Der Brief des Jakobus

1. Einleitung (Kapitel 1,1)

Der Brief des Jakobus

Der Schreiber dieses Briefes spricht von sich als von einem „Knecht Gottes und des Herrn Jesus Christus“. Wahrscheinlich handelt es sich hier um den Jakobus, der eine führende Rolle unter den jüdischen Gläubigen in Jerusalem einnahm (Apg 12,17; 15,13; 21,18). Durch seine Herkunft und Aufgaben war er besonders geeignet, einen Brief an die zwölf Stämme in der Zerstreuung zu schreiben.

Um den Brief besser verstehen zu können, müssen wir uns die Stellung der jüdischen Gläubigen in Judäa und Jerusalem vergegenwärtigen, wie sie uns in der Apostelgeschichte vorgestellt wird. Es ist offensichtlich, dass es zu jener Zeit eine große Anzahl von Gläubigen gab, die sich noch nicht vollständig vom jüdischen System gelöst hatten. So lesen wir zum Beispiel in Kapitel 2,2 von den Gläubigen, dass sie „täglich einmütig im Tempel verharrten“. Später finden wir, dass „eine große Menge der Priester dem Glauben gehorsam wurde“ (Apg 6,7). Danach sehen wir in Apg 15,5 „etliche aber derer von der Sekte der Pharisäer, welche glaubten“, die jedoch die Beschneidung auch für Gläubige als notwendig erachteten. Schließlich lesen wir in Apg 21,20 von vielen Tausenden der Juden, die „Eiferer für das Gesetz“ waren und die offensichtlich nicht einmal die Opfer und Opfergaben sowie die jüdischen Gewohnheiten aufgegeben hatten.

Zweifellos war dies ein ungewöhnlicher Zustand. Es handelte sich jedoch um eine Periode des Übergangs vom Judentum ins Christentum, und Gott ertrug diesen Zustand mit Langmut, auch wenn er nicht seinen Gedanken entsprach. Dies erkennen wir deutlich beim Lesen des Hebräerbriefes, der später geschrieben worden ist und dem Hauptzweck diente, die Christen vollständig vom jüdischen System zu trennen. Sie werden dort aufgefordert, aus dem Lager hinaus zu gehen und ihre Verbindungen zu dieser irdischen Religion abzubrechen. Stattdessen sollten sie ihre himmlische Position verwirklichen, die sie mit Christus verband und einen Platz äußerlicher Schmach bedeutete.

Darüber hinaus scheint es, dass Gott während dieses Übergangs nicht nur die Verbindung mit den Juden akzeptierte, sondern dass er auch noch die zwölf Stämme als das bekennende Volk Gottes anerkannte, da sich die Christen zum großen Teil unter diesen befanden. Allerdings besaßen auch zu diesem Zeitpunkt nur die Christen den Glauben, der Jesus als Herrn bekannte.

Wir sehen also, dass der Brief weder an eine Versammlung als solche noch ausschließlich an Juden-Christen gerichtet ist. Er wendet sich an die zwölf Stämme in der Zerstreuung, wobei er die Christen unter ihnen anerkennt und besonders ermahnt. Der Brief ist von vielen völlig missverstanden worden. Ich fürchte, dass er von wahren Gläubigen vernachlässigt wurde, indem sein besonderer Charakter nicht anerkannt worden ist. Es ist sicher richtig, dass er die erste Phase der Christenheit betrifft, einen Zeitpunkt also, an welchem sich die Gläubigen noch nicht vom Volk Israel abgesondert hatten. Es ist jedoch verkehrt zu meinen, dass die Gedanken dieses Briefes daher kaum direkten Bezug zu unseren Tagen hätten, in denen das volle Licht der Versammlung mit ihren himmlischen Segnungen offenbart worden ist.

In Wirklichkeit hat sich die Geschichte wiederholt, und wiederum finden sich wahre Christen in der Mitte eines gewaltig-großen Bekenntnisses, das wie die zwölf Stämme nicht heidnisch ist, sondern beansprucht, den wahren Gott zu besitzen. Aus diesem Grund ist dieser Brief, der sich besonders auf die erste Phase des Christentums bezieht, von so besonderem Wert auch für seine letzte Phase.

Wir werden in den fünf Kapiteln weder eine christliche Lehre noch Vorrechte entfaltet finden, die ausschließlich der Versammlung verheißen sind. Alle diese so wichtigen Wahrheiten werden in anderen Briefen behandelt. Der Hauptzweck dieses herzerforschenden Briefes ist, das bekennende Volk Gottes aufzufordern und die Gläubigen zu ermahnen, durch einen praktischen Wandel die Wirklichkeit des Glaubens unter Beweis zu stellen. Das stellt einen Gegensatz zu der Masse der Bekenner dar, in deren Mitte sich die wahren Gläubigen befinden. Gott legt immer ein besonderes Gewicht auf den christlichen Wandel, insbesondere dann, wenn viele lässige Bekenner den äußeren Deckmantel der Christenheit ohne den persönlichen Glauben an den Herrn Jesus angezogen haben. Daher wird unser Glaube und unser Verhalten geprüft.

In Kapitel 1 wird uns das praktische christliche Leben vorgestellt. In Kapitel 2 wird das praktische Leben als Beweis unseres Glaubens an den Herrn Jesus Christus angesehen. In den Kapiteln 3 und 4 werden uns sieben Übel vorgestellt, von denen die bekennende Christenheit gekennzeichnet ist und in welche der Gläubige leicht fallen kann, wenn er nicht von der Gnade des Geistes Gottes bewahrt wird. In Kapitel 5 stellt uns der Apostel den Zustand der bekennenden Masse als Kontrast zu dem leidenden Volk Gottes dar und behandelt das Kommen des Herrn in Verbindung mit beiden Teilen der Menschheit.

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