Die Offenbarung

Kapitel 5

Die Offenbarung

Das Buch in der Rechten dessen, der auf dem Thron saß, war inwendig und auswendig beschrieben und mit sieben Siegeln versiegelt. Offensichtlich ist es das Buch der Gerichte, das durch die Sünde des Menschen jetzt vollendet ist. Den Kelch ihrer Ungerechtigkeit hatten die Menschen bis zum Überfließen gefüllt, der Bericht war abgeschlossen und unter den Siegeln verwahrt. Wer war würdig, die Siegel zu brechen? Diese Frage stellte sich jetzt. Das Gericht ist mehr als verdient, aber wer kann es ausführen?

Dies war auch die Frage, die sich bei der in Johannes 8,1-11 aufgezeichneten Begebenheit stellte. Die Sünderin war unleugbar schuldig, das Gesetz war klar und eindeutig. Aber wer war denn so frei von jeder Anklage unter dem Gesetz, um würdig zu sein, dieses Urteil zu vollstrecken? Alle Ankläger stahlen sich davon, und der einzig Würdige lehnte dieses Amt zu jener Zeit ab. Sein Auftrag damals war es, zu retten und nicht zu richten. Doch jetzt ist die Stunde des Gerichts gekommen, und Er steht im Begriff zu handeln.

Johannes weinte sehr bei diesem Gesicht. Er konnte sich nicht freuen bei dem Gedanken, daß das Gericht über das Böse deshalb nicht stattfände, weil niemand würdig war, es auszuführen. Ganz im Gegenteil, der Gedanke des Scheiterns aus diesem Grund verletzte seine Gefühle. Wir wissen, daß, „weil das Urteil über böse Taten nicht schnell vollzogen wird, darum ist das Herz der Menschenkinder in ihnen voll, Böses zu tun“ (Pred 8,11). Es wäre der Gipfel der Katastrophe, wenn es überhaupt nie ausgeführt würde. Und da mochte Johannes wohl weinen, wenn er daran dachte. Doch die Ältesten waren mit dem himmlischen Geheimnis vertraut, und einer von ihnen gab Johannes den Schlüssel zum Verständnis. Durch einen Menschen wird Gott die Welt in Gerechtigkeit richten, und dieser Mensch hat überwunden und das Anrecht erworben, dieses Gericht auszuführen. Er ist der Löwe aus dem Stamm Juda, eine Anspielung auf 1. Mose 49,9.10; und gleichzeitig ist Er die Wurzel Davids – nicht bloß ein Nachkomme Davids, sondern die Wurzel, aus der die Autorität und der Sieg Davids hervorgingen. Sein ist das Recht auf die Krone, und ebenso gehört es Ihm als dem Überwinder. Die letzten Verse von Psalm 78 lassen erkennen, wie bestimmt Gottes Absichten hinsichtlich der Regierung der Erde in David und Juda ihren Mittelpunkt haben. Bei den unmittelbaren Nachfolgern Davids gab es nur Versagen, denn er mußte klagen: „Obwohl mein Haus nicht also ist bei Gott“ (2. Sam 23,5). Doch in Christus wird alles erfüllt. Nichts wird fehlen.

Der Löwe aus Juda hat also überwunden, und so ist Er würdig, das Buch der Gerichte zu öffnen. Aber wie hat Er überwunden? Vers 6 sagt es uns. Es war, indem Er als das Opferlamm starb.

Der Herr Jesus wird im Buch der Offenbarung achtundzwanzigmal als das Lamm erwähnt, hier in Vers 6 zum ersten Mal. Es ist bemerkenswert, daß hier und durchgehend im ganzen Buch eine Verkleinerungsform des Wortes gebraucht wird – „Lämmlein“. Das unterstreicht die Tatsache, daß Er, der jetzt erscheint, um Allmacht auszuüben, einst das Opferlamm war, das die Menschen ablehnten und für nichts achteten. Jetzt verfügt Er über siebenfache Macht, versinnbildlicht in den sieben Hörnern, und siebenfache Einsicht des Geistes Gottes, der in Gestalt der sieben Geister über die ganze Erde gesandt ist. Deshalb ist kein Winkel vor Seinem durchdringenden Blick und Seinem Scharfsinn verborgen, und nichts vermag Seiner mächtigen Hand zu entrinnen.

Das Lamm trat hervor, gleich dem Löwen kraftvoll und majestätisch, um das Buch zu nehmen und damit Seine Rechte geltend zu machen, die Gerichte Gottes über die Erde auszuführen. Diese Handlung rief einen Ausbruch von Lobpreis und Anbetung hervor, dessen Widerhall bis zu den äußersten Grenzen der Schöpfung vordrang.

Dieser Ausbruch beginnt in dem inneren Kreis der vier lebendigen Wesen und der vierundzwanzig Ältesten, die bereits vorher beteiligt waren, dem, der auf dem Thron saß, Herrlichkeit, Ehre und Danksagung zu geben, als es um die Schöpfung ging. Jetzt ging es um die Erlösung, woraus folgt, daß das Lamm der Gegenstand der Anbetung ist. Alle ehren mit Freuden den Sohn, gleichwie sie den Vater ehren. In der Tat weist der Vater jede Verehrung zurück, die Ihm dargebracht wird, wenn der Sohn nicht geehrt wird.

Die Ältesten hatten Harfen, goldene Schalen voll Räucherwerk und sangen ein neues Lied: Symbole, die dem Alten Testament entnommen sind. Die Anbetung im Tempel, die David verordnet hatte, stützte sich auf Asaph mit seinen Harfenspielern und die Priester mit ihren Weihrauchfässern, und dann gab es den „Gesang Jehovas“ nach 2. Chronika 29,27. So werden die Ältesten als Priester gesehen, die Gott in Gesang und Gebet dienen. Der Psalmist sagte: „Laß als Räucherwerk vor dir bestehen mein Gebet“ (141,2), und hier sind Gebete, die als Räucherwerk und im Lied aufsteigen, gegründet auf die Erlösung. Das Lied ist neu, weil es eine Erlösung außerhalb jeder Nation zur Grundlage hat, anders als in 2. Mose 15, wo sie auf Israel beschränkt ist; und auch insoweit, als es weniger der Rettung gewidmet ist, sondern mehr die Würde des Richters feiert.

Die Anbetung der Ältesten ist von drei Kennzeichen geprägt. Erstens durch Einsicht und persönliche Unmittelbarkeit. Sie verstehen, daß die Grundlage aller Vorsätze Gottes das erlösende Blut des Lammes ist. So wenden sie sich an Ihn persönlich: „Du bist würdig.“ Sie singen nicht nur von Ihm in der dritten Person: „Würdig ist das Lamm.“ Zweitens singen sie, während die Engel in Vers 11 und die Geschöpfe in Vers 13 „sprechen“ und nicht singen. Gesang geziemt solchen, die erlöst worden sind.

Drittens feiern sie, obwohl sie selbst Erlöste sind, das Erlösungswerk des Lammes durch Sein Blut, doch in einer Weise, daß sie nicht so sehr mit ihrem eigenen Anteil an diesem Werk beschäftigt sind, sondern mehr mit dem hohen Wert und der Vortrefflichkeit der Erlösung an sich zum Wohlgefallen „unseres Gottes“. Die verherrlichten, himmlischen Gläubigen werden über sich selbst emporgehoben zu einer Sichtweise und Anbetung von göttlicher Warte aus. Sicherlich sollte dies auch der Charakter der Anbetung in der Versammlung heute sein, obwohl die Zeit des Herrschens noch nicht gekommen ist. In Offenbarung 5 stehen wir an der Schwelle der Zeit, wo „die Heiligen der höchsten Örter“ das Reich empfangen und es besitzen werden „bis in Ewigkeit, ja, bis in die Ewigkeit der Ewigkeiten“ (Dan 7,18). Daher kann gesagt werden: „Sie werden über die Erde herrschen.“

Nun erschallt die Stimme unzähliger Engel, der die Stimmen aller geschaffenen Wesen folgen. In beiden Fällen preisen sie das Lamm, wie wir schon bemerkt haben, ohne sich jedoch an es persönlich zu wenden. Siebenfach ist dieser Lobpreis der Engel, vierfach der aller Geschöpfe – vier ist die Zahl, die auf die Universalität in der Schöpfung hinweist. Die Engel verkünden, daß das Lamm, das von den Menschen verurteilt wurde, des Todes würdig zu sein, und das zur Schlachtung geführt wurde, aller Herrlichkeit in siebenfacher Vollständigkeit würdig ist. Jedes Geschöpf sieht das Lamm verbunden mit dem, der auf dem Thron sitzt. Alle Segnung, Ehre, Herrlichkeit und Macht werden Ihm als Erbe zugesprochen. Dem fügen die lebendigen Wesen ihr Amen hinzu. Die Ältesten fallen erneut nieder und beten an.

Bevor wir zu Kapitel 6 kommen, wollen wir uns noch einmal daran erinnern, daß Johannes für uns ein Gesicht aufzeichnet, das ihm gestattete, himmlische und irdische Dinge zu sehen und zu hören und so im voraus schriftlich niederzulegen, zu welchem letzten Ergebnis das Eingreifen des Lammes im Gericht führen wird. Dies trifft besonders auf Vers 13 zu. In den folgenden Kapiteln berichtet er, statt von Lobpreis, mehr von Bosheit und Lästerung seitens der Geschöpfe auf der Erde, aber letztendlich werden alle Geschöpfe Seinen Ruhm verkünden müssen.

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