Einführender Vortrag zum Philipperbrief

Kapitel 4

Einführender Vortrag zum Philipperbrief

Das 4. Kapitel gründet sich auf beides. Der Apostel nimmt zweifellos die lieblichen Gefühle von Kapitel 2 wieder auf, doch sie werden gestärkt durch die Kraft, die der Anblick Christi in der Herrlichkeit von Kapitel 3 mitteilt. Folglich beginnt er mit: „Daher, meine geliebten und ersehnten Brüder, meine Freude und Krone“ (V. 1). Wir können die überraschende Stärke, mit der er sogar von seinen Gefühlen spricht, nicht übersehen. „Meine Freude und Krone ... Geliebte.“ Nicht, dass es keine Schwierigkeiten gab! Es gab viele. „Die Evodia ermahne ich und die Syntyche ermahne ich, einerlei gesinnt zu sein im Herrn. Ja, ich bitte auch dich, mein treuer Mitknecht, stehe ihnen bei, die in dem Evangelium mit mir gekämpft haben“ (V. 2–3). Jene beiden Schwestern werden Epaphroditus anempfohlen, damit er ihnen zum Segen verhelfe – „die in dem Evangelium mit mir gekämpft haben“ (d. h. die an dem Kampf des Evangeliums mit mir teilgenommen haben). „Gearbeitet“ gäbe hier einen falschen Sinn (siehe englische „King-James-Bible“ = „Authorized Version“; Übs.); denn viele haben fälschlicherweise daraus geschlossen, dass sie Predigerinnen waren. In Wirklichkeit haben wir keine Veranlassung anzunehmen, dass sie überhaupt gepredigt haben. Ihr Tun scheint nach meinem Urteil angemessener für eine Frau zu sein. Sie nahmen am Kampf des Evangeliums teil. Sie trugen an der Schande mit, die jene, welche es verkündeten, umhüllte. Dieser Gedanke geht bei der Vorstellung von einer Mitarbeit verloren. Wir müssen vielmehr an den Kampf des Evangeliums denken. Alle, die daran beteiligt waren, hatten häufig Schimpf, Leiden und Spott zu erdulden.

Niemand nehme an, dass ich auf Umwegen zu verstehen geben möchte, dass eine Frau, wenn sie nach der Schrift eine von Gott gegebene Gabe ausübt, sich nicht in ihrer richtigen Stellung befindet. Frauen haben genauso gut eine Gabe wie ein Mann. Wir Männer sollten keinesfalls voraussetzen, dass wir als solche ein Monopol auf alle Gaben Christi hätten. Achten wir darauf, entsprechend dem Platz zu wandeln, den Gott uns gegeben hat! Außerdem ist Gottes Wort für mich klar genug in Hinsicht auf die Art und Weise, in der die Gaben ausgeübt werden sollen; und gibt es nicht offensichtlich einen Weg der Zurückhaltung (denn der Schleier bzw. das Zeichen der Macht auf dem Kopf einer Frau ist kein sinnloses Bild; 1. Kor 11), der einer Frau zukommt? Ich glaube, dass eine Frau da am meisten glänzt, wo sie am wenigsten in den Vordergrund tritt. Sie nimmt einen viel heikleren Platz ein als ein Mann, den ein solcher bei einem Versuch nur ungeschickt ausfüllen würde. Doch während ein Mann völlig ungeeignet ist für die Arbeit einer Frau – könnte bezweifelt werden, dass eine Frau auf sich oder auch den Herrn keine Ehre bringen wird, wenn sie die Aufgabe eines Mannes übernimmt? Der Herr hat die unterschiedlichen Stellungen ausdrücklich festgelegt. Es ist Unwissenheit und abwegig, falls jemand solchen Schriftstellen, die davon sprechen, mit dem Text entgegentreten will, dass es in Christus weder Mann noch Frau gebe. Wir sprechen jetzt nämlich nicht von unserer Stellung in Christus, sondern von den zugeteilten Diensten. Bei letzteren hören wir von Unterschieden; und die Heilige Schrift verwischt diese nicht, im Gegenteil, sie verteidigt sie, und behandelt ihre praktische Leugnung als einen Anstoß, den die Unüberlegtheit der Gläubigen in Korinth eingeführt hat (1. Kor 14,34 ff). Zweifellos besteht die neue Schöpfung weder aus Mann noch Frau. Die menschliche Rasse in fleischlicher Weise hat aufgehört, denn alle Dinge sind von Gott und in Christus. Nichtsdestoweniger haben wir schon erklärt, dass der Mann einen besonderen Platz als das Bild und die Herrlichkeit Gottes einnimmt und infolgedessen in eine beachtenswerte Stellung zwischen Gott und die Frau in Hinsicht auf den äußeren Anstand versetzt ist.

Kehren wir jedoch zu den Frauen Evodia und Syntyche zurück! Sie hatten sich einem außerordentlich glückseligen und gepriesenen Dienst geweiht. Sie machten sich eins mit jenen, welche die Wahrheit predigten, und nahmen an ihren Schmähungen teil. Sie halfen ihnen und „arbeiteten“ in diesem Sinn auch, wenn du willst. Auf jeden Fall ertrugen sie die Kämpfe des Evangeliums in den frühen Tagen zu Philippi. Warum sollten Frauen sich bloßstellen? Warum sollten sie Soldaten oder bürgerlichen Amtspersonen in den Weg treten? Warum sollten solche wie sie den groben Amtspersonen trotzen, die ihre kaiserliche Herrschermacht gebrauchten, um mit Ungerechtigkeit solche zu behandeln, die sich mit dem Evangelium eins machten? Die Liebe berechnet nicht diese Kosten und Gefahren, sondern schreitet ruhig voran, komme, was da wolle – Leiden, Spott oder Tod. Kein Wunder, dass der Apostel betrübt war, wenn er an Unstimmigkeiten zwischen Frauen wie diesen dachte! „Stehe ihnen bei“, sagt er, „auch mit Clemens und meinen übrigen Mitarbeitern, deren Namen im Buche des Lebens sind.“

Zuletzt fordert Paulus die Philipper erneut zur Freude auf, und diesmal mit mehr Nachdruck als irgendwo sonst. „Freuet euch in dem Herrn allezeit!“ (V. 4). In Leiden? Ja! In Anfechtungen, im Gefängnis, überall! „Freuet euch in dem Herrn allezeit! wiederum will ich sagen: Freuet euch!“ Er hatte nichts Falsches geschrieben. Er hatte die Umstände nicht vergessen, sondern meinte auch, was er sagte. „Wiederum will ich sagen: Freuet euch!“  „Lasst auch eure Gelindigkeit mitgehen“; denn diese Freude könnte schnell ein gewisser enthusiastischer Geist begleiten, der ein ruhiges Urteilen verhindert. Das ist nicht das Kennzeichen der christlichen Freude. „Laßt eure Gelindigkeit kundwerden allen Menschen!“ (V. 5). Dieses ist die Sanftmut und Milde, die sich jedem Schlag beugt, anstatt ihm zu widerstehen in einem Geist, der stets auf seine Rechte besteht und für sie kämpft. Habt vielmehr jenen Geist, der nichts für sein ihm zustehendes Recht ansieht, sondern alles, was er besitzt, als Geschenk der Gnade betrachtet, um es freigebig in dieser Welt zu verwenden, weil ihm Christus vor Augen steht! „Laßt eure Gelindigkeit kundwerden allen Menschen!“ Das wird durch die tröstliche Wahrheit gestützt: „Der Herr ist nahe.“

Diese Nähe Christi nehme ich einfach als eine gesegnete Hoffnung, die hier zu einer praktischen Kraft wird. Es geht in diesem Vers nicht um den Herrn, der bereitsteht, um uns jetzt und hier von Zeit zu Zeit zu helfen. Niemand leugnet diese Wahrheit, welche für einen Christen nichts Neues ist – oder sein sollte. Der Apostel spricht von dem Herrn, dessen Kommen wirklich nahe ist. So hatte er auch am Ende des letzten Kapitels geschrieben, dass wir nach Ihm ausschauen. „Unser Bürgertum ist in den Himmeln, von woher wir auch den Herrn Jesus Christus als Heiland erwarten.“ Das stellt die Lehre, falls es sich in dem Brief überhaupt um Lehre handelt, in ein sehr klares Licht. Sie blickt nicht ausschließlich auf Ihn als den Heiland am Kreuz. Doch wenn Er für uns kommt, dann erfahren wir (wie überall in unserem Brief) in letzter Ausprägung unsere „Errettung“. Auf diese Weise sieht Paulus die Wegnahme der letzten Spuren des ersten Adams voraus. Er wartet darauf, dass wir in Vollkommenheit, sogar in Bezug auf unseren Leib, in die Gleichheit mit dem Zweiten Menschen, dem letzten Adam, verwandelt werden. Das ist wahrhaftig Errettung. Daher sagt er: „Wir (erwarten) ... den Herrn Jesus Christus als Heiland, der unseren Leib der Niedrigkeit umgestalten wird zur Gleichförmigkeit mit seinem Leibe der Herrlichkeit, nach der wirksamen Kraft, mit der er vermag, auch alle Dinge sich zu unterwerfen.“ Es spielt keine Rolle, wie unähnlich sie sein mögen oder wie gegensätzlich. Es spielt keine Rolle, welche Gefäße der Schande und des Elend sie jetzt sind. „Er vermag, auch alle Dinge sich zu unterwerfen.“

Für unsere praktische tägliche Erwartung gilt also: „Der Herr ist nahe.“ Und daraus folgend: Warum sollten wir eine Beute der Sorgen werden, wenn es so ist? „Seid um nichts besorgt, sondern in allem“ - das ist unsere Hilfsquelle - „lasset durch Gebet und Flehen mit Danksagung eure Anliegen vor Gott kundwerden“ (V. 6). Wir lassen sie besser nicht den Menschen bekannt werden; das ist eine gefährliche Schlinge. Aber auf jeden Fall sollten wir sie unserem Gott mitteilen. Es gibt etwas, das unter den Menschen bekannt sein sollte, nämlich, dass wir nicht für unsere Rechte kämpfen. „Laßt eure Gelindigkeit kundwerden allen Menschen!“ Doch: „Lasset ... eure Anliegen vor Gott kundwerden!“ Es geht nicht um dein Versagen oder deinen Zusammenbruch in gewissen Dingen. Das ist gewiss schmerzlich und demütigend. Auf der anderen Seite ist es besser, wenn du deinen Ruf [vor den Menschen; Übs.] verlierst, anstatt dass Christus durch dich verunehrt wird; denn du bist verpflichtet, das Wesen Christi zu entfalten. „Laßt eure Gelindigkeit kundwerden allen Menschen; der Herr ist nahe.“ „Lasset ... eure Anliegen“ - welche auch immer sie sein mögen - „vor Gott kundwerden!“ Das reicht indessen nicht, es soll „mit Danksagung“ geschehen. Du darfst dir einer Antwort vollkommen sicher sein, wenn du deine Anliegen vorstellst. Daher lass es mit Danksagung geschehen! Und was ist die Folge? „Und der Friede Gottes, der allen Verstand übersteigt, wird eure Herzen und euren Sinn bewahren in Christo Jesu“ (V. 7). Die Gefühle, das Urteilsvermögen, alles wird überwacht und regiert von diesem kostbaren Frieden Gottes. Den Frieden, den Gott in allen Umständen besitzt, will Er mitteilen, um dich in allem zu bewahren; und noch mehr: Das Herz, welches von Sorge frei ist, wird sich mit den Dingen beschäftigen, die Gott gefallen. Daher gilt: „Alles was wahr, alles was würdig, alles was gerecht, alles was rein, alles was lieblich ist, alles was wohllautet, wenn es irgend eine Tugend und wenn es irgend ein Lob gibt, dieses erwäget“ (V. 8). Anstatt uns mit dem abzuplagen, was wir an Niederdrückendem hören, können wir, indem wir allen Jammer Gott überlassen, voranschreiten und uns an der Güte Gottes und ihren Früchten erfreuen. Gott vermag uns ausreichend zu versorgen. Wir benötigen nur, dass das Auge des Glaubens ein wenig geöffnet ist. Wenn ausschließlich Christus vor unseren Augen steht, dann sind sie offen.

Danach stellt der Apostel heraus, was diesen Brief veranlasst hatte. „Ich habe mich aber im Herrn sehr gefreut, daß ihr endlich einmal wieder aufgelebt seid, meiner zu gedenken; wiewohl ihr auch meiner gedachtet, aber ihr hattet keine Gelegenheit“ (V. 10). So zart, so empfindsam ist sein Herz, dass er nicht schonen wollte, wenn es notwendig war und falls irgendeine Vernachlässigung vorlag. Gleichzeitig eilt er aber auch, jede Entschuldigung anzuführen, die Liebe sich auszudenken vermochte. „Nicht“, schreibt er, „daß ich dies des Mangels halber sage, denn ich habe gelernt, worin ich bin, mich zu begnügen“ (V. 11). Das ist das große Ziel des Briefes. Es ist nicht einfach ein Bekanntgeben der Lehre, sondern der Erfahrung, in die man hineinwächst. „Ich habe gelernt, worin ich bin, mich zu begnügen. Ich weiß sowohl erniedrigt zu sein, als ich weiß, Überfluß zu haben; in jedem und in allem bin ich unterwiesen, sowohl satt zu sein als zu hungern, sowohl Überfluß zu haben als Mangel zu leiden. Alles vermag ich in dem, der mich kräftigt.“ Gleichzeitig zeigt er seine Würdigung ihrer Liebe und weist darauf hin, dass Unabhängigkeit gegründet auf Abhängigkeit sein Teil war – Unabhängigkeit von den Umständen, welche ihre Kraft in einfältiger und uneingeschränkter Abhängigkeit von Gott findet.

So teilt er den Philippern mit, dass er ihre herzliche Liebe anerkannte. „Nicht daß ich die Gabe suche“, sagt er. Nicht aus persönlichen Gründen erwähnt er ihre Freigebigkeit, „sondern ich suche die Frucht ... für eure Rechnung“ (V. 17). Keinesfalls wünschte er mehr. Wir wissen gut, dass Menschen mit Sarkasmus gesagt haben, Dankbarkeit sei eine Art Fischzug nach neuen Gefälligkeiten. Bei Paulus war es genau umgekehrt. Wie er ihnen sagte, sehnte sich sein Herz ausschließlich nach Frucht, die für ihre Rechnung überströmte. Ihre Gabe an ihn war „ein duftender Wohlgeruch, ein angenehmes Opfer, Gott wohlgefällig“ (V. 18). Was für ein Gott ist unser Gott, dass Er das, was in Verbindung mit der Welt von Christus selbst „ungerechter Mammon“ genannt wird, in dieser Weise behandelt! Seine Güte kann selbst jenen Mammon nehmen und in einen Wohlgeruch für sich selbst verwandeln. „Mein Gott aber wird alle eure Notdurft erfüllen“ (V. 19). Wie reich war Paulus und wie gefüllt durch die Güte des Gottes, den er schon so lange erprobt hatte und so schön empfehlen konnte! Und dabei sah Paulus nicht nur Gottes Reichtümer der Gnade, sondern er blickte auch vorwärts in die Herrlichkeit, in welche er gehen sollte. Darum vermochte er zu sagen: „Mein Gott aber wird alle eure Notdurft erfüllen nach seinem Reichtum in Herrlichkeit in Christo Jesu.“

So schließt er dann mit den Grüßen der Liebe diesen zutiefst kennzeichnenden und ermutigenden Brief unter den Briefen des Paulus.

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