Einführender Vortrag zum Galaterbrief

Kapitel 1

Einführender Vortrag zum Galaterbrief

Wir sahen, wie der zweite Korintherbrief gekennzeichnet ist von sehr rasch wechselnden Gefühlen, von einem tiefen und brennenden Bewusstsein der Tröstungen Gottes und von einem Gefühlsumschwung, der umso kraftvoller in einem Herzen wirken konnte, welches in das Wesen aller Dinge weit mehr eindrang als viele andere, seitdem es die Welt gibt. Denn so wie der erste Brief den Menschen in jeder Form mundtot gemacht hat, und zwar besonders den Menschen als Ausdruck der Welt in ihrem Stolz, so atmet der zweite den Trost der wiederherstellenden göttlichen Gnade. Daher charakterisieren ihn die stärksten Herzensempfindungen, denn Paulus liebte diese Erlösten mit einer brennenden Liebe. Er empfand tief das Verkehrte bei ihnen. Zur gleichen Zeit wurde er indessen weit über das hinausgehoben, was als persönliche Gefühle bezeichnet werden kann. Darum auch konnte der Kummer der Liebe sich in ihm unvermischt mit jener Kraft verbinden, die normalerweise durch die Liebe beeinträchtigt wird und das Gefühlsvermögen erheblich abstumpft. So finden wir also die Wirksamkeit des geistlichen Gefühls, wie sie sich in Paulus entfaltete, im zweiten Brief besonders herausgestellt, wo er davon spricht, dass Gott solche, die niedergeworfen sind, genauso aufrichtet, wie er selbst aus der sein Leben bedrohenden Gefahr von Gott gerettet wurde.

Im Galaterbrief erkennen wir eine andere Stimmung und eine andere Ausdrucksweise. Wir erfahren von einer ernsten und aufs Höchste bekümmerten Seele, wie sie von keineswegs weniger tiefen – ja, falls es möglich ist, sogar  noch bewegteren – Gefühlen erfasst wird als in ihrem Schreiben an die Korinther. Das lag daran, dass die [christlichen] Grundlagen noch tiefgründiger angegriffen wurden durch den Geist, der in den Versammlungen Galatiens wirkte. Dort ging es nicht um die weltliche Anmaßung des Menschen und die damit unvermeidlich verbundene Zurücksetzung der apostolischen Autorität sowie der Ordnung innerhalb der Kirche (Versammlung). Auch die Sittlichkeit, jedenfalls die christliche Sittlichkeit, war nicht betroffen oder die gewinnende Art und Weise des Umgangs der Geschwister miteinander im privaten Bereich und in den öffentlichen Zusammenkünften. Im Brief an die Galater erhob sich ein tieferes Problem: Nichts Geringeres als die Quelle der Gnade selbst stand in Frage. Folglich wird in diesem Brief nicht so sehr das Bedürfnis des Menschen – eines Sünders – offengelegt, als vielmehr die Verteidigung der eigentlichen Gnade Gottes für den Erlösten. Dabei werden auch die verderblichen Folgen für alle diejenigen angeführt, die sich von der tiefen und umfassenden Grundlage, die Gott für Seelen in Christus gelegt hat, fortziehen lassen. Hier wird der Christ insbesondere vor einem Einbruch der Gesetzlichkeit gewarnt.

Während in Korinth die Welt der große Feind war, so ist es hier eine Falschanwendung des Gesetzes, gegen die der Geist Gottes den Apostel in seinem Schreiben an die Galater auftreten lässt. Das Fleisch wird, ach!, zu beidem hingezogen. Dieser Brief beginnt wie der an die Korinther mit einem Geltendmachen der apostolischen Stellung seitens Paulus’. Schon am Anfang wird hier (aber nicht dort) jede menschliche Mitwirkung verneint. Menschen waren weder die Quelle seiner Apostelschaft, noch Mittler bei ihrer Verleihung. Er trifft damit die Wurzel jeglicher vererbbarer oder abgeleiteter Autorität.  „Paulus, Apostel, nicht von Menschen, noch durch einen Menschen, sondern durch Jesum Christum und [um die Ausführung noch eindeutiger zu machen] Gott, den Vater, der ihn auferweckt hat aus den Toten“ (V. 1). Diese Einführung finden wir ausschließlich in unserem Brief. Im Epheserbrief werden wir sehen, dass der Apostel einen noch höheren Charakter für allen Dienst beansprucht. Dort wird er nicht auf Gott den Vater, der Christus aus den Toten auferweckt hat, zurückgeführt, sondern er kommt von Christus herab, der in den Himmel hinaufgestiegen ist. (Wir werden bald erkennen, wie vollkommen diese Ausführung mit dem Epheserbrief übereinstimmt). Im Galaterbrief geht es um die völlige Verurteilung des Fleisches in seinen religiösen Anmaßungen und vor allem um einen Schlag gegen Einflüsse, die notwendigerweise zum Prinzip des Gesetzes gehören. Die ganze gesetzliche Einrichtung beruhte auf einem Volk, das in gerader Linie von Abraham abstammte, und seinem Priestertum, das in ähnlicher Weise auf Aaron folgte. Da es sich natürlich um sterbliche Menschen handelte, welche die allgemeinen Vorrechte Israels oder die besondere Stellung eines Priesters einnahmen, mussten diese vom Vater auf den Sohn weitergegeben werden. In dem ihm eigenen Bereich und seinen Segnungen kennt das Christentum nichts dieserart, sondern leugnet es vielmehr grundsätzlich. So ist Paulus hier ein „Apostel, nicht von Menschen, noch durch einen Menschen, sondern durch Jesum Christum und Gott, den Vater, der ihn auferweckt hat aus den Toten.“

Die Bedingung dafür, zu den zwölf Aposteln gezählt zu werden, bestand unveränderlich darin, den Messias begleitet zu haben sowie Hörer seiner Worte und Zeuge seiner Werke bis zu seinem Weggang gewesen zu sein. Dieser Schwierigkeit blickt der Apostel Paulus direkt ins Gesicht und räumt seinen Verleumdern gegenüber unumwunden ein, dass er nicht von Christus, als Er sich auf der Erde aufhielt, zum Apostel ernannt worden war. Doch wenn auch nicht zu einem Platz unter den Zwölfen berufen, so hatte ihm der Herr in seiner Unumschränktheit einen besseren gegeben. Das hat keineswegs etwas mit Prahlen in Bezug auf seine Würde zu tun. Er läßt sich nicht einmal dazu herab, diesen kurzen Hinweis mit Einzelheiten zu füllen. Er überlässt es der geistlichen Weisheit, aus seinen wenigen Worten das zu entnehmen, was offensichtlich an Wahrheit ausgedrückt werden sollte.

Seine besondere Berufung war eine unbestreitbare Tatsache; und es bedeutet eine große Freude für das Herz, wie das Christentum in seinen großen Wahrheiten auf offenkundigen und bestimmten Tatsachen beruht. Gleichzeitig lässt es nach allen Richtungen sozusagen den weitesten und höchsten Raum für die Wirksamkeit des Heiligen Geistes und, wie nirgendwo sonst, für die Entfaltung sowohl des erneuerten Herzens als auch der von dem Heiligen Geist geschenkten Zuneigungen; und folgerichtig erlaubt es die reichsten möglichen Übungen des Verstandes und des Herzens. Gott nimmt Rücksicht auf die Armen. Er gibt acht auf die Einfältigen. Auch die Kinder stehen vor seinen Augen. Und es sind gerade Tatsachen, die solche Herzen ansprechen. Keine Seele steht wirklich über diesen. Wer immer die Tatsachen des Christentums verachtet, als gäbe es nichts Überdenkenswürdiges in der Heiligen Schrift, oder seinen Dienst an anderen ausschließlich in heiligen Handlungen und spekulativen Schlussfolgerungen sieht, wird – oft sogar von sich selbst – an der Grenze zu gefährlichen Täuschungen für das Herz und auch den Wandel gefunden.

Der Apostel diskutiert hier nicht über diese Angelegenheit. Er stellt einfach fest, wie ich schon gesagt habe, dass sein apostolischer Charakter nicht nur von Jesus, sondern auch von Gott dem Vater, der Jesus von den Toten auferweckt hatte, stammt. Seine Apostelschaft entsprang der Auferstehung und stand nicht in Verbindung mit Christus auf der Erde und in Beziehung zu dem Werk, das Gott ausführte, als Er seinen Sohn in die Welt sandte. Danach trägt er Sorge, andere Brüder ausdrücklich mit sich zu vereinigen: „Und alle Brüder, die bei mir sind“ (V. 2). Paulus stand nicht allein. Er besaß den Glauben, der durch die Gnade auch ohne einen Gefährten an Gott festhalten konnte; aber Gott segnete jenen Glauben und wirkte durch denselben auf andere – sogar auf solche, die, ach!, nur zu oft bereit waren, sich abzuwenden. In diesem Fall gingen erfreulicherweise die Brüder um Paulus von Herzen mit ihm. Nachdem er den Empfängern wie üblich Gnade und Friede gewünscht hatte, spricht Paulus vom Herrn in einzigartiger Übereinstimmung mit dem Thema des Briefes. „Der sich selbst für unsere Sünden hingegeben hat, damit er uns herausnehme [nicht aus dem Gericht, noch aus dem kommenden Zorn, sondern] aus der gegenwärtigen bösen Welt“ (V. 4). Das Böse, welches unter den galatischen Gläubigen immer mehr Boden gewann – die Gesetzlichkeit –, verbindet die Seele mit der Welt und erweist in der Tat, dass dieselbe böse ist, indem sie dem Fleisch in der gegenwärtigen Zeit Bedeutung zumisst und zu einer Verbindung mit den Dingen rund umher beiträgt. Aber in Wirklichkeit gab der Herr „sich selbst für unsere Sünden ..., damit er uns herausnehme aus der gegenwärtigen bösen Welt, nach dem Willen unseres Gottes und Vaters, welchem die Herrlichkeit sei von Ewigkeit zu Ewigkeit!“

Der Apostel stürzt sich sofort in das aufgewühlte Meer. Er zählt nicht auf, was Gott für sie getan hat. Die Gnade wird hier nicht erwähnt, nicht einmal irgendwelche besonderen vom Geist Gottes mitgeteilte Geisteskräfte. Wir werden sehen, dass Paulus letztere nicht grundsätzlich vergessen hat. Er bespricht sie an einer anderen Stelle in unserem Brief. Doch sein Herz ist zu beunruhigt, um sich nicht sofort dem für sie gefährlichen Punkt zuzuwenden. Folglich beginnt er ohne weitere Einleitung und mit einem unheilverkündenden Schweigen bezüglich ihres praktischen Zustandes (denn von diesem konnte in der Tat nicht gesprochen werden) mit dem eigentlichen Thema. „Ich wundere mich, daß ihr so schnell von dem, der euch in der Gnade Christi berufen hat, zu einem anderen Evangelium umwendet, welches kein anderes ist“ (V. 6–7).

Beachte, wie genau jedes Wort dazu angetan ist, sich mit ihren Seelen zu beschäftigen! Er spricht von „der Gnade Christi.“  Er warnt vor einem „anderen Evangelium“, d. h. einem abweichenden, welches in Wirklichkeit gar kein Evangelium ist. Es ist  kein anderes, wie Paulus sagt. „Nur daß etliche sind, die euch verwirren und das Evangelium des Christus verkehren wollen.“  Und dann wendet er sich voller Entrüstung bei diesem Gedanken in sehr ernster Form an die Galater. „Wenn auch wir“ [d. h. Paulus oder irgendjemand, der mit ihm in Verbindung stand] – „wenn auch wir oder ein Engel aus dem Himmel euch etwas als Evangelium verkündigte außer dem, was wir euch als Evangelium verkündigt haben: er sei verflucht!“ (V. 8). Doch damit nicht genug – „wie wir zuvor gesagt haben, so sage ich auch jetzt wiederum: Wenn jemand euch etwas als Evangelium verkündigt außer dem, was ihr empfangen habt ...“ (V. 9). Der Apostel stand zu der gepredigten und aufgenommenen Wahrheit. Was er verkündet hatte, war die Wahrheit zu diesem Thema. Er leugnet nicht, dass auch andere dieselbe predigten, aber wenn sie diese predigten, dann war es dieselbe Wahrheit. Dem Apostel war es gegeben, die Wahrheit vollständiger zu verkündigen als irgend jemand sonst. Davon abzuweichen war verhängnisvoll. Aber das war noch nicht alles. Wenn er die volle Wahrheit des Evangeliums gepredigt hat, so besteht er darauf, dass sie dasselbe empfangen haben. Er will nichts von einem vorgetäuschten Missverständnis hören. Er weist jeden Deckmantel für andere Gedanken zurück. In allen diesen Fällen gilt: „Er sei verflucht!“

Er rechtfertigt dann die Strenge seiner Warnung. „Denn suche ich jetzt Menschen zufrieden zu stellen, oder Gott? oder suche ich Menschen zu gefallen? Wenn ich noch Menschen gefiele, so wäre ich Christi Knecht nicht“ (V. 10). Es ist unmöglich, zwei Herren zu dienen. Christus vermischt sich genauso wenig mit dem Fleisch oder dem Gesetz wie mit der Welt. Dort ist Knechtschaft. Aber Er ist ein Befreier; und Er handelt zur Verherrlichung Gottes und zugunsten seines eigenen Dienstes in der Freiheit der Gnade.

Jetzt geht der Apostel auf einen anderen Teil seines Themas ein. Sein Bericht weist auf, wie unabhängig er von gerade denjenigen Personen war, die sie gerne mit ihm verbunden sehen würden. Es war ein Anstoß in den Augen der jüdischen Christen und insbesondere derjenigen Christen, die für das Judentum eiferten, dass der Apostel so selten in Jerusalem war und dass er so wenig Umgang mit den Zwölfen hatte. Diese Tatsache anerkannte der Apostel ohne Einschränkung. Er suchte nicht im Geringsten, irgendwelche Glaubwürdigkeit sowohl für das Evangelium als auch für seine eigene apostolische Stellung zu gewinnen, indem er mit jenen die Verbindung aufrecht hielt, die vor ihm Apostel waren. Stattdessen besteht er gerade auf jene Unabhängigkeit, welche man ihm vorwarf. Er besaß eine besondere Apostelschaft (genauso echt wie die der Zwölfe), aber von einer anderen Ordnung, einer anderen Zeit und einem anderen Charakter. Alles stammte zweifellos von demselben Gott und demselben Herrn Jesus Christus, aber dennoch sowohl von Gott als auch von dem Herrn aus einer anderen Beziehung heraus. Es zeigte sich schon in bemerkenswerter Weise bei der Art seiner Berufung, dass seine Apostelschaft keine Verbindung mit der Welt oder dem Fleisch haben sollte. Sie hatte noch nicht einmal eine irgendwie geartete Beziehung zu dem Herrn selbst in den Tagen seines Fleisches, als Er als Diener der Beschneidung im Land Judäa wirkte. Daher werden auch gleichbleibend die Zwölfe als das große Muster angesehen, wenn Menschen eine apostolische Nachfolge vertreten.

Daher kommt es, dass „Rom“ 1, welches entschieden auf dem Grundsatz einer menschlichen Nachfolge (Sukzession) beruht (so wie auch jede weltliche Religion in einem gewissen Maß dasselbe Prinzip festhalten muss) – „Rom“, sage ich, sucht, wie alle wissen, ihre Autorität von Petrus abzuleiten. Niemand kann mit Verständnis das Neue Testament lesen, ohne den absoluten Trugschluss, auf den sich dieses System stützt, wahrzunehmen; denn Petrus war, wie das nächste Kapitel dieses Briefes uns sagt, ausdrücklich der Apostel der Beschneidung. Das galt auch für die anderen, die als die Häupter angesehen wurden. Falls irgendeine Apostelschaft für die Nationen bestimmt war, dann musste es die des Paulus sein, denn er war der Apostel der Unbeschnittenen. Welch eine Verurteilung in sich selbst für alle solche Gedanken liegt doch darin, dass kein System, welches Argumente für eine irdische Nachfolge sucht, im Geringsten Paulus für seine Zwecke dienstbar machen kann! In seinem Fall war der Bruch mit dem Menschen als solchen offensichtlich. Seine Verbindung mit dem Himmel und nicht Jerusalem war zu eindeutig, um bestritten oder umgangen werden zu können. Es gab keinen Nachfolger von Paulus – wenn doch: Wer könnte es sein? Im Fall der Zwölfe sehen wir, dass ein Apostel gewählt wurde, um die durch Judas entstandene Lücke auszufüllen. Ich gebe zu: Es wurde gewählt, aber von Gott und nach jüdischem Brauch, wie schon Chrysostomos 2 zu Recht anmerkt, denn der Heilige Geist war noch nicht gegeben worden. Ich gebe auch zu, dass dies für Jerusalem damals völlig angebracht und zeitgemäß war.

Gleichzeitig ist jedoch klar, dass der Apostel Paulus hier gerade mit jener lehrreichen Wahrheit beginnt, für die ihn einige judaisierende Leute damals tadelten, und zwar mit der besonderen Herrlichkeit, zu welcher der Herr ihn berufen hatte. „Ich tue euch aber kund, Brüder“, sagt er, „daß das Evangelium, welches von mir verkündigt worden, nicht nach dem Menschen ist. Denn ich habe es weder von einem Menschen empfangen, noch erlernt, sondern durch Offenbarung Jesu Christi. Denn ihr habt von meinem ehemaligen Wandel in dem Judentum gehört, daß ich die Versammlung Gottes über die Maßen verfolgte und sie zerstörte, und in dem Judentum zunahm über viele Altersgenossen in meinem Geschlecht, indem ich übermäßig ein Eiferer für meine väterlichen Überlieferungen war. Als es aber Gott, der mich von meiner Mutter Leibe an abgesondert und durch seine Gnade berufen hat, wohlgefiel, seinen Sohn in mir zu offenbaren, auf daß ich ihn unter den Nationen verkündigte, ging ich alsbald nicht mit Fleisch und Blut zu Rate und ging auch nicht hinauf nach Jerusalem zu denen, die vor mir Apostel waren, sondern ich ging fort nach Arabien und kehrte wiederum nach Damaskus zurück“ (V. 11–17).

Es ist nun offensichtlich – und darauf möchte ich eure besondere Aufmerksamkeit richten –, dass der Apostel hier sein Evangelium mit seiner apostolischen Stellung verbindet. Dagegen bestand der gefährliche Schachzug des Feindes. Du kannst einen solchen Knecht Gottes nicht angreifen, ohne sein Zeugnis zu berühren. Du kannst seine Apostelschaft nicht schwächen, ohne das Evangelium, welches du selbst angenommen hast, zu gefährden. Das gilt in einem gewissen Maß immer und zeigt uns, wie außerordentlich schwerwiegend es ist, einem Zeugnis Gottes zu widerstehen, welches Er für sein besonderes Werk in dieser Welt aufgerichtet hat. Doch wie viel bedeutsamer ist es in einem Fall wie dem des Apostels! Schon die Art seiner Bekehrung und die besondere Form seiner Absonderung für Gott trug den Stempel jener Wahrheit, die er predigen sollte. Griff man die eine Seite an, so setzte man auch die andere aufs Spiel. Daran dachten die Galater nicht. Menschen, die auf diese Weise von Satan geblendet werden, handeln stets so. Für sie sah es zweifellos so aus, als seien sie eifrige und aufrichtige Kämpfer für die Einheit. Sie dachten mit Betrübnis daran, dass die jüdische Kirche mit ihren zwölf Aposteln und ihren Ältesten und mit ihren mannigfaltigen Verbindungen zum Altertum und zum Zeugnis Gottes auf der Erde in der Vergangenheit in einem gewissen Maß von dem Apostel und seinem Werk getrennt zu sein schien.

Ohne Zweifel gab es in der Betonung Unterschiede. Es war durchaus möglich, dass jemand aus dem Bereich der Lehre der Zwölfe kam und dass dann die Lehre des Apostel Paulus Bestürzung bei ihm hervorrief, obwohl auch die ersteren von Gott, wie wir von einigen bestimmt wissen, in ihren Schriften inspiriert waren und alle eine wirklich apostolische Stellung einnahmen. Könnte jemand bezweifeln, dass die besondere Form der geistlichen Gedanken und Gefühle, wie sie zum Beispiel Jakobus’ oder Petrus’ Lehre, ja, sogar die des Johannes, kennzeichnet, auf den ersten Blick ganz anders als die des Paulus erscheint? Und dennoch können sie dort, wo das Herz offen ist, durchaus mit der Belehrung des Paulus in Übereinstimmung gebracht werden. Wir wissen, wie schwach und langsam unsere Herzen und wie leicht Jünger im Allgemeinen geneigt sind, die Reichtümer der Gnade und Wahrheit Gottes einzuengen. Sogar im Christentum benötigen wir sehr die Erinnerung an die Warnung des Herrn in Lukas 5, wo Er sagt, dass niemand, der alten Wein gewohnt ist, alsbald neuen wünscht, sondern sagt: „Der alte ist besser.“ Diese Gesinnung wirkte schon damals in den frühen Tagen. Unter anderen wurden die Galater davon angesteckt. Obwohl sie in Wirklichkeit durch das himmlische Zeugnis des Apostel Paulus bekehrt worden waren, wurden sie im Lauf der Zeit mit Christen bekannt, die nicht so bevorrechtigt waren – möglicherweise aus den Versammlungen in Judäa. Sie mochten auch Erlöste sein; und es gab, wie wir wissen, solche, die von Jerusalem aus durch die Lande reisten. Auf jeden Fall waren die Galater – von Natur unbeständig – schnell bereit, Vorurteile zu übernehmen. Sie fühlten sich etwas unwohl. Jene, von Satan benutzt, um sowohl dem Apostel in Person zu widerstehen als auch jenem Zeugnis zu misstrauen, zu dessen Verständnis ihnen die geistliche Befähigung fehlte, riefen eifrig Zweifel in den Herzen dieser galatischen Geschwister hervor und fanden bei ihnen nur zu bereitwillige Ohren.

So musste der Apostel das Evangelium der Gnade mit seiner eigenen apostolischen Würde verbinden; und wir sollten diese bemerkenswerte Tatsache gut beachten. Mit äußerster Einfachheit zeigt er, dass seine Absonderung von den Menschen ein Teil der Wege Gottes war in der Absicht, die große Wahrheit umso fühlbarer zu machen, welche Paulus später zu verkünden hatte. Er selbst war (konnten sie es leugnen?) auf jeden Fall genauso eifrig für die jüdische Religion gewesen wie jeder andere Jude aus der strengsten Sekte. Er hatte darin ebenso viel Tüchtigkeit gezeigt – möglicherweise sogar noch mehr – wie irgendeiner seiner Zeitgenossen. Wer aus seiner Nation hatte ihn in der Ausübung des Judentums übertroffen? Wer war eifriger für die Lehren seiner Väter gewesen? So geschah es, dass es nichts gab, dessen sie sich rühmten, welches der Apostel nicht selbst gelernt hatte. Er war unter dem ausgezeichnetsten Lehrer geschult worden: dem großen Rabbi Gamaliel. „Als es aber Gott, der mich von meiner Mutter Leibe an abgesondert und durch seine Gnade berufen hat, wohlgefiel, seinen Sohn in mir zu offenbaren ...“ (V. 15). Beachte auch hier die Kraft des Ausdrucks! Er wurde nicht nur dazu geführt, Jesus nachzufolgen und an seinen Namen zu glauben und letzteren zu bekennen, sondern Gott hatte auch seinen Sohn  in ihm offenbart; und wir können alle erkennen, wie genau dieser Ausdruck mit den Worten unseres Herrn, wie sie in der Apostelgeschichte berichtet werden, übereinstimmt. Denn die wunderbare Wahrheit schallte schon am Anfang in die Ohren des Apostels, als der Heiland ihn vom Himmel her anrief. Die Einheit der Erlösten mit Christus selbst wurde, wie uns allen vertraut ist, in seinen Worten klar angedeutet. Demnach wird hier gesagt, dass es Gott gefallen hat, seinen Sohn in ihm zu offenbaren, damit er die gute Botschaft von Christus unter den Heiden predigen sollte.

Daraufhin beriet Paulus, wie hinzugefügt wird, sich nicht mit Fleisch und Blut. Er ging auch nicht hinauf nach Jerusalem zu denen, die vor ihm Apostel waren, sondern nach Arabien. Von dort kehrte er zurück – aber nicht nach Jerusalem, sondern zur Stadt Damaskus, in deren Nähe er anfangs berufen worden war. „Darauf, nach drei Jahren“, sagt er, „ging ich nach Jerusalem hinauf, um Kephas kennen zu lernen“ (V. 18). Das führte sicherlich zu einer festen Bindung an die Zwölfe! Keinesfalls! Er ging einfach dorthin, um die Bekanntschaft von Petrus zu machen, und blieb bei ihm. Aber wie lange? Fünfzehn Tage! Viel zu kurze Zeit, wenn es darum ging, angemessen in das Zeugnis der Zwölfe eingewiesen zu werden! In Wirklichkeit sah Paulus die Zwölfe gar nicht. Er sah Petrus, „aber keinen anderen der Apostel, außer Jakobus, den Bruder des Herrn“ (V. 19). Diese Tatsache beteuert er auf das Entschiedenste: „Was ich euch aber schreibe, siehe, vor Gott! ich lüge nicht“ (V. 20). So nahm Paulus die Herausforderung durch den Unglauben an. Er bekennt freimütig das, was sie als Mangel werteten; und versichert ihnen zudem mit dem größten Ernst, dass er keinen der Apostel gesehen habe außer Petrus und Jakobus, den Bruder des Herrn, und zwar nur ganz kurze Zeit.

Die Apostelschaft des Paulus war demnach ganz und gar unabhängig von Jerusalem und den Zwölfen. Er hatte das Evangelium, welches er predigte, vom Herrn empfangen und nicht von einem seiner Mitknechte, die schon vor ihm in dem Werk tätig waren. Auch hatte er schon damals sich nicht mit Fleisch und Blut beraten. Seine Mission sowie auch seine Bekehrung und Berufung – sie alle waren in gleicher Weise unabhängig davon. Er war – wie niemand leugnen konnte – in einer Form berufen worden, welche selbst die anderen Apostel nicht kannten. Von niemanden sonst konnte gesagt werden: Es gefiel Gott, „seinen Sohn in mir zu offenbaren.“  Weder Petrus noch die Übrigen wurden auf diese Weise in die Nachfolge ihres Herrn geführt. Eine solche Sprache konnte in Bezug auf die Berufung der anderen Apostel nicht gebraucht werden. Bei ihnen ging es damals nicht darum, Gottes Sohn in ihnen zu offenbaren. Das Äußerste, was gesagt werden könnte, ist, dass es Gott gefiel, seinen Sohn an Petrus und die Übrigen zu offenbaren. Doch es sprach keineswegs von Einheit. Sie hatten kein Bewusstsein von der Einsmachung des Erlösten mit dem Herrn. Eine solche Ausdrucksweise wäre damals unzeitgemäß gewesen und hätte weit außerhalb der bewussten Erfahrung der Erlösten oder der offenbarten Wahrheit nach den Gedanken Gottes gelegen. Aber Gott hatte dafür Sorge getragen, dass die Berufung eines Paulus so lange zurückgehalten wurde, bis inzwischen die ganze Ordnung einer jüdischen Apostelschaft vollendet war. Er sorgte auch für die Vervollständigung der Zwölfe; denn die Annahme, dass Petrus und die anderen Apostel mit der Einreihung des Matthias in ihren Kreis voreilig gewesen seien und dass in Wirklichkeit Paulus der zwölfte Apostel nach den Gedanken des Herrn sei, ist ein schwerwiegender Fehler. In Wirklichkeit standen sie wesensmäßig in Beziehung zu den zwölf Stämmen Israels. Das scheint der Grund dafür zu sein, warum es zwölf waren; und es ist für mich klar, dass der Herr einen besonderen Bezug und einen Schlüssel zur Erklärung bereitgestellt hat dafür, dass in der Wiedergeburt der Sohn des Menschen auf dem Thron seiner Herrlichkeit sitzen wird und sie auf zwölf Thronen sitzen werden, um die zwölf Stämme Israels zu richten. (Mt 19,28). Einer von ihnen stürzte aus seiner Stellung; doch die Lücke wurde sofort aufgefüllt (Apg 1).

So war alles von Gott mit weitreichender Weisheit angemessen vorbereitet worden, um Paulus’ Berufung offensichtlich zu etwas ganz und gar Besonderem zu machen. Seine Apostelschaft war als Tatsache und in ihrer Form einzigartig. Gott gab ihm neue Mitteilungen, sogar in Bezug auf das Mahl des Herrn. Erneut wurde das Evangelium einem Menschen anvertraut, und zwar so, wie Paulus es predigte, nämlich als die Offenbarung des Sohnes in ihm. Der Herr erklärte das Zeugnis des Petrus als eine echte Offenbarung seines Vaters. Fleisch und Blut hatten es ihm nicht offenbart (Mt 16). Es folgte nicht aus der Weisheit des Menschen. Sein  Vater hatte Petrus eine Offenbarung gegeben. Was wurde offenbart? Er offenbarte, dass Jesus der Christus ist, der Sohn des lebendigen Gottes. Aber ich wiederhole: Diese Wahrheit gelangte  an ihn. Wir können da nicht weiter gehen. Jesus, der verworfene Messias, war der Sohn des lebendigen Gottes, der Geber des Lebens, der Leben spendende Sohn Gottes. In Paulus’ Fall konnte der Heilige Geist einen Schritt weiter gehen; und Er scheint mir diesen Schritt gegangen zu sein. Der Apostel spricht davon in völliger Ruhe und ohne sich mit anderen zu vergleichen. Er setzte niemand herab, sondern verkündigte einfach die eindeutige Wahrheit. Das ist letzten Endes die beste und demütigste Weise. Sie verherrlicht Gott am meisten und belehrt seine Kinder. So stellt der Apostel also seine eigene wunderbare Beziehung zu Christus vor. Die eifernden Judaisierer setzten demnach nicht nur Paulus herab, sondern griffen auch die Gnade Gottes an. Nicht nur wurde seine Apostelschaft angezweifelt, sondern auch die Verherrlichung seines Sohnes durch Gott gering geachtet. Das undankbare Herz des Menschen in seiner Gier nach Dingen, welche den Anschein von Kraft und Einheit hervorbrachten, stand im Begriff, die himmlischen Gaben zugunsten dessen, was auf jeden Fall von der Erde und aus dem Fleisch ist, zu opfern.

Auf noch etwas möchte ich im Vorbeigehen hinweisen. Falls irgendein Mensch mehr als andere für die Einheit der Erlösten in jedem Sinn und vor allem für den einen Leib Christi und für die Einheit des Geistes eiferte, war es der Apostel Paulus. Nichtsdestoweniger gab es niemals einen Gläubigen, der ein tieferes Bewusstsein von dem Wert eines Wandels – wenn nötig – allein mit Gott hatte. Seid versichert: Dieselbe Einfalt des Glaubens vermag auch heutzutage beide Gesichtspunkte richtig zu verstehen. Auf der anderen Seite wird die Einheit, wo man sie sich zum Ziel setzt, niemals verstanden und kann gleichzeitig der Wandel im Glauben nicht mehr beibehalten werden. Kurz gesagt: Jener Mann, der mit Christus in der Höhe beschäftigt war und infolgedessen den Segen des Leibes Christi hienieden durch den Heiligen Geist, der vom Himmel herabgesandt war, am besten verstand, ist gerade derjenige, der wusste, wann die Zeit gekommen war, nicht mit Fleisch und Blut zu Rate zu gehen. Zweifellos mag dies manchmal der menschlichen Wichtigkeit herausfordernd erscheinen. Es mag wie ein völliges Verachten seiner Brüder aussehen. Ich ging „alsbald nicht mit Fleisch und Blut zu Rate.“

Ohne Zweifel stimmte auch die Art seines Vorangehens nicht mit den Wünschen derjenigen überein, welche eine irdische Ordnung verfochten und eine Verhaltensweise, die menschlichen Augen verlässlich und achtbar erschien. Was? Ein Apostel oder jedenfalls jemand, der sagt, dass er ein Apostel sei, missachtete das, was Gott in Jerusalem eingesetzt hatte, und besprach sich noch nicht einmal mit jenen, die der Herr selbst durch eine persönliche Aufforderung hienieden berufen hatte? Hier gab es, wie sie sich einbilden mochten, klare, greifbare Tatsachen. Hier gab es ein ausreichendes Zeugnis vonseiten des Herrn, dass die Zwölfe wirklich seine auserwählten Apostel waren. Doch in Hinsicht auf den Apostel Paulus – er selbst sagt, dass er berufen worden sei, und zwar von seinem Herrn im Himmel. Doch nach seinen eigenen Aussagen hat niemand anderes außer ihm selbst jenen Ruf Christi gehört (vgl. Apg 22,9). Wir können uns gut Menschen mit starken Vorurteilen und schwachem Glauben vorstellen, die solche Bedenken trugen, insbesondere angesichts der entschiedenen Geltendmachung einer gänzlichen Freiheit der Nichtjuden von dem Gesetz seitens des Apostels. Es ist folglich von Anfang an einsichtig, dass die Apostelschaft des Paulus Anforderungen an den Glauben stellte, die bei den anderen Aposteln nicht nötig waren. Er war ein Feind gewesen, der in unumschränkter Gnade auf seinem Weg aufgehalten wurde. Er hatte sich nicht zuerst bekehrt und war dann nach und nach auf jene höchste Stufe geführt worden. Stattdessen wurde er zu gleicher Zeit sowohl zum Apostel als auch zum Erlösten berufen in einer Weise, die ausschließlich für ihn zutraf. Es geschah vom Himmel her und in Verbindung mit einem Christus im Himmel. Auf dieser Grundlage handelte er im Glauben. Er verstand diese Wahrheit mit einer Kraft und Klarheit, die selbst in seiner römischer Gefangenschaft noch wachsen konnte. Doch sie galt von Anfang an.

„Ich (ging) alsbald nicht mit Fleisch und Blut zu Rate.“ Wäre Paulus hinaufgegangen, um seine Beglaubigung den anderen zu präsentieren, hätte er den besonderen Segen und die dazu gehörende Herrlichkeit seiner Apostelschaft  herabgesetzt, verdunkelt und, soweit es an ihm lag, zerstört. Er war indessen „dem himmlischen Gesicht“  nicht ungehorsam (Apg 26,19); und Gott hielt die Zügel, damit die Wahrheit unbefleckt und rein bewahrt wurde. Paulus ging nach Süden und nach Norden, so wie der Herr seinen Knecht leitete, aber nicht nach Jerusalem zu jenen, die vor ihm Apostel waren. Er besuchte Arabien und noch einmal Damaskus. Dann, nach einer bestimmten Zeitspanne, sah er Jerusalem – aber dort niemanden als nur Petrus und Jakobus und keinesfalls offiziell das ganze Apostelkollegium. Wir bemerken hier die außerordentliche Bedeutung, die diesem einfachen Bericht zukommt; denn es werden nur eindeutige Tatsachen aufgezählt. Aber ihre Folgen sind voll gewichtiger Bedeutung, solange Kirche und Evangelium auf der Erde sind.

„Was ich euch aber schreibe, siehe, vor Gott! ich lüge nicht. Darauf kam ich in die Gegenden von Syrien und Cilicien. Ich war aber den Versammlungen von Judäa, die in Christo sind, von Angesicht unbekannt“ (V. 20–22). War das eine Unehre? Mag es so sein; auf jeden Fall entsprach es der Wahrheit. In Wirklichkeit war es ein Teil der wunderbaren Wege Gottes mit ihm, indem Er in Paulus den wahren Charakter des Christentums und seines Dienstes im Gegensatz zum Judentum aufzeigte. Es geschah folglich nicht allein um Paulus willen, sondern auch zur Belehrung der Galater und uns allen. Wenn dies verstanden wird, entfernt es sämtliche irdischen Säuglingskleider von der himmlischen Kirche und dem einzelnen Christen. Die in Jerusalem Lebenden waren zu sehr geneigt, diese „Kleider“ und die „Kinderwiege“ festzuhalten, die ihren angemessenen Platz gehabt hatten und anfangs in Gebrauch waren, aber keinesfalls irgendwelchen Anspruch auf Beachtung durch die Nichtjuden stellen konnten. Wie zart Paulus auch immer anderswo seiner Nation gegenüber handeln mochte – es gab kein irdisches Band, das nicht zerrissen werden musste. Daher legte der Apostel sehr viel Wert auf die Tatsache: „Ich war aber den Versammlungen von Judäa, die in Christo sind, von Angesicht unbekannt; sie hatten aber nur gehört: Der, welcher uns einst verfolgte, verkündigt jetzt den Glauben, den er einst zerstörte. Und sie verherrlichten Gott an mir.“

Beachten wir: Dies war ein Teil des Weges Gottes mit ihm, der den der anderen übertraf. Für ihn gab es keine schrittweise Zubereitung. Letztere erfuhren die übrigen Apostel. Sie waren Jesus auf dem irdischen Pfad seiner Darstellung an Israel gefolgt. Sie waren Schritt für Schritt entsprechend dem Zeugnis, welches der Herr Jesus ihnen gewährte, unterwiesen worden; und dieses war natürlich Zeit, Volk und Umständen vollkommen angemessen gewesen. Alles andere hätte nicht ausgereicht; und doch trug es notwendigerweise einen vorübergehenden Charakter. Dieses Zeugnis richtete sich teils an die Herzen und Gewissen der Juden, zum anderen wurde es gegeben im Blick auf den herannahenden Bruch aller Bindungen an Israel.

Bei Paulus war alles anders. Sein Zeugnis war kennzeichnenderweise – wenn auch natürlich nicht ausschließlich – himmlisch. Außerdem war es das vollständigste Zeugnis von der Gnade. Wie konnte es bei einer Person anders sein, die in dem Augenblick, als Gott sie aufhielt, Gottes Kirche in brennender und tödlicher Feindschaft verfolgte, und zwar bis zu jenem unerwarteten Ruf vom Himmel her? Darin erkennen wir unumschränkte Gnade und nichts anderes, sowie auch, wie unmittelbar ein himmlisches Band zwischen dem Herrn in der Herrlichkeit und seinem Knecht auf der Erde geknüpft wurde. Kein Wunder also, dass der Apostel den Umständen seiner Bekehrung und Berufung die höchste Bedeutung beimaß und dass er seinen Mangel an Bekanntschaft mit den Aposteln und den Versammlungen in Judäa nicht verbarg, sondern sich dessen rühmte! Er hatte seine Apostelschaft nicht durch solche menschlichen Kanäle empfangen. Christus in der Höhe hatte ihn berufen. Das war der Wille Gottes des Vaters, der Jesus aus den Toten auferweckt hat.

Fußnoten

  • 1 d. i. die römisch-katholische Kirche (Übs.)
  • 2 Johannes Chrysostomos (344/54–407); bedeutender Prediger der alten Kirche, „Kirchenvater“ (Übs.)
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