Jesus Christus ist derselbe

2. Einleitung

Jesus Christus ist derselbe

Der Brief an die Hebräer ist an Juden gerichtet, die an den Herrn Jesus gläubig geworden waren. Aus seinem Inhalt geht klar hervor, dass er geschrieben wurde, um diese Gläubigen in der Wahrheit des Christentums mit all seinen Vorrechten und Segnungen zu gründen und zu befestigen und sie so von dem jüdischen System zu befreien, dem sie durch ihre natürliche Geburt angehörten.

Um die Bedeutung der Lehre dieses Briefes zu verstehen, müssen wir uns den Charakter des religiösen Systems vor Augen führen, mit dem der jüdische Überrest verbunden gewesen war. Es war eine nationale Religion für solche, die durch ihre natürliche Geburt von Abraham abstammten. Die Frage nach der neuen Geburt wurde gar nicht berührt. Sie war rein irdisch und sagte nichts über den Himmel. Sie regelte das Verhalten des Menschen in Bezug auf Gott und in Bezug auf seine Mitmenschen; sie verhieß denen, die entsprechend ihren Vorschriften lebten, irdisches Leben mit irdischen Segnungen.

Diese Religion hatte als zentralen Sammelplatz einen sichtbaren Tempel – das prachtvollste Bauwerk, das je von Menschenhand errichtet wurde – mit materiellen Altären, auf denen materielle Opfer von einer besonderen Klasse amtierender Priester dargebracht wurden, die einen äußerlichen Gottesdienst leiteten, begleitet von vielgestaltigen Zeremonien entsprechend einem vorgeschriebenen Ritus.

Sie war mit dem Ziel entworfen worden, sich an den natürlichen Menschen zu wenden, um festzustellen, ob es irgendetwas in dem Menschen im Fleisch gäbe, das der Güte Gottes entspräche. Diese Religion war gegeben, jede Einzelheit des Lebens des Menschen von der Geburt bis zum hohen Alter zu regeln, und zwar, um sein irdisches Wohlergehen, seine guten Verhältnisse und sein Glück zu sichern.

Diese Erprobung des natürlichen Menschen diente letztlich nur als Nachweis, dass nichts im Menschen, der nicht von neuem geboren ist, Gott entspricht. So geschah es, dass dieses jüdische System, das anfänglich von Gott errichtet worden war, im Verlauf seiner Geschichte durch den Menschen verdorben wurde. Der Höhepunkt der Verderbtheit unter diesem System war die Verwerfung und Ermordung des Messias.

Die Juden hatten nun das Maß ihrer Ungerechtigkeit vollgemacht und waren reif für das Gericht. Hätte der heilige Gott länger Nachsicht mit diesem System geübt, das in den Händen der Menschen so weit entartet war, dass es den Sohn Gottes ermordete, so hätte Er seine Gerechtigkeit befleckt und über die Sünde des Menschen hinweggesehen. So nimmt das Gericht seinen Lauf; und zur bestimmten Zeit wird die Stadt verwüstet und die Nation zerstreut.

Das Gesetz diente jedoch noch einem anderen Zweck. Es regelte nicht nur das menschliche Leben, indem es ihm seine Pflicht gegenüber Gott und seinen Mitmenschen zeigte, sondern das ganze System war ein Schatten der zukünftigen Güter. Die Stiftshütte war ein Abbild der Dinge in den Himmeln, das Priestertum bildete die priesterliche Tätigkeit Christi vor, die Opfer wiesen hin auf das große Opfer Christi.

Als Christus gekommen war als die herrliche Wirklichkeit all dieser Schatten, hatte das jüdische System seinen Zweck als Abbild der zukünftigen Dinge erfüllt. Es wurde daher beiseitegesetzt, weil der Mensch es verdorben hatte und weil Christus seine Erfüllung war.

Während sich nun dieses System an den Menschen im Fleisch richtete und das Volk nahezu vollständig nur in einer äußerlichen und formellen Beziehung zu Gott beließ, müssen wir uns doch vor Augen halten, dass sich auch solche in diesem System befanden, die durch den Glauben in einer echten Beziehung zu Gott standen und als Christus erschien, Ihn als den Messias anerkannten. Sie bilden nur einen Überrest des Volkes, doch sie werden in diesem Brief als solche angeredet, die bereits in Beziehung zu Gott standen, ehe das Christentum begonnen hatte.

An diesen gottesfürchtigen Überrest ist der Brief gerichtet, um sie durch eine Trennung von der irdischen Religion des Judentums in die neue und himmlische Beziehung des Christentums tiefer einzuführen.

Als infolge der Boshaftigkeit des Menschen und des Kommens Christi das jüdische System beiseitegesetzt war, war der Weg frei für die Einführung des Christentums. Wenn Gott etwas Altes beiseitesetzt, tut Er das immer, um etwas Besseres einzuführen. Während Gott das alte System beiseitesetzt, bewahrt Er sich einen gläubigen Überrest aus den Juden, den Er in den christlichen Kreis einführt. Dieser jüdische Überrest hatte naturgemäß sehr starke Bindungen an die Religion ihrer Väter. Die natürlichen Bande, die Liebe zum Land, die irdischen Erwartungen und die Vorurteile durch die Erziehung – alles band sie an das System, das Gott beiseitegesetzt hatte. Es war deshalb für sie besonders schwierig, in den himmlischen Charakter des Christentums einzudringen. Mehr noch, während der Tempel noch stand und die aaronitischen Priester noch sichtbare Opfer darbrachten, waren die, die sich zum Christentum bekannt hatten, in der beständigen Gefahr, zum Judentum zurückzukehren.

Um dieser Neigung entgegenzuwirken und um uns im Christentum zu befestigen, zeigt der Geist Gottes uns in diesem Brief

  1. die Herrlichkeiten der Person Christi und seinen Platz im Himmel (Kap. 1 und 2),
  2. das Priestertum Christi, der sein Volk auf der Erde auf ihrem Weg zum Himmel bewahrt (Kap. 3–8),
  3. das Opfer Christi, das den Himmel für den Gläubigen öffnet und ihn für den Himmel passend macht (Kap. 9 und 10),
  4. den gegenwärtigen Zugang zum Himmel, wo Christus ist (Kap. 10),
  5. den Pfad des Glaubens, der zu Christus im Himmel führt (Kap. 11),
  6. die verschiedenen Wege, die Gott benutzt, um unsere Füße auf dem Weg zu halten, der zu Christus im Himmel führt (Kap. 12),
  7. die Glückseligkeit des Platzes der Schmach mit Christus auf der Erde außerhalb des Lagers (Kap. 13).

Dadurch wird klar, wie uns der Himmel in seiner Beständigkeit und als Ort der Segnungen in diesem Brief vorgestellt wird. Wir haben hier wirklich den Brief der geöffneten Himmel. Dass der himmlische Charakter des Christentums so dargestellt wird, verleiht diesem Brief einen besonderen Wert, gerade in einer Zeit, in der die Christenheit den wahren Charakter des Christentums verloren hat, indem sie es zu einem weltlichen System zur Verbesserung des Menschen erniedrigt hat.

Wenn der Geist Gottes diese großen und himmlischen Wahrheiten vor uns stellt, erkennen wir, wie sie alles übertreffen und beiseitestellen, was vorausgegangen ist. Die Herrlichkeiten Christi überragen jedes geschaffene Wesen, seien es Propheten oder Engel.

Das Priestertum Christi setzt das aaronitische Priestertum beiseite. Das Opfer Christi setzt die vielen Opfer unter dem Gesetz beiseite. Der unmittelbare Zugang zu Gott setzt den Tempel und seinen Vorhang beiseite. Der Pfad des Glaubens setzt das ganze System der sichtbaren Dinge beiseite. Der Platz außerhalb des Lagers setzt das „Lager“ mit seiner irdischen Religion beiseite.

Es wird weiterhin auffallen, dass in diesem Brief über die Versammlung als solche nicht gesprochen wird. Sie wird nur einmal erwähnt, und dann als eins unter anderen Dingen, zu denen wir gekommen sind. (Die Erwähnung in Kap. 2,12 ist ein Zitat aus Psalm 22). Die Größe Christi und des Christentums, im Gegensatz zum Judentum, werden vor uns gestellt. Uns wird gezeigt, wie alles im Christentum im Bereich des Glaubens liegt, außerhalb der Wahrnehmung durch die Sinne. Nur durch den Glauben können wir alles sehen und verstehen: Christus in der Herrlichkeit, sein Priestertum, sein Opfer, den Zugang zu Gott, den Pfad des Glaubens, den himmlischen Wettlauf und die Dinge, zu denen wir gekommen sind. Die Einflüsse des Christentums mögen sich tatsächlich im Leben und Charakter zeigen und können sogar im Leben unbekehrter Menschen Auswirkungen haben; aber alles, was wirklich zum Christentum gehört, was die Wirkungen im Leben hervorbringt, ist unsichtbar, im Gegensatz zum Judentum, das sich an die Wahrnehmung durch die Sinne richtete. Wenn wir zu den himmlischen Dingen und den Dingen des Glaubens kommen, dann sind es zudem Dinge, die vor Gott sind, und Dinge, die dauerhaft sind. Wir sind von vergänglichen, veränderlichen Dingen umgeben, von Dingen, die erschüttert werden. Im Christentum werden wir zu dem gebracht, was nie vergeht, sich nie verändert und niemals erschüttert werden wird. Christus bleibt. Christus ist Derselbe, und alles, was auf Christus und seine ewige Erlösung gegründet ist, ist beständig und wird niemals erschüttert werden.

Die praktische Auswirkung der Belehrungen dieses Briefes muss sein, uns von jeder Form irdischer Religion zu lösen, sei es das Judentum oder die verderbte Christenheit, die sich nach dem Vorbild des Judentums gebildet hat. Wenn uns die Wahrheit auch hier auf der Erde auf einen Platz außerhalb bringt, gibt sie uns doch einen Platz innerhalb des Vorhangs im Himmel selbst und macht uns zu Fremdlingen und ohne Bürgerrecht in der Welt, die wir durchschreiten.

Nächstes Kapitel »« Vorheriges Kapitel