Das Buch des Propheten Jeremia

Kapitel 9

3. Das Leiden und die Klage des Propheten

Sollte ich sie nicht bestrafen?

„O dass ich in der Wüste eine Wanderer-Herberge hätte, so wollte ich mein Volk verlassen und von ihnen wegziehen! Denn sie sind allesamt Ehebrecher, eine Rotte Treuloser. Und sie spannen ihre Zunge, ihren Bogen, mit Lüge, und nicht nach Treue herrschen sie im Land; denn sie schreiten fort von Bosheit zu Bosheit, und mich kennen sie nicht, spricht der HERR. Hütet euch, jeder vor seinem Freund, und vertraut auf keinen Bruder; denn jeder Bruder treibt Hinterlist, und jeder Freund geht als Verleumder umher. Und sie betrügen einer den anderen, und Wahrheit reden sie nicht; sie lehren ihre Zunge Lügen reden, sie mühen sich ab, verkehrt zu handeln. Deine Wohnung ist mitten unter Trug. Vor Trug weigern sie sich, mich zu erkennen, spricht der HERR. Darum, so spricht der HERR der Heerscharen: Siehe, ich will sie schmelzen und läutern; denn wie sollte ich anders handeln wegen der Tochter meines Volkes? Ihre Zunge ist ein mörderischer Pfeil, man redet Trug; mit seinem Mund redet man Frieden mit seinem Nächsten, und in seinem Innern legt man ihm einen Hinterhalt. Sollte ich dies nicht an ihnen heimsuchen, spricht der HERR, oder sollte an einer Nation wie dieser meine Seele sich nicht rächen?“ (Jer 9,1–8)

Der Schmerz des Propheten wird noch dadurch verstärkt, dass er eine tiefe Zuneigung zu seinem Volk verspürt, aber gleichzeitig auch die Notwendigkeit sich von ihm zu trennen. Einerseits liebt er sein Volk sehr, sodass er die Wunden des Volkes als seine eigenen empfindet. Andererseits ist er gezwungen sich ganz von dem Bösen zu trennen, in dem die Menschen leben. Diese Trennung drückt sich in dem Wunsch aus von ihnen entfernt zu sein, während ihn seine liebevolle Besorgnis zu ihnen hinzieht. Schließlich macht ihn das Wort des HERRN auf die völlige Verderbnis aufmerksam, die ihn umgibt: Lüge, Schmähung, Betrug. All diese Handlungen sind schwere Sünden, aber wenn sie unter Freunden und Brüdern geschehen, verurteilt Gott sie umso schärfer. Kann er diese Dinge ertragen? Nein, sondern er züchtigt besonders die, die seinen Namen tragen.

Jerusalem, ein Steinhaufen

„Über die Berge will ich ein Weinen und eine Wehklage erheben und über die Weideplätze der Steppe ein Klagelied. Denn sie sind verbrannt, so dass niemand hindurchzieht und man die Stimme der Herde nicht hört; sowohl die Vögel des Himmels als auch das Vieh sind geflohen, weggezogen. Und ich werde Jerusalem zu Steinhaufen machen, zur Wohnung der Schakale, und die Städte von Juda zur Einöde machen, ohne Bewohner. Wer ist der weise Mann, dass er dieses versteht, und zu wem hat der Mund des HERRN geredet, dass er es kundtut, warum das Land zugrunde geht und verbrannt wird wie die Wüste, so dass niemand hindurchzieht? Und der HERR sprach: Weil sie mein Gesetz verlassen haben, das ich ihnen vorgelegt habe, und auf meine Stimme nicht gehört haben und nicht darin gewandelt sind, sondern dem Starrsinn ihres Herzens und den Baalim nachgegangen sind, was ihre Väter sie gelehrt haben. Darum, so spricht der HERR der Heerscharen, der Gott Israels: Siehe, ich will ihnen, diesem Volk, Wermut zu essen und Giftwasser zu trinken geben und sie unter die Nationen zerstreuen, die sie nicht gekannt haben, weder sie noch ihre Väter; und ich will das Schwert hinter ihnen hersenden, bis ich sie vernichtet habe.“ (Jer 9,9–15)

Noch einmal kündigt Gott durch den Mund des Propheten die völlige Verwüstung an, die das Land Juda und Jerusalem treffen wird, sowie die Zerstreuung seiner Bewohner unter die Nationen, weil sie nicht auf seine Stimme hören wollen. Im Gegenteil, sie „sind dem Starrsinn ihres Herzens und den Baalim nachgegangen“. Diese Verse wiederholen mit anderen Worten das, was in den vorigen Kapiteln schon angekündigt worden ist. Ist dies nicht ein rührender Beweis der Güte Gottes, der seine Appelle an ein widerspenstiges und eigensinniges Volk mehrfach wiederholt, um es zur Umkehr zu ihm zu bewegen?

Ich bin der HERR, der Güte, Recht und Gerechtigkeit übt

„So spricht der HERR der Heerscharen: Gebt acht und ruft Klageweiber, dass sie kommen, und schickt zu den weisen Frauen, dass sie kommen und schnell eine Wehklage über uns erheben, damit unsere Augen von Tränen rinnen und unsere Wimpern von Wasser fließen. Denn eine Stimme der Wehklage wird aus Zion gehört: „Wie sind wir verwüstet! Wir sind völlig zuschanden geworden; denn wir haben das Land verlassen müssen, denn sie haben unsere Wohnungen umgestürzt.“ Denn hört, ihr Frauen, das Wort des HERRN, und euer Ohr fasse das Wort seines Mundes; und lehrt eure Töchter Wehklage und eine die andere Klagegesang. Denn der Tod ist durch unsere Fenster gestiegen, er ist in unsere Paläste gekommen, um das Kind auszurotten von der Gasse, die Jünglinge von den Straßen. Rede: So spricht der HERR: Ja, die Leichen der Menschen werden fallen wie Dünger auf der Fläche des Feldes und wie eine Garbe hinter dem Schnitter, die niemand sammelt. So spricht der HERR: Der Weise rühme sich nicht seiner Weisheit, und der Starke rühme sich nicht seiner Stärke, der Reiche rühme sich nicht seines Reichtums, sondern wer sich rühmt, rühme sich dessen: Einsicht zu haben und mich zu erkennen, dass ich der HERR bin, der Güte, Recht und Gerechtigkeit übt auf der Erde; denn daran habe ich Gefallen, spricht der HERR. Siehe, Tage kommen, spricht der HERR, da werde ich alle Beschnittenen mit den Unbeschnittenen heimsuchen: Ägypten und Juda und Edom und die Kinder Ammon und Moab und alle mit geschorenen Haarrändern, die in der Wüste wohnen; denn alle Nationen sind unbeschnitten, und das ganze Haus Israel ist unbeschnittenen Herzens.“ (Jer 9,16–25)

Es gibt nichts anderes mehr zu tun, als zu trauern. Die Frauen Israels werden aufgefordert, es unverzüglich zu tun. Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, wo das Hören auf das Wortes Gottes darin besteht, in Trauer zu sein und anzuerkennen, dass der Feind das Volk Gottes mit der verdienten Schmach bedeckt hat. Alle menschlichen Hilfsmittel – Weisheit, Wachsamkeit, Reichtum – werden zunichte gemacht. Aber für den, der Gott in seinem persönlichen Leben erlebt und ihn in seinem Handeln erkennt, selbst in diesen von ihm zugelassenen Umständen, gibt es eine Ermutigung. Es ist sogar ein Anlass zum Rühmen: „Wer sich rühmt, rühme sich dessen: Einsicht zu haben, und mich zu erkennen, dass ich der HERR bin, der Güte, Recht und Gerechtigkeit übt“ (V. 24). Der sichere Fels bleibt inmitten des Sturmes bestehen. Er ist die Zuflucht des Glaubens zu aller Zeit:

  • Trost im Sturm, in der Gewissheit, dass Gott immer sein Wohlgefallen an dem hat, was seinem Wesen entspricht,
  • Ermahnung, wenn ein wenig scheinbarer Wohlstand glauben lässt, dass irgendeine Kraft im Menschen wäre.

Dieser Vers wird in 1. Korinther 1,31 zitiert, um vor jeder menschlichen Anmaßung in der Versammlung zu warnen. Die Gedanken Gottes sind unveränderlich und sein Wort ist immer in der Lage die zu unterweisen, die es hören.

Wenn man sich weigert zu hören, wozu sollte es dann noch nützen für Gott abgesondert zu sein, wie die Israeliten es durch die Beschneidung waren? Es nützte nichts mehr, sie würde das gleiche Gericht wie die unbeschnittenen Nationen treffen. Nichts ist gefährlicher, als sich auf eine rein äußerliche Beziehung zu Gott zu verlassen – Beschneidung, Taufe, religiöse Werke, Sakramente – und dabei mit dem Herzen keine echte Gemeinschaft mit ihm durch den Glauben und den Gehorsam seinem Wort gegenüber zu haben.

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