Das Evangelium nach Markus

Kapitel 6

Das Evangelium nach Markus

Nach diesen Begebenheiten verließ Er das Seeufer und kam in die Gegend, wo Er Sein früheres Leben verbracht hatte. Als Er in der Synagoge lehrte, setzten Seine Worte die Zuhörer in Erstaunen. Sehr deutlich erkannten sie die Weisheit Seiner Lehren und die Vollmacht Seiner Taten, was aber ihre Herzen nicht überführte und keinen Glauben bewirkte. Sie kannten Ihn und Seine Angehörigen nach dem Fleisch, aber gerade diese Tatsache verschloß ihre Augen, so daß sie nicht sahen, wer Er wirklich war. Ihr Unglaube äußerte sich nicht beleidigend wie bei den Trauergästen im Haus des Jairus, dennoch war es krasser Unglaube, über den Er sich wunderte.

Ihre Ansicht über Ihn entsprach genau der eines modernen Unitariers. Von Seiner Menschheit waren sie völlig überzeugt, denn sie waren wohl vertraut mit Seiner Herkunft, soweit es sein Fleisch betraf. Die stand ihnen so klar vor Augen, daß eben diese Augen getrübt waren, darüber hinaus zu sehen. „Und sie ärgerten sich an ihm.“ Der Unitarier sieht Seine Menschheit, aber sonst nichts. Auch wir sehen Seine Menschheit, doch darüber hinaus sehen wir Seine Göttlichkeit. Es stört uns nicht, daß wir mit dem Intellekt nicht begreifen können, wie beides in Ihm gefunden wird. Da wir wissen, daß unser Denkvermögen begrenzt ist, erwarten wir nicht, das zu erklären, worin Unendlichkeit einfließt. Wenn wir es erfassen und erklären könnten, würden wir erkennen, daß das von uns so Verstandene nicht mehr das Göttliche ist.

Dieser Unglaube war der Grund dafür, daß „er daselbst kein Wunderwerk tun konnte“, außer daß Er einige Schwache heilte, die offenbar an Ihn glaubten. Dies unterstreicht, was wir vorher zu Kapitel 5,43 ausgeführt haben. Wie der Herr bei so lästerlichem Unglauben jedes Zeugnis über sich selbst zurückhielt, so tat Er hier vor Seinen ungläubigen Landsleuten keine machtvollen Werke.

Wir könnten geneigt sein zu denken, daß der Herr das Gegenteil hätte tun sollen. Doch auch andere Schriftstellen weisen darauf hin, daß das Zeugnis zurückgehalten wird, wenn der Unglaube sich bis zum Spott erhebt – siehe Jeremia 15,17; Apostelgeschichte 13,41; 17,32 – 18,1. So ist auch offensichtlich, daß, obwohl „Jesus, der Nazaräer, ... von Gott durch mächtige Taten und Wunder und Zeichen“ (Apg 2,22) erwiesen wurde, Sein eigentliches Anliegen doch nicht darin bestand, hartnäckigen Unglauben zu überzeugen, sondern Schwache im Glauben zu ermutigen und zu befestigen. In Johannes 2,23-25 wird uns gezeigt, daß Seine Wunder bei gewissen Leuten eine intellektuelle Überzeugung bewirkten, daß Er selbst aber kein Vertrauen in diese Art von Glauben setzte. Deshalb tat Er auch keine Wunderwerke in Nazareth und seiner Umgebung. Er „konnte“ sie nicht tun. Moralische Beweggründe, nicht etwa physische, hielten Ihn davon ab. In den Wegen Gottes waren Wunder dort nicht passend, und Er diente dem Willen Gottes.

Passend war ein klares Zeugnis durch das Wort. Deshalb „ging er durch die Dörfer ringsum und lehrte“. Hätte Er eindrucksvolle Wunder getan, möchte eine Änderung der Gefühle und eine intellektuelle Überzeugung die Folge gewesen sein, doch beides wäre ohne Wert gewesen. Die stetige Belehrung durch das Wort bedeutete das Säen des Samens, und lohnende Frucht würde sich ergeben, wie wir gesehen haben.

Das bringt uns zu Vers 7 dieses Kapitels, wo wir finden, daß die Zwölf mit ihrem ersten missionarischen Auftrag ausgesandt werden. Die Zubereitungszeit war jetzt vorbei. Sie hatten Seinen Belehrungen gelauscht, wie Kapitel 4 sie wiedergibt, und sie waren die Zeugen Seiner Macht, wie Kapitel 5 sie entfaltet. Sie hatten auch eindrucksvollen Anschauungsunterricht erhalten hinsichtlich des Platzes, den Wunder einnehmen sollten, wie auch der Tatsache, daß das Lehren und die Predigt des Wortes Gottes immer zeitgemäß war, während für Wunder eine Zeit auch ungelegen sein konnte.

Wunder und Zeichen echter Art sind heute nicht zu sehen, aber das Wort Gottes bleibt. Laßt uns dafür dankbar sein, daß das Wort immer gelegene Zeit hat, und laßt uns Fleiß anwenden, es auszusäen.

Mit der Aussendung der Zwölf weitete sich der Dienst des Herrn aus. Bis hierher hatte alles in Seiner eigenen Hand gelegen, und die Jünger waren Zuschauer gewesen; von jetzt ab sollen sie in Seinem Namen handeln. Er besaß in sich selbst jede Fähigkeit, die Jünger jedoch nicht; deshalb gehen sie zu zwei und zwei. In der Gemeinsamkeit liegt Hilfe und Ermutigung, denn wo in einem Fall der eine schwach sein mag, kann der andere stark sein, und der sie aussandte, wußte wohl, wie Er sie zusammenstellen konnte. Als besonders hilfreich erweist sich diese Gemeinschaft, wenn Pionierarbeit zu leisten ist. Die Apostelgeschichte zeigt uns, wie Paulus nach dieser Weisung des Herrn verfahren ist. Der Dienst an sich ist eine persönliche Sache, das ist wahr, doch auch heute tun wir gut daran, Gemeinschaft im Dienst hoch einzuschätzen. „Wir sind Gottes Mitarbeiter“ (1. Kor 3,9).

Bevor sie aufbrachen, empfingen sie Gewalt oder Autorität über alle Macht Satans. Auch waren sie angewiesen, sich der üblichen Notwendigkeiten zu entledigen, die Reisende jener Tage mit sich trugen. Und ihre Botschaft wurde ihnen gegeben. Wie ihr Meister im Hinblick auf das zu erwartende Reich Buße gepredigt hatte, so sollten auch sie es tun.

Die Diener heute erhalten ihren Auftrag nicht von einem Christus auf der Erde, denn Christus ist im Himmel; das hat bestimmte Veränderungen zur Folge. Unsere Verkündigung hat ihren Schwerpunkt in dem Tod, der Auferstehung und der Verherrlichung Christi. Es lag in der Natur der Dinge, daß die Botschaft der Jünger damals diese Wahrheiten noch nicht bezeugen konnte. Sie verzichteten auf alle Reisenotwendigkeiten und entsprachen so dem Vorbild eines Messias auf der Erde, der nichts hatte und doch durchaus in der Lage war, sie zu erhalten. Wir folgen einem Christus nach, der droben eingegangen ist, und Er übt Seine Macht aus, Seine Diener von der Abhängigkeit eher geistlicher als materieller Stützen freizumachen. Wir finden aber einen starken Trost in dem Gedanken, daß Er keinen Diener aussendet, ohne ihm Vollmacht für den vor ihm liegenden Dienst zu verleihen. Wer Dämonen austreiben sollte, würde die Kraft dazu von Ihm empfangen. Und wenn unser Dienst von anderer Art ist, dann wird Er uns befähigen, jede uns übertragene Aufgabe zu erfüllen.

Sie – und auch wir – sollten durch äußerste Einfachheit gekennzeichnet sein; da gibt es kein Laufen von Haus zu Haus auf der Suche nach etwas Besserem. Sie repräsentierten Ihn. Er handelte durch sie als Seine Vertreter. Sie abzuweisen, bedeutete, Ihn abzuweisen. Die Ihm heute dienen sind keine Apostel, doch ohne Zweifel bestätigt sich dieselbe Wahrheit in geringerem Maß. Die Botschaft Gottes ist um nichts weniger Seine Botschaft, auch wenn sie von schwachen Lippen verkündet wird.

Ihr Dienst, ob er nun im Predigen, in Dämonenaustreibungen oder in Heilungen bestand, war so wirkungsvoll, daß Sein Name – nicht der ihre – weithin verbreitet wurde, und selbst Herodes hörte von Ihm. Dieser böse König hatte ein so schlechtes Gewissen, daß er sogleich annahm, Johannes der Täufer, sein Opfer, sei von den Toten auferstanden. Andere hielten Christus für Elias oder einen der alten Propheten. Keiner wußte es mit Bestimmtheit, denn keiner dachte an Gott und Seine Fähigkeit, etwas Neues zu schaffen.

An dieser Stelle bringt Markus einen Einschub, um uns in den Versen 17-28 zu berichten, wie Johannes auf Geheiß einer rachsüchtigen Frau ermordet worden war. Obwohl Herodes ein böser Mann war, besaß er doch ein Gewissen, das noch sprach, und wir sehen, mit welch meisterhafter Raffinesse der Teufel ihn einfing. Die Falle wurde aufgestellt mittels einer jungen Frau mit hübschem Gesicht und guter Figur und einer älteren, noch anziehenden, aber rachsüchtigen Frau sowie einer törichten Eitelkeit, die dem unglücklichen König einredete, mehr um seinen Eid zu geben als um das Gesetz Gottes. So wurde der eitle und sinnliche Mann in den Mord verwickelt, der das schrecklichste Verdammungsurteil über ihn selbst brachte. Sein unruhiges Gewissen rief abergläubische Ängste wach.

Markus erwähnt in Vers 29 nur kurz, daß die Jünger des Johannes kamen und seinen verstümmelten Leib begruben. Er fügt nicht wie Matthäus hinzu, daß sie kamen und es Jesus verkündeten (14,12). Anschließend berichtet er über die Rückkehr der Jünger von ihrem Reisedienst und wie sie dem Herrn alles erzählten, was sie getan und gelehrt hatten. Danach zog Er sich mit ihnen zurück an einen öden Ort, damit sie abseits von der Volksmenge nach dem anstrengenden Dienst eine ruhige Zeit in Seiner Gegenwart verbringen könnten. Es ist bemerkenswert, daß wir es nach der Parallelstelle in Matthäus als ziemlich sicher annehmen können, daß gerade in dieser Zeit auch die Jünger des Johannes in ihrer Trauer zu Ihm kamen.

Laßt uns nie vergessen, daß nach einer Phase eifrigen Dienstes eine Zeit der Ruhe in der Gegenwart des Herrn und abseits der Menschen nötig ist. Die Jünger des Johannes kamen von ihrem traurigen Dienst mit Herzen voller Not und Qual zu Ihm. Die Zwölf hatten triumphierende Begegnungen mit dämonischen Mächten und Krankheiten gehabt und waren von den Erfolgen freudig erregt. Die einen wie die anderen bedurften der Ruhe Seiner Gegenwart, die sowohl ein niedergeschlagenes Herz aufzurichten als eine zu gehobene Stimmung zu zügeln vermag.

Die Zeit des Ausruhens war aber nur kurz, denn die Menschen suchten Ihn scharenweise, und Er wollte ihnen Seine Hilfe nicht verweigern. Das Herz des großen Dieners zeigt sich in Vers 34 in lieblichster Weise, wo uns gesagt wird, daß Er „innerlich bewegt“ wurde. Ihr Anblick, „wie Schafe, die keinen Hirten haben“, rührte Ihn zu tiefem Mitgefühl, und daneben fanden Verärgerung oder Verachtung keinen Raum, wie es leider bei uns oft vorkommt. Und er wurde von dem Mitleid, das Er fühlte, bewegt. Darin liegt das Wunder.

Sein Mitgefühl bewegte Ihn in zwei Richtungen. Erstens suchte Er ihnen in ihren geistlichen Bedürfnissen zu dienen und zweitens sie auch im Blick auf ihre leiblichen Bedürfnisse zu versorgen. Beachten wir die Reihenfolge: das geistliche Anliegen kam zuerst. „Und Er fing an, sie vieles zu lehren“, obwohl nicht berichtet wird, was Er gesagt hat. Und dann, als es Abend geworden war, stillte Er ihren Hunger. Laßt uns daraus lernen, wie auch wir handeln sollten. Wenn den Menschen im natürlichen Leben etwas mangelt, dann ist es gut, daß wir ihnen nach unserem Vermögen helfen; aber laßt uns doch immer dem Wort Gottes den ersten Platz geben. Körperliche Bedürfnisse dürfen in unserem Dienst nie den Vorrang vor den geistlichen haben.

Bei der Speisung der Fünftausend prüfte der Herr zunächst Seine Jünger. Wie viel hatten sie von Seiner Allgenugsamkeit erfaßt? Offensichtlich sehr wenig; denn auf Sein Wort hin „Gebt ihr ihnen zu essen!“ denken sie nur an menschliche Hilfsquellen und an Geld. Nun, vorhandene Hilfsmittel dieser Art werden keinesfalls ignoriert. Sie waren ziemlich unbedeutend, dennoch bedient der Herr sich ihrer, damit in ihnen Seine Macht zur Entfaltung kommen möchte. Er hätte Steine in Brot verwandeln oder in der Tat auch Brot aus dem Nichts erschaffen können, aber Seine Weise war, die fünf Brote und die zwei Fische zu verwenden.

Und genau in dieser Weise ist Sein Werk fortgesetzt worden bis in die heutige Zeit. Seine Diener besitzen gewisse geringfügige Dinge, und es gefällt Ihm, sie zu benutzen. Und dann teilt Er Seine Güte aus in geregelten Bahnen, wobei das Volk sich zu je hundert und je fünfzig lagert, und bei dieser Arbeit gebraucht Er Seine Jünger. Ihre Füße und ihre Hände waren beteiligt, als sie den Leuten die Speisen reichten. Auch heute gebraucht Er die Füße und Hände Seiner Diener, ebenso sollte Ihm alle Kraft unseres Geistes und auch unser Mund zur Verfügung stehen, damit das Brot des Lebens den Armen gereicht werden mag. Doch ist es einzig Seine Kraft, die das wunderbare Ergebnis bewirkt. Das wird offenbar in der Geringfügigkeit der hier benutzten Hilfsmittel.

Als der vollkommene Diener war Er besorgt, alles, was Er tat, mit dem Himmel zu verbinden. Bevor sich das Wunder ereignete, blickte Er zum Himmel auf und dankte. Dadurch wurden die Gedanken der Volksmenge auf Gott gelenkt, der die Quelle von allem ist, und weniger auf Ihn selbst als den Diener Gottes auf der Erde. Ein Wort an uns, dem das gleiche Prinzip zugrunde liegt, finden wir in 1. Petrus 4,11. Der Diener, der geistliche Nahrung mitteilt, soll es als von Gott aus tun („als Aussprüche Gottes“), damit Gott verherrlicht werde, nicht er selbst.

Wir mögen ferner noch eine Ermutigung aus der Tatsache empfangen, daß bei der Speisung der großen Volksmenge viel mehr übrigblieb als das wenige, womit sie begann. Die göttlichen Hilfsquellen sind unerschöpflich, und ein Diener, der sich auf seinen Meister stützt, wird nie ohne Vorrat dastehen. In dieser Hinsicht besteht eine beglückende Ähnlichkeit zwischen den Broten und Fischen in der Hand der Jünger damals und der Bibel in der Hand der Seinen heute.

Nachdem die Volksmenge gesättigt war, sandte Er sogleich Seine Jünger an das andere Ufer des Sees, während Er selbst sich dem Gebet widmete. Er verband nicht nur alles mit dem Himmel durch die Danksagung angesichts des Volkes, sondern Er stand auch für sich selbst als der Diener des göttlichen Willens in steter Beziehung zum Himmel. Aus Johannes 6 erfahren wir, daß das Volk durch das Zeichen beeindruckt war und ihn gewaltsam zum König machen wollte. Vielleicht waren auch die Jünger davon eingefangen, Er aber nicht.

Bei der Überquerung des Sees erlebten die Jünger erneut, wer ihr Meister war. Gegenwind behinderte ihre Fahrt, nur mühsam kämpften sie sich vorwärts. Wieder erwies Er sich als erhaben über Wind und Wogen, indem Er auf den Wassern schritt und in der Lage war, an ihnen vorüberzugehen. Sein Wort beschwichtigte ihre Ängste, und Sein Nahesein im Boot beruhigte den Sturm. Doch trotz des überwältigenden Erlebens ging ihnen die wahre Bedeutung nicht auf. Ihre Herzen waren noch nicht bereitet, sie wirklich aufzunehmen. Doch das Volk in der Masse hatte gelernt, Ihn als den Herrn und Seine Macht anzuerkennen. Eine Fülle von Not wurde vor Ihm ausgebreitet, und Er begegnete ihr mit einer Fülle von Gnade.

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