allem Machtmissbrauch in der Zeit der Weltherrscher wird es einmal ein Reich auf dieser Erde geben, in dem die Nationen Gott preisen.29 Das ist kein „Weltreich“ mehr, sondern es ist das „Reich des Himmels“ auf dieser Erde. Dann wird das erfüllt werden, was Gott sich immer unter einer Regierung auf dieser Erde vorgestellt hat. Dann lernen die Bewohner der Erde Gerechtigkeit „ Denn wenn deine Gerichte die Erde treffen, so lernen die Bewohner des Erdkreises Gerechtigkeit“ (Jes 26,9).

Rückblick

Das Kapitel hat uns gezeigt, wie Gott mit dem Stolz eines Menschen umgeht. Stolz ist jeder Mensch, der nicht bereit ist, Gott anzuerkennen, Ihm die Ehre zu geben und sich vor Ihm zu beugen. Gott hatte sich mehrfach um Nebukadnezar bemüht, aber erst am Ende von Kapitel 4 kommt er zu einer Umkehr und zu einem echten Bekenntnis. Wir lernen, dass Gott manchmal lange und harte Wege mit Menschen gehen muss, bevor ihr Stolz zerbricht und Gott zu seinem Ziel kommt. Der Mensch ist das höchste Geschöpf auf der Erde, und deshalb haben wir oft mit Stolz und Hochmut ein großes Problem. Es fällt uns schwer, uns vor Gott zu demütigen, obwohl wir vor Ihm nichts sind. „Er gibt aber größere Gnade; deshalb spricht er: ‚Gott widersteht den Hochmütigen, den Demütigen aber gibt er Gnade‘“ (Jak 4,6). Wir können uns auch demütigen, ohne dass Gott schwere Wege mit uns gehen muss, indem wir uns freiwillig vor Ihm niederbeugen und anerkennen, dass alles von Ihm kommt. David sagte einmal: „Denn wer bin ich, und was ist mein Volk ...? Denn von dir kommt alles, und aus deiner Hand haben wir dir gegeben“ (1. Chr 29,14).

Fußnoten

  • 1 Dabei ist offensichtlich, dass Daniel unter der Kontrolle des Heiligen Geistes das gesamte Kapitel in dieser Form aufgeschrieben hat (vgl. 2. Pet 1,21).
  • 2 Es bleibt offen, ob der Heide Nebukadnezar im Sinn des Neuen Testaments wirklich als ein Bekehrter oder ein Gläubiger zu bezeichnen ist. Es ist müßig, darüber zu diskutieren, weil letztlich Gott allein die kennt, die Ihn wirklich angenommen haben. Das Zeugnis des Königs am Ende seines Lebens ist durchaus beeindruckend, allerdings stellen wir fest, dass er den Gott Israels an keiner Stelle „seinen Gott“ nennt. Was ebenfalls fehlt, ist ein deutliches Bekenntnis seiner Schuld. Aber wir erkennen in dem Handeln Gottes mit ihm wichtige Kennzeichen, die wir bis heute in einem Menschen finden müssen, der sich im Glauben an Gott wendet. Die Tatsache, dass er von einem „Tier“ zum „Mensch“ wurde, weist zumindest im Bild auf das hin, was ein Mensch bei seiner „Neugeburt“ erlebt. In diesem Sinn sprechen wir im weiteren Verlauf von seiner „Umkehr“ oder „Bekehrung“.
  • 3 Kelly, W.: Notes on the Book of Daniel (www.stempublishing.com)
  • 4 Der Überrest wird in Kapitel 4 wieder von Daniel repräsentiert. Wir sind erneut von seiner Weisheit beeindruckt, besonders aber von dem mutigen Zeugnis, das er vor dem König ablegt. So wird es auch in der kommenden Zeit der Drangsal treue und mutige Juden geben, die das Evangelium des Reiches verkündigen werden (vgl. Mt 24,14).
  • 5 Die meisten Ausleger gehen stillschweigend davon aus, dass die Weisen Babels es nicht konnten, und sicherlich war das so – zumindest was den zweiten Teil des Traumes betrifft. Nur Gott konnte den Wahnsinn über den König bringen und ihn auch wieder wegnehmen. Aber dass mit dem Baum der König von Babel gemeint war, hätten die Sterndeuter ahnen können. Einige Ausleger weisen darauf hin, dass es in der Antike nicht unüblich war, Könige und Herrscher mit Bäumen zu vergleichen.
  • 6 Ähnlich formuliert es der Pharao von Ägypten, als Joseph vor ihm stand und seine Träume gedeutet hatte: „Und der Pharao sprach zu seinen Knechten: Werden wir einen finden wie diesen, einen Mann, in dem der Geist Gottes ist?“ (1. Mo 41,28). Diese Aussage kann man auch mit „Geist der Götter“ übersetzen (siehe Fußnote in der EÜ). Der Pharao konnte zu diesem Zeitpunkt kaum mehr Einsicht gehabt haben. Bei Nebukadnezar hingegen hätte man bereits weitergehende Erkenntnis erwarten können.
  • 7 Ausleger, die diesen Gedanken verfolgen, weisen – allerdings mit gebotener Vorsicht – darauf hin, dass der Name Daniel „Gott ist Richter“ bedeutet und auf eine Verbindung zu Gott hinweist. Wenn Daniel nun sagt: „Der Traum gelte deinen Hassern und seine Deutung deinen Feinden“, so passe das nicht zu seinem jüdischen Namen „Gott ist Richter“. Er hätte diese Beurteilung Gott überlassen sollen.
  • 8 Jesaja 28,21 spricht davon, dass das Werk des Gerichts für Gott „befremdend“ und „außergewöhnlich“ (d. h. fremdartig) ist. Dennoch dürfen wir nicht vergessen, dass Gott Licht ist und sich letztlich auch im Gericht verherrlicht (vgl. 2. Mo 14,4.17).
  • 9 Der Vergleich mit dem Königreich Assyrien ist auffällig: „Darum, so sprach der Herr, Herr: Weil du hoch geworden bist an Wuchs und er seinen Wipfel bis zwischen die Wolken streckte und sein Herz sich erhob wegen seiner Höhe …“ (Hes 31,10).
  • 10 Es ist denkbar, dass die Familie Nebukadnezars niedriger Herkunft war und dass wir hier eine Anspielung darauf haben.
  • 11 Bei dieser Feststellung bleibt offen, ob nur die Tiere oder auch die Menschen gemeint sind.
  • 12 Bei den „Heiligen“ müssen wir hier an heilige Engel denken und nicht an Menschen.
  • 13 vgl. ausführlicher bei Remmers, A.: Biblische Bilder und Symbole, CSV Hückeswagen
  • 14 Gelegentlich wird der Gedanke geäußert, es könnten sieben Monate gewesen sein, aber das scheint doch relativ unwahrscheinlich zu sein.
  • 15 F.B. Hole schreibt dazu: „Diese Geschichte enthält, wie wir glauben, einen prophetischen Hinweis, denn es ist eine bemerkenswerte Tatsache, dass am Ende des Berichts über die heidnischen Weltreiche in Offenbarung 13 ein Tier erscheint. Der letzte Mensch, der diesen höchsten Platz innehaben und durch die Erscheinung des Herrn Jesus vernichtet werden wird, wird als ein „Tier“ beschrieben. Er wird kein Wahnsinniger sein, wie Nebukadnezar es war; er wird, weil Satan ihn beherrscht, weit schlimmer auftreten. Er wird seine Augen niemals zum Himmel erheben, sondern sie beständig niederwärts auf die Erde richten. Und ferner wird er, wenn wir nicht fehlgehen, ihn mit dem „kommenden Fürsten“ in Daniel 9,26.27 gleichzusetzen, während jener „Woche“ (von sieben Jahren) die in den genannten Versen erwähnt wird, wirken, so dass diese Woche als ein Gegenstück zu den „sieben Zeiten“ erscheint“ (F. B. Hole, Der Prophet Daniel, www.bibelkommentare.de).
  • 16 Es hat besonders in der Zeit, als das Römische Reich nicht sichtbar existent war, in Europa politische Führer gegeben, die durchaus eine persönliche Beziehung zu Gott hatten und auch versucht haben, dem in ihrer Politik Rechnung zu tragen. Aber das nimmt nichts davon weg, dass die Regenten der Reiche der Nationen im Allgemeinen die Charakterzüge aufweisen, die Nebukadnezar zeigte. Das Christentum hat zwar in der Zeit des Römischen Reiches das Heidentum abgelöst, aber letztlich hat das nichts an den Herzen der Menschen geändert, die sich nur äußerlich Christen nennen, es aber nie wirklich gewesen sind.
  • 17 Deshalb ist es illusorisch zu glauben, dass es in den Zeiten der Nationen eine politische und moralische Entwicklung zum Guten gibt. Das Prinzip bleibt immer gleich. Der Charakter des ersten Reiches setzt sich fort und wird in Hochpotenz im letzten Reich gefunden werden. E. Dennett schreibt zu diesem Punkt: „Sieben Zeiten sollten über den König kommen, bevor er wiederhergestellt werden würde …, eine Zeitperiode, die die ganze Dauer der Zeiten der Nationen umfasst. Wir schließen daraus, dass alle vier Königreiche … den gleichen moralischen Charakter vor Gott haben werden, dass sie nämlich die Macht ohne Gott ausüben werden, … ohne auf Gottes Gedanken Rücksicht zu nehmen“ (E. Dennett, Daniel, the Prophet, www.stempublishing.com).
  • 18 „Reich der Himmel“ ist eine Bezeichnung für das Reich Gottes, die wir nur im Matthäus-Evangelium – dem Evangelium des Königs – finden. Der Ausdruck „Reich Gottes“ weist mehr auf die inneren Wesensmerkmale dieses Reiches hin, während der Ausdruck „Reich des Himmels“ zeigt, dass es eine Herrschaft des Himmels über die Erde ist und dass in diesem Reich himmlische Grundsätze gültig sind.
  • 19 Wir wollen bedenken, dass das Wort Evangelium nicht „frohe Botschaft“, sondern „gute Botschaft“ bedeutet. Was wir den Menschen zu sagen haben, ist für sie zuerst einmal „gut“, aber macht sie nicht gleich „froh“. Sündenerkenntnis ist kein Prozess, der unmittelbar „froh“ macht. Die Freude des Heils kommt später, wenn ein Sünder das Evangelium angenommen hat. In diesem Sinn ist auch der manchmal zitierte Ausspruch nicht richtig, das Evangelium sei keine „Drohbotschaft“, sondern eine „Frohbotschaft“. Römer 1,16.17 sagt einerseits, dass das Evangelium Gottes Kraft zum Heil ist, verschweigt aber gleichzeitig nicht, dass darin Gottes Gerechtigkeit offenbart wird. Es wäre fahrlässig, nur über die Liebe Gottes zu reden und das Gericht zu verschweigen.
  • 20 „Die heute bekannten ‚sieben Weltwunder der Antike‘ gehen zurück auf den phönizischen Schriftsteller Antipatros von Sidon, der in der zweiten Hälfte des 2. Jahrhunderts v. Chr. einen Reiseführer in griechischer Sprache schrieb und darin eine Topliste der schönsten Sehenswürdigkeiten erstellte … Da es sich um einen Reiseführer handelte, wird auch verständlich, warum bedeutende Bauwerke wie zum Beispiel der Turm von Babylon darin nicht erscheinen, da nur Sehenswürdigkeiten aufgenommen wurden, die man zur Zeit der Erstellung noch besichtigen konnte. Die Weltwunder als solche wurden nicht bewertet, und eine Rangliste gab es nie“ (Quelle: www.weltwunder-online.de). Diodorus Siculis schrieb 50 v. Chr. über die Gärten Folgendes: „Der Park erstreckte sich auf jeder Seite über 120 Meter, und da der Aufgang zu dem Garten hangartig geneigt war und die einzelnen Teile des Bauwerkes stufenartig voneinander abgesetzt waren, glich das Ganze in seinem Erscheinungsbild einem Theater“ (Quelle: www.weltwunder-online.de).
  • 21 vgl. Olyott, S.: Unbestechlich! Daniel – Treue um jeden Preis. Der jüdische Geschichtsschreiber Flavius Josephus berichtet in seinem Werk „Jüdische Altertümer“ ebenfalls diese Szene. Er schreibt: „Niemand aber möge es mir verdenken, dass ich all diese Einzelheiten genau berichte, wie ich sie in den alten Schriften gefunden habe.“ Er deutet die sieben Zeiten übrigens ebenfalls als sieben Kalenderjahre.
  • 22 Dabei ist es klar, dass das Gericht Gottes an seinen Kindern nie die ewige Verdammnis bedeutet, sondern zeitlich zu verstehen ist.
  • 23 Hervorhebungen im Bibeltext hinzugefügt.
  • 24 In diesem Zusammenhang spricht man von einer seltenen Krankheit, die den Namen „Lykanthropie“ trägt. Hierbei hält sich ein Mensch für ein Tier, obwohl er innerlich immer noch weiß, dass er ein Mensch ist. Dennoch handelt er wie das Tier, für das er sich hält und versucht auch, so auszusehen. Bei Nebukadnezar handelte es sich offensichtlich nicht um eine solche Krankheit, denn erstens kam das Gericht von einem Augenblick zum anderen und endete auch plötzlich von einem Augenblick zum anderen. Zweitens wird er nicht nur als „Rind“ beschrieben, sondern es wird ebenfalls von einem „Adler“ und von „Vögeln“ gesprochen. Es ist klar, dass wir in dem Geschehen das direkte Handeln Gottes sehen müssen.
  • 25 Es geht wohl zu weit zu behaupten, dass der König zu einem Tier wurde. Der Bibeltext sagt das an keiner Stelle. Er hatte sein „Teil mit den Tieren des Feldes“ (Vers 20), er „aß Kraut wie die Rinder“ (Vers 30). Am weitesten geht der Ausdruck in Vers 13, dass ihm „das Herz eines Tieres“ gegeben werden sollte. Damit ist nicht das Körperorgan gemeint, sondern die tierische Natur.
  • 26 Es ist bemerkenswert, dass in der Offenbarung zehnmal von Menschen die Rede ist, die „auf der Erde wohnen“ (Off 3,10; 6,10; 8,13; 11,10; 13,8.14; 17,2.8).
  • 27 Es lässt sich nicht zweifelfrei feststellen, von wem dieser Satz stammt. Deshalb erfolgt keine Quellenangabe.
  • 28 Allerdings wird diese Lehre oft missverstanden. Die Bibel lehrt sowohl die Souveränität Gottes einerseits als auch unsere Verantwortung als Menschen andererseits. Zwischen diesen beiden gibt es keinen Widerspruch. Wer die Souveränität Gottes ignoriert, erhebt letztlich den Menschen. Das war es, was der König von Babel getan hatte. Wer die Verantwortung des Menschen ignoriert, reduziert den Menschen auf die Stufe eines Roboters. Beide Extreme sind falsch. Die Bibel sieht beide Seiten immer ausgewogen. Dass Gott souverän ist, stimmt genauso wie die Tatsache, dass der Mensch für sein Tun und Lassen verantwortlich ist.
  • 29 Wir finden das z. B. in dem Lobpreis Jethros, Moses Schwiegervater, vorgeschattet. Er sagt: „Nun weiß ich, dass der Herr größer ist als alle Götter; denn in der Sache, worin sie in Übermut handelten, war er über ihnen“ (2. Mo 18,11).
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