Betrachtungen über das vierte Buch Mose

Die eherne Schlange

Betrachtungen über das vierte Buch Mose

Israel ekelt sich vor dem Manna

Dieses Kapitel enthält hauptsächlich die bekannte und schöne Verordnung über die Schlange aus Kupfer, das große Bild des Evangeliums. „Und sie brachen auf vom Berg Hor, den Weg zum Schilfmeer, um das Land Edom zu umgehen. Und die Seele des Volkes wurde ungeduldig auf dem Weg; und das Volk redete gegen Gott und gegen Mose: Warum habt ihr uns aus Ägypten heraufgeführt, dass wir in der Wüste sterben? Denn da ist kein Brot und kein Wasser, und unsere Seele ekelt sich vor dieser elenden Speise“ (V. 4.5).

Es ist immer wieder dieselbe traurige Geschichte: das „Murren in der Wüste“. Es war schön, aus Ägypten zu entkommen, als die schrecklichen Gerichte Gottes in schneller Folge über dieses Land hereinbrachen. Damals hatten die Fleischtöpfe, die Zwiebeln und der Knoblauch Ägyptens wenig Anziehendes für das Volk. Jetzt aber sind die Plagen vergessen, und nur die Fleischtöpfe sind in der Erinnerung vorhanden. „Warum habt ihr uns aus Ägypten heraufgeführt, dass wir in der Wüste sterben? Denn da ist kein Brot und kein Wasser, und unsere Seele ekelt sich vor dieser elenden Speise.“

Was für eine Sprache! Der Mensch würde lieber in einem Land des Todes und der Finsternis bei den Fleischtöpfen sitzen, als mit Gott durch die Wüste gehen und Brot vom Himmel essen. Der Herr hatte seine Herrlichkeit mit dem Sand der Wüste in Verbindung gebracht, weil seine Erlösten dort waren. Er war herabgekommen, um sie mit ihren Herausforderungen zu ertragen und sie durch die große und schreckliche Wüste zu führen. Diese Gnade und diese Herablassung hätten sie zu dankbarer und demütiger Unterwerfung bringen müssen. Aber schon die erste geringfügige Probe genügte, um sie rufen zu lassen: „Wären wir doch im Land Ägypten gestorben!“

Sie mussten jedoch sehr schnell die bitteren Früchte ihres Murrens schmecken. „Da sandte der HERR feurige Schlangen unter das Volk, und sie bissen das Volk; und es starb viel Volk aus Israel“ (V. 6). Die Schlange war der Ursprung ihrer Unzufriedenheit. Ihr Zustand, nachdem sie von den Schlangen gebissen worden waren, konnte ihnen sehr gut das wahre Wesen ihrer Unzufriedenheit zeigen. Wenn das Volk Gottes nicht glücklich und zufrieden mit dem Herrn seinen Weg gehen will, muss es die Macht der Schlange erfahren – eine schreckliche Macht, ganz gleich, in welcher Weise man sie auch erleben mag.

Der Biss der Schlange brachte Israel seine Sünde zum Bewusstsein. „Da kam das Volk zu Mose, und sie sprachen: Wir haben gesündigt, dass wir gegen den HERRN und gegen dich geredet haben; flehe zu dem HERRN, dass er die Schlangen von uns wegnehme“ (V. 7). Das war der Augenblick, in dem die Gnade Gottes sich zeigen konnte. Die Not des Menschen ist immer ein Anlass zur Entfaltung der Gnade und Barmherzigkeit Gottes. Von dem Augenblick an, als Israel sagen konnte: „Wir haben gesündigt“, gab es für die Gnade kein Hindernis mehr. Gott konnte wirken, und das war genug. Als Israel murrte, war der Biss der Schlange das Ergebnis und als Israel seine Sünde bekannte, war die Gnade Gottes die Antwort. Im ersten Fall war die Schlange das Mittel, das sie ins Elend brachte, im zweiten Fall war sie das Werkzeug zu ihrer Wiederherstellung und Segnung. „Und der HERR sprach zu Mose: Mache dir eine feurige Schlange und tu sie auf eine Stange; und es wird geschehen, jeder, der gebissen ist und sie ansieht, der wird am Leben bleiben“ (V. 8). Gerade das Bild dessen, was das Unglück bewirkt hatte, sollte der Kanal werden, durch den Gottes reiche Gnade auf arme, verwundete Sünder strömen konnte. Ein schönes und beeindruckendes Bild von Christus am Kreuz!

Die Liebe Gottes

Es ist ein sehr weit verbreiteter Irrtum, den Herrn Jesus mehr als den, der Gottes Zorn abwandte, zu sehen und nicht in erster Linie als den Kanal der Liebe Gottes. Dass Er den Zorn Gottes über die Sünde trug, ist eine sehr wertvolle Wahrheit; aber da ist mehr als dies. Er ist auch in diese elende Welt gekommen, um an dem Fluchholz zu sterben, um durch seinen Tod die ewigen Quellen der Liebe Gottes den Herzen armer, aufrührerischer Menschen zu erschließen. Nichts kann einen Sünder zurück in einen Zustand wahren Glücks und wahrer Heiligkeit bringen, als dass er völlig der Liebe Gottes glaubt und sich ihrer freut. Als die Schlange den Menschen im Garten Eden versuchte, richtete sich ihre erste Anstrengung darauf, sein Vertrauen auf die Freundlichkeit und die Liebe Gottes zu erschüttern und so Unzufriedenheit mit dem Platz zu verursachen, auf den Gott ihn gestellt hatte. Der Fall des Menschen war die unmittelbare Folge seines Zweifelns an der Liebe Gottes. Die Wiederherstellung des Menschen muss aus seinem Glauben an diese Liebe folgen. Der Sohn Gottes selbst sagt: „Denn so hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren gehe, sondern ewiges Leben habe“ (Joh 3,16).

In unmittelbarer Verbindung mit dem soeben angeführten Wort lehrt der Herr ausdrücklich, dass Er das Gegenbild der Schlange aus Kupfer ist. Als der vom Vater gesandte Sohn Gottes war Er die Gabe und der Ausdruck der Liebe Gottes einer verlorenen Welt gegenüber. Aber Er sollte auch am Kreuz erhöht werden als Sühnung für die Sünde, denn nur so konnte die göttliche Liebe dem begegnen, was der sterbende Sünder brauchte. „Und wie Mose in der Wüste die Schlange erhöhte, so muss der Sohn des Menschen erhöht werden, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren gehe, sondern ewiges Leben habe“ (Joh 3,14). Die ganze menschliche Familie hat den tödlichen Biss der Schlange empfangen; aber der Gott aller Gnade hat ein Heilmittel gefunden in dem, der an dem Fluchholz erhöht wurde. Jetzt ruft Er durch den vom Himmel gesandten Heiligen Geist allen, die den „Todesbiss“ fühlen, zu, auf Jesus zu schauen, um Leben und Frieden zu erlangen. Christus ist das große Heilmittel Gottes. Durch ihn wird dem Sünder ein völliges, freies, gegenwärtiges und ewiges Heil verkündet, ein Heil, das so vollkommen, so wohlbegründet ist und so vollständig allen Eigenschaften und Rechten Gottes entspricht, dass Satan hier nichts infrage zu stellen vermag. Die Auferstehung ist die göttliche Anerkennung des Werkes am Kreuz und die Verherrlichung dessen, der dort starb. So kann der Gläubige sich jetzt hinsichtlich der Sünde völliger Ruhe erfreuen. Gott hat sein ganzes Wohlgefallen gefunden an Jesus, und weil Er alle Gläubigen in ihm sieht, hat Er auch an ihnen Wohlgefallen.

Der Glaube ergreift das Heil

Beachten wir, dass der Glaube das Mittel ist, durch das der Sünder das Heil in Christus ergreift. Der verwundete Israelit hatte nur hinzublicken, um am Leben zu bleiben. Er musste nicht auf sich selbst sehen, nicht auf seine Wunden, nicht auf andere neben ihm, sondern unmittelbar und ausschließlich auf das Heilmittel Gottes. Wenn er sich weigerte oder es versäumte, dorthin zu blicken, blieb ihm nur der Tod. Er musste ganz und gar seinen Blick auf das Heilmittel Gottes richten, das so aufgestellt war, dass alle es sehen konnten. Es nützte nichts, wenn man anderswo hinsah, denn die Anordnung lautete: „Jeder, der gebissen ist und sie ansieht, der wird am Leben bleiben.“ Die Schlange aus Kupfer war das einzige von Gott gegebene Heilmittel.

Genauso ist es heute. Der Sünder ist gerufen, einfach auf Jesus zu sehen. Ihm wird nicht gesagt, dass er auf Versammlungen, Menschen oder Engel blicken soll. In alledem gibt es keine Hilfe für ihn. Er hat einzig und allein auf Jesus zu sehen, dessen Tod und Auferstehung die ewige Grundlage des Friedens und der Hoffnung des Gläubigen bilden. Gott versichert ihm, dass „jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren gehe, sondern ewiges Leben habe“. Das sollte Herz und Gewissen vollkommen zufriedenstellen. Gott ist zufriedengestellt und deshalb sollten auch wir es sein. Zweifel erheben, heißt die Botschaft Gottes verneinen. Wenn ein Israelit angefangen hatte, sich mit der Hoffnungslosigkeit seiner Krankheit zu beschäftigen und der scheinbaren Nutzlosigkeit des Hinsehens auf die Schlange aus Kupfer, hätte das in Wirklichkeit eine Ablehnung Gottes bedeutet. Ebenso ist es mit dem Sünder. In dem Augenblick, in dem er im Glauben auf Jesus sieht, verschwinden seine Sünden. Das Blut Jesu bedeckt wie ein mächtiger reinigender Strom sein Gewissen, wäscht jede Verunreinigung ab, nimmt jeden Flecken weg – und das im Licht der Heiligkeit Gottes selbst, wo kein Schatten von Sünde geduldet werden kann.

Abschließend mag es noch gut sein, zu bemerken, dass der Blick des gebissenen Israeliten auf die Schlange etwas ganz Persönliches war. Jeder musste für sich selbst hinsehen. Keiner konnte es für einen anderen tun. Keiner konnte durch Stellvertretung gerettet werden. Ein Blick gab das Leben – aber dieser Blick musste getan werden. Es war eine persönliche Verbindung, ein individueller Kontakt mit dem Heilmittel Gottes nötig.

Wie es damals war, ist es auch heute noch. Wir müssen persönlich zu tun haben mit Jesus. Weder die Versammlung kann uns retten noch irgendein Priester oder Prediger. Ohne eine persönliche Verbindung mit dem Erlöser gibt es kein Leben. „Und es geschah, wenn eine Schlange jemand gebissen hatte, und er schaute auf zu der Schlange aus Kupfer, so blieb er am Leben“ (V. 9). Das war damals die Anordnung Gottes, und „wie Moses in der Wüste die Schlange erhöhte, so muss der Sohn des Menschen erhöht werden“. Übersehen wir die beiden Wörtchen „wie“ und „so“ nicht. Sie beziehen Bild und Gegenbild aufeinander in jeder Einzelheit. Glaube, Buße, Errettung sind persönliche Dinge. Vergessen wir das nie! Sicher hat im Christentum die Gemeinschaft ihren Platz, aber wir müssen jeder selbst mit Christus in Verbindung kommen, und wir müssen jeder persönlich mit Gott leben. Wir können niemals durch den Glauben eines anderen das Leben empfangen oder bewahren.

Ankunft in Beer

Zum Schluss sei noch auf die Verse 16–18 hingewiesen. „Und von dort zogen sie nach Beer; das ist der Brunnen, von dem der HERR zu Mose sprach: Versammle das Volk, und ich will ihnen Wasser geben. Damals sang Israel dieses Lied: Herauf, Brunnen! Singt ihm zu! Brunnen, den Fürsten gegraben, den die Edlen des Volkes mit dem Gesetzgeber gehöhlt haben, mit ihren Stäben!“

Es ist bemerkenswert, dass diese Stelle zu diesem Zeitpunkt und in einem solchen Zusammenhang vorkommt. Das Murren ist verstummt. Das Volk nähert sich den Grenzen des verheißenen Landes. Die Wirkungen des Schlangenbisses sind vorbei. Jetzt erhält das Volk Erfrischung ohne Zuhilfenahme eines Stabes, ohne einen Schlag. Obwohl Amoriter, Moabiter und Ammoniter sie umgeben, obwohl die Macht Sihons ihnen im Weg steht, kann Gott ihnen, seinem Volk, einen Brunnen geben und einen Lobgesang auf ihre Lippen legen. Welch ein Gott ist unser Gott! Wie gesegnet ist es, seine Taten und Wege mit seinem Volk in der Wüste zu betrachten! Möchten wir es lernen, ihm bedingungsloser zu vertrauen und jeden Tag in heiliger und froher Unterwerfung mit ihm unseren Weg zu gehen! Das würde Frieden und Segen für uns bedeuten.

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