Botschafter des Heils in Christo 1857

Der gegenwärtige und der zukünftige Zeitlauf - Teil 5/9

IV. Letzte Entwicklung des Bösen im gegenwärtigen Zeitlauf, seine Zerstörung und die Einführung des zukünftigen Zeitlaufs durch die Erscheinung des Herrn.

1. Die Entrückung der Versammlung, die für die Welt unsichtbar ist, ändert nichts an ihrem Unglauben.

Die Welt hat an der Entrückung der Versammlung keinen Anteil. Sie wird dieses Ereignis auch nicht sehen. Dies scheint wenigstens aus folgenden Erwägungen hervorzugehen:

1. Nichts von dem, was das Wort von dieser Entrückung sagt, gibt Veranlassung zu glauben, dass sie der Welt sichtbar sei.

2. Die Reden des Herrn, die Er an seine Jünger richtete (Joh 14), lassen uns vielmehr auf das Gegenteil schließen. Er sagt ihnen in Johannes 14,19: „Noch eine kleine Zeit, und die Welt sieht mich nicht mehr; ihr aber seht mich: Weil ich lebe, werdet auch ihr leben.“ Eine aufmerksame Erforschung dieser ganzen Rede zeigt uns, dass, wenn der Heiland sagt: „Ich gehe hin“, es nicht „zum Tod“ gemeint ist – im Gegenteil betrachtet Er sich, indem Er über den Tod hinweggeht, als hätte Er schon sein Werk vollbracht (Joh 13,31; 17,4) – sondern er meint seinen Weg zum Vater. Er geht in das Haus des Vaters (Joh 14,2.6.12.28; 16,16–23.28). Als Er starb, befahl Er zwar seinen Geist in die Hände des Vaters (Lk 23,46), aber erst nach seiner Auferstehung, als Er in Begriff stand, in den Himmel zurückzukehren, sagte Er zu seinen Jüngern: „Ich fahre auf zu meinem Vater und eurem Vater und meinem Gott und eurem Gott“ (Joh 20,17). Das „noch eine kleine Zeit“, was auf den Hingang des Heilandes folgte, ist nicht die Zwischenzeit zwischen seinem Tod und seiner Auferstehung, wenn es auch wahr ist, dass sich der Herr Jesus nach seiner Auferstehung nur den Jüngern zeigte und nicht der Welt. Wir finden aber, dass seine Jünger Ihn noch nach der Auferstehung fragten (Joh 16,23) und Er warf ihnen ihren Mangel an Verständnis vor (Lk 24,25). Seine Jünger würden nach seiner Auferstehung auch nicht seines Lebens teilhaftig gemacht, denn das wird erst bei seiner Wiederkunft stattfinden (Kol 3,2.3). Dann werden sie „erkennen“, dass Jesus in seinem Vater ist und sie in Ihm und Er in ihnen, dann werden sie Ihn nicht mehr fragen, sondern Ihn von Angesicht zu Angesicht sehen und Ihn anbeten und preisen. Wir sagen also, dass das „noch eine kleine Zeit“ welches auf den Hingang des Heilands folgt, nicht die Zwischenzeit von seinem Tod bis zu seiner Auferstehung ist, sondern die Zwischenzeit von seiner Himmelfahrt bis zu seiner Wiederkunft, die Zeit der Versammlung, ein Geheimnis, welches die Apostel dazumal noch nicht begriffen, welche Zeit sie aber später mit demselben Ausdruck „noch eine ganz kleine Zeit“ bezeichneten (Heb 10,37). Was nun aus diesem allem folgt, ist dieses: Wenn der Herr zu seinen Jüngern sagt: „Noch eine kleine Zeit, und die Welt sieht mich nicht mehr; ihr aber seht mich: Weil ich lebe, werdet auch ihr leben“, so kann sich dies nur auf seine Ankunft um seine Versammlung zu holen beziehen, eine Ankunft, welche also der Welt unsichtbar bleibt.

Dasselbe wird uns in Hebräer 9,27 und 28 gelehrt, wo gesagt ist, dass der Herr zum zweiten Mal ohne Sünde denen, die Ihn erwarten, zur Errettung erscheinen wird. Er wird also nicht von allen gesehen werden, wie es später stattfinden wird, wenn Er kommt, um die Welt zu richten.

3. Alle Vorbilder von der Entrückung der Versammlung geben uns Veranlassung, diese Entrückung als eine der Welt unsichtbare zu betrachten. Von Henoch ist gesagt, nachdem er mit Gott gelebt hatte: „Und er war nicht mehr, denn Gott nahm ihn weg“ (1. Mo 5,24), „… damit er den Tod nicht sehe, und er wurde nicht gefunden, weil Gott ihn entrückt hatte“ (Heb 11,5). Dies setzt voraus, dass niemand seine Entrückung sah.

Als Elias in den Himmel entrückt wurde, erhielt Elisa, als eine besondere Gunst, die Erlaubnis, ihn auffahren zu sehen. Die Prophetenkinder selbst sahen nichts davon, und obschon sie von dieser Entrückung benachrichtigt waren, wollten sie doch, nachdem sie geschehen war, nicht daran glauben (2. Kö 2). Wenigstens meinten sie, dass der Geist Gottes ihn auf irgendeinen Berg oder in ein Tal geworfen hätte.

Der Herr Jesus selbst, der Erstling seiner Versammlung, wurde bei seiner Himmelfahrt nur von den Jüngern gesehen. So wird es auch der Versammlung gehen. Sie wird nicht mehr gefunden werden, weil Gott sie hinweggenommen haben wird. Und so wird sie auch bei ihrer Entrückung den Titel „Geheimnis“, den das Wort ihr gibt, rechtfertigen. Sie ist ein Geheimnis in ihrer Bildung (Kol 3,10.11) und ihrer Zusammensetzung (Joh 1,12.13), ein Geheimnis in ihrem verborgenen Leben mit Christus in Gott (Kol 3,3.4), ein Geheimnis in ihrer Fremdlingschaft durch diese Welt, welche sie nicht kennt (2. Kor 6,9.10), wie auch endlich ein Geheimnis in ihrem Hingang aus dieser Welt.

Es ist zwar wahr, dass ein so außerordentliches Ereignis nicht unbemerkt vor sich gehen kann. Man wird dieses Verschwinden bemerken. Man wird davon ohne Zweifel in Bewegung gebracht werden und davon reden, wer weiß? Einige werden vielleicht in ihrer menschlichen Weisheit darüber urteilen, wie auch die Prophetenkinder über die Entrückung des Elias, aber die Welt wird sich deshalb nicht bekehren. Und wenn wir nicht begreifen können, wie es möglich ist, dass sie einem so großen Zeichen widerstehen kann, so erinnern wir uns, was bei der Auferweckung des Lazarus und bei der des Herrn Jesus selbst geschah. Als Lazarus angesichts einer Menge Juden auferweckt wurde, glaubten nur einige, die anderen gingen hin und erzählten die Sache den Pharisäern, und diese, darüber erzürnt, dass man zu Lazarus lief als einem Zeugen der Macht des Herrn Jesus, suchten beide, sowohl den Herrn Jesus als auch Lazarus zu töten (Joh 11,46; 12,10.11). Wir wissen, was sie bei der Auferstehung von Jesus Christus machten, als sie dieselbe nicht leugnen konnten (Mt 28,11–15).

So weit geht die Verhärtung des menschlichen Herzens, wenn es von Gott verlassen ist und dies wird dann für eine Welt, welche die Wahrheit lange von sich gestoßen hat, der Fall sein. Für solche, die ihr Herz vor der Ankunft des Herrn verhärtet haben, wird es für immer zu spät sein. „Heute, wenn ihr seine Stimme hört, verhärtet eure Herzen nicht.“ Nach der Entrückung der Versammlung wird das ewige Evangelium der Schöpfung und das Evangelium des Reiches verkündigt. Dieser Botschaft werden sich etliche annehmen, denn Gott hat zu allen Zeiten seine Auserwählten und Heiligen. Etliche werden die Verkündiger des Evangeliums des Reiches sein, indem sie die unterbrochene Predigt des Johannes des Täufers wieder aufnehmen. Sie werden sagen: „Tut Buße, denn das Reich der Himmel ist nahe gekommen … Schon ist aber die Axt an die Wurzel der Bäume gelegt; jeder Baum nun, der keine gute Frucht bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen“ (Mt 3,2.10). Als Prediger der Gerechtigkeit werden sie gleich Noah unter einem verdorbenen Geschlecht sagen: „Fürchtet Gott und gebt ihm Ehre, denn die Stunde seines Gerichts ist gekommen“ (Off 14,7). Denn wie nach der Entrückung Henochs das Verderben der Menschen zunahm bis dass die Flut über eine mit Ungerechtigkeit erfüllte Welt hereinbrach, so wird es auch sein, wenn die Versammlung aus der Welt genommen ist. Das Böse wird überströmend sein, bis dass es durch die Lästerungen des Menschen der Sünde auf dem Höhepunkt angekommen das Gericht des Herrn über sich herabzieht.

Lasst uns nun schnell diese finsteren Tage, diesen traurigen Schluss des gegenwärtigen bösen Zeitlaufs, welche jedoch Vorläufer des herrlichen zukünftigen Zeitlaufs sind, durchlaufen und das Evangelium der Gnade verbreiten, denn die Entrückung wird ein Ereignis sein, dass die Menschen der Welt nicht zur Umkehr bringen wird.

2. Das vierte wiederauferstandene Tier und die Frau, die auf ihm sitzt, oder die Hure

Nachdem Gott dem Volk Israel in seinem Zorn einen König gegeben hatte, nahm Er ihn in seinem Grimm wieder weg, obwohl Er lange mit großer Geduld die Verirrungen dieses halsstarrigen Volkes ertrug. Seitdem die Sünde Salomos die Trennung der zehn Stämme und ihren Götzendienst herbeigeführt hatte, warnte sie Gott lange durch seine Diener, die Propheten. Als aber Israel nicht zu seinem Gott umkehrte, wurde es endlich durch Salmaneser, den König von Assyrien, gefangen geführt und ist nie wieder zurückgekehrt. Juda bestand von der Zeit an noch über hundert Jahre. Als es aber nach den Wegen Israels handelte und Jerusalem es sogar noch schlimmer trieb als ihre Schwester Samaria, da entbrannte der Grimm des HERRN so sehr, dass kein Hilfsmittel mehr übrig blieb. Und Gott ließ den König der Chaldäer gegen sie kommen (2. Chr 36), der, nachdem er die Stadt und den Tempel zerstört hatte, das Volk gefangen nach Babylon führte. So ging die Universalherrschaft, die immer das Vorrecht Israels geblieben wäre, wenn es in den Wegen des HERRN gelebt hätte, in der Person des Nebukadnezar auf die Nationen über, wie es auch Daniel diesem selbst sagte: „Du, o König, du König der Könige, dem der Gott des Himmels das Königtum, die Macht und die Gewalt und die Ehre gegeben hat; und überall, wo Menschenkinder, Tiere des Feldes und Vögel des Himmels wohnen, hat er sie in deine Hand gegeben und dich zum Herrscher über sie alle gesetzt – du bist das Haupt aus Gold“ (Dan 2,37.38). Es ist wahr, dass nach siebzig Jahren Juda wieder in sein Land zurückkehrte, seine Stadt und seinen Tempel wieder aufbaute, denn der Gesalbte musste es in seiner Gnade besuchen. Aber die Macht wurde ihm nicht wiedergegeben und es wird sie auch nicht wiedererhalten, bis derjenige gekommen sein wird, welchem „das Reich gehört“, der Sohn Davids, der gesalbte König Zions, welcher auf der Erde Gericht und Gerechtigkeit ausüben und ewig über das Haus Jakobs regieren wird (Hes 21,30–32; Jer 23,5.6). Bis zu der Zeit gehört die Herrschaft den Nationen, und diese Zeit nennt das Wort Gottes „die Zeiten der Nationen“ (Lk 21,24).

Wir kennen die vier Königreiche, die durch das große Bild, das Nebukadnezar sah und durch die vier Tiere Daniels dargestellt sind (Daniel 2 und Daniel 7). Diese Königreiche entsprechen gerade der Zeiten der Nationen. Wir wissen, dass die ersten drei dieser Reiche, das babylonische, das persische und das griechische, ein Ende genommen haben, nachdem sie zu ihrer Zeit den Absichten Gottes gedient haben. Nach dem griechischen Weltreich folgte das römische Reich, das auch schon zur Zeit des Herrn Jesus bestand. In Folge der Verordnung des Hauptes dieses Reiches, des Kaisers Augustus, gingen Joseph und Maria nach Bethlehem, der Stadt Davids, um dort eingeschrieben zu werden. Unter einem anderen dieser Kaiser, dem Tiberius, ertönte zum ersten Mal in den Ländern Judäas das Wort: „Tut Buße, denn das Reich der Himmel ist nahe gekommen.“ Da die drei ersten Reiche nur von kurzer Dauer waren, so hätte man denken können, dass es mit diesem auch also sein würde, und dass dann, nach Beendigung der Herrschaft der Nationen, bald alle Reiche unter allen Himmeln dem Sohn des Menschen unterworfen sein würden. Dies war auch wahrscheinlich die Erwartung vieler, aber Israel verwarf seinen König. Es lieferte denselben diesem vierten Reich sogar aus, indem es Ihn in die Hände seines Repräsentanten, des Pilatus, überlieferte. Danach wurde dieses Reich die Rute Gottes, um sein empörerisches Volk zu züchtigen. Als Christus gekreuzigt worden war, kam das Volk des Fürsten, der kommen wird (denn das römische Reich wird im Gegensatz zu den anderen 3 Weltreichen zu einem späteren Zeitpunkt wieder neu entstehen) und zerstörte die Stadt und das Heiligtum. Später verblich dieses Reich selbst, und in seinem sechsten Haupte, der kaiserlichen Regierung in Rom, tödlich verwundet, unterlag es den Angriffen der Völker des Nordens. Aber seine tödliche Wunde soll geheilt werden und die ganze Erde, darüber verwundert, wird ihm anhängen (Off 13,3). „Und die, die auf der Erde wohnen, deren Namen nicht in dem Buch des Lebens geschrieben sind von Grundlegung der Welt an, werden sich verwundern, wenn sie das Tier sehen, dass es war und nicht ist und da sein wird“ (Off 17,8). Ungefähr zur Zeit der Entrückung der Versammlung, nähern sich die zerstreuten Glieder dieses vierten Tieres, und es steht wieder auf, schrecklich, fürchterlich, grauenvoll, um alles zu erfüllen, was geschrieben steht. Dieses Gesicht schaute Johannes. „Und ich sah aus dem Meer ein Tier heraufsteigen, das zehn Hörner und sieben Köpfe hatte, und auf seinen Hörnern zehn Diademe, und auf seinen Köpfen Namen der Lästerung. Und das Tier, das ich sah, war gleich einem Leoparden, und seine Füße waren wie die eines Bären, und sein Maul war wie das Maul eines Löwen. Und der Drache gab ihm seine Macht und seinen Thron und große Gewalt“ (Off 13,1.2).

Gewiss ist dies das vierte Tier des Daniel, welches wir hier wiedererscheinen sehen, um unter den Schlägen des Herrn bei seiner herrlichen Ankunft zu endigen (Off 19).

1. Es kommt aus dem Meer, wie das des Daniel (Dan 7,23), das heißt aus den Wogen, den Revolutionen der Völker. Von der Hure, welche uns in der Folge als auf dem Tier sitzend, dargestellt wird, ist gesagt, dass sie auf vielen Wassern sitzt: „Und er spricht zu mir: Die Wasser, die du sahst, wo die Hure sitzt, sind Völker und Völkerscharen und Nationen und Sprachen (Off 17,1.15).

2. Wir finden darin etwas von jedem dieser drei ersten Tiere Daniels wieder. Es hat den Leib eines Leoparden, die Füße eines Bären, und das Maul eines Löwen. Man bemerkt aber gerade die umgekehrte Ordnung Daniels, und zwar ohne Zweifel deshalb, weil der Prophet diese Reiche in der Zukunft sah, Johannes hingegen in der Vergangenheit.

So sind die vier Tiere Daniels in demjenigen des Johannes vereinigt, weil jedes Reich die vorhergehenden Reiche mehr oder weniger in sich schloss, und weil das wiederentstandene Rom, in seinem weiten Reich die Trümmer aller vorhergehenden in sich vereinigen wird. Wir sehen sie auch in der Tat alle im Gericht wiedererscheinen. Wenn der ohne Hände losgemachte Stein das Bild in seinen tönernen und eisernen Füßen zermalmt, dann sind mit einem Mal nicht nur Ton und Eisen, sondern auch Erz, Silber und Gold zermalmt, und werden wie Spreu auf der Sommertenne sein, die der Wind hin und her weht (Dan 2,34.35.45; 7,11.12).

3. Dem Tier des Johannes „… wurde ein Mund gegeben, der große Dinge und Lästerungen redete“ (Off 13 5), das des Daniel hatte einen „Mund, der große Dinge redete“ (Dan 7,8.20).

4. Die Heiligen sind eine Zeit, zwei Zeiten, und eine halbe Zeit, das heißt dreieinhalb Jahre, in die Hände des Tieres des Daniel gegeben (Dan 7,25). Dem Tier des Johannes ist die Gewalt zweiundvierzig Monate (Off 13,5) also die gleiche Zeitdauer, verliehen.

5. Das Tier des Daniel hat zehn Hörner, oder zehn Könige, die aus diesem Reiche aufstehen werden (Dan 7,24) wie auch die Füße des Bildes in zehn Zehen geteilt waren, und das Tier des Johannes hat ebenfalls zehn Hörner, von denen in Offenbarung 17,12 gesagt ist: „Und die zehn Hörner, die du sahst, sind zehn Könige.“

Diese zehn Könige sind übrigens noch nicht erschienen, denn sie empfangen eine Stunde mit dem Tier Gewalt, wie Könige, und zwar zu dem Zweck, um die Hure zu zerstören (Off 17,12.17).

Die Barbaren, welche im vierten Jahrhundert das römische Reich verheerten, entsprechen gar nicht den zehn Hörnern oder den zehn Zehen. Die zehn Hörner sind zehn Könige, welche aus diesem Königreich selbst kommen werden, während jene Könige der Barbaren nicht aus dem Schoße des römischen Reiches, sondern aus dem äußersten Norden kamen, um dieses Reich zu zerreißen, und dessen Trümmer unter sich zu verteilen. Die zehn Hörner kommen aus dem siebten Haupt, dem Ergebnis aller vorhergehenden Häupter, und entsprechen offenbar den zehn Zehen, welche aus den beiden Füßen (nicht nur aus einem) des Bildes kommen. Bis jetzt aber war nie das ganze römische Reich in zehn Königreiche geteilt.

Wer kennt heut zu Tage zehn Reiche der Westgoten, Ostgoten, Vandalen usw., wenn es je zehn gab? Einige Gelehrte bemühen sich in ihren Studierzimmern die Könige der Barbaren auf diese Zahl zu bringen, aber auf diese Weise erfüllen sich die Prophezeiungen nicht. Als die vier Reiche Israel beherrschten, war es selbst dem Unwissendsten bewusst, ob es die Babylonier, die Perser, die Griechen oder die Römer zu Herren hatte. So wird es ebenfalls sein, wenn das vierte Tier mit seinen zehn Hörnern auferstehen wird.

6. Das Tier des Johannes wird im Feuer verbrannt, wie das des Daniel (Off 19,20; Dan 7,11).

Wenn man auf diese Beziehungen achtet, so wird man überzeugt sein, dass das Tier des Johannes nur die Fortsetzung des vierten Reichs des Daniel ist, welches alle übrigen zusammenfasst – das wiederauferstandene vierte Tier. Es sind aber einige Züge beigefügt, um es in seinem neuen Zustand zu beschreiben:

1. Es hat einen teuflischen Charakter: „Und der Drache gab ihm seine Macht und seinen Thron und große Gewalt“ (Off 11,2). Es wird aus dem Abgrund aufstehen und ins Verberben gehen (Off 17,8). Wenn es uns Johannes zuerst als aus dem Meer aufsteigend zeigt, wie das des Daniel, so steigt es, wenn es wieder erscheint, aus dem Abgrund auf.

2. Es hat sieben Köpfe oder Häupter (Off 17,9.10), welche sieben Berge sind, auf denen das Weib sitzt, und welche Rom zu bezeichnen scheinen. Es sind auch sieben Könige, von denen fünf zur Zeit des Johannes gefallen waren. Diese bezeichnen ohne Zweifel die von allen Geschichtsschreibern angeführten ersten fünf römischen Regierungsformen.

3. Was uns dieses wilde Tier in seinem neuen Zustand besonders darbietet, ist die Hure, die auf ihm sitzt. Bemerken wir hier zuerst, dass das Gesicht über diese Frau, das auf dem Tier sitzt (Off 17), welches von Johannes erst nach dem im 13. Kapitel erwähnten Tier gesehen wird, diesem in der Reihenfolge der Zeit jedoch nicht ganz nachsteht. Wir glauben im Gegenteil, dass es zwischen den 4. und 5. Vers des 13. Kapitels gehört, bevor von dem Mund, welcher große Dinge und Lästerungen redet (Off 13,5), gesprochen ist und also noch viel mehr vor das zweite Tier, welches zwei Hörner hat gleich einem Lamm, und welches redet wie ein Drache (Off 13,11).

Dies könnte im ersten Augenblick manchem willkürlich erscheinen, aber es erklärt sich, wenn wir uns daran erinnern, dass die Propheten gewöhnlich auf diese Weise verfahren. Sehr oft ist die Reihenfolge ihrer Geschichte, keine Reihenfolge der Zeit, welche den Ereignissen, die sie sehen, entsprechen, sondern nachdem sie zuerst in einem Gesicht die Ereignisse, welche sie verkündigen sollen, gleichsam in einem Gesamtbild gesehen haben, haben sie nachher neue Gesichte, die das erste, allgemeine Gesicht, entwickeln und ergänzen und sich in dasselbe, als ebenso viele einzelne Bilder, einreihen. Dies bemerkt man vornehmlich im Propheten Daniel.

Was ist denn nun die Hure? Was könnte sie anders sein, als das mit der materiellen Gewalt verbundene religiöse Prinzip, als die Staatsreligion, welche dann in der Christenheit den höchsten Grad ihrer Verdorbenheit erreicht hat.

Die Versammlung, welche berufen ist, als eine keusche und reine Braut ihren Bräutigam zu erwarten, hatte mit den Mächten der Erde nichts anderes zu tun, als während ihres Durchgangs durch ihre Staaten dem Kaiser zu geben, was des Kaisers ist, und für Gott zu bewahren, was Gottes ist und keine andere Stütze noch Schutz zu suchen, als die ihres himmlischen Hauptes. Gestützt auf seinen unsichtbaren Arm, und mit gen Himmel gerichteten Augen, sollte sie als Fremdling diese Wüste durchreisen. Aber bald wurde sie ihrer Vereinzelung, ihrer Unscheinbarkeit, ihrer Armut und der unaufhörlichen Kämpfe, welche die Folge ihres Lebens im Glauben waren, müde. Sie wurde in ihren Neigungen und Hoffnungen irdisch und bald gelang es ihr, Massen von Menschen zu umfassen. Und nachdem sie selbst eine Macht der Erde geworden war, verhandelte sie mit den Mächten. Sie verkaufte diesen ihren Einfluss auf die Gewissen für eine anerkannte Stellung in dieser Welt, wo ihr Meister keine hatte, für Purpur und Scharlach, womit Er nur mit Spott bekleidet war. Endlich ist sie dahin gekommen – wer hätte es geglaubt! – mit der Welt eine Körperschaft zu bilden, mit der Welt, von der Jesus den Seinigen sagte: „Wenn ihr von der Welt wäret, würde die Welt das Ihre lieb haben; weil ihr aber nicht von der Welt seid, sondern ich euch aus der Welt auserwählt habe, darum hasst euch die Welt“ (Joh 15,19). Anstatt deren Verfolgungen zu erdulden, hat sie sich selbst zum Verfolger derer gemacht, welche ihre Gewissen nur Christus unterwerfen und kein anderes Haupt als Ihn anerkennen wollen. Sie hat sie dem Tier überliefert, und dieses hat sie mit Füßen zertreten, zerrissen, sodass ihr Blut auf die Hure zurückspritzte und sie bedeckte. Dies ist ein Geheimnis wie auch die Einigung der wahren Versammlung mit dem Christus, dessen Leib sie ist – Gebein von seinem Gebein und Fleisch von seinem Fleisch – ein Geheimnis ist. Nur ist dieses das Geheimnis der Gottseligkeit, jenes aber das der Bosheit. Dieses Geheimnis sah Paulus schon zu seiner Zeit sich regen und mit dem Menschen der Sünde enden. Auch trägt die Hure auf ihrer Stirn geschrieben: „Geheimnis, Babylon, die große, die Mutter der Huren und der Gräuel der Erde.“ Unter diesem Bild wird sie uns dargestellt (Off 17,5.18). Gerade das Gegenteil der Braut, der Frau des Lammes, welche die große Stadt ist, das heilige „Jerusalem, herabkommend aus dem Himmel von Gott“ (Off 21,10).

Es ist wahr, dass dieses an die Meinung einiger erinnert, welche an ein Wiederaufleben Babylons glauben, um das zu erfüllen, was davon gesagt ist, indem es nicht ganz erfüllt zu sein scheint. Wir wissen aber, dass Babylon ober Babel „Verwirrung“ bedeutet, und welches System verdiente wohl mehr diesen Namen, als dasjenige, mit welchem wir uns hier beschäftigen? Gab es je eine unermesslichere und abscheulichere Verwirrung? Die Versammlung des Herrn Jesus Christus mit der Welt, ihrem Feind, vereinigt!

Wenn uns übrigens dieses System, als über Völker und Zungen herrschend, dargestellt wird (Off 17,1.15), so erscheint Rom dennoch als Mittelpunkt, wenn gesagt wird: „Die sieben Köpfe sind sieben Berge, auf denen die Frau sitzt.“ Wenn wir uns daran erinnern, dass das vierte Reich dann wieder auferstanden sein wird, ist es da nicht natürlich, zu denken, dass seine alte Hauptstadt, ihre frühere politische und religiöse Bedeutung geltend machend, ihren Platz wieder einnehmen und der Mittelpunkt dieses Systems in seiner neuen Form sein wird? Sie kann dann Babylon genannt werden, wie Jerusalem „Sodom und Ägypten“ genannt ist (5. Mo 32,32; Jes 1,10; Off 11,8), und das umso mehr, als die tönernen und eisernen Füße die Fortsetzung des goldenen Hauptes sind, sodass in einem gewissen Sinn Rom und Babylon nur eins bilden.

Der Luxus der Hure und das Blut, von welchem sie trunken ist, scheinen zwar mehr das Papsttum, oder die vergangene Christenheit, als die Christenheit in ihrem gegenwärtigen und zukünftigen Zustand zu charakterisieren. Aber außerdem, dass wir nicht wissen, was sie werden kann, muss man daran denken, dass, wenn eine Versammlung oder ein Volk zum Gericht vor Gott erscheint, es mit seiner ganzen Vergangenheit beladen erscheint: „Macht das Maß eurer Väter voll!“ sagt Jesus den Juden (Mt 23,32–36), „damit über euch komme alles gerechte Blut, das auf der Erde vergossen wurde: von dem Blut Abels, des Gerechten, bis zu dem Blut Sacharjas, des Sohnes Berekjas, den ihr zwischen dem Tempel und dem Altar ermordet habt.“ Nach diesem muss, obschon die Hure nicht eigentlich und einzig das päpstliche Rom, sondern vielmehr die ganze, abtrünnige Christenheit ist, dasselbe, da es einen bedeutenden Teil der Christenheit ausmacht, hier in seinen Hauptzügen, in seinem Purpur, Scharlach und Blut der Heiligen, von welchem es trunken geworden ist, unter dem vierten, wiederauferstandenen Reich, nochmals erscheinen. Vielleicht geht der Herr noch weiter zurück und sieht dieses System der Erdrückung der Gewissen unter den Staat in seiner ganzen Dauer der Zeit der Nationen von Nebukadnezar und seinem goldenen Bilde an[i], bis zu dem Ende des abgefallenen Rom.

Weil nun die Hure dieses System in den letzten Tagen darstellt, könnte man wohl buchstäblich von ihr sagen: „Und in ihr wurde das Blut von Propheten und Heiligen gefunden und von all denen, die auf der Erde geschlachtet worden sind“ (Off 18,24).

Das Ende der Hure erinnert uns daran: „Denn alle, die das Schwert nehmen, werden durch das Schwert umkommen.“, und: „Wenn jemand in Gefangenschaft führt, so geht er in Gefangenschaft; wenn jemand mit dem Schwert töten wird, so muss er mit dem Schwert getötet werden“ (Mt 26,52; Off 13,10). Die Hure hat bei den Königen Stütze und Schutz gesucht, um sie nachher zu beherrschen, und um durch sie zu verfolgen. Die Könige, endlich müde geworden, ihre willigen Werkzeuge zu sein, lassen ihren längst zurückgehaltenen Hass ausbrechen, machen sie öde und nackt, fressen ihr Fleisch und verbrennen sie mit Feuer. Dies ist die Absicht der gerechten Rache Gottes, deren Ausübung Er in ihre Herzen gegeben hat, denn ihre Sünden sind bis zum Himmel aufgehäuft (Off 17,16.17; 18,5.6).

Die Belehrung, die aus all diesem hervorgeht, ist: „Geht aus ihr hinaus, mein Volk, damit ihr nicht ihrer Sünden teilhaftig werdet und damit ihr nicht empfangt von ihren Plagen“ (Off 18,4).

Wir sind nun berufen, den Geist Babylons, da, wo er wirkt, zu unterscheiden und uns davon fern zu halten, damit unsere Seelen nicht davon leiden. Dieser Geist aber ist die Vermengung der Dinge Gottes mit den Dingen dieser Welt. Befleißigen wir uns deshalb, jedem zu geben, was ihm gehört: „Gebt denn dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist“ (Mt 22,21). Lasst uns den hochgestellten Mächten untertan sein: die Steuer geben, dem die Steuer, und den Zoll, dem der Zoll gebührt. Weit entfernt die Mächte zu verachten und die Majestäten zu lästern, lasst uns vielmehr für sie bitten, damit wir ein ruhiges und stilles Leben führen mögen in aller Gottseligkeit und und würdigem Ernst (1. Tim 2,1.2). Aber zugleich lasst uns daran denken, dass Jesus allein das Haupt seiner Versammlung ist, das Haupt, aus welchem „aus dem der ganze Leib, wohl zusammengefügt und verbunden durch jedes Gelenk der Darreichung, nach der Wirksamkeit in dem Maß jedes einzelnen Teiles, für sich das Wachstum des Leibes bewirkt zu seiner Selbstauferbauung in Liebe“ (Eph 4,15.16; 5,29.30). Er hat niemandem diese Macht und diese Sorge übertragen. Er hat niemand beauftragt, Ihn in diesem zu ersetzen, die Obrigkeit ebenso wenig wie den Niedrigsten ihrer Untertanen. Da wir Glieder dieses gesegneten Leibes sind, so lasst uns unser himmlisches Haupt nicht verleugnen, indem wir jemand anderes als Ihm irgendwelche Gewalt in der Versammlung geben. Lasst uns nicht seinen Geist verleugnen, indem wir uns diesen toten Formen beigesellen, durch welche eine blinde Volksmenge Gott einen angenehmen Dienst zu bringen glaubt. Wenn wir seines Geistes teilhaftig geworden sind, so lasst uns alle diejenigen aufsuchen, aus welchen sein Geist lebendige Steine gemacht hat, um mit ihnen dieses Haus Gottes im Geist zu bilden, in welchem wir, als heilige Priester, Gott durch Jesus Christus wohlgefällige Opfer bringen mögen. Mit einem Wort, lasst uns, was das Irdische und Menschliche betrifft, unterworfen Untertanen des Kaisers sein, ihm in allem gehorchen, was nicht dem Willen Gottes zuwider ist. Was aber die Versammlung betrifft, so lasst uns kein anderes Haupt anerkennen als Christus, und keine anderen Eingebungen, als die seines Wortes und seines Geistes.

In der Geschichte der Hure könnt ihr Christen, die ihr euch bemüht, die Bande, welche die Kirche mit dem Staate verbinden, noch enger zu schließen, indem ihr hofft, die Kirche so zu heben, um endlich alle Völker in ihrem Schoß zu bergen, euren Irrtum erkennen. Und auch ihr, Brüder, die ihr viel zu sehr in Bewegung seid, diese Bande zu zerreißen, indem ihr glaubt, der Versammlung durch ihre Unabhängigkeit auch ihr ehemaliges Leben wieder zu verschaffen, auch ihr könnt hier eure falsche Einbildung erkennen. Das Wort lehrt uns, dass die Zeit kommt, wo die Völker und die Könige, ermüdet von den Anmaßungen einer hurerischen Kirche und vom Joch einer heuchlerischen Form, welche sie ihnen auferlegen will, dieses Joch abwerfen und diese Ketten zerreißen werden. Sie werden die Hure hassen, öde und nackt machen, ihr Fleisch fressen und im Feuer verbrennen. Werden sie es aber tun, um sich Gott und seinem Christus zu unterwerfen? Keineswegs, sondern um ihre Macht dem Tier zu geben, welches mit den Königen der Erde und ihrem Herren dem, welcher „Wort Gottes“ heißt, den Krieg machen wird. Es ist also ein unnützes sich Abmühen, wenn man Babylon reformieren will und sich zu diesem Zweck in die eitlen Projekte der Völker und Könige mischt. Es ist uns nicht befohlen, mit Babylon zu verhandeln, sondern von ihm auszugehen. „Wir haben Babel heilen wollen, aber es ist nicht genesen. Verlasst es und lasst uns jeder in sein Land ziehen“ (Jer 51,9; Off 18,4). Ein jeder Einzelne muss aus Babylon ausgehen, um dem Herrn außerhalb des Lagers zu folgen, seine Schmach tragend. Dies ist es, wozu uns das Wort beruft.

Doch die Hure ist noch nicht die völlige Entwicklung des Übels, noch nicht der letzte Triumph Satans. Dieser Engel der Finsternis hat nie seine listigen Anschläge aufgegeben, die er schon in Eden offenbarte, um den Menschen dahin zu treiben, sich vermessener Weise an die Stelle Gottes zu setzen. Diesen Gedanken, an dessen Verwirklichung er seit Jahrhunderten gearbeitet hat, und in welchem das stolze Herz des Menschen ihm behilflich ist, wird er am Ende verwirklichen. Und zu diesem Zweck wird er sich einen Menschen erwählen, in welchem er alle seine Gaben vereinigen wird, indem er ihn mit allem ausrüstet, was dem Fleisch gefällt und was die Volksmassen nach sich ziehen kann. Dann wird er ihn den Nationen als denjenigen darbieten, welcher endlich die Einbildungen von irdischem Glück, welchen sie schon so lange nachjagen, verwirklichen soll, und wird ihn den Juden als den Messias, welchen sie erwarten, darbieten. Den einen wie den anderen als das Ideal, in welchem der Mensch sich rühmen und selbst anbeten soll. Die Entehrung, welche die auf dem Tier sitzende Frau mit den heiligen Dingen so lange vor den Nationen getrieben hat, der eingewurzelte Hass der Juden gegen Jesus von Nazareth, dies alles, vereint mit dem Stolz und mit der Bosheit des menschlichen Herzens, wird dieses teuflische Unternehmen gelingen lassen. Wie sich Juden und Nationen schon einmal vereinigt haben, um den Heiland, welchen Gott ihnen gesandt hatte, zu kreuzigen und zu verwerfen, so werden sie sich nochmals vereinigen, um den Menschen, in welchem Satan eingefleischt ist, aufzunehmen und anzubeten. Dann erfüllt sich, was eine große Stimme vom Himmel spricht, wenn Satan aus demselben geworfen wird: „Wehe der Erde und dem Meer! Denn der Teufel ist zu euch hinabgekommen und hat große Wut, da er weiß, dass er wenig Zeit hat“ (Off 12,12). Dann wird für die Heiligen, welche auf der Erde sind, für die in Israel insbesondere, „die große Drangsal sein, wie sie von Anfang der Wett bis jetzt nicht gewesen ist, und auch nicht werden wird.“ Dann ist aber auch die Ernte, welche das Ende des Zeitlaufs ist, und die Weinlese bereit; denn die Trauben der Rebe der Erde werden reif sein, um in die Kelter des Zornes Gottes geworfen zu werden.

Lasst uns nun sehen, ob diese allgemeine Übersicht den Belehrungen des Wortes entspricht.

[Fortsetzung folgt]

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