Die gegenwärtige Erwartung der Kirche

8. Abend: Unbedingte Verheißungen irdischen Segens für Israel 1

Römer 11,21

In Römer 11,1 hat der Apostel in Bezug auf Israel die Frage aufgestellt: „Hat Gott etwa sein Volk verstoßen?“ Bis zum 8. Kapitel hat er die Geschichte des Herzens eines jeden von uns beschrieben, seien es Juden oder Heiden; er hat das Evangelium von der Gnade Gottes, die Versöhnung des Menschen durch den Tod und durch die Auferstehung Jesu Christi dargelegt. Nachdem er diese Lehre festgesetzt hat, beginnt er in Kapitel 9 mit der Geschichte der Haushaltungen, er macht die Art und Weise bekannt, in welcher Gott gegenüber den Juden und gegenüber den Heiden gehandelt hat, und in Kapitel 11 behandelt er die Frage: „Hat Gott etwa sein Volk verstoßen?“

Wir haben bei unserem Forschen in der Geschichte der vier Tiere und auch der Kirche gesehen, dass die Juden auf beiseite gesetzt sind, und dass das Evangelium in dieser Welt erschienen ist, um die Sünder, seien es nun Juden oder Heiden, selig zu machen, um das verborgene Geheimnis eines himmlischen Volkes zu offenbaren, und den Fürstentümern und Gewalten die unendlich mannigfaltige Weisheit Gottes begreiflich zu machen. Ein Jude, der sich nun bekehrt, tritt in die Haushaltung der Gnade ein; aber darüber kehrt sogleich die Frage zurück: „Hat Gott etwa sein Volk verstoßen?“

Es handelt sich nicht um sein Volk dem Geiste nach, sondern um sein Volk nach dem Fleische, um die Seinigen, die Juden. Der Apostel sagt in Vers 28: „Hinsichtlich des Evangeliums sind sie zwar Feinde, um euretwillen, hinsichtlich der Auswahl aber Geliebte, um der Väter willen.“ In diesem Kapitel handelt es sich also nicht um das Evangelium, um die Berufung der Juden zur Gnade durch das Evangelium, obgleich eine Wahl durch das Evangelium unter diesem Volk stattfand; es handelt sich um die Juden als Volk Gottes nach seiner äußeren Erscheinung, um die Juden nach dem Fleisch, welche Feinde sind nach dem Evangelium, aber nach der Wahl lieb um der Väter willen.

Hat denn Gott dieses Volk, welches sein Feind ist nach dem Evangelium, verstoßen? Die Antwort des Apostels lautet so: „Das sei ferne!“

Wir Christen rühmen uns dieser Grundlehre, dass Gott seine Gaben und seine Berufung nicht gereuen. Gut, es ist eine Grundlehre der Schrift; aber auf wen wendet sie der Apostel an? Nicht auf uns, sondern auf die Juden. Es ist immer sehr wichtig, dass man eine Stelle aus dem Worte Gottes in ihrem Zusammenhang auffasst, und sie nicht aus dem Boden herausreißt, wohin Gott sie gepflanzt hat.

Während der gegenwärtigen Haushaltung beruft Gott sein himmlisches Volk, er setzt folglich sein irdisches Volk, die Juden, auf die Seite. Das jüdische Volk soll nicht in die Kirche eingehen, im Gegenteil: „Blindheit ist Israel eines Teils widerfahren, so lange bis die Fülle der Heiden eingegangen ist“, bis dass alle Kinder Gottes, die in dieser Haushaltung den Leib der Kirche bilden, herzu gerufen sind. Israel, als Volk, wird selig sein. Der Befreier aus Zion wird kommen; er hat sein Volk nicht verstoßen. Sie sind Feinde nach dem Evangelium, und sie werden es bleiben, bis dass die Fülle der Heiden herzu gerufen ist; aber der Befreier wird kommen. Dies ist der Inbegriff von dem, was die Juden angeht.

Von dem Augenblick an, wo man von der Haushaltung der Heiden sagen kann, dass sie nicht an der Güte Gottes geblieben, so kann man auch sagen, dass sie früher oder später abgehauen werde: „gegen dich aber Güte Gottes, wenn du an der Güte bleibst; sonst wirst auch du ausgeschnitten werden“ (Vers 22).

Die Wurzel vom Ölbaum ist nicht bloß Israel unter dem Gesetz, weit entfernt davon, es ist Abraham, an welchen die Berufung von Seiten Gottes ergangen war. Es war die Berufung eines einzelnen Menschen, der getrennt und auserwählt war als Bewahrer der Verheißungen; die Wahl fiel auf Abraham und auf die Familie Abrahams nach dem Fleische. Israel diente zum Beispiel als Aufbewahrer der Verheißungen und der Offenbarung von der Erwählung Gottes; jetzt ist es die Kirche.

Um euch diese Wurzel der Verheißungen, welche Abraham ist, begreiflich zu machen, werde ich euch Einiges über die Folge der Haushaltungen sagen, welche vorangegangen sind.

Erst sehen wir bei dem Fall des Menschen, dass er sich selbst überlassen ist. Obgleich nicht ohne Zeugnis, hat er kein Gesetz und keine Regierung, und die Folge davon ist, dass das Böse auf den höchsten Grad steigt, so dass die Welt mit Gewalttätigkeit und Verderben erfüllt wurde, und Gott sie durch die Sintflut reinigte.

Hierauf kommt Noah. Es fand eine Veränderung statt; diese Veränderung bestand darin, dass das Recht des Lebens und des Todes, das Recht, Rache zu üben, in die Hand des Menschen gelegt wurde. „Wer Menschenblut vergießt, durch den Menschen soll sein Blut vergossen werden.“ An dieses knüpft sich mehr oder weniger ein Segen auf der Erde an. „Dieser hier“, sagt Lamech, indem er von Noah redet, „wird uns erquicken in Beziehung auf die Erde, welche der Herr verflucht hat.“ Es wurde von Seiten Gottes ein Bündnis mit Noah und mit der Schöpfung gemacht, ein Bündnis, zum Zeugnis dessen Gott den Regenbogen gibt: „Und der Herr roch den lieblichen Geruch, und der Herr sprach in seinem Herzen: Nicht mehr will ich fortan den Erdboden verfluchen.“ (1. Mose 8,21; 9,6.12.13) Dies ist der Bund mit der Erde, als Folge des Opfers Noahs, welches das Vorbild des Opfers Christi war.

Im Vorbeigehen muss ich nur sagen, dass Noah sich an diesem Bund vergangen hat, wie der Mensch es immer macht. Anstatt Segen aus der Erde zu ziehen, fängt er an, einen Weinberg zu bauen, und betrinkt sich. Durch seinen Fehler hat das Prinzip der Regierung gleich in seinen ersten Grundlagen seine Kraft verloren, und Noah, der die Zügel der Regierung hielt, wird der Gegenstand des Gelächters seiner Söhne.

Wir sehen in allen Haushaltungen unmittelbar den Fall des Menschen; aber Alles, was durch die menschliche Torheit unter allen diesen Haushaltungen verloren ging, findet sich am Ende wieder in Christo: der Segen der Erde, das Heil der Juden, die Herrlichkeit der Kirche, alles das, was zum Vorschein kam, und unter den Händen des ersten Adams verdorben wurde, wird in den Händen des zweiten Adams, des Bräutigams der Kirche, des Königs der Juden und der ganzen Erde, wieder aufblühen.

Ein anderer, noch schrecklicherer Fall fand statt als Folge dessen, was Noah widerfuhr. Gott hatte in der Sintflut seine Gerichte kund werden lassen, und die Vorsehung offenbarte sich auf solche Weise. Nun, was hat der Satan getan? Satan, der, solange er nicht gebunden ist, immer noch über den Stand der Dinge auf der Erde Macht hat, stellte sich nun alsbald, nachdem Gott sich in seinen Gerichten auf eine providenzielle Weise offenbart hatte, auch als Gott auf; er machte sich zum Gott. Steht nicht geschrieben: „Das, was die Heiden opfern, opfern sie den Teufeln und nicht Gott.“ Josua 24,2: „Eure Väter wohnten vor alters jenseits des Stromes, Tarah, der Vater Abrahams und der Vater Nahors, und sie dienten anderen Göttern“, sagt der Herr zu den Israeliten. Dies ist das erste Mal, wo wir sehen, dass Gott die Existenz der Abgötterei zu erkennen gibt. Von dem Augenblick an, wo sie hervortrat, beruft Gott Abraham; und das ist die erste Berufung von Seiten Gottes zu einer äußeren Trennung von der Ordnung der Dinge hienieden. Weil Satan als Regent vom Himmel über die Welt eingedrungen ist, so musste Gott ein Volk haben, das getrennt war von anderen Völkern, wo die Wahrheit sich erhalten könnte; und alle Führungen Gottes mit den Menschen drehen sich um diese Tatsache, dass der Herr hienieden Abraham und seine Nachkommenschaft zum Aufbewahrer der großen Wahrheit berufen hat: Es ist nur ein Gott. Folglich bezieht sich Alles, was Gott auf der Erde tut, ganz und geradezu auf die Juden, als den Mittelpunkt seiner irdischen Ratschlüsse und seiner Regierung. Es ist dasselbe, was ihr beim Lesen von 5. Mose 32,8 wahrnehmen werdet.

Ihr werdet diese beiden Prinzipe ganz deutlich im Wort aufgestellt sehen: auf der einen Seite die Verheißungen, dem Abraham gegeben, ohne Bedingung; auf der anderen Seite Israel, welches sie empfängt unter Bedingung, und Alles verliert. Aber da Abraham die Verheißungen ohne Bedingung empfangen hat, so kann Gott sie nie vergessen, obgleich Israel, welches dieselben mit Bedingung erhielt, von seiner Seite nicht treu gewesen ist. Eine wichtige Wahrheit; denn wenn Gott seine Verheißungen, die er dem Abraham gegeben, nicht gehalten hätte, so könnte er auch seine Verheißungen gegen uns unerfüllt lassen.

Israel empfing auf Sinai die Verheißungen unter Bedingung und es hielt sie nicht; aber das hat die Gültigkeit und die Kraft der Verheißungen, welche dem Abraham vierhundertdreißig Jahre früher gegeben wurden, keineswegs geschwächt. Ich rede jetzt nicht von der geistlichen Verheißung: „Alle Völker werden in dir gesegnet werden“, eine Verheißung, welche sich unter dieser Haushaltung teilweise durch das Evangelium erfüllt hat; sondern ich will euch nur zeigen, dass die Verheißungen, die Israel gegeben sind, auf der gleichen Treue von Seiten Gottes beruhen.

Wir wollen unsere Beweisstellen über diesen Gegenstand mit der Verheißung beginnen, welche in 1. Mose 12 gegeben ist. Dies ist die Berufung Abrahams, der sich damals inmitten seiner abgöttischen Familie befand. Es ist eine ganz allgemeine Verheißung, die aber sowohl die zeitlichen Segnungen umfasst, als auch diejenigen, welche ganz geistlich sind. Die beiden Arten von Verheißungen finden sich in dem gleichen Vers ebenfalls ohne Bedingung. Der geistliche Teil der Verheißung wird in Kapitel 22 nur einmal wiederholt, dagegen werden die zeitlichen Verheißungen oft wiederholt. In Kapitel 15 haben wir die Verheißung für die Erde, die sich auf ein Bündnis gründet, das mit Abraham gemacht wurde, auch ohne Bedingung; es ist ein unbedingtes Geschenk des Landes. Es findet sich daselbst auch die Verheißung einer zahlreichen Nachkommenschaft (Verse 5, 18); und in Vers 18 und ff. sind selbst die Grenzen des Landes genau angegeben. In Kapitel 17,7.8 ist die Verheißung in Bezug auf das Land erneuert. Diese Verheißungen sind Isaak bestätigt in Kapitel 26,3.4, und Jakob in Kapitel 35,10–12. Dies sind die Verheißungen, den Vätern gegeben und Israel, welches lieb ist um der Väter willen; sie sind dem Abraham gegeben ohne irgendeine Bedingung, sowohl die irdischen, als auch die geistlichen.

Wenn man sagt: die geistlichen Verheißungen sind ohne Bedingung, so sind es die zeitlichen auch unbedingt. Die Verheißung, die an den Abraham gerichtet war mit den Worten: „Ich will dir dieses Land geben“, ist ebenso gewiss, wie diejenige an uns Heiden.

Ich führe hier nicht den Kampf Jakobs an. Man glaubt, es sei die Probe eines außerordentlichen Glaubens in diesem Manne gewesen; das ist wahr; aber es ist auch zugleich ein Glaube, der, nachdem er sich zwar geübt hatte, nach einem sehr tadelhaften Betragen mit einer augenscheinlichen Demütigung begleitet war; es ist Gott, der mit ihm gekämpft hat; aber er hat seinen Glauben behalten.

So hat sich Gott als der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs erklärt, die Erben seiner Verheißungen und Pilgrime auf Erden sind.

Wir werden sehen, dass Gott sich, so zu sagen, dieses Namens auf der Erde rühmt, und dass die Gläubigen in Israel daraus immer den Beweggrund ihres Vertrauens schöpften: Du sollst den Kindern Israel sagen, spricht Er zu Mose: „Der Herr, der Gott eurer Väter, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks, der Gott Jakobs hat mich zu euch gesandt; dies ist mein Name ewiglich, dies ist mein Denkmal durch alle Zeiten hindurch.“

Aber auf der anderen Seite hat sich Israel nach einem Prinzip, welches der Gegensatz von diesem Allem ist, mit Gott in Verbindung gesetzt, es ist das Prinzip der eigenen Gerechtigkeit, des Gesetzes, kraft dessen wir, anerkennend, dass wir Gott Gehorsam schuldig sind, es auf unsere eigenen Kräfte unternehmen. Denn die Geschichte des Volkes Israel ist im Großen und selbst im Kleinsten seiner Umstände die Geschichte unserer Herzen.

In 2. Mose 19 seht ihr die unermessliche Veränderung, die in dem Zustand Israels stattfand. Bis jetzt haben wir die Verheißungen betrachtet, die Israel gegeben sind ohne Bedingung. Wenn ihr die Kapitel 2. Mose 15 – 19 durchgeht, so werdet ihr sehen, dass Gott ihnen Alles das umsonst gegeben hat, und selbst ungeachtet ihres Murrens, nämlich das Manna, Wasser zu trinken, den Sabbat, dass Er sie in ihrem Streit mit Amalek in Rephidim unterstützte; Alles dieses ruft er ihnen ins Gedächtnis. „Ihr habt gesehen, sagt Er zu ihnen, wie ich euch auf Adlers Flügeln getragen, und dass ich euch bis zu mir geführt habe, und nun wenn…“.

Hier kommt nun zum ersten Mal in der Verbindung Gottes mit Israel dieses kleine Wörtchen wenn vor. „Wenn ihr nun genau meiner Stimme folget, so werdet ihr auch mein Eigentum sein, auserwählt unter allen Völkern; denn die ganze Erde ist mein; und ihr werdet ein priesterliches Königreich und ein heiliges Volk sein.“

Nun von da an, wo eine Bedingung gemacht ist, so ist sie nicht für uns gemacht, weil wir schon den ersten Tag, wo wir mit Bedingung in diesem Bündnis stehen, dasselbe nicht halten; und dies war die Torheit Israels. Umsonst sendet ihnen Gott sein Gesetz, welches gut, heilig und gerecht ist; für einen Sünder ist sein Gesetz der Tod, weil er Sünder ist, und von dem Augenblick an, wo uns Gott sein Gesetz unter Bedingung gibt, gibt er uns dasselbe nicht, weil wir es befolgen können, sondern um es uns deutlicher zu verstehen zu geben, dass wir verloren sind, weil wir es übertreten haben.

Die Israeliten hätten sagen sollen: Es ist wahr, wir sind schuldig, Dir zu gehorchen; aber wir haben so mannigfaltig gefehlt, dass wir uns nicht trauen, diese Verheißungen unter einer solchen Bedingung anzunehmen. Anstatt dessen, was sagen sie? „Alles, was der Herr geredet hat, wollen wir tun.“ Sie verpflichten sich, Alles das zu erfüllen, was der Herr gesagt hat; dieses Volk nimmt die Verheißungen unter der Bedingung an, genau zu folgen. Was ist die Folge von dieser Vermessenheit? Das goldene Kalb ist gemacht, noch ehe Moses vom Berg herabgestiegen ist. Wenn wir, die wir Sünder sind, uns dazu verbinden, Gott genau zu gehorchen, obgleich der Gehorsam immerhin eine Schuldigkeit ist, und wir im entgegen gesetzten Fall Gefahr laufen, den Segen zu verlieren, so sind wir hierin immer die Fehlenden. Wir müssen sagen: „Wir sind verloren;“ denn die Gnade setzt ja unseren Fall voraus. Es ist diese gänzliche Unbeständigkeit des Menschen unter der Bedingung, die der Apostel in Galater 3,17–21 darstellen will, wenn er sagt: „Ein Mittler aber ist nicht Mittler von einem; Gott aber ist einer.“ Das heißt, von dem Augenblick an, da ein Mittler Statt hat, sind auch zwei Parteien. Aber Gott ist nicht zwei; Gott ist einer, und welches ist die andere Partei? Es ist der Mensch.

Nun, es ist nichts Festes im Menschen, darum ist er erlegen unter dem Gewicht seiner Verpflichtungen, und dies wird noch immerfort geschehen. Aber das Gesetz kann die Verheißungen, welche dem Abraham gegeben sind, nicht aufheben, das Gesetz, welches 430 Jahre später gekommen ist, kann die Verheißung nicht vernichten, und sie war dem Abraham nicht nur für den Segen der Völker gegeben, sondern auch um das Land und die irdischen Segnungen Israel zuzusichern.

Die Beweisführung des Apostels in Bezug auf die geistlichen Verheißungen findet gleicherweise ihre Anwendung auf die den Juden gegebenen zeitlichen Verheißungen. Wir sehen, das Israel unter dem Gesetz dieselben nicht genießen konnte. In der Tat, Alles war verloren, als es das goldene Kalb gemacht hatte. Nichts desto weniger war der Bund auf Sinai auf das Prinzip des Gehorsams gegründet (2. Mose 24,7): „Und er nahm das Buch des Bundes und las es vor den Ohren des Volkes; und sie sprachen: Alles, was der Herr geredet hat, wollen wir tun und gehorchen. Und Mose nahm das Blut…“ Dies ist der Bund, geheiligt durch das Blut auf das Prinzip: „Alles, was der Herr geredet hat, wollen wir tun.“ Ihr wisst, dass das Volk das goldene Kalb gemacht, und dass Mose die Tafeln des  Gesetzes zerbrochen hat.

In 2. Mose 32 seht ihr nun, wie die Verheißungen, vor dem Gesetz gegeben, die Quelle des Glaubens waren. Es ist das, was das Volk durch die Fürsprache Moses selbst in seinem Falle noch hielt, und ihr werdet sehen, wie Gott vermöge eines Mittlers den Menschen nach seinem Fehltritt wieder heimsucht: „Ich habe dieses Volk gesehen, und siehe, es ist ein hartnäckiges Volk; und nun lass mich, dass mein Zorn gegen sie entbrenne und ich sie vernichte; dich aber will ich zu einer großen Nation machen.“ Mose aber flehte vor dem Herrn: „Kehre um von der Glut deines Zorns und lass dich des Übels gegen dein Volk gereuen. Gedenke Abrahams, Isaaks und Israels, deiner Knechte, denen du bei dir selbst geschworen hast, und hast zu ihnen gesagt: Mehren will ich eure Nachkommen wie die Sterne des Himmels; und dieses ganze Land, von dem ich geredet habe, werde ich euren Nachkommen geben, dass sie es als Erbteil besitzen auf ewig. Und es reute den Herrn das Übel, wovon er geredet hatte, dass er es seinem Volk tun werde.“

Siehe also, nach dem Falle Israels fleht Mose zu Gott, um seiner Herrlichkeit willen der Verheißungen zu gedenken, die er Abraham gegeben, und Gott gereut das Übel, das er seinem Volk tun wollte.

Man sehe 3. Mose 26. Dieses Kapitel ist eine Drohung von all den Züchtigungen, die über das ungetreue Israel kommen sollten. Vers 42: „So werde ich meines Bundes mit Jakob gedenken; und auch meines Bundes mit Isaak und auch meines Bundes mit Abraham werde ich gedenken, und des Landes werde ich gedenken.“

Siehe da, wie Gott auf seine Verheißungen, die er lange Zeit vor dem Gesetz ohne Bedingung gegeben hatte, zurückkommt. Ihr werdet sehen, dass sich dieses auf die letzte Zeit anwenden lässt.

Es wurden noch zwei andere Bündnisse mit Israel während seines Aufenthaltes in der Wüste gemacht. Wir haben gesehen, dass, nachdem der Bund unter dem Gesetz gebrochen war, die Fürsprache Moses einen anderen Bund hervorrief, dessen Grundlage wir in 2. Mose 34,27 finden: „Und der Herr sprach zu Mose: Schreibe dir diese Worte auf; denn entsprechend diesen Worten habe ich mit dir und mit Israel einen Bund geschlossen.“

Achtet auf die Worte: „mit Dir“; denn es ist eine merkwürdige Veränderung in der Sprache Gottes. In Ägypten hatte Gott immer gesagt: „Mein Volk, mein Volk.“ Von dem Augenblick an, wo sie das goldene Kalb gemacht haben, sagt Er es nicht mehr; Er braucht das Wort, das sie gesagt haben: „Dein Volk, dein Volk, welches Du aus Ägypten herausgeführt hast;“ denn Israel hatte gesagt: „Dieser Mose, der Mann, der uns aus dem Land Ägypten herausgeführt hat…“ (2. Mose 32,1). Gott nimmt sie bei ihrem Wort. Was geschah nun? Moses tat Fürsprache, und er ließ es auf keine Weise zu, das Gott sagte: „Dein Volk;“ Moses sagte zu Ihm: „Dein Volk;“ auf diesen Ausdruck hielt er immer: „Dein Volk.“

Nun ist ein Bund mit Mose gemacht als Mittler. Hier ist das Prinzip der Oberherrschaft der Gnade, das Prinzip, welches Eingang fand, als Alles verloren, als die Bedingung des Gesetzes verletzt war. Wäre Gott nicht Oberherr, was würde die Folge dieser Verletzung gewesen sein? Der Untergang des ganzen Volkes. Obwohl nämlich die Oberherrschaft Gottes ewig ist, so offenbart sie sich, wenn sie das einzige Rettungsmittel eines Volkes wird, das auf seinen Wegen zu Grunde ging; und dies fand durch einen Vermittlern statt.

In 5. Mose 29,1 werdet ihr noch ein anderes Bündnis sehen. Dies sind die Worte des Bundes, den der Herr Mose geboten hat, zu machen mit den Kindern Israel in der Moabiter Land, zum anderen mal, nachdem er denselben mit ihnen gemacht hatte in Horeb. Der Gegenstand dieses dritten Bündnisses mit den Israeliten ist dieser: Gott schließt dasselbe mit ihnen, dass sie unter diesem Bunde, insofern sie gehorsam sind, das Land fortwährend genießen können.

Sie haben diesen neuen Bund nicht gehalten, folglich sind sie aus ihrem Land vertrieben worden. Zur Zeit dieses dritten Bundes war Israel in das Land eingesetzt worden, und durch die Beobachtung desselben würde es das Land behalten haben. Siehe 5. Mose 29,9.12.13. Was die Berufung auf die Verheißungen ohne Bedingung anbetrifft, lese man in 5.Mose 9,5.27; 10,15 nach. In Micha 7,19.20 sehen wir, dass diese Verheißungen Abraham gegeben sind als Quelle prophetischer Hoffnung. In Lukas finden wir, dass der gläubige Israelit Simeon dieselben als Gegenstand der Hoffnung Israels sich vorhält, welcher sich durch diese Verheißungen auf die Treue Gottes verließ.

Bis jetzt haben wir gesehen, durch welches Prinzip Israel in das Land Kanaan eingegangen ist. Aber wir haben auch gesehen, dass ihnen Gott vor dem Gesetz durch unbedingte Bündnisse und Verheißungen das Land zu ewigem Besitz versprochen hat; und mittels dieser Verheißungen durch die Vermittlung Moses wird Israel versöhnt, und genießt endlich das Land, das ihm versprochen ward, als der dritte Bund auf der Ebene Moabs mit ihm gemacht wurde. Nach dem Fall der Israeliten in diesem verheißenen Land bleibt noch eine Anwendung aller dieser Verheißungen, welche Abraham gegeben sind, auf ihre zukünftige Wiederherstellung übrig. Nachdem dieses Volk sich auf alle Art gegen Gott vergangen hat, so zeigen uns die Propheten, dass Gott ihm verheißen, es unter seinem König, Jesus Christus, wieder in sein Land einzusetzen, unter Ihm, welcher die vollständige Erfüllung aller dieser zeitlichen Verheißungen ist.

Erinnern wir uns, teure Freunde, dass wir in dem bereits Gesagten die Offenbarung des Charakters des Herrn vor uns haben, und dass, obwohl dies Israel widerfahren, es von Seiten Gottes geschehen, und folglich die Offenbarung, die Israel anging, auch eine Offenbarung des Charakters Gottes für uns ist. Israel ist der Schauplatz, auf welchem Gott seinen Charakter ganz entfaltet hat; und es handelt sich nicht bloß um Israel, es gilt die Herrlichkeit Gottes und die Ehre seiner Vollkommenheiten. Wenn Gott es an seinen Gaben gegen Israel fehlen lassen könnte, so könnte er es auch fehlen lassen an seinen Gaben gegen uns.

Wir werden die Geschichte des Zustandes dieses Volkes in der nächsten Versammlung fortsetzen.

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