Der Brief an die Philipper

Kapitel 1

Der Brief an die Philipper

Das Studium der verschiedenen Briefe zeigt, dass jeder mit einem speziellen Zweck geschrieben worden ist. So hat Gott in Seiner Weisheit und Güte vollständig für die Befestigung des Gläubigen in der Wahrheit und für seine Leitung in allen Umständen und zu allen Zeiten Vorsorge getroffen.

Im Römerbrief haben wir Wahrheiten, die den Gläubigen in den großen Grundsätzen des Evangeliums befestigen. Die Korintherbriefe belehren uns über die Ordnung in der Versammlung. Die Briefe an die Epheser und Kolosser stellen uns die Ratschlüsse Gottes und die Lehren über Christus und die Versammlung vor.

Im Philipperbrief finden wir kaum Lehre oder zumindest keine formale Entfaltung von Lehre. Wir finden dagegen eine schöne Darstellung wahrer christlicher Erfahrung. Gläubige werden nicht als zusammen in den himmlischen Örtern in Christus Jesus sitzend wie im Epheserbrief gesehen, sondern als durch diese Welt wandelnd, indem sie die Dinge vergessen, die dahinten liegen, und zu Christus Jesus in der Herrlichkeit wandeln. Dieser Brief zeigt uns die Erfahrungen von jemandem, der diese Reise in der Kraft der Darreichung des Geistes Jesu Christi unternimmt (Kapitel 1,19). Es ist nicht notwendigerweise die Erfahrung der Christen - wie wir bemerken müssen - die hier vor unseren Augen entfaltet wird, denn in bezug auf diese können wir leider, wie wir wissen, zu kurz kommen. Nichtsdestoweniger ist es eine Erfahrung, die nicht auf einen Apostel beschränkt ist, sondern für jeden Gläubigen in der Kraft des Geistes möglich ist. Das mag der Grund dafür sein, dass der Apostel sich hier nicht Apostel nennt, sondern als ein Knecht Christi Jesu schreibt.

Der Brief wurde hervorgerufen durch die Gemeinschaft, die diese Gläubigen aus Philippi mit dem Apostel hatten, was sich damals durch die Gabe offenbarte, mit der sie zum Stillen seiner Bedürfnisse beitragen wollten. Diese praktische Gemeinschaft mit dem Apostel, als dieser gefangen war, stellte für ihn den Beweis eines guten geistlichen Zustandes dar, denn es gab auch solche, die ihn verlassen hatten und sich von ihm abgewandt hatten, als er in Gefangenschaft war.

(Vers 3-6) Dieser glückliche geistliche Zustand brachte den Lobpreis und das Gebet des Apostels für die Philipper mit sich. Wir mögen fähig sein, Gott füreinander zu danken, wenn wir uns der Gnade Gottes erinnern, wie sie sich in bestimmten Umständen offenbart. Von diesen Gläubigen konnte der Apostel jedoch sagen: „Ich danke meinem Gott bei all meiner Erinnerung an euch.“ Auch mögen wir füreinander beten können, wenn dies auch zu bestimmten Zeiten mit Schmerzen im Herzen aufgrund von Fehlern und von schwachem Wandel verbunden sein mag. In Bezug auf diese Gläubigen konnte der Apostel jedoch „das Gebet mit Freuden“ tun.

Zudem gab der geistliche Zustand dieser Gläubigen dem Apostel große Zuversicht, dass Er, der ein gutes Werk in ihnen angefangen hatte, dieses auch vollenden würde bis auf den Tag Jesu Christi. So, wie sie ihre Hingabe durch ihre Gemeinschaft mit dem Apostel von dem ersten Tag bis zu jenem Moment gezeigt hatten, so war Paulus zuversichtlich, dass sie in der gleichen Gnade auch weiterhin auf ihrer Reise bis zu dem Tag Jesu Christi erhalten werden würden.

(Vers 7-8) Darüber hinaus fühlte sich der Apostel in dieser Zuversicht bestätigt, als es für ihn klar war, dass die Philipper den Apostel in ihren Herzen hatten. Dies wurde durch die Tatsache bewiesen, dass sie sich nicht schämten, mit dem Apostel in seinen Fesseln und seiner Verteidigung des Evangeliums verbunden zu sein. Durch ihre Gemeinschaft mit ihm in seinen Übungen würden sie auch Teilhaber der besonderen Gnade sein, die durch ihn verkündet wurde. Es bestand also eine gegenseitige Liebe; denn wenn sie den Apostel in ihren Herzen hatten, so sehnte er sich nach ihnen allen mit dem Herzen Christi Jesu. Es war nicht einfach menschliche Liebe, die auf Freundlichkeit antwortet, sondern göttliche Liebe, die sehnsüchtige Liebe Jesu Christi.

(Vers 9-11) In seinen Gebeten für sie wünschte der Apostel, dass diese Liebe, die sich auf so gesegnete Weise ihm gegenüber offenbart hatte, noch mehr und mehr überströme, indem sie sich in Erkenntnis und aller Einsicht zeige; denn wir sollten uns erinnern, dass in göttlichen Dingen geistliche Einsicht aus der Liebe hervorkommt. Das Herz, das Christus anhängt, ist dasjenige, das den Geist Christi besser kennenlernen wird - nicht einfach die Kenntnis des Buchstabens der Schrift, sondern die Einsicht in seine geistliche Bedeutung. Mit dieser göttlich gegebenen Einsicht werden wir fähig sein, das Vorzüglichere zu prüfen. Es ist relativ einfach, Dinge zu verurteilen, die falsch sind. Das ist in großem Maß selbst für den natürlichen Menschen möglich. Dinge jedoch zu unterscheiden und zu erkennen, die moralisch vorzüglich sind, verlangt geistliches Unterscheidungsvermögen. Je mehr wir in Liebe Christus anhangen, um so größer wird die geistliche Einsicht sein, die uns dazu fähig macht, das richtige in der richtigen Weise und zum richtigen Zeitpunkt in allen Umständen zu tun. Wenn wir die Dinge prüfen, die vorzüglich sind, und mit reinen Beweggründen handeln, werden wir kein Anstoß sein, „sowohl Juden als Griechen als auch der Versammlung Gottes“ (1. Korinther 10,32). Wir werden auf diese Weise ohne Anstoß auf den Tag Christi bewahrt.

Zudem sollen wir wie die Heiligen in Philippi nicht nur vor dem Fallen und somit vor dem Anstoß-Geben bewahrt werden, sondern wir sollen Frucht für Jesus Christus zur Herrlichkeit und zum Preis Gottes hervorbringen. Wir wissen, dass wir nur dann Frucht bringen können, wenn wir in Christus bleiben. Nur so offenbaren wir die schönen Eigenschaften, die in dem Menschen Christus zu sehen sind. Wenn wir Frucht bringen, wird dies zur Ehre des Vaters sein und den Menschen als Zeugnis dienen, dass wir Jünger Christi sind (Johannes 15,4-8).

(Vers 12-14) Der Apostel spielt nun auf die besonderen Umstände an, in denen er sich befand, die solch ein Hindernis zur Verbreitung des Evangeliums und zugleich so entmutigend für ihn selbst zu sein schienen. Paulus betrachtet jedoch jeden Umstand in Verbindung mit Christus. Er war in der Einsamkeit eines Gefängnisses. Damit war scheinbar jede Möglichkeit, das Evangelium zu predigen, zu Ende gegangen, und auch sein öffentlicher Dienst vorbei. Er wollte jedoch, dass die Gläubigen wußten, dass sich diese scheinbar unglücklichen Umstände zu seinem eigenen Segen und zur Förderung des Evangeliums entwickelt hatten. In bezug auf sich selbst konnte Paulus sagen, dass er, anstatt durch seine Fesseln entmutigt zu sein, sich freuen konnte, denn es war offenbar geworden, dass seine Fesseln in Christus, d.h. um Christi willen, waren. Er wurde nicht durch den Gedanken niedergeworfen, dass er durch eine falsche Tat, die er begangen hätte, ins Gefängnis gekommen wäre. Vielmehr freute er sich, dass er wert geachtet wurde, um Christi willen zu leiden.

In bezug auf das Evangelium waren seine Fesseln eine Gelegenheit geworden, Menschen in den höchsten sozialen Schichten zu erreichen. Die Heiligen wußten ja auch, dass er, als er bei ihnen in Philippi war, Loblieder singen konnte, als er in das innere Gefängnis geworfen worden war, so dass dann seine Fesseln die Gelegenheit dafür wurden, einen Sünder am unteren Ende der sozialen Skala zu erreichen. Die Fußstöcke, der Kerker und die mitternächtlichen Finsternis, alles trug zur Förderung des Evangeliums bei.

Darüber hinaus war die Opposition der Welt gegenüber Christus und dem Evangelium, die sich durch die Gefangennahme des Apostels der Nationen zeigte, zu einer Gelegenheit geworden, solche, die normalerweise scheu waren, aus dem Hintergrund zu holen, um kühn das Wort Gottes ohne Furcht zu verkündigen.

(Vers 15-18) Allerdings gab es leider einige, die aus unlauteren Beweggründen predigten. Durch Neid getrieben und mit dem bösartigen Wunsch, zu den Trübsalen des Apostels weitere hinzuzufügen, benutzten solche seine Gefangenschaft als Gelegenheit, um sich selbst durch das Predigen des Evangeliums zu erhöhen. Da Paulus jedoch Christus vor sich sah und nicht an sich selbst dachte, konnte er sich daran erfreuen, dass Christus gepredigt wurde. Die unreinen Beweggründe, die falsche Art und Weise und die fleischlichen Methoden, die dabei durch die Prediger angewandt wurden, konnte er alle dem Herrn überlassen, der zu Seiner Zeit und auf Seine Weise damit handeln würde; aber daran, dass Christus gepredigt wurde, konnte er sich erfreuen.

(Vers 19) Der Apostel konnte sich freuen, da er wußte, dass das Predigen Christi, sei es durch ihn selbst oder durch wahre Brüder oder durch solche, die mit unlauteren Beweggründen predigten, zusammen mit den Gebeten der Gläubigen und der Darreichung des Geistes Jesu Christi seiner eigenen vollständigen und endgültigen Befreiung von der Macht Satans dienen würde. Wir wollen uns erinnern, dass wie groß auch immer unsere Nöte sein mögen, es mit dem Heiligen Geist eine reichliche und unerschöpfliche Darreichung gibt, die unseren Bedürfnissen begegnen kann. Wenn wir uns auf diese Darreichung stützen, werden wir entdecken, dass der Zorn der Menschen, der Neid derjenigen, die mit einem falschen Beweggrund predigen, die Opposition der Feinde und die Feindschaft Satans keine Macht über uns haben.

(Vers 20) Der Apostel zeigt deutlich den Charakter des Heils, das er vor sich sah. Offensichtlich denkt er nicht an das Heil der Seele, das vollständig auf dem Werk Christi beruht. Das war für alle Ewigkeit für ihn geregelt, und hing in keiner Weise von irgend etwas ab, das er tun konnte, auch nicht von den Gebeten der Gläubigen; nicht einmal, wie wir hinzufügen wollen, von der gegenwärtigen Darreichung des Heiligen Geistes. Auch denkt Paulus nicht daran, aus der Gefangenschaft befreit zu werden, um in dieser Weise von den ihn übenden Umständen erlöst zu werden. Die Errettung bzw. das Heil, das er vor sich sah, ist zweifellos die vollständige Erlösung von allem, im Leben oder im Tod, was Christus daran hindern könnte, in seinem Körper verherrlicht zu werden. Christus füllte das Herz des Apostels aus, so dass es seine stärkste Erwartung und Hoffnung war, vor allem bewahrt zu werden, was ihn dazu bringen würde, sich des Bekenntnisses Christi zu schämen, damit er mit aller Kühnheit Christus bezeugen könnte, so dass er, sei es durch Leben oder durch Tod, Christus verherrlichen würde.

(Vers 21) Das führt den Apostel zu der Aussage, dass Christus der alleinige Gegenstand vor seinen Augen war, der Ursprung und Beweggrund von allem, was er tat, so dass er sagen kann: „Denn das Leben ist für mich Christus, und das Sterben Gewinn.“ In diesem Vers wird die Gesamtheit unseres Weges durch diese Welt durch die so gegensätzlichen Worte „Leben“ und „Sterben“ zusammengefaßt. Es ist so gesegnet, bei Paulus zu sehen, dass sowohl Leben als auch Sterben mit Christus verbunden waren. Wenn er lebte, war es für Christus; wenn er starb, würde dies bedeuten, dass er bei Christus wäre. Christus als den einen Gegenstand seines Lebens zu haben erhielt ihn durch all die wechselnden Umstände der Zeit. Damit wurden dem Tod nicht nur alle seine Schrecken genommen, sondern dies machte den Tod zu etwas viel Besserem als das Leben in dieser Welt, in der Christus abwesend ist.

Das ist in der Tat wahre christliche Erfahrung, die für alle Gläubigen möglich ist. Und doch müssen wir leider bekennen, wie wenig wir sie in dem Maß kennen, in welchem der Apostel dieses Leben lebte. Wie konnten diejenigen, die in den Tagen des Apostels Christus aus Streit predigten (1,15), das ihrige suchten (2,21) oder auf das Irdische sannen (3,19) etwas von dieser wahren christlichen Erfahrung kennen? Lasst uns unsere eigenen Herzen erforschen, inwiefern wir mit einer lediglich seltenen Kostprobe solchen Segens, nur für Christus zu leben, zufrieden sind. Für Paulus war es die ständige Erfahrung seiner Seele. Nicht nur war Christus sein Leben, sondern er sagt auch: „Leben ist für mich Christus.“ Es ist eine Sache, Christus als unser Leben zu haben - jeder Gläubige kann das sagen -, aber es ist eine andere Sache, das Leben wirklich zu leben, das wir besitzen. Ist Christus der eine Gegenstand vor unseren Augen, der uns von Tag zu Tag beschäftigt? Ist Er der Beweggrund für alles, was wir denken, sagen und tun?

(Vers 22-26) Der Apostel spricht von seiner eigenen persönlichen Erfahrung und sagt daher immer wieder „ich“. Wenn er also sagen kann „das Leben ist für mich Christus“, so kann er ebenso sagen, „wenn aber das Leben im Fleisch mein Los ist - das ist für mich der Mühe wert“. Es lohnt sich zu leben, wenn Christus der eine Gegenstand des Lebens ist. Nichtsdestoweniger wäre es für seine persönliche Freude viel besser abzuscheiden, um bei Christus zu sein. Wenn er jedoch an Christus und Seine Interessen und an das Wohl Seines Volkes denkt, fühlte er, dass es für ihn nötig war, noch weiter mit den Heiligen auf der Erde weiterzuleben. Mit dieser Zuversicht wußte er, dass er hier zum Segen und zur Freude der Gläubigen bleiben würde. So würden auch sie dazu geführt, sich in dem Herrn zu freuen, dadurch dass er sie wieder besuchen würde.

(Vers 27-30) In der Zwischenzeit wünschte er, dass ihr Wandel dem Evangelium Christi entsprechen möge, ein für uns alle erforschendes Wort, da wir das Fleisch in uns haben, das uns, wenn nicht die Gnade Gottes einschreitet, zu einem Wandel bringen kann, der nicht nur moralisch niedriger ist, als es einem Christen geziemt, sondern sogar viel niedriger als der Wandel eines anständigen Menschen dieser Welt sein kann. So war es ja auch tatsächlich der Fall bei einigen, die Christus aus Neid und Streit predigten.

Damit diese Heiligen würdig wandelten, wünschte Paulus, dass sie als solche erfunden würden, die gegen jeden Feind fest standhielten. Um festzustehen, müssen die Gläubigen „in einem Geist“ sein, so dass sie „mit einer Seele“ mitkämpfen für den Glauben des Evangeliums. Die starke Anstrengung Satans ist es, den Gläubigen der Wahrheit zu berauben. Festzustehen im gemeinsamen Kampf für den Glauben mag Leiden mit sich bringen. Aber wir wollen uns nicht erschrecken lassen, indem wir denken, dass irgend welche Leiden, durch die wir zu gehen haben, zur Zerstörung aller unsere Hoffnungen führen könnten. In Wahrheit werden Leiden um Christi willen zur Errettung von den Listen des Feindes führen, durch die dieser uns von dem „Glauben des Evangeliums“ abringen möchte. Lasst uns die Leiden um Christi willen immer als eine Ehre ansehen, die denjenigen gegeben ist, die an Ihn glauben. Von einem solchen Kampf und solchen Leiden war der Apostel ein Beispiel, wie die Gläubigen schon gesehen hatten, als er mit ihnen in Philippi war, und wovon sie nun erneut hörten. Als Samuel Rutherford in seinen Tagen wie der Apostel um Christi willen gefangengenommen wurde, erachtete dies als ein Vorrecht, denn er konnte sagen: „Der Weg Christi ist, selbst wenn er an das Kreuz führt, besser als die Königskrone. Leiden für Christus, das ist meine Kranz.“

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