Die Offenbarung

Kapitel 6

Die Offenbarung

In Kapitel 6 werden sechs der sieben Siegel geöffnet. Gerichtliche Ereignisse, die die Erde treffen, werden eingeleitet. Das „Komm“, gesprochen von den vier lebendigen Wesen, scheint der Ruf an den jeweiligen Reiter zu sein, hervorzukommen. Die lebendigen Wesen reden mit Donnerstimme, wie sie einem Befehl angemessen ist, der Gerechtigkeit und Gericht der höchsten Regierung zum Inhalt hat. Nacheinander erscheinen vier Reiter auf Pferden von weißer, feuerroter, schwarzer und fahler Farbe. Jeder hat seine besonderen Merkmale, doch alle unterstehen der lenkenden Hand Gottes, die wir in den lebendigen Wesen symbolisiert sahen.

Als erstes tritt in dieser Reihenfolge ein großer Eroberer auf - seine Eroberungen sind anscheinend unblutig, worauf die weiße Farbe schließen läßt. An zweiter Stelle erfolgt der Ausbruch eines Krieges, im besonderen eines Bürgerkrieges mit seinen Schrecken der Gesetzlosigkeit. Bei dem schwarzen Pferd geht es drittens um Hungersnot und Verknappung von Lebensmitteln. Das vierte fahle Pferd hat mit Seuchen zu tun, die Tod und Hades nach sich ziehen. Doch ist nur ein begrenzter Teil, ein Viertel der Erde, davon betroffen. Es ist sicher merkwürdig, wie in neuerer Zeit Farben mit menschlichen Bewegungen und Bündnissystemen identifiziert worden sind. Es gibt weiße und rote Armeen, Schwarzhemden usw.

Alle in diesen Versen beschriebenen Ereignisse bringen große Not und Zerstörung mit sich: Obwohl die Menschen sie ausführen, werden sie doch hervorgerufen als vergeltendes Gericht unter göttlicher Steuerung. Sie erinnern uns an das, was der Herr selbst „die Anfänge der Wehen“ (Mk 13,8) nannte. Der nächste Vers in Markus 13 spricht dann von den Verfolgungen solcher, die in jenen Tagen Zeugen für Gott sein werden. Damit hat das hier folgende fünfte Siegel zu tun. Es wird von dem Lamm geöffnet, wie die vorhergehenden. Aber es ertönt kein „Komm“, denn Johannes sieht die Seelen derer, die um des Wortes Gottes willen geschlachtet worden waren. Die Geschehnisse der vier Siegel, die den Menschen allgemein Bedrängnisse und Unglück bereiteten, hatten diesen Verfolgung und Tod gebracht, und ihre Seelen rufen nach Rache. Sie müssen jedoch noch warten. Sie waren in den Anfängen der Wehen umgekommen, und andere Martyrien würden folgen. Die Rache an ihren Widersachern und die volle Rechtfertigung ihrer selbst würden nicht stattfinden, bis das Ende der Wege Gottes erreicht wäre. Doch zwischenzeitlich empfingen sie ein geheimes Zeichen der Anerkennung, versinnbildlicht in den weißen Kleidern.

Der Gegensatz zwischen dem lauten Rufen dieser gequälten Seelen und dem Gebet des sterbenden Stephanus ist beachtenswert. Kein Verlangen nach Rache kam von seinen Lippen, sondern das Umgekehrte: „Herr, rechne ihnen diese Sünde nicht zu!“ Nun, er lebte am Beginn der gegenwärtigen Heilszeit der Gnade, und die Kirche ist noch hier als ein Repräsentant der Gnade Gottes. Diese Seelen unter dem Altar gehören der Zeit des Gerichts an, die der Entrückung der Kirche folgt. Das Rufen dieser Seelen stimmt überein mit dem, was wir so oft in solchen Psalmen finden, die man auch „Rachepsalmen“ genannt hat. Was auf unseren Lippen unpassend wäre, ist doch angemessen auf ihren Lippen, denn wenn Gott im Begriff ist, Sein „befremdendes Werk“ des Gerichts zu tun, dann ist es ganz in der Ordnung, Ihn zu bitten, es schnell zu vollziehen. Er wird ein verkürztes Werk auf der Erde ausführen, nur, was für Ihn verkürzt ist, mag dem Geschöpf lang erscheinen.

Die Verse 10 und 11 bestätigen noch einmal, daß die kirchliche Haushaltung abgeschlossen ist. Die Öffnung des sechsten Siegels macht dies noch klarer. Ein „Komm“ ist auch jetzt nicht zu hören, denn es setzt ein Geschehen ein, das über Menschenkraft hinausgeht und unmittelbarer aus Gottes Hand herrührt. Es gibt gewaltige Erschütterungen auf der Erde wie im Himmel, die einen umfassenden Umsturz dessen zur Folge haben, was so fest aufgerichtet zu sein schien. Was ist fester als die Sonne, der Mond und die Sterne am Himmel und Berge und Inseln auf der Erde, obschon stürmische Meeresfluten die letzteren umspülen? Sie symbolisieren festgefügte Autoritäten und Mächte, ob in den Himmeln oder auf der Erde, und alle werden in einen Katastrophenfall einbezogen oder zumindest einem starken Umbruch ausgesetzt. Die beiden letzten Weltkriege in Europa haben gezeigt, wie beunruhigend es ist, wenn solche, die wie die Leuchtkörper am Firmament fest gegründet schienen, niedergestürzt werden. Die Anspielung auf den Feigenbaum, der so oft symbolisch für die Juden steht, mag darauf hinweisen, daß diese Umwälzung besonders dieses Volk treffen wird, wodurch der Weg für die Aufnahme des Antichristen bereitet wird.

Wie all diese Umwälzungen die Menschen in Mitleidenschaft ziehen werden, vom größten bis zum kleinsten, das zeigt uns der Schluß dieses Kapitels. Offensichtlich werden sie erkennen, daß dahinter die Hand Gottes steht, und der Zorn des Lammes wird sie unbeschreiblich erschrecken. Besser zermalmt werden und einer weiteren Existenz auf der Erde entgehen, als diesen Anblick ertragen! Psalm 2 hatte gesagt: „Küsset den Sohn, daß er nicht zürne, und ihr umkommet auf dem Wege, wenn nur ein wenig entbrennt sein Zorn“; zu diesem Zeitpunkt gab es also nur ein wenig Zorn, denn wir sind in den Anfängen der Wehen, und doch steht das Umkommen auf dem Weg vor ihnen. Obwohl der Höhepunkt des „großen Tages seines Zornes“ noch nicht erreicht war, hatte dieser Tag bereits begonnen, denn der Tag der Gnade Gottes im Evangelium war abgeschlossen. Menschen können in der Gnade Gottes stehen, aber niemand vermag vor Seinem Zorn zu bestehen.

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