Die Briefe an die Thessalonicher

1. Thessalonicher 1

Die Briefe an die Thessalonicher

Sie waren nicht formell zu einer „Kirche“ zusammengeschlossen worden. Wäre dazu eine Zeremonie üblich gewesen, so wäre sie durch das plötzliche und erzwungene Ende der Arbeit des Paulus in ihrer Mitte verhindert worden. Nein, sie wurden die Versammlung, die „Herausgerufenen“ Gottes, durch die einfache Tatsache, daß Gott sie durch das Evangelium aus der Welt herausgerufen hatte. Obwohl sie sich erst kurz zuvor bekehrt hatten, konnte der Apostel sie als eine Versammlung Gottes anerkennen, versammelt in der freudigen Gewißheit, daß Gott ihr Vater war. Außerdem ordneten sie sich Jesus als ihrem Herrn unter. Den Vater zu kennen ist nach 1. Johannes 2,13 das kennzeichnende Merkmal der Kindlein in Christus. Jesus als Herrn anzuerkennen ist nach Römer 10,9.10 der Weg zum Heil.

Paulus sah mit großer Dankbarkeit auf seinen kurzen Aufenthalt in ihrer Mitte zurück, und er dachte während seiner Abwesenheit beständig im Gebet an sie. Von Vers 3 bis zum Ende des Kapitels zählt er auf, was er von dem Wirken des Geistes Gottes an ihnen gesehen hatte. Somit haben wir hier eine eindrucksvolle Beschreibung der wunderbaren Ergebnisse, die im Charakter und im Leben von Menschen bewirkt werden, die eine echte Bekehrung erlebt haben.

Es ist beachtenswert, daß zuerst die Wesenzüge beschrieben werden, die in ihnen entfaltet wurden. Sie lassen sich in drei Worten zusammenfassen: Glaube, Hoffnung und Liebe. Diese Wesenszüge können jedoch nur dann von uns gesehen werden, wenn sie in unseren Handlungen und Wegen zum Ausdruck kommen, deshalb werden ihr Werk, ihre Bemühung und ihr Ausharren (oder ihre Geduld) erwähnt. Ihr „Werk des Glaubens“ war für alle sichtbar, in Übereinstimmung mit dem, was Jakobus in seinem Brief schreibt: „Ich werde dir meinen Glauben aus meinen Werken zeigen“ (Jak 2,18). Beachten wir, daß sowohl hier als auch in Jakobus 2 die erwähnten Werke Werke des Glaubens sind, während in Römer 4, einem Kapitel, das viele irrtümlicherweise als in Widerspruch zu Jakobus stehend ansehen, von „Gesetzeswerken“ die Rede ist – was etwas völlig anderes ist.

Wie der Glaube durch seine Werke ans Licht kommt, so wird die Liebe durch Bemühungen ausgedrückt. Es ist kennzeichnend für die Liebe, wie wir alle wissen, daß sie unermüdlich tätig ist für die, die sie liebt. So drückt sich auch die Hoffnung in geduldigem Ausharren aus. Nur dann, wenn Menschen alle Hoffnung verlieren, geben sie schnell auf: Sie halten so lange durch, wie die Hoffnung gleich einem Stern vor ihren Augen leuchtet.

Diese Dinge waren bei den Thessalonichern klar und deutlich erkennbar. Das veranlaßte Paulus zu der zuversichtlichen Schlußfolgerung, daß sie zu den Auserwählten Gottes gehörten. Es war nicht so, daß Paulus, bevor er in der Synagoge in Thessalonich an jenen drei Sabbaten aufstand, um zu predigen, ein Kennzeichen auf dem Rücken all jener hätte anbringen können, die glauben würden, so als hätte er geheimen Zugang zu dem Buch des Lebens des Lammes gehabt und im voraus die Namen derer gekannt, die von Gott auserwählt waren. Paulus bezog sein Wissen aus der völlig entgegengesetzten Richtung. Da er wußte, in welch kraftvoller Weise das Evangelium zu ihnen gekommen war, und da er auch die Ergebnisse sah, die der Geist Gottes bei ihnen hervorgebracht hatte, gab es für ihn keinen Zweifel, daß sie von Gott auserwählt waren.

Beachten wir in dieser Hinsicht die einleitenden Worte des Apostels in seinem ersten Brief an die Korinther. In ihrem Fall kann er Gott nur für die Gnade danken, die ihnen in Christus gegeben worden war, und daß sie in allem reich gemacht worden waren. Der Besitz einer Gabe bedeutet jedoch nicht notwendigerweise, daß ihr Besitzer ein echter Gläubiger ist, wie das Beispiel von Judas Iskariot verdeutlicht. Deshalb auch die eindringlichen Worte der Warnung in 1. Korinther 9 und 10. Er sprach zu ihnen von sich selbst als von jemand, der verwerflich werden konnte, und zwar wegen gewisser Zweifel, die er in bezug auf einige von ihnen trotz ihrer Gaben hatte. Die Thessalonicher bildeten hierzu einen glücklichen Gegensatz.

Nach Hebräer 6,9 gibt es Dinge, die mit der Errettung in unmittelbarem Zusammenhang stehen. Als ein Beispiel dafür wird gleich im darauf folgenden Vers die Liebe genannt. In unserem Abschnitt werden drei Dinge erwähnt, und die Bemühung der Liebe ist eins davon. Es mögen sich zwar keine Gaben zeigen, aber wenn diese Dinge vorhanden sind, können wir sicher sein, daß solche Menschen die Errettung besitzen und Auserwählte Gottes sind.

Wenn wir in Vers 3 die Frucht sehen, die in diesen Gläubigen hervorgebracht wurde, und in Vers 4 das Vertrauen des Apostels angesichts dieser Frucht, so zeigt uns Vers 5 die Art und Weise, wie die Frucht bewirkt wurde. Erstens kam das Evangelium zu ihnen im Wort: Es wurde freimütig von Paulus gepredigt. Zweitens wurde seine Verkündigung unterstützt durch sein hingebungsvolles und geheiligtes Leben. Drittens führten die ersten beiden Dinge dazu, daß das Evangelium sie in Kraft und im Heiligen Geist erreichte. Der Heilige Geist wirkte mächtig durch das Wort. Der Apostel bezieht sich im zweiten Kapitel in vielen Einzelheiten auf die Art und Weise, wie er unter ihnen gelebt hatte.

Das Evangelium kam ebenfalls zu ihnen „in großer Gewißheit“. Das ist sehr bedeutsam, denn wenn wir Apostelgeschichte 17 aufschlagen, stellen wir fest, daß die Verkündigung des Paulus in ihrer Stadt besonders darin bestand, ihnen die Schriften zu eröffnen. Er legte ihnen dar, daß der wahre Christus Gottes, als er erschien, sterben und wieder auferstehen mußte und daß diese Voraussagen so vollkommen in Jesus ihre Erfüllung gefunden hatten, daß die Schlußfolgerung unausweichlich war: Jesus ist der Christus! Er hatte, mit anderen Worten, unter diesen Menschen seine Verkündigung des Evangeliums und seine Beweisführung besonders auf das Wort Gottes gegründet; daher die große Gewißheit bei den Bekehrten.

Laßt uns das gut bedenken. Wenn ein Apostel, der inspirierte Aussprüche äußern konnte, sich mit solchem fundierten und wirkungsvollen Ergebnis auf die Schriften berief, wieviel mehr sollten wir, die wir nur die Schriften haben, um uns darauf zu berufen, sie zur Grundlage all unserer Verkündigung machen. „Predige das Wort“ ist eine wichtige Aufforderung für uns. Außerhalb davon gibt es keine Gewißheit. Ein Prediger mag uns vielleicht durch seine persönliche Überzeugungskraft davon überzeugen, daß die Dinge so sind, wie er sie darlegt. Die Bekehrten mögen uns erzählen, daß sie volle Gewißheit haben durch die glücklichen Empfindungen, die sie erfahren. Aber weder in dem einen noch in dem anderen Fall gibt es wirkliche Gewißheit. Wir können von etwas nur dann wirklich überzeugt sein, wenn es sich auf das Wort Gottes gründet.

In den Versen 6–8 finden wir, wie das Evangelium bei denen wirkte, die es aufnahmen. Wir haben zuerst den dreifachen Charakter gesehen, den es in ihnen hervorgebracht hatte. Nun sehen wir den dreifachen Charakter, den es ihnen aufgeprägt hatte. Sie waren zu „Nachahmern ... des Herrn“ geworden, „allen Gläubigen ... zu Vorbildern“, und von ihnen war „das Wort des Herrn erschollen“ wie bei Trompetern oder Herolden, indem das Wort des Herrn öffentlich bekannt wurde.

Paulus war selbst ein Vorbild (siehe 1. Tim 1,16); daher konnte er die Gläubigen zu Recht auffordern, seine Nachahmer zu sein. Er konnte aber nur deshalb ein Vorbild sein, weil er Christus nachfolgte, so daß es eigentlich der Herr war, dem sie nachfolgten. In diesem Zusammenhang wird erwähnt, daß sie, obwohl sie jetzt mit Freude nachfolgten, die durch den Heiligen Geist bewirkt worden war, zuerst die Kraft des Wortes erfahren hatten, wie es in das Gewissen eindringt und die Buße zu Gott bewirkt, begleitet von Herzensübungen. So ist es immer. Je gründlicher das Werk der Buße, desto heller die Freude und desto entschiedener die Jüngerschaft der Bekehrten. Mögen solche, die das Wort predigen, auf ein gründliches Werk in Herz und Gewissen hinwirken anstatt auf aufsehenerregende und oberflächliche Ergebnisse. Dann werden sie ihren Lohn am Tag Christi nicht verlieren.

An erster Stelle steht die Nachfolge des Herrn. Als echte Jünger wurden die Thessalonicher zu Vorbildern für ihre Mitgläubigen in den umliegenden Provinzen. Paulus konnte auf sie hinweisen und sagen: „Das ist es, was die Gnade Gottes hervorbringt, wo sie als Frucht eines gründlichen Werkes der Buße zu Gott empfangen wird.“ Dies wird durch die Worte „so daß“ am Anfang von Vers 7 angedeutet. Das kleine Wort „denn“, womit der achte Vers beginnt, zeigt, daß auch das Nachfolgende damit verbunden ist. Ihr evangelistischer Eifer machte sie ebenfalls zu einem Beispiel für andere. Sie empfingen das Wort nicht nur zu ihrem eigenen Segen, sondern durch sie gelangte es auch zu anderen, so daß ihr Glaube an Gott nicht nur in der näheren Umgebung bekannt wurde, sondern auch darüber hinaus. Das ganze Werk Gottes wurde durch seine Auswirkungen bei diesen Menschen so wirkungsvoll öffentlich bekannt, daß der Apostel nicht nötig hatte, selbst noch ein Wort zu sagen.

Nichts beglaubigt so wirkungsvoll das Evangelium wie das veränderte Leben derer, die es angenommen haben. Diese Tatsache ist von aufmerksamen Beobachtern schon oft bestätigt worden. Hier aber ist es die Schrift selbst, die das anerkennt. Andererseits macht nichts die Verkündigung des Evangeliums so wirkungslos wie offenbare Sünde bei denen, die bekennen, dem Evangelium geglaubt zu haben. Können wir uns daher bei dem traurigen Zustand der christianisierten Länder wundem, daß sich ein Evangelist heute in diesen Ländern mit harten und schwierigen Bedingungen konfrontiert sieht? Möge Gott jedem von uns zu Hilfe kommen, damit unser Leben das Evangelium beglaubigt und nicht im Gegensatz dazu steht.

In den abschließenden Versen finden wir eine dritte Seite: jetzt nicht den Charakter, der in ihnen bewirkt wurde, noch die Kennzeichen, die ihnen aufgeprägt waren, sondern das, was von ihnen getan wurde. Ihre Bekehrung geschah im Hinblick auf den Dienst für Gott und die beständige Erwartung des Kommens Christi.

„Wie ihr euch von den Götzenbildern zu Gott bekehrt habt.“ Hier haben wir eine schriftgemäße Definition der Bekehrung: nämlich nicht nur eine Umkehr, sondern eine Umkehr zu Gott und folglich auch weg von den Götzenbildern. Götzen sind nicht nur jene häßlichen Bildnisse, die von den Heiden verehrt und gefürchtet werden, sondern alles, ob elegant oder häßlich, was den beherrschenden Platz im Menschenherzen an sich reißt, der rechtmäßig allein Gott zusteht. Jeder gefallene Sünder hat Götzenbilder vor Augen, die sein Herz betören, und er hat Gott den Rücken zugewandt. Nun findet eine Bekehrung statt, und siehe, Gott steht vor seinem Blick, und er kehrt den Götzenbildern den Rücken zu.

Wenn wir uns zu Gott bekehrt haben, sind wir berufen, unser Leben Seinem Dienst zu weihen. Ist dir schon einmal bewußt geworden, welch ein großartiges Vorrecht und welch eine Anerkennung der Macht des Evangeliums es ist, daß wir Ihm überhaupt dienen dürfen? Ein fleißiger Arbeiter in einem heruntergekommenen Stadtteil bemerkte eines Sonntagabends bei einer der schlimmsten Bewohnerinnen eines zwielichtigen Hauses deutliche Anzeichen der Buße. Er freute sich darüber sehr, wenn auch zögernd. Aber was würde er empfinden, wenn früh am Montagmorgen diese arme Person auf seiner Türschwelle stände, unter vielen Tränen ihre Dankbarkeit für den empfangenen Segen ausdrückte und den Wunsch äußerte, ihre Dankbarkeit dadurch zu zeigen, daß sie in seinen Dienst träte – ihm das Essen kochte und das Haus putzte? Sie ist gezeichnet durch die Folgen von Krankheit, Schmutz, Heruntergekommensein und – bis gestern – von Alkohol. Was würde er sagen? Was würdest du sagen?

Wir haben unser Bild nicht überzeichnet. In moralischer und geistlicher Hinsicht entsprachen wir genau diesem beschriebenen Fall.

Und doch sind wir in den Dienst des dreimal heiligen Gottes gestellt worden, und zwar als Erlöste und Wiedergeborene. Wie gewaltig muß daher die moralische Erneuerung sein, die das Evangelium bewirkt! Welch ein großes Vorrecht ist es doch, daß wir in den hohen und heiligen Dienst Gottes gestellt sind, um so mehr, wenn wir daran denken, daß wir immer noch das Fleisch in uns haben und daher noch sehr anfällig für die Sünde sind. Wir dürfen jetzt tatsächlich Seinen Interessen, Absichten und Plänen dienen, die Er vor Grundlegung der Welt gefaßt hat. Wenn wir uns dessen immer bewußt wären, gäbe es kein Verlangen, sich diesem Werk zu entziehen. Wir würden mit aller Energie und Freude an dieses Werk gehen.

Während wir dienen, warten wir. Wir sind errettet in der Hoffnung zukünftiger Segnungen. Wir erwarten hier nicht den Tod, was für uns bedeuten würde abzuscheiden, um bei Christus zu sein, sondern wir erwarten Sein Kommen für uns. Wir erwarten den Sohn Gottes vom Himmel. So weit geht der Apostel an dieser Stelle – wenn wir zu Kapitel 4 kommen, werden wir erfahren, was diese Aussage in sich schließt.

Wir wollen jedoch nicht vorgreifen. Jetzt wollen wir nur festhalten, daß es der Sohn Gottes ist, der kommt. Er kommt vom Himmel, wo Er jetzt zur Rechten Gottes sitzt. Sein Name ist Jesus, den wir als unseren Erretter von dem kommenden Zorn kennen. Das Verb „errettet“ steht nicht in der Vergangenheit. Es ist Jesus, der uns „errettet“, oder eigentlich: „Jesus, unser Erretter“. Es geht darum, daß Jesus, wenn Er vom Himmel kommt, uns von dem kommenden Zorn erretten wird.

Immer wieder wird sowohl im Alten als auch im Neuen Testament das Wort „Zorn“ gebraucht, um die schweren Gerichte Gottes zu bezeichnen, die die Erde treffen werden. Wir leugnen hiermit durchaus nicht, daß das Wort an einigen Stellen des Neuen Testaments in seiner Bedeutung weitergeht und auch das Strafgericht Gottes, das bis in die Ewigkeit reicht, umfaßt. Dennoch wird das Wort hauptsächlich in der Weise gebraucht, wie soeben beschrieben.

Das wird bei einem aufmerksamen Lesen der Offenbarung deutlich. Menschen und Völker häufen sich selbst Zorn auf am Tag des Zorns, und ein offenes Auge sieht, daß der Tag des Zorns beständig näherkommt.

Welche Freude ist es für den Gläubigen zu wissen, daß, obwohl der Zorn kommt, auch der Herr Jesus kommt, und zwar als Erretter! Bevor der Zorn sich wie ein Adler auf seine Beute stürzen wird, kommt Jesus, und wir werden befreit von eben dem Ort, über den der Zorn kommen wird. Auf die Einzelheiten dieses Ereignisses müssen wir warten. In der Zwischenzeit können wir uns darüber freuen, daß das Ereignis selbst eine herrliche Gewißheit ist und schnell näherkommt.

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