Betrachtungen über das vierte Buch Mose

Das Priestertum

Betrachtungen über das vierte Buch Mose

Diese beiden Kapitel bilden einen Abschnitt für sich. Der Ursprung, die verschiedenen Seiten der Verantwortlichkeit sowie die Vorrechte des Priestertums werden uns darin vorgestellt. Das Priestertum ist eine göttliche Einrichtung. „Und niemand nimmt sich selbst die Ehre, sondern er wird von Gott berufen, wie auch Aaron“ (Heb 5,4). Das wird in treffender Weise im 17. Kapitel deutlich gemacht.

Der Stab, der gesprosst hat

Welche unvergleichliche Weisheit sehen wir in der Anordnung in den ersten sechs Versen des Kapitels! Die Sache wird der Hand des Menschen vollständig entzogen und dahin gegeben, wo sie allein hingehört, nämlich in die Hände des lebendigen Gottes! Priester sollte nicht ein Mensch sein, der von sich selbst oder von seinesgleichen eingesetzt war. Gott war es, der den Mann seiner eigenen Wahl bestimmte. Die Frage sollte also von Gott selbst gelöst werden, damit auf diese Weise alles Murren für immer zum Schweigen gebracht würde und niemand mehr den Hohenpriester Gottes anklagen könnte, er maße sich zu viel an. Der Wille des Menschen hatte in dieser ernsten Angelegenheit nichts zu sagen. Die zwölf Stäbe, die alle gleich waren, wurden vor den Herrn hingelegt. Der Mensch zog sich zurück und überließ es Gott, zu handeln. Da gab es keinen Raum, keine Möglichkeit für menschliche Beeinflussungen. In der Einsamkeit des Heiligtums, weit entfernt von allen Gedanken des Menschen, wurde die Frage des Priestertums durch göttliche Entscheidung geregelt, und nachdem sie so gelöst war, konnte sie nie wieder gestellt werden.

„Und Mose legte die Stäbe vor den HERRN in das Zelt des Zeugnisses. Und es geschah am nächsten Tag, als Mose in das Zelt des Zeugnisses hineinging, siehe, da hatte der Stab Aarons, vom Haus Levi, gesprosst: Er hatte Sprossen getrieben und Blüten gebracht und Mandeln gereift“ (V. 22,23). Was für ein treffendes und herrliches Bild dessen, der als Sohn Gottes in Kraft durch Toten-Auferstehung erwiesen worden ist (vgl. Röm 1,4)! Die zwölf Stäbe waren alle gleich leblos, aber Gott, der lebendige Gott, trat auf den Schauplatz, und durch seine Macht gab Er dem Stab Aarons Leben und stellte ihn dar mit den herrlichen Früchten der Auferstehung.

Wer könnte das leugnen? Die Vernunft mag spotten. Der Glaube betrachtet den fruchttragenden Stab als ein schönes Bild der neuen Schöpfung, in der alles von Gott ist. Der Unglaube mag Einwände machen, indem er auf die augenscheinliche Unmöglichkeit hinweist, dass ein dürrer Stab in einer Nacht grünen, sprossen und Früchte tragen kann. Warum? Weil er immer Gott ausschließt. Er zieht seine Schlüsse und führt seine Beweise in Finsternis. In dem Bereich, in dem der Unglaube sich bewegt, ist kein einziger Strahl wahren Lichts. Er lehnt die einzige Quelle des Lichts ab und lässt die Seele in tiefer Finsternis.

Es ist besonders für den jungen Leser gut, über diese ernste Tatsache nachzudenken. Unglaube, Glaube an die menschliche Vernunft und Zweifelsucht – alle drei beginnen und enden damit, dass sie Gott ausschließen. Dem Geheimnis von Aarons sprossendem, blühendem und fruchtbringendem Stab treten sie mit einem frechen: „Wie kann das sein?“, entgegen. Das ist das Argument des Ungläubigen. Er wirft Tausende von Fragen auf, aber er löst keine einzige. Er lehrt dich zu zweifeln, aber nie zu glauben. Er erweckt in Bezug auf alles Zweifel in deiner Seele, aber er gibt dir nichts zu glauben.

Der Unglaube ist von Satan, der immer der große „Bedenken-Anmelder“ war und bis ans Ende bleiben wird. Immer und überall erhebt er Fragen und stürzt den Menschen in Finsternis. Aber einer Seele gegenüber, die einfach glaubt, dass Gott ist und dass Er gesprochen hat, ist Satan ohnmächtig. In diesem einfachen Glauben liegt die Antwort auf alle Fragen des Ungläubigen, liegt die göttliche Lösung aller Schwierigkeiten. Der Glaube denkt mit Gott, der Unglaube ohne Gott.

Ich möchte es daher jedem christlichen Leser ans Herz legen, doch keine Fragen mehr zuzulassen, wenn Gott einmal gesprochen hat. Wenn es doch geschieht, wird Satan sehr bald triumphieren können. Die einzige Sicherheit gegen ihn besteht in dem unvergänglichen Ausspruch: „Es steht geschrieben!“ Es wird niemals reichen, ihm auf Grund von Erfahrungen, Gefühlen oder Beobachtungen etwas beweisen zu wollen. Wir müssen ihm ausschließlich auf der Grundlage begegnen: Gott ist und Gott hat gesprochen. Gegen dieses gewichtige Argument vermag Satan nichts. Es schlägt ihn augenblicklich in die Flucht.

Wenn also im Hinblick auf den Stab Aarons jemand fragt: Wie kann so etwas geschehen? Es läuft den Naturgesetzen zuwider, und wie könnte Gott diese festen Gesetze umstoßen? – So ist die Antwort des Glaubens: Gott kann tun, was ihm gefällt. Er, der Welten ins Dasein gerufen hat, konnte auch einen Stab in einem Augenblick zum Sprossen, Blühen und Fruchttragen bringen.

Wir fühlen, wie wichtig es ist, die wahren Quellen der so einleuchtend klingenden Lehrsätze zu kennen, die in unserer Zeit so viele Köpfe erfüllen. Der Geist des Menschen beschäftigt sich damit, Systeme zu bilden, Schlüsse zu ziehen und Folgerungen abzuleiten, und zwar in einer Weise, die das Zeugnis der Heiligen Schrift und sogar Gott selbst aus dem, was Er geschaffen hat, vollständig ausschließt. Die Jüngeren unter uns müssen in dieser Hinsicht gewarnt werden. Wir sollen alles das mit Entschiedenheit als Unglauben bezeichnen und mit dem Apostel sagen: „Gott sei wahrhaftig, jeder Mensch aber Lügner!“ (Röm 3,4).

Geben wir doch der Heiligen Schrift immer den ersten Platz in unserem Herzen und in unserem Geist! Das ist die einzige Sicherheit gegen den mehr und mehr anschwellenden Strom des Unglaubens, der die Grundlagen alles gläubigen Denkens in der Christenheit zu zerstören droht.

Ein Zeugnis der Gnade Gottes

„Und Mose brachte alle die Stäbe heraus vor dem HERRN weg zu allen Kindern Israels, und sie sahen sie und nahmen jeder seinen Stab. Und der HERR sprach zu Mose: Bring den Stab Aarons vor das Zeugnis zurück, um ihn als ein Zeichen für die Widerspenstigen aufzubewahren, so dass du ihrem Murren vor mir ein Ende machst, und sie nicht sterben. Und Mose tat es; so wie der HERR ihm geboten hatte, so tat er“ (V. 24–26).

So war denn die Frage von Gott gelöst. Das Priestertum gründet sich auf die Gnade, die aus dem Tod Leben bringt. Es wäre nutzlos gewesen, einen der elf dürren Stäbe zum Kennzeichen des priesterlichen Amtes machen zu wollen. Alle menschliche Macht unter der Sonne konnte einem dürren Stab weder Leben geben noch ihn in einen Segenskanal für die Seelen verwandeln. Ebenso brachten die elf Stäbe zusammengenommen keine einzige Knospe oder Blüte hervor. Aber da, wo Beweise einer belebenden Kraft, Spuren göttlichen Lebens und Segens, wo Früchte wirksamer Gnade vorhanden waren, da allein war die Quelle des priesterlichen Dienstes zu finden, der ein nicht nur bedürftiges, sondern auch murrendes und widerspenstiges Volk durch die Wüste zu führen vermochte.

Doch warum war der Stab Moses nicht unter den zwölf Stäben? Der Grund hierfür ist sehr einfach. Der Stab Moses war der Ausdruck der Macht und der Autorität, derjenige Aarons dagegen der liebliche Ausdruck einer Gnade, die das Tote lebendig macht und das Nichtsseiende ruft, wie wenn es da wäre. Bloße Macht oder bloße Autorität konnten die Gemeinde nicht durch die Wüste führen. Die Macht konnte den Aufrührer vernichten, die Autorität den Sünder schlagen; aber nur Gnade und Barmherzigkeit konnten einer Versammlung von bedürftigen, hilflosen, sündigen Männern, Frauen und Kindern helfen. Die Gnade, die aus einem dürren Stab Mandeln hervorbringen konnte, konnte auch Israel durch die Wüste führen. Nur in Verbindung mit dem sprossenden Stab Aarons konnte der HERR sagen: „... so dass du ihrem Murren vor mir ein Ende machst, und sie nicht sterben.“ Der Stab der Gewalt konnte die Murrenden wegraffen, der Stab der Gnade aber konnte das Murren beenden.

Es wird nützlich sein, kurz auf eine Stelle im Anfang von Hebräer 9 einzugehen, die mit dem vorliegenden Thema in Verbindung steht. Es wird dort von der Bundeslade gesagt: „In der der goldene Krug war, der das Manna enthielt und der Stab Aarons, der gesprosst hatte, und die Tafeln des Bundes“ (V. 4). Der Stab und das Manna entsprangen der Vorsorge der göttlichen Gnade für die Wanderung und die Bedürfnisse Israels in der Wüste. In 1. Könige 8,9 jedoch lesen wir: „Nichts war in der Lade als nur die beiden steinernen Tafeln, die Mose am Horeb hineinlegte, als der HERR einen Bund mit den Kindern Israel schloss, als sie aus dem Land Ägypten zogen.“ Die Wanderungen in der Wüste waren vorbei; die Herrlichkeit der Tage Salomos verbreitete ihren Glanz über das Land. Daher hören wir nichts von dem sprossenden Stab und von dem Mannakrug. Nur das Gesetz Gottes blieb, das die Grundlage seiner gerechten Regierung in der Mitte seines Volkes bildete.

Wir finden hierin nicht nur ein Beispiel für die göttliche Genauigkeit der Schrift als Ganzes, sondern auch einen Hinweis auf den besonderen Charakter und Zweck des vierten Buches Mose. Aarons Stab befand sich während der Wüstenwanderung Israels in der Lade. Wunderbare Tatsache! Möchten wir ihre tiefe und segensreiche Bedeutung verstehen! Möchten wir den Unterschied zwischen dem Stab Moses und dem Aarons begreifen! Wir haben gesehen, wie jener die ihm eigentümlichen Aufgaben zu anderen Zeiten und bei anderen Gelegenheiten tat. Wir haben gesehen, wie das Land Ägypten unter seinen schweren Schlägen zitterte. Plage auf Plage fiel auf das Land, wenn Mose diesen Stab ausstreckte. Wir haben gesehen, wie unter ihm die Wasser des Meeres sich teilten. Es war also ein Stab der Macht und der Gewalt. Er konnte das Murren der Kinder Israel nicht zum Schweigen bringen und das Volk nicht durch die Wüste führen. Das konnte allein die Gnade. Und den Ausdruck der reinen, freien, unumschränkten Gnade finden wir in dem sprossenden Stab Aarons.

Der dürre, tote Stab Aarons war ein treffendes Bild des natürlichen Zustandes von Israel und von uns. Da war kein Leben, keine Kraft. Man hätte wohl fragen können: „Was für Gutes kann je aus ihm hervorkommen?“ In der Tat, gar nichts – wenn nicht die Gnade ins Mittel getreten wäre und ihre belebende Kraft entfaltet hätte. Wie hätte Israel von Tag zu Tag geleitet werden können? Wie sollten sie in all ihrer Schwachheit und Not unterstützt und in all ihrer Sünde und Torheit ertragen werden? Die Antwort findet sich allein in dem sprossenden Stab Aarons. So wie der dürre, tote Stab das Bild von dem natürlichen Zustand Israels war, so stellten die Knospen, Blüten und Früchte die lebendige und lebengebende Gnade und Macht Gottes dar, auf die der priesterliche Dienst gegründet war, der allein die Gemeinde durch die Wüste leiten konnte.

Das Priestertum und der Dienst

Und so wie es damals mit dem Priestertum war, so ist es heute mit dem Dienst. Jeder Dienst in der Versammlung Gottes ist eine Frucht göttlicher Gnade, ist die Gabe Christi, des Hauptes, der Versammlung. Eine andere Quelle des Dienstes gibt es nicht. So schreibt Paulus den Galatern: „Apostel, nicht von Menschen noch durch einen Menschen, sondern durch Jesus Christus und Gott, den Vater, der ihn aus den Toten auferweckt hat“ (Gal 1,1). Der Mensch kann dürre Stäbe nehmen und sie nach seinem Willen formen und bearbeiten. Er kann sie weihen, einsetzen und ihnen hochklingende Titel beilegen. Doch wozu nützt es?

Sie sind und bleiben dürre, tote Stäbe. Eine einzige Knospe genügt, um zu beweisen, dass etwas Göttliches da ist. Aber wenn sie fehlt, so fehlt eben jede Voraussetzung zu einem lebendigen Dienst in der Versammlung Gottes. Die Gabe Christi allein ist es, die jemanden zu seinem Diener macht. Ohne diese ist es Anmaßung, sich als Diener einzusetzen oder von anderen einsetzen zu lassen. Anders ausgedrückt: Jeder wahre Dienst ist von Gott und nicht von Menschen, durch Gott und nicht durch Menschen. Das Neue Testament kennt keinen von Menschen verordneten Dienst. Alles ist von Gott.

Damit kein Missverständnis entsteht, sei betont, dass hier von den Gaben zum Dienst der Versammlung Gottes die Rede ist, nicht von einem Amt oder einem übertragenen Dienst in einer örtlichen Versammlung, d. h. nicht von dem Amt der Ältesten oder dem Dienst der Diakonen. Diese wurden von den Aposteln und ihren Abgesandten eingesetzt und konnten zugleich eine besondere Gabe besitzen und ausüben. Aber weder der Apostel Paulus noch ein von ihm Beauftragter setzte sie ein, damit sie diese Gabe ausübten, sondern nur, damit sie ihren örtlichen Pflichten entsprachen. Jede geistliche Gabe kam von dem Haupt der Versammlung und war von einem örtlichen Amt ganz und gar unabhängig.

Es ist gut, über den Unterschied zwischen einer geistlichen Gabe und einem örtlichen Amt Klarheit zu haben. Im Allgemeinen herrscht große Verwirrung über diese beiden Dinge, und die Folge davon ist, dass der Dienst gar nicht verstanden wird und die Glieder des Leibes Christi ihren Platz und ihre Aufgaben nicht kennen. Erwählung durch Menschen oder durch menschliche Autorität in der einen oder anderen Form wird für die Ausübung des Dienstes als wesentlich betrachtet. Aber nirgends im Neuen Testament findet sich eine Zeile, in der menschliche Berufung, menschliche Einsetzung, menschliche Autorität irgendetwas mit der Ausübung des Dienstes zu tun haben. 1

Nein, Gott sei Dank, der Dienst in seiner Versammlung ist „nicht von Menschen noch durch einen Menschen, sondern durch Jesus Christus und Gott, den Vater, der ihn aus den Toten auferweckt hat“ (Gal 1,1). „Nun aber hat Gott die Glieder gesetzt, jedes einzelne von ihnen an dem Leib, wie es ihm gefallen hat“ (1. Kor 12,18).

In Epheser 4,7–13 werden alle Gaben zum Dienst von den Aposteln bis zu den Evangelisten und Lehrern auf denselben Boden gestellt. Sie werden alle von dem Haupt der Versammlung gegeben und machen den Besitzer verantwortlich – sowohl dem Haupt im Himmel als auch den Gliedern auf der Erde gegenüber. Die Behauptung, dass ein Mensch, der von Gott eine bestimmte Gabe empfangen hat, auf die Einsetzung durch eine menschliche Autorität zu warten habe, ist ebenso verkehrt, als wenn Aaron mit seinem sprossenden Stab in der Hand hingegangen wäre, um sich von irgendeinem seinesgleichen ins Priesteramt einsetzen zu lassen. Aaron war von Gott berufen, und das war ihm genug. Und so sind jetzt alle, die eine göttliche Gabe besitzen, von Gott zum Dienst berufen, und sie haben nichts anderes nötig, als ihren Dienst zu tun und ihre Gabe auszuüben.

So viel über den Dienst und das Priestertum. Die Quelle von beidem ist Gott. Die wahre Grundlage für beide wird uns in dem sprossenden Stab dargestellt. Aaron konnte sagen: „Gott hat mir das Priestertum gegeben“, und wenn man Beweise von ihm verlangte, so konnte er auf den Stab mit den Früchten hinweisen. Paulus konnte sagen: „Gott hat mich in den Dienst eingesetzt“ (Gal 1,1), und zum Beweis konnte er auf Tausende von lebendigen Siegeln seines Werkes hinweisen. So muss es grundsätzlich immer sein, ganz gleich, ob es sich dabei um kleine oder große Dinge dreht. Der Dienst darf nicht nur in Worten, er muss in Tat und Wahrheit bestehen. Gott wird nicht die Worte anerkennen, sondern die Kraft.

Bevor wir dieses Thema verlassen, sei noch einmal die Wichtigkeit des Unterschieds zwischen Dienst und Priestertum betont. Die Sünde Korahs bestand darin, dass er, nicht zufrieden damit, ein Diener zu sein, danach trachtete, ein Priester zu werden. Die Sünde der Christenheit trägt den gleichen Charakter. Anstatt den Dienst in der Versammlung Gottes auf der ihm im Neuen Testament angewiesenen Grundlage zu lassen, hat man ein Priestertum daraus gemacht, eine Art priesterlicher Kaste, deren Glieder sich von ihren Brüdern durch besondere Kleider, Titel und Rechte auszeichnen. Nach den klaren Belehrungen des Neuen Testaments aber sind alle Gläubigen Priester. In 1. Petrus 2,5 lesen wir: „Ihr selbst werdet als lebendige Steine aufgebaut … zu einer heiligen Priesterschaft, um darzubringen geistliche Schlachtopfer …“, und in V. 9: „Ihr [nicht allein die Apostel sondern alle Gläubigen] seid ein auserwähltes Geschlecht, eine königliche Priesterschaft.“ So auch in Offenbarung 1,5.6: „Dem, der uns liebt und uns von unseren Sünden gewaschen hat in seinem Blut und uns gemacht hat zu einem Königtum, zu Priestern seinem Gott und Vater“ (vgl. auch Heb 10,19–22; 13,15.16).

Was für einen Eindruck muss es auf jüdische Gläubige, die mit den Einrichtungen der mosaischen Haushaltung aufgewachsen waren, gemacht haben, wenn sie im Hebräerbrief aufgefordert wurden, in das Allerheiligste einzutreten, wo selbst der höchste Würdenträger in Israel nur einmal im Jahr und nur für wenige Augenblicke sein durfte; wenn sie ferner berufen wurden, Opfer darzubringen und die besonderen Aufgaben des Priestertums zu versehen! Aber das, und nichts anderes sehen wir, wenn wir uns durch die Schrift und nicht durch Gebote, Lehrsätze und Überlieferungen der Menschen belehren lassen. Nicht alle Christen sind Apostel, Propheten, Lehrer, Hirten oder Evangelisten; aber alle sind Priester. Das schwächste Glied der Versammlung ist ebenso ein Priester, wie Petrus, Paulus, Jakobus oder Johannes es waren. Wir reden jetzt nicht von Fähigkeiten oder von geistlicher Kraft, sondern von der Stellung, die alle kraft des Blutes Christi einnehmen.

Unbegründete Furcht

Die letzten Zeilen des 17. Kapitels enthalten ein bemerkenswertes Beispiel dafür, wie schnell der menschliche Geist aus einem Extrem ins andere fällt. „Und die Kinder Israel sprachen zu Mose und sagten: Siehe, wir vergehen, wir kommen um, wir alle kommen um! Jeder, der irgend zur Wohnung des HERRN naht, der stirbt: Sollen wir denn ganz und gar vergehen?“ (V. 27.28). Im vorhergehenden Kapitel begegneten wir einem frechen Hochmut selbst in der Gegenwart der Majestät des HERRN, wo tiefe Demut angebracht gewesen wäre. Hier, in Gegenwart der Gnade Gottes und ihrer Vorsorge, bemerken wir gesetzliche Furcht und Misstrauen. So ist es immer. Die Natur versteht weder die Heiligkeit noch die Gnade. In einem Augenblick hören wir sie rufen: „Die ganze Gemeinde, sie alle sind heilig“, und im nächsten: „Siehe, wir vergehen, wir kommen um, wir alle kommen um!“ Der menschliche Geist erhebt sich, wenn er sich demütigen sollte, und er misstraut, wenn er vertrauen sollte.

Die Leviten als Diener Aarons

Indessen ist dies alles für die Güte Gottes ein Anlass, die heilige Verantwortlichkeit und die wunderbaren Vorrechte des Priestertums vollkommen vor unseren Augen zu entfalten. Wie gnädig ist es von Gott, wie entspricht es seinem Herzen, dass Er aus den Fehlern seines Volkes einen Anlass macht, uns über seine Wege tiefer zu belehren! Es ist sein Vorrecht und sein Name sei dafür gepriesen, aus dem Bösen Gutes hervorkommen zu lassen, aus dem Fresser Fraß, aus dem Starken Süßigkeit (vgl. Richter 14,14). So gibt der „Widerspruch Korahs“ Anlass zu der besonders schönen Belehrung, die in dem Stab Aarons enthalten ist, und das, was das Volk in den letzten Zeilen des 17. Kapitels sagt, hat eine sorgfältige Darstellung der Aufgaben des Priestertums Aarons zur Folge (Kap. 18,1–7).

Die ersten sieben Verse des 18. Kapitels enthalten eine göttliche Antwort auf die von den Kindern Israel gestellte Frage. „Sollen wir denn ganz und gar vergehen?“ „Nein!“, sagt der Gott aller Gnade und Barmherzigkeit. „Und ihr [Aaron und seine Söhne] sollt den Dienst des Heiligtums und den Dienst des Altars versehen, dass kein Zorn mehr über die Kinder Israel komme“ (V. 5). So wird das Volk belehrt, dass es gerade in dem Priestertum, das es so sehr verachtet und dem es widersprochen hatte, seine Sicherheit finden sollte.

Doch wir müssen hier vor allem beachten, dass die Söhne Aarons und das Haus seines Vaters mit Aaron in seinen hohen und heiligen Vorrechten und seiner Verantwortung verbunden waren. Die Leviten waren dem Aaron als eine Gabe gegeben, sie hatten den Dienst des Zeltes der Zusammenkunft zu tun. Sie sollten unter Aaron, dem Haupt des priesterlichen Hauses, dienen. Das gibt uns eine schöne Lehre, die besonders für die Christen unserer Tage nötig ist. Wir alle dürfen nicht vergessen, dass der Dienst, wenn er Gott wohlgefällig sein soll, Unterwerfung unter eine priesterliche Autorität und Leitung voraussetzt. „Und auch deine Brüder, den Stamm Levi, den Stamm deines Vaters, lass mit dir herzutreten, dass sie sich dir anschließen und dir dienen“ (V. 2). Das drückte allen Einzelheiten des levitischen Dienstes seinen bestimmten Stempel auf. Der ganze Stamm der Arbeiter war mit dem Hohenpriester verbunden und ihm unterworfen. Alles stand unter seiner unmittelbaren Aufsicht und Leitung. So muss es auch jetzt im Blick auf alle Arbeiter Gottes sein. Jeder christliche Dienst muss in der Gemeinschaft mit unserem großen Hohenpriester und in heiliger Unterwerfung unter seine Autorität getan werden; anders hat er keinen Wert.

Es mag sehr viel Arbeit getan, sehr viel Aktivität entwickelt werden; aber wenn Christus nicht der unmittelbare Gegenstand des Herzens ist, wenn seine Leitung und Autorität nicht völlig anerkannt werden, so ist die Arbeit vergeblich.

Andererseits hat das kleinste Werk des Dienstes, die geringste Arbeit, die vor dem Angesicht Christi getan wird, in den Augen Gottes ihren Wert und wird belohnt werden. Wie ermutigend und tröstlich ist das für das Herz jedes eifrigen Arbeiters! Die Leviten mussten unter Aaron arbeiten. Die Aufgabe der Christen ist es, unter Christus zu wirken. Ihm sind wir verantwortlich. Es ist gut und schön, in Gemeinschaft mit unseren lieben Mitarbeitern zu leben und in der Furcht des Herrn einander untertan zu sein. Alle Leviten mussten sich in ihrem Werk „an ihn [Aaron] anschließen“ und waren daher auch untereinander verbunden. Sie hatten zusammenzuarbeiten. Hätte ein Levit seinen Brüdern den Rücken gekehrt, so hätte er sich damit auch von Aaron abgewandt. Denken wir uns, ein Levit hätte sich durch das Benehmen seiner Gefährten beleidigt gefühlt und gesagt: „Ich kann nicht mit meinen Brüdern gehen. Ich muss meine Arbeit allein tun. Ich kann Gott dienen und unter Aaron wirken, aber ich muss mich von meinen Brüdern fern halten, denn ich kann unmöglich der Art und Weise des Wirkens zustimmen.“ Es ist nicht schwer, die Unrichtigkeit und Torheit eines solchen Schlusses einzusehen. Er hätte nichts als Verwirrung hervorgerufen. Alle waren berufen, miteinander zu wirken, so verschieden auch ihr Werk sein mochte.

Arbeiter gehorchen ihrem Herrn

Gleichwohl war, erinnern wir uns immer daran, ihre Arbeit verschieden. Außerdem war jeder Einzelne berufen, unter Aaron zu wirken. Es gab also eine persönliche Verantwortlichkeit und gleichzeitig gemeinschaftliche Tätigkeit, die harmonisch ablief. Wir wünschen gewiss, die Einigkeit im Wirken auf alle Weise zu fördern; aber sie darf nie den Bereich des persönlichen Dienstes berühren oder sich in die unmittelbaren und persönlichen Beziehungen des Arbeiters zu seinem Gott einmischen. Die Versammlung Gottes gewährt den Arbeitern des Herrn ein weit ausgedehntes Feld. Da ist Raum für alle Arbeiter, und wir dürfen nicht versuchen, sie alle auf den gleichen Boden zu stellen oder die vielfältigen Kräfte der Diener Christi einzuschränken, indem wir sie in alte Gleise, die wir selbst hergestellt haben, einzuzwängen versuchen. Das wird nie gehen. Wir müssen herzliche Einmütigkeit mit der größtmöglichen Verschiedenheit in der Art der Wirksamkeit zu vereinigen suchen. Beides wird gefördert werden, wenn wir immer im Gedächtnis behalten, dass wir alle berufen sind, miteinander Christus zu dienen.

Hierin liegt das große Geheimnis: miteinander, unter Christus. Lasst uns das beherzigen! Es wird uns helfen, die Art der Wirksamkeit eines anderen, wenn sie auch von der unsrigen verschieden sein mag, anzuerkennen und zu schätzen, und es wird uns vor allen hochmütigen Gedanken über unseren eigenen Wirkungskreis bewahren, durch die Erkenntnis, dass wir alle nichts anderes sind als Mitarbeiter auf demselben weiten Feld und dass das große Ziel, das vor dem Herzen des Meisters steht, nur dann erreicht werden kann, wenn jeder Arbeiter sein spezielles Werk tut, und zwar in glücklicher Gemeinschaft mit allen anderen.

Der priesterliche Dienst

Kehren wir jetzt zu den Söhnen Aarons zurück, und betrachten wir die reiche Vorsorge, die Gott in seiner Güte für sie traf, und die feierlichen Aufgaben, die ihnen in ihrer priesterlichen Stellung zugedacht waren.

„Und der HERR redete zu Aaron: Und ich, siehe, ich habe dir den Dienst meiner Hebopfer gegeben; von allen heiligen Dingen der Kinder Israel habe ich sie dir und deinen Söhnen gegeben, als Salbungsteil, als eine ewige Gebühr. Dies soll dir gehören von dem Hochheiligen, das nicht verbrannt wird: Alle ihre Opfergaben nach allen ihren Speisopfern und nach allen ihren Sündopfern und nach allen ihren Schuldopfern, die sie mir darbringen, als ein Hochheiliges soll es dir und deinen Söhnen gehören. An hochheiligem Ort sollst du es essen, alles Männliche soll es essen; es soll dir heilig sein“ (V. 8–10).

Hier sehen wir das Volk Gottes von einer anderen Seite. Wir sehen es hier nicht als Arbeiter, sondern als Anbeter; nicht als Leviten, sondern als Priester. Alle Gläubigen, alle Christen, alle Kinder Gottes sind Priester. Wir haben einen großen Hohenpriester, der durch die Himmel gegangen ist; wenn Er auf der Erde wäre, so wäre Er nicht einmal Priester (vgl. Heb 4,14 und 8,4). „Denn es ist offenbar, dass unser Herr aus Juda entsprossen ist, einem Stamm, über den Mose in Bezug auf Priester nichts geredet hat“ (Heb 7,14). Folglich bedeutet ein Priester, der auf der Erde opfert, eine Leugnung dessen, was die Schrift sagt, und ein vollständiges Ignorieren der herrlichen Tatsache, auf die das Christentum gegründet ist: die vollbrachte Erlösung. Wenn heute noch ein Priester nötig ist, um für Sünden zu opfern, dann ist ganz gewiss die Erlösung keine vollendete Tatsache. Doch die Schrift erklärt an vielen Stellen, dass sie vollbracht ist, und darum brauchen wir kein Opfer mehr für die Sünde. „Christus aber – gekommen als Hoherpriester der zukünftigen Güter, in Verbindung mit der größeren und vollkommeneren Hütte, die nicht mit Händen gemacht, das heißt nicht von dieser Schöpfung ist, auch nicht mit Blut von Böcken und Kälbern, sondern mit seinem eigenen Blut – ist ein für alle Mal in das Heiligtum eingegangen, als er eine ewige Erlösung erfunden hatte“ (Heb 9,11.12). So lesen wir auch in Kapitel 10: „Denn mit einem Opfer hat er auf immerdar die vollkommen gemacht, die geheiligt werden“, und: „Ihrer Sünden und ihrer Gesetzlosigkeiten werde ich nie mehr gedenken. Wo aber eine Vergebung derselben ist, da ist nicht mehr ein Opfer für die Sünde“ (V. 14.17.18).

Diese Stellen lösen die wichtige Frage hinsichtlich des Priestertums und des Opfers für die Sünde. Es ist eine Wahrheit, die zur Grundlage des Christentums gehört und die ernste Beachtung von allen verdient, die die wahre christliche Stellung einzunehmen wünschen. Um mit Freimütigkeit in das Allerheiligste eintreten zu können, müssen wir wissen, was das Blut Christi für uns getan hat. Wir müssen wissen, dass wir zu Priestern Gottes gemacht und kraft des Versöhnungstodes Christi Gott völlig nahe gebracht worden sind. „Dem, der uns liebt und uns von unseren Sünden gewaschen hat in seinem Blut und uns gemacht hat zu einem Königtum, zu Priestern seinem Gott und Vater …“ (Off 1,5.6). „… werdet auch ihr selbst als lebendige Steine aufgebaut, ein geistliches Haus, zu einer heiligen Priesterschaft, um darzubringen geistliche Schlachtopfer, Gott wohlangenehm durch Jesus Christus … Ihr aber seid ein auserwähltes Geschlecht, eine königliche Priesterschaft, eine heilige Nation, ein Volk zum Besitztum, damit ihr die Tugenden dessen verkündigt, der euch berufen hat aus der Finsternis zu seinem wunderbaren Licht“ (1. Pet 2,5.9). „Durch ihn nun lasst uns Gott stets ein Opfer des Lobes darbringen, das ist die Frucht der Lippen, die seinen Namen bekennen. Das Wohltun aber und Mitteilen vergesst nicht, denn an solchen Opfern hat Gott Wohlgefallen“ (Heb 13,15.16).

Das sind die beiden Zweige des geistlichen Priestertums: das Lob Gottes und das Wohltun an den Menschen. Der jüngste und unerfahrenste Christ kann diese Dinge verstehen. Wer in der ganzen Familie Gottes, in dem priesterlichen Haus unseres göttlichen Hohenpriesters könnte nicht von Herzen sagen: „Der Herr sei gepriesen!“? Und wer könnte nicht dem Nächsten Gutes tun? Dies ist der allen Christen gemeinsame Gottesdienst und Dienst. Wohl mag die geistliche Kraft verschieden groß sein, aber alle Kinder Gottes sind göttlich geweihte Priester, und zwar der eine nicht weniger als der andere.

Das Sündopfer essen

Das 18. Kapitel gibt uns eine Darstellung des Teils, das für Aaron und sein Haus bestimmt war. Wir finden darin ein Bild von den geistlichen Rechten des christlichen Priestertums. Wir können diesen Bericht nicht lesen, ohne zu sehen, welch ein königliches Teil wir besitzen. „Alle ihre Opfergaben nach allen ihren Speisopfern und nach allen ihren Sündopfern und nach allen ihren Schuldopfern, die sie mir darbringen, als ein Hochheiliges soll es dir und deinen Söhnen gehören. Als Hochheiliges [oder: an hochheiligem Ort] sollst du es essen, alles Männliche soll es essen; es soll dir heilig sein“ (V. 9).

Das Sündopfer oder das Schuldopfer essen bedeutet sinnbildlich, die Sünde oder die Schuld eines anderen zu der eigenen machen. Das ist ein heiliges Werk. Nicht jeder vermag sich im Geist mit der Sünde seines Bruders einszumachen. Dies in einer sühnenden Weise zu tun, ist für uns selbstverständlich ganz und gar unmöglich. Das konnte nur ein Einziger tun, und Er hat es vollkommen getan, sein Name sei ewig dafür gepriesen! Doch etwas ist möglich: ich kann die Sünde meines Bruders auf mich nehmen und sie im Geist vor Gott bringen, als wäre sie meine eigene Sünde. Das wird dadurch versinnbildlicht, dass die Söhne Aarons das Sündopfer an heiligem Ort aßen. Nur die Söhne taten es: „Alles Männliche soll es essen“. Es war der erhabenste Teil des priesterlichen Dienstes. „Als Hochheiliges [oder: an hochheiligem Ort] sollst du es essen.“ Wir müssen Christus sehr nahe sein, wenn wir die geistliche Bedeutung und Anwendung dieser Dinge verstehen wollen. Es ist eine wunderbar gesegnete und heilige Übung, die nur in der Gegenwart Gottes erfahren werden kann. Wie wenig wir wirklich davon verstehen, kann unser Herz bezeugen. Unsere Neigung geht dahin, über einen Bruder, der gesündigt hat, zu Gericht zu sitzen, den Platz eines strengen Beurteilers einzunehmen, seine Sünde als etwas zu betrachten, was uns gar nichts angeht. Indem wir so handeln, versagen wir auf traurige Weise in unserer priesterlichen Aufgabe. Wir weigern uns, das Sündopfer an heiligem Ort zu essen. Es ist eine sehr wertvolle Frucht der Gnade, wenn wir uns mit einem verirrten Bruder so einsmachen können, dass wir seine Sünde betrachten, als hätten wir sie getan, und dass wir sie im Geist vor Gott bringen. Das ist wirklich eine erhabene Art des priesterlichen Dienstes, und sie erfordert sehr viel von dem Geist und der Gesinnung Christi. Nur ein geistlicher Christ kann in diese Dinge wirklich eindringen. Aber wie wenige von uns sind wahrhaft geistlich! „Brüder, wenn auch ein Mensch von einem Fehltritt übereilt würde, so bringt ihr, die Geistlichen, einen solchen wieder zurecht im Geist der Sanftmut, wobei du auf dich selbst siehst, dass nicht auch du versucht werdest. Einer trage des anderen Lasten, und so erfüllt das Gesetz des Christus“ (Gal 6,1.2). möchte der Herr uns Gnade geben, dieses gesegnete „Gesetz“ zu erfüllen! Wie verurteilt es unsere Härte und Selbstsucht! Wie sollten wir doch hierin, wie auch in allem anderen, Christus mehr gleich sein!

Erhabenere Opfer

Es gab jedoch noch eine andere Art priesterlichen Vorrechts. Sie war nicht so erhaben wie die soeben betrachtete. „Und dies soll dir gehören: die Hebopfer ihrer Gaben, nach allen Webopfern der Kinder Israel; dir und deinen Söhnen und deinen Töchtern mit dir habe ich sie als eine ewige Gebühr gegeben; jeder Reine in deinem Haus soll es essen“ (V. 11).

Die Töchter Aarons durften nicht von dem Sündopfer und dem Schuldopfer essen. Sie wurden nach dem größtmöglichen Maß ihrer Fähigkeit versorgt. Aber es gab gewisse Dinge, die sie nicht tun konnten, gewisse Vorrechte, die außerhalb ihres Bereichs lagen, und gewisse Verantwortlichkeiten, die für sie zu schwer waren. Es ist viel leichter, mit einem anderen in der Darbringung eines Dankopfers Gemeinschaft zu haben, als seine Sünde zu unserer eigenen zu machen. Das Letztere verlangt ein Maß von priesterlicher Kraft, das sein Gegenbild in den „Söhnen“ Aarons und nicht in seinen „Töchtern“ findet. Dürfen wir uns über diesen Unterschied wundern? Durchaus nicht. Wir alle stehen als Gläubige auf demselben Boden, haben dieselben Anrechte, sind in dasselbe Verhältnis zu Gott gebracht, aber unsere Fähigkeiten sind verschieden. Und obwohl wir alle nach der höchsten Stufe priesterlichen Dienstes und nach dem höchsten Maß priesterlicher Fähigkeit streben sollen, so ist es doch nutzlos, wenn wir uns etwas anmaßen, was wir nicht besitzen.

Eins wird uns jedoch klar vor Augen gestellt: Wir müssen „rein“ sein, um ein priesterliches Vorrecht genießen oder eine priesterliche Speise essen zu können, rein durch das auf unser Gewissen angewandte Blut Christi und rein durch das Wort, das der Heilige Geist auf unsere Gewohnheiten, Verbindungen und Wege anwendet. Wenn wir rein sind, so ist durch die kostbare Gnade Gottes reichste Vorsorge für unsere Seele getroffen, ganz gleich, ob unsere Fähigkeiten klein oder groß sind. Hören wir die folgenden Worte: „Alles Beste vom Öl und alles Beste vom Most und Getreide, ihre Erstlinge, die sie dem HERRN geben, dir habe ich sie gegeben. Die ersten Früchte von allem, was in ihrem Land wächst, die sie dem HERRN bringen, sollen dir gehören; jeder Reine in deinem Haus soll davon essen“ (V. 12.13).

Hier wird wirklich ein fürstliches Teil für alle bestimmt, die zu Priestern Gottes gemacht sind. Sie sollten das Allerbeste haben, das Erste von allem, was das Land des Herrn hervorbrachte. Da war Wein, der des Menschen Herz erfreut, Öl, das das Angesicht glänzend macht, und Brot, das des Menschen Herz stärkt (vgl. Ps 104,15).

Welch ein Bild von unserem Teil in Christus! Die Olive und die Traube wurden gepresst, das Weizenkorn wurde gemahlen, um die Priester Gottes zu speisen und zu erfreuen. So ist das Gegenbild all dieser Dinge im Tod zerschlagen und zermalmt worden, damit es durch sein Fleisch und Blut seinem Haus Leben, Kraft und Freude darreichen könnte. Er, das kostbare Weizenkorn, fiel in die Erde und starb, damit wir leben möchten. Und der Saft des lebendigen Weinstocks wurde ausgepresst, um den Kelch des Heils zu füllen, den wir jetzt trinken und den wir in der Gegenwart unseres Gottes allezeit trinken werden.

Was brauchen wir nun noch außer einer größeren Fähigkeit, die Fülle und das Glück unseres Teils in einem gekreuzigten, auferstandenen und verherrlichten Heiland zu genießen? Frohen Herzens dürfen wir sagen: „Wir haben alles und haben Überfluss.“ Gott hat uns alles gegeben, was Er uns je geben konnte, ja, das Beste, das Er hatte. Er hat uns sein eigenes Teil gegeben. Er hat uns berufen, uns mit ihm in heiliger, glücklicher Gemeinschaft niederzusetzen und von dem gemästeten Kalb zu genießen (vgl. Lk 15). Er hat unsere Ohren geöffnet, um zu hören, und unsere Herzen zubereitet, um, wenn auch in schwachem Maß, diese wunderbaren Worte zu verstehen: „Lasst uns essen und fröhlich sein!“

Wie wunderbar ist die Gnade, dass nichts weniger das Herz Gottes zufriedenstellen konnte als dies: sein Volk um sich versammelt zu sehen und es zu nähren mit dem, woran Er selbst seine Wonne findet!

Die Lösung der Erstgeborenen

„Und zwar ist unsere Gemeinschaft mit dem Vater und mit seinem Sohn Jesus Christus“ (1. Joh 1,3). Was hätte die Liebe Gottes mehr für uns tun können? Und für wen hat sie es getan? Für solche, die tot waren in Vergehungen und Sünden, für Fremde und Feinde, für schuldige Empörer, für solche, die fern von ihm waren, die keine Hoffnung hatten und ohne Gott in der Welt waren, für Abtrünnige, die die ewigen Flammen der Hölle verdient hatten! Was für eine wunderbare Gnade! Welche Tiefen unergründlichen Erbarmens! Und wir können wohl hinzufügen: was für ein kostbares Versöhnungsopfer, das über arme, schuldige, verdammungswürdige Sünder einen unbeschreiblichen Segen bringt – das uns als Brandscheite aus dem ewigen Feuer reißt und uns Gott zu Priestern macht – das alle unsere „unflätigen Kleider“ wegnimmt, uns reinigt, kleidet und krönt in seiner Gegenwart und zu seiner Verherrlichung! Möchten wir ihn allezeit loben! Möchten unser Herz und unser Leben ihn preisen! Möchten wir mehr lernen, unseren Platz und unser Teil als Priester zu genießen! Wir können nichts Besseres tun, als Gott loben, ihm nichts Höheres darbringen, als „durch Jesus Christus die Frucht der Lippen, die seinen Namen bekennen“ (vgl. Heb 13). Das wird unsere ewige Beschäftigung dort sein, wohin wir gehen und wo wir bald anlangen werden, um für immer bei ihm zu sein, der uns geliebt und sich selbst für uns hingegeben hat.

Die Verse 14–19 enthalten Belehrungen über „den Erstgeborenen vom Menschen und vom Vieh“. Beachten wir, dass der Mensch mit dem unreinen Tier auf eine Ebene gestellt wird! Beide mussten gelöst werden. Das unreine Tier war für Gott ebenso unpassend wie der Mensch, es sei denn, dass er durch Blut gelöst wurde. Das reine Tier brauchte nicht gelöst zu werden. Es war für Gott brauchbar und wurde der ganzen priesterlichen Familie, den Söhnen und den Töchtern, zur Speise gegeben. Wir sehen in ihm ein Bild von Christus, an dem Gott sein ganzes Wohlgefallen, die völlige Freude seines Herzens findet. Er ist im ganzen Universum der einzige Gegenstand, in dem Gott vollkommene Ruhe und Befriedigung finden konnte. Und ihn hat er uns gegeben, uns, seinem priesterlichen Haus, damit Er auf ewig unsere Speise, unser Licht, unsere Freude, unser Alles sei. 2

Kein irdisches Erbteil für die Leviten

In diesem Kapitel, wie auch an anderen Stellen, fällt auf, dass jedes neue Thema mit den Worten eingeleitet wird: „Und der HERR sprach zu Mose“, oder: „zu Aaron.“ So lehren uns die Verse 20–32, dass die Priester und die Leviten, die Anbeter und die Arbeiter Gottes, unter den Kindern Israel kein Erbteil hatten, sondern bezüglich ihres Unterhalts einzig und allein von Gott selbst abhängig sein sollten. Das ist eine segensreiche Stellung! Die Kinder Israel sollten ihre Opfergabe darbringen und sie zu den Füßen des HERRN niederlegen, und Er befahl in seiner unendlichen Gnade seinen Arbeitern, diese Opfer, die Früchte der Ergebenheit seines Volkes, zu sammeln und sich davon in seiner Gegenwart mit dankbarem Herzen zu nähren. So wurde der Kreis der Segnung vollständig. Gott sorgte für alle Bedürfnisse seines Volkes. Das Volk hatte das Vorrecht, die reichen Früchte seiner Güte mit den Priestern und Leviten zu teilen, und diese hatten das schöne Recht, Gott von dem Guten zurückzugeben, das Er über sie ausgegossen hatte.

Alles das ist ein treffendes Bild von dem, was wir heute in der Versammlung Gottes verwirklicht sehen sollen. Wie wir erkannt haben, wird das Volk Gottes in diesem Buch von drei verschiedenen Gesichtspunkten aus betrachtet: als Krieger, als Arbeiter und als Anbeter. In allen drei Stellungen befand es sich in vollständiger Abhängigkeit von dem lebendigen Gott. Genauso ist es heute mit uns. In unserem Kampf, in unserer Arbeit und in unserem Gottesdienst sind wir von Gott abhängig, alle unsere Quellen sind in ihm. Wunderbare Tatsache! Was benötigen wir noch? Sollten wir uns an Menschen oder an diese Welt wenden, um bei ihnen Unterstützung oder in ihr eine Hilfsquelle zu finden? Nein, lasst uns vielmehr danach streben, in unserem ganzen Leben und in allem, was wir tun, zu beweisen, dass Gott unseren Herzen genügt und dass Er für Zeit und Ewigkeit, für alles, was wir brauchen, Vorsorge getroffen hat!

Fußnoten

  • 1 Selbst die Anstellung der Diakonen (Apg 6,3) war mehr eine apostolische Handlung als ein Akt der Versammlung. Wir lesen dort: „Seht euch nun um, Brüder, nach sieben Männern von euch, von gutem Zeugnis, voll Heiligen Geistes und Weisheit, die wir über diese Aufgabe bestellen wollen“. Es war Sache der Brüder, die Männer auszuwählen, weil es ihr Geld war, um das es sich handelte. Aber die Anstellung war von Gott. Und sie bezog sich, vergessen wir es nicht, nur auf die Aufgaben der Diakone, die die zeitlichen Angelegenheiten der Versammlung zu besorgen hatten. Aber das Werk eines Evangelisten, Hirten und Lehrers war und ist völlig unabhängig von menschlicher Wahl und Autorität und gründet sich allein auf die Gabe Christi (Eph 4,11).
  • 2 Hinsichtlich weiterer Einzelheiten über das in 4. Mose 18,14-19 behandelte Thema sei auf die „Gedanken zum 2. Buch Mose“, Kapitel 13, verwiesen.
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