Betrachtungen über das dritte Buch Mose

Der große Versöhnungstag

Betrachtungen über das dritte Buch Mose

Ein noch verschlossener Zugang zum Heiligtum

Das 16. Kapitel enthält einige der allerwichtigsten Wahrheiten. Es stellt uns mit ungewöhnlicher Kraft die Lehre von der Versöhnung vor Augen und gehört gewiss zu den kostbarsten und wichtigsten Teilen des Wortes Gottes, wenn wir überhaupt da, wo alles göttlich ist, Unterschiede machen dürfen.

In geschichtlicher Beziehung liefert uns dieses Kapitel eine Mitteilung über die Vorgänge am großen Versöhnungstag in Israel, durch die die Beziehungen des HERRN zu der Versammlung festgestellt und aufrechterhalten wurden, und wodurch für alle Sünden, Mängel und Gebrechen Sühnung geschah, so dass der HERR, Gott in ihrer Mitte wohnen konnte. Das Blut, das an diesem feierlichen Tag vergossen wurde, bildete die Grundlage des Thrones des HERRN inmitten der Gemeinde. Kraft dieses Blutes konnte der heilige Gott in der Mitte seines Volkes weilen, und zwar ungeachtet aller Unreinheit des Volkes. Der „zehnte Tag im siebten Monat“ war ein ganz besonderer Tag in Israel. Kein anderer Tag im Jahr war diesem gleich. Die Opfer dieses einen Tages bildeten die Grundlage für Gottes Handeln in Gnade, Barmherzigkeit, Geduld und Langmut.

Ferner lernen wir aus diesem Abschnitt, „dass der Weg zum Heiligtum noch nicht offenbart ist“ (Heb 9,8). Gott war hinter einem Vorhang verborgen und der Mensch stand von fern. „Und der HERR redete zu Mose nach dem Tod der beiden Söhne Aarons, als sie vor den HERRN hintraten und starben; und der HERR sprach zu Mose: Rede zu deinem Bruder Aaron, dass er nicht zu aller Zeit in das Heiligtum hineingehe innerhalb des Vorhangs, vor den Deckel, der auf der Lade ist, damit er nicht sterbe; denn ich erscheine in der Wolke über dem Deckel“ (V. 1.2). Der Weg war für den Menschen noch nicht geöffnet, um zu jeder Zeit in der Gegenwart Gottes erscheinen zu dürfen. Auch war im ganzen mosaischen Gesetz der Fall nicht vorgesehen, dass der Mensch beständig in der Gegenwart Gottes weilen konnte. Gott war gleichsam eingeschlossen und der Mensch von Gott ausgeschlossen, und „das Blut von Stieren und Böcken“ vermochte keine Stätte zu schaffen, wo Gott und Mensch sich hätten beständig begegnen können. Dazu bedurfte es eines Opfers von edlerer Art und kostbarerem Blut (Heb 10,1–4). Weder das levitische Priestertum noch die levitischen Opfer konnten vollkommen machen. Die Opfer waren ungenügend, das Priestertum mangelhaft. Beide trugen den Stempel der Unvollkommenheit. Ein unvollkommener Mensch konnte kein vollkommener Priester sein noch vermochte ein unvollkommenes Opfer ein vollkommenes Gewissen zu geben. Aaron war weder fähig noch berechtigt, innerhalb des Vorhangs Platz zu nehmen, noch waren die von ihm dargebrachten Opfer imstande, den Vorhang zu zerreißen.

So viel in Bezug auf das Geschichtliche unseres Kapitels. Betrachten wir jetzt das, worauf es hindeutet.

Aaron – ein Vorbild auf Christus

„Auf diese Weise soll Aaron in das Heiligtum hineingehen: mit einem jungen Stier zum Sündopfer und einem Widder zum Brandopfer“ (V. 3). Hier haben wir die beiden großen Seiten des Versöhnungswerkes Christi vor uns: Es hält die göttliche Herrlichkeit vollkommen aufrecht, und es begegnet auch dem tiefsten Elend des Menschen vollkommen. Bei allen an diesem feierlichen Tag verrichteten Handlungen ist von einem Speisopfer und einem Friedensopfer keine Rede. Es handelt sich hier nicht um das menschliche Leben unseres Herrn noch geht es um die Gemeinschaft der Seele mit Gott als Folge seines vollbrachten Werkes. Das eine große Thema ist die „Versöhnung“, und zwar in zweifacher Hinsicht: Sie genügt allen Forderungen Gottes, den Forderungen seiner Natur, seines Charakters und seines Thrones, und sie genügt der Schuld des Menschen und allen seinen Bedürfnissen. Diese beiden Punkte müssen wir im Auge behalten, wenn wir über die Lehre des großen Versöhnungstages ein klares Verständnis erlangen wollen. „Auf diese Weise soll Aaron in das Heiligtum hineingehen“, mit dem Sühnopfer, um die Herrlichkeit Gottes – sowohl in Bezug auf die Ratschlüsse seiner erlösenden Liebe der Versammlung, Israel und der ganzen Schöpfung gegenüber als auch im Blick auf alle Ansprüche seiner moralischen Verwaltung – in jeder Beziehung aufrechtzuerhalten und um der Schuld und dem elenden Zustand des Menschen völlig zu begegnen. Diese beiden Gesichtspunkte des Versöhnungswerkes werden uns bei der Betrachtung unseres Kapitels immer wieder begegnen. Ihre Bedeutung kann nicht hoch genug geschätzt werden.

„Er soll einen heiligen Leibrock aus Leinen anziehen, und Beinkleider aus Leinen sollen auf seinem Fleisch sein, und mit einem Gürtel aus Leinen soll er sich umgürten und sich einen Kopfbund aus Leinen umbinden: Das sind heilige Kleider; und er soll sein Fleisch im Wasser baden und sie anziehen“ (V. 4). Aaron, mit reinem Wasser gewaschen und mit weißen, leinenen Gewändern bekleidet, gibt uns ein eindrucksvolles Bild von Christus zu Beginn seines Versöhnungswerkes. Er wird in seiner Person und in seiner Eigenschaft als Hoherpriester als rein und fleckenlos dargestellt. „Ich heilige mich selbst für sie, damit auch sie Geheiligte seien durch Wahrheit“ (Joh 17,19). Es ist ein wunderbarer Gedanke, gleichsam berufen zu sein, die Person unseres göttlichen Hohenpriesters in all ihrer Heiligkeit anzuschauen. Der Heilige Geist hat seine Wonne darin, uns Christus zu enthüllen, und wo wir ihn auch schauen, immer sehen wir ihn als denselben fleckenlosen, vollkommenen, herrlichen Jesus, den Ausgezeichneten vor Zehntausenden, an dem alles lieblich ist (Hld 5,10.16). Er hatte nichts zu tun oder anzuziehen, um rein und fleckenlos zu sein. Er bedurfte keines reinen Wassers und keines feinen Leinens. Er war der „Heilige Gottes“. Was Aaron tat und was er anzog, das Waschen und das Bekleiden, sind nur schwache Schatten von dem, was Christus ist. Das Gesetz hatte nur „einen Schatten der zukünftigen Güter“ und „nicht der Dinge Ebenbild selbst“ (Heb 10,1). Wir aber besitzen nicht nur den Schatten, sondern die ewige und göttliche Wirklichkeit: Christus selbst.

Aaron und sein Haus

„Und von der Gemeinde der Kinder Israel soll er zwei Ziegenböcke nehmen zum Sündopfer und einen Widder zum Brandopfer. Und Aaron soll den Stier des Sündopfers, der für ihn ist, herzubringen und Sühnung tun für sich und für sein Haus“ (V. 5.6). Aaron und sein Haus stellen die Versammlung dar, jedoch nicht als den „einen Leib“, sondern als ein priesterliches Haus. Es ist nicht die Versammlung, wie wir sie im Epheser- und Kolosserbrief offenbart sehen, sondern wie wir sie im ersten Brief des Petrus finden, in jener bekannten Stelle: „Auch ihr selbst werdet als lebendige Steine aufgebaut, ein geistliches Haus, zu einer heiligen Priesterschaft, um darzubringen geistliche Schlachtopfer, Gott wohlangenehm durch Jesus Christus“ (1. Pet 2,5). So lesen wir auch im Hebräerbrief: „Christus aber als Sohn über sein Haus, dessen Haus wir sind, wenn wir nämlich die Freimütigkeit und den Ruhm der Hoffnung bis zum Ende standhaft festhalten“ (Heb 3,6). Wir müssen uns stets daran erinnern, dass im Alten Testament keine Offenbarung des Geheimnisses der Versammlung zu finden ist. Wohl gibt es hier Bilder und Schatten, aber keine Offenbarung. Das wunderbare Geheimnis, dass Jude und Heide einen Leib, „einen neuen Menschen“ bilden und mit dem verherrlichten Christus im Himmel vereinigt werden sollten, konnte natürlich nicht eher offenbart werden, als bis Christus droben seinen Platz eingenommen hatte. Paulus wurde ganz besonders zu einem Verwalter und Diener dieses Geheimnisses gemacht, wie er uns in Epheser 3,1–12 mitteilt – einer Schriftstelle, die ich dem Leser dringend empfehlen möchte.

Zwei Böcke – das Los für den HERRN

In den beiden Böcken (V. 7–10) sehen wir die zwei bereits erwähnten Seiten der Versöhnung. Das „Los für den HERRN“ fiel auf den einen und das „Los für Asasel“ auf den anderen Bock. Im ersten Fall handelte es sich nicht um Personen, die Vergebung empfangen, oder um Sünden, die vergeben werden sollten, auch nicht um die Gnadenratschlüsse Gottes mit seinen Auserwählten. Dass diese Dinge von größtem Wert sind, braucht kaum gesagt zu werden, aber sie stehen in keiner Beziehung zu dem „Bock, auf den das Los für den HERRN gefallen ist“. In diesem Bock sehen wir den Tod Christi als das, worin Gott, hinsichtlich der Sünde im Allgemeinen, vollkommen verherrlicht worden ist. Der Ausdruck „das Los für den HERRN“ stellt uns diese wichtige Wahrheit vor Augen. Gott hat ein ganz besonderes Teil in dem Tod Christi, ein Teil, das selbst dann ewig in seinem Wert bestehen bleiben würde, wenn nie ein Sünder errettet worden wäre. Um dies in seiner vollen Bedeutung zu verstehen, müssen wir uns daran erinnern, wie sehr Gott in dieser Welt verunehrt worden ist. Seine Wahrheit ist geschmäht, seine Autorität verachtet, seine Majestät geschändet und sein Gesetz gebrochen worden. Seine gerechten Forderungen hat man verächtlich behandelt, seinen Namen gelästert, seine Würde in den Staub getreten.

Nun, der Tod Christi hat hier Abhilfe geschaffen. Gott ist durch ihn gerade an der Stätte, wo jene Dinge geschehen sind, vollkommen verherrlicht worden. Der Tod Christi hat der Majestät, der Wahrheit, der Heiligkeit und Würde Gottes zu ihrem Recht verholfen, hat allen Forderungen seines Thrones in göttlicher Weise entsprochen, hat die Sünde gesühnt und ein göttliches Heilmittel für all das Elend geschaffen, das durch die Sünde in die Welt gekommen ist. Der Tod Christi hat eine Grundlage gelegt, auf der Gott allen Menschen gegenüber in Gnade, Barmherzigkeit und Langmut handeln kann. Er verbürgt die ewige Verbannung und Verdammnis des Fürsten dieser Welt und bildet die unvergängliche Grundlage der moralischen Regierung Gottes. Kraft dieses Kreuzes kann Gott nach seiner eigenen Unumschränktheit handeln. Er kann die Herrlichkeit seines Wesens und die Eigenschaften seiner Natur entfalten. Er hätte in Ausübung seiner Gerechtigkeit das ganze Menschengeschlecht, samt dem Teufel und seinen Engeln, dem Feuersee überliefern können; aber was wäre dann aus seiner Liebe und Gnade, seiner Langmut und Barmherzigkeit, seiner Geduld und seiner vollkommenen Güte geworden?

Und andererseits, was wäre aus der Gerechtigkeit, Wahrheit, Majestät und Heiligkeit, aus den Regierungsrechten, ja aus der ganzen Herrlichkeit Gottes geworden, wenn die eben genannten Eigenschaften nicht in Verbindung mit der Versöhnung in Tätigkeit getreten wären? Wie hätten sich „Güte und Wahrheit begegnen“ oder „Gerechtigkeit und Frieden sich küssen“ können? Wie könnte „Wahrheit sprossen aus der Erde“ oder „Gerechtigkeit herniederschauen vom Himmel“ (Ps 85,11.12)? Unmöglich. Nichts als das Versöhnungswerk unseres Herrn Jesus Christus vermochte Gott völlig zu verherrlichen. Dieses Werk hat die Herrlichkeit Gottes so völlig hervorstrahlen lassen, wie sie niemals in dem höchsten Glanz einer nicht gefallenen Schöpfung ans Licht hätte treten können. Aufgrund dieses Versöhnungswerkes, sei es im Vorausblick oder im Rückblick, hat Gott nun schon beinahe sechstausend Jahre diese Welt in Langmut getragen. Kraft dieser Versöhnung „leben und weben und sind“ (Apg 17,28) die gottlosesten, trotzigsten und lasterhaftesten Menschen. Selbst den Bissen, den der öffentlich lästernde Ungläubige in den Mund steckt, verdankt er der Versöhnung, die er nicht kennt und die er verspottet. Die Sonnenstrahlen und die Regenschauer, welche die Felder des Gottesleugners fruchtbar machen, sind ihm kraft des Versöhnungswerkes Christi dienstbar. Ja selbst den Atem, den die Ungläubigen und Gottesleugner schöpfen, um die Offenbarung Gottes zu lästern oder sein Dasein zu leugnen, verdanken sie dem Versöhnungswerk Christi.

Um nicht missverstanden zu werden: Ich rede hier nicht von Sündenvergebung oder von persönlicher Errettung. Das ist eine ganz andere Sache. Die steht in Verbindung mit dem Bekenntnis des Namens Jesu und dem aufrichtigen Glauben, dass Gott ihn aus den Toten auferweckt hat (Röm 10). Mit der Seite des Versöhnungswerkes, die wir hier betrachten und die in dem „Bock, auf den das Los für den HERRN gefallen ist“, so deutlich dargestellt wird, hat sie nichts zu tun. Beide Dinge gründen sich auf das Kreuz, aber sie betreffen zwei ganz verschiedene Seiten und Anwendungen des Kreuzes.

Die Folge der Sühnung für die ganze Menschheit

Diese Verschiedenheit ist keineswegs unwichtig. Im Gegenteil, wenn sie übersehen wird, muss bezüglich der Lehre von dem Versöhnungswerk Verwirrung entstehen. Und nicht allein das, auch bezüglich der Regierungswege Gottes, sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart und Zukunft, hilft dieser wichtige Punkt zu einem klaren Verständnis, und schließlich gibt er uns den Schlüssel zu zahlreichen Schriftstellen, deren Verständnis vielen Christen erhebliche Schwierigkeiten bereitet. Ich will zwei oder drei solche Stellen als Beispiele anführen.

„Siehe, das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt wegnimmt!“ (Joh 1,29). Verbinden wir mit dieser Schriftstelle eine ähnliche aus dem zweiten Kapitel des ersten Johannesbriefes, in der der Herr Jesus Christus als die „Sühnung für die ganze Welt“ (V. 2) 1 bezeichnet wird, so finden wir, dass der Herr Jesus in beiden Stellen als der dargestellt wird, der Gott bezüglich der „Sünde“ und der „Welt“ vollkommen verherrlicht hat. Er wird hier als das große Gegenbild des „Bockes, auf den das Los für den HERRN gefallen ist“, gesehen. Dies zeigt uns das Versöhnungswerk Christi von einer herrlichen Seite, die leider nur zu oft übersehen oder doch nicht deutlich erkannt wird. Wenn die Frage der Sündenvergebung oder der Errettung einzelner Personen mit diesen und ähnlichen Schriftstellen in Verbindung gebracht wird, kommen wir bestimmt in unüberwindliche Schwierigkeiten.

Dasselbe gilt bezüglich der Stellen, in denen die Gnade Gottes der ganzen Welt gegenüber dargestellt wird. Sie alle gründen sich auf jene besondere Seite des Versöhnungswerkes, mit der wir uns gerade beschäftigen (vgl. Mk 16,15; Joh 3,16.17; 1. Tim 2,1–6; Tit 2,11; Heb 2,9; 2. Pet 3,9).

Gott ist verherrlicht und kann Barmherzigkeit zeigen

Diese Stellen geben ein klares und unzweideutiges Zeugnis von der göttlichen Gnade gegen alle, ohne irgendwelche Rücksicht auf die Verantwortlichkeit des Menschen oder die ewigen Ratschlüsse Gottes. Das Wort Gottes zeigt klar, dass der Mensch verantwortlich ist und Gott unumschränkt handeln kann. Aber es ist auch wichtig, dass wir sehen, wie weit die Gnade Gottes und das Kreuz Christi reicht. Gott ist darin verherrlicht und dem Menschen jede Entschuldigung genommen worden. Menschen streiten wohl über die Ratschlüsse Gottes sowie über die Unfähigkeit des Menschen, ohne göttlichen Einfluss glauben zu können. Aber ihre Gründe beweisen, dass sie Gott nicht nötig haben; wenn sie erkennen würden, wie sehr sie ihn nötig haben – Er würde sich gerne von ihnen finden lassen. Die Gnade Gottes und das Versöhnungswerk Christi sind so umfassend, wie wir es nur wünschen können. „Ein jeder“, „alle“, „wer da will“, das sind Gottes eigene Worte, und ich möchte gern wissen, wer da ausgeschlossen ist. Wenn Gott dem Menschen eine Heilsbotschaft sendet, so hat Er sie auch für ihn bestimmt, und wie böse ist es, die Gnade Gottes zu verwerfen, ihn „zum Lügner zu machen“ (1. Joh 5,10) und hinterher seine geheimen Ratschlüsse als Entschuldigung für solches Tun vorzuschützen? Es wäre ehrlicher, zu sagen: „Ich glaube dem Wort Gottes nicht, und ich brauche seine Gnade und sein Heil nicht.“ Wenn aber Menschen ihren Hass gegen Gott und seine Wahrheit mit dem Schleier einer falschen, völlig einseitigen Theologie zudecken, so ist das böse. Es lässt uns in Wahrheit fühlen, dass der Teufel nie teuflischer ist, als wenn er mit der Bibel in der Hand zu uns kommt.

Wenn es wahr wäre, dass ein Mensch durch Gottes geheime Ratschlüsse daran gehindert würde, das Evangelium anzunehmen, das Gott ihm verkünden lässt, wie könnte Gott dann gerecht sein und einen solchen Menschen mit „ewigem Verderben“ bestrafen, weil er diesem Evangelium nicht gehorcht hat (2. Thes 1,6–10)? Wird es in dem finsteren Bereich der Verlorenen eine einzige Seele geben, die Gott dafür verantwortlich machen wird, dass sie sich dort befindet? Gewiss nicht. Gott hat in dem Versöhnungswerk Christi eine so reiche Vorsorge getroffen, sowohl zur Errettung derer, die glauben, als auch zur Erweisung seiner Gnade denen gegenüber, die das Evangelium verwerfen, dass es für niemand eine Entschuldigung gibt. Nicht weil der Mensch nicht glauben kann, sondern weil er nicht glauben will, wird er mit „ewigem Verderben“ bestraft werden. Die Gnade Gottes ist für alle da, und wenn wir fragen: Wie ist das möglich?, so lautet die Antwort: „Das Los für den HERRN“ fiel auf das wahre Opfer, damit Gott in weitestem Maß betreffs der Sünde verherrlicht wurde und nun volle Freiheit hat, gegen alle in Gnaden zu handeln und das Evangelium der ganzen Schöpfung predigen zu lassen. Diese Gnade und diese Predigt müssen eine unantastbare Grundlage haben, und diese Grundlage findet sich in dem Versöhnungswerk. Und obschon der Mensch sie verwirft, wird doch Gott in der Ausübung der Gnade wie in dem Anbieten des Heils, kraft der Grundlage, auf der beide ruhen, vollkommen verherrlicht. Er ist verherrlicht worden und wird die endlosen Zeitalter der Ewigkeit hindurch verherrlicht werden (vgl. Joh 12,27–32).

Bis hierher haben wir uns nur mit einer Sache beschäftigt, mit dem „Bock, auf den das Los für den HERRN gefallen ist“, und man könnte denken, dass jetzt der zweite Bock, der uns die andere Seite des Todes Christi oder dessen Anwendung auf die Sünden des Volkes vor Augen stellt, an die Reihe kommen müsse. Aber nein, bevor wir dazu kommen, finden wir die vollständige Bestätigung der soeben behandelten Wahrheit in der Tatsache, dass das Blut des geschlachteten Bockes mit dem Blut des jungen Stieres auf und vor den Thron des HERRN gesprengt wurde, um so zu beweisen, dass allen Ansprüchen dieses Thrones voll Genüge geschehen und für alle Forderungen der moralischen Verwaltung Gottes jede Vorsorge getroffen war.

Das Blut der Sühnung innerhalb des Vorhangs

„Und Aaron bringe den Stier des Sündopfers, der für ihn ist, herzu und tue Sühnung für sich und für sein Haus und schlachte den Stier des Sündopfers, der für ihn ist. Und er nehme eine Pfanne voll Feuerkohlen vom Altar, vor dem HERRN, und seine beiden Hände voll wohlriechenden, kleingestoßenen Räucherwerks und bringe es innerhalb des Vorhangs. Und er lege das Räucherwerk auf das Feuer vor den HERRN, damit die Wolke des Räucherwerks den Deckel bedecke, der auf dem Zeugnis ist, und er nicht sterbe“ (V. 11–13). Das ist eine höchst eindrucksvolle Szene. Das Versöhnungsblut wird innerhalb des Vorhangs, in das Allerheiligste, getragen und dort auf den Thron des Gottes Israels gesprengt. Dort befand sich die Wolke, das sichtbare Zeichen der Gegenwart Gottes, und damit Aaron ohne zu sterben in der Gegenwart der Herrlichkeit erscheinen konnte, stieg „die Wolke des Räucherwerks“ empor und „bedeckte den Deckel“, auf den das Blut der Versöhnung „siebenmal“ gesprengt werden musste. Das „wohlriechende, kleingestoßene Räucherwerk“ bringt die Vortrefflichkeit der Person Christi zum Ausdruck, den duftenden Wohlgeruch seines Schlachtopfers.

„Sieben“ ist die Zahl der Vollkommenheit, und wir sehen in dem siebenmaligen Sprengen des Versöhnungsblutes auf den Deckel (V. 14.15), dass das Versöhnungswerk Christi – in welcher Weise es auch angewandt werden mag, sei es auf Dinge, Plätze oder Personen – in der Gegenwart Gottes stets vollkommen geschätzt wird. Das Blut, das sowohl die Erlösung der Versammlung, des „Hauses“ des wahren Aaron als auch die Erlösung der „Gemeinde Israel“, sowie die schließliche Wiederherstellung und Segnung der ganzen Schöpfung sicherstellt – dieses Blut ist vor Gott gebracht, gesprengt und angenommen worden nach der ganzen Vollkommenheit, Lieblichkeit und Vortrefflichkeit Christi. Kraft dieses Blutes kann Gott alle seine ewigen Gnadenratschlüsse erfüllen. Er kann die Versammlung berufen und sie, trotz aller Macht und Bosheit Satans, zu der höchsten Stufe der Herrlichkeit und Würde erheben. Er kann die zerstreuten Stämme Israels sammeln und wieder vereinigen und die dem Abraham, dem Isaak und dem Jakob gemachten Verheißungen erfüllen. Er kann zahllose Millionen von Heiden erretten und segnen und selbst die ganze Schöpfung wiederherstellen und mit Segnungen überschütten. Er kann den Strahlen seiner Herrlichkeit gestatten, das ganze Weltall für immer zu erleuchten. Er kann, angesichts der Engel, der Menschen und der Teufel, seine ewige Herrlichkeit, die Herrlichkeit seines Charakters, seiner Natur, seiner Werke und seiner Regierungswege entfalten. Alles das kann und wird Er tun, aber die einzige Grundlage, auf der das wunderbare Gebäude der Herrlichkeit für ewig ruhen wird, ist das Blut des Kreuzes, jenes kostbare Blut, das unserem Herzen und Gewissen Frieden, göttlichen, ewigen Frieden gebracht hat. Das Blut, das auf das Gewissen des Gläubigen gesprengt worden ist, ist „siebenmal“ vor den Thron Gottes gesprengt worden. Je näher wir Gott kommen, umso mehr Bedeutung und Wert sehen wir in dem Blut Jesu. Blicken wir auf den ehernen Altar, das eherne Waschbecken, den goldenen Altar, den Vorhang des Zeltes – überall begegnen wir dem Blut, aber nirgends findet es eine so ausgedehnte Anwendung wie innerhalb des Vorhangs vor dem Thron des HERRN, in der unmittelbaren Gegenwart der Herrlichkeit Gottes.

„Und er tue Sühnung für das Heiligtum wegen der Unreinheiten der Kinder Israel und wegen ihrer Übertretungen, nach allen ihren Sünden; und ebenso soll er für das Zelt der Zusammenkunft tun, das bei ihnen weilt, inmitten ihrer Unreinheiten“ (V. 16). Dieser Wahrheit begegnen wir immer wieder. Die Forderungen des Heiligtums mussten befriedigt werden. Sowohl die Vorhöfe des HERRN als auch sein Thron mussten Zeugnis ablegen von dem Wert des Blutes. Das Zelt der Zusammenkunft musste bei all der Unreinheiten Israels durch die göttlichen Vorkehrungen des Versöhnungswerkes nach allen Seiten hin geschützt werden. Im Blick auf alles trug der HERR Sorge für seine Herrlichkeit. Die Priester und ihr priesterlicher Dienst, die Stätte der Anbetung und alles, was darin war, mussten unter der Kraft des Blutes stehen. Der Heilige hätte nicht einen Augenblick in der Mitte der Gemeinde verweilen können, wenn nicht die Kraft des Blutes es ihm möglich gemacht hätte. Nur aufgrund dieses Blutes konnte Er inmitten eines irrenden Volkes wohnen, handeln und regieren.

„Und kein Mensch soll im Zelt der Zusammenkunft sein, wenn er hineingeht, um Sühnung zu tun im Heiligtum, bis er hinausgeht. Und so tue er Sühnung für sich und für sein Haus und für die ganze Versammlung Israels“ (V. 17). Aaron musste sowohl für seine eigenen als auch für die Sünden des Volkes Opfer darbringen. Nur in der Kraft des Blutes konnte er das Heiligtum betreten. Wir haben hier ein Vorbild auf das Versöhnungswerk Christi in seiner Anwendung sowohl auf die Versammlung als auch auf die Gemeinde Israel. Die Versammlung darf jetzt durch das Blut Jesu in das Allerheiligste eintreten (Heb 10). Was die Kinder Israel betrifft, so liegt noch die Decke auf ihren Herzen (2. Kor 3). Sie stehen noch von fern; wenn sie zum Herrn umkehren – im Kreuz ist für ihre Wiederherstellung und die Vergebung ihrer Sünden Vorsorge getroffen worden. Eigentlich bildet die ganze gegenwärtige Zeit den Versöhnungstag. Der wahre Aaron ist mit seinem eigenen Blut in den Himmel eingegangen, um jetzt für uns vor dem Angesicht Gottes zu erscheinen. Bald wird Er wiederkommen, um die Gemeinde Israels in die vollen Ergebnisse seines vollbrachten Werkes einzuführen. Inzwischen sind alle wahren Gläubigen mit ihm vereinigt und haben Freimütigkeit zum Eintritt in das Heiligtum.

Sowohl der Thron Gottes innerhalb des Vorhangs als auch der goldene Altar, der im Zelt der Zusammenkunft stand, wurden mit dem Versöhnungsblut besprengt (V. 18.19; vgl. auch Heb 9,23–28).

Der Weg zum Heiligtum ist frei

Es gibt nur einen Weg in das Allerheiligste, und dieser Weg ist mit Blut besprengt. Jede Anstrengung, auf einem anderen Weg hineinzukommen, ist nutzlos. Menschen mögen versuchen, sich in den Himmel hineinzubeten oder hineinzukaufen. Sie mögen sich bemühen, durch Stiftungen und Zeremonien oder halb durch Zeremonien und halb durch Christus hineinzukommen – das alles aber ist vergeblich. Gott spricht nur von einem Weg, und dieser Weg führt durch den zerrissenen Vorhang des Fleisches des Erlösers. Millionen von Erlösten haben im Lauf der Jahrhunderte diesen Weg betreten. Erzväter, Propheten, Apostel, Märtyrer, die Heiligen aller Jahrhunderte von Abel bis in unsere Tage, sind auf diesem Weg gegangen und haben einen sicheren und unangefochtenen Zugang gefunden. Das eine Opfer des Kreuzes ist für alle genügend. Gott fordert nicht mehr, aber Er kann auch nicht weniger annehmen. Etwas hinzufügen zu wollen, ist eine Verunehrung dessen, womit Gott sich zufrieden erklärt hat, ja wodurch Er unendlich verherrlicht worden ist. Etwas davon wegnehmen zu wollen, ist eine Leugnung der Schuld des Menschen und eine Beleidigung der Gerechtigkeit und Majestät Gottes.

Asasel oder der Bock, der weggeschickt wird

„Und hat er die Sühnung des Heiligtums und des Zeltes der Zusammenkunft und des Altars vollendet, so soll er den lebenden Bock herzubringen. Und Aaron lege seine beiden Hände auf den Kopf des lebenden Bockes und bekenne auf ihn alle Ungerechtigkeiten der Kinder Israel und alle ihre Übertretungen nach allen ihren Sünden; und er lege sie auf den Kopf des Bockes und schicke ihn durch einen bereitstehenden Mann fort in die Wüste, damit der Bock alle ihre Ungerechtigkeiten auf sich trage in ein ödes Land; und er schicke den Bock fort in die Wüste“ (V. 20–22).

Hier haben wir die andere Seite des Todes Christi: die völlige und endgültige Vergebung der Sünden des Volkes. Wie der Tod Christi die Grundlage der Verherrlichung Gottes bildet, so bildet er auch die Grundlage einer vollkommenen Sündenvergebung für alle, die ihr Vertrauen auf ihn setzen. Dies ist eine untergeordnete, eine etwas weniger bedeutsame Anwendung der Versöhnung, wie gern auch unsere törichten Herzen die erhabenste Seite des Kreuzes darin erblicken möchten, dass es alle unsere Sünden wegnimmt. Das ist jedoch ein Irrtum. Die Verherrlichung Gottes steht an erster Stelle, unsere Erlösung an zweiter Stelle. Dieses Ziel, die Verherrlichung Gottes, verfolgte Christus von Anfang bis zu Ende mit unerschütterlicher Standhaftigkeit und unwandelbarer Treue (vgl. Joh 10,17; 13,31.32; Jes 49,1–3).

Die Verherrlichung Gottes war der höchste Zweck des Herrn Jesus Christus im Leben und im Sterben. Er lebte und Er starb, um den Namen seines Vaters zu verherrlichen. Büßt die Versammlung dadurch etwas ein? Nein. Ist es ein Verlust für Israel oder für die Heiden? Keineswegs. In keiner Weise konnte für ihre Errettung und Glückseligkeit so vollkommen gesorgt werden als dadurch, dass sie zur Verherrlichung Gottes beitragen durften. Hören wir die göttliche Antwort, die Christus, dem wahren Israel, in der aus Jesaja angeführten, herrlichen Schriftstelle gegeben wird. „Es ist zu gering, dass du mein Knecht seist, um die Stämme Jakobs aufzurichten und die Bewahrten von Israel zurückzubringen. Ich habe dich auch zum Licht der Nationen gesetzt, um meine Rettung zu sein bis an das Ende der Erde“ (Jes 49,6).

Ist es nicht eine herrliche Sache, zu wissen, dass Gott durch die Tilgung unserer Sünden verherrlicht worden ist? Wenn wir fragen: Wo sind unsere Sünden?, so lautet die Antwort: Sie sind weggetan. Wodurch? Durch das Sühnungswerk Christi auf dem Kreuz, durch das Gott auf ewig verherrlicht worden ist. Die beiden Böcke am großen Versöhnungstag lassen uns dieses eine Werk von einem doppelten Gesichtspunkt aus erblicken. Einerseits sehen wir die Aufrechterhaltung der Herrlichkeit Gottes und andererseits das Wegtun unserer Sünden. Die eine Seite ist so vollkommen wie die andere. Wir haben durch den Tod Christi ebenso vollkommen Vergebung gefunden, wie Gott vollkommen durch ihn verherrlicht worden ist. Gibt es einen einzigen Punkt, in dem Gott nicht durch das Kreuz verherrlicht worden wäre? Ganz sicher nicht. Ebenso wenig gibt es einen einzigen Punkt, in dem wir nicht vollkommene Vergebung gefunden hätten. Ich sage „wir“, denn obwohl in der schönen, eindrucksvollen Verordnung über den zweiten Bock das Volk Israel den ersten Platz einnimmt, so ist es doch für jede Seele, die an den Herrn Jesus Christus glaubt, wahr, dass sie durch die am Kreuz vollbrachte Versöhnung eine ebenso vollkommene Vergebung empfangen hat, wie Gott vollkommen dadurch verherrlicht worden ist. Wie viele Ungerechtigkeiten von Israel trug der Bock hinweg? Alle. Wunderbares Wort! Nicht eine von ihnen blieb zurück. Und wohin trug er sie? „In ein ödes Land“, ein Land, wo sie nie wieder gefunden werden konnten, weil niemand da war, um nach ihnen zu suchen. Könnte wohl ein Bild vollkommener sein? Könnte es ein deutlicheres Gemälde geben von dem vollbrachten Opfer Christi in seiner doppelten Anwendung? Gewiss nicht. Wir können nur voll Bewunderung ein solches Bild betrachten und staunend die Hand des Meisters darin erkennen.

Der prophetische Aspekt für Israel

Bevor ich diesen Abschnitt schließe, möchte ich nur noch auf einen Punkt hinweisen. Wir lesen in den Versen 29–31: „Und dies soll euch zur ewigen Satzung sein: Im siebten Monat, am Zehnten des Monats, sollt ihr eure Seelen kasteien und keinerlei Arbeit tun, der Einheimische und der Fremde, der in eurer Mitte weilt; denn an diesem Tag wird man Sühnung für euch tun, um euch zu reinigen: Von allen euren Sünden werdet ihr rein sein vor dem HERRN. Ein Sabbat der Ruhe soll er euch sein, und ihr sollt eure Seelen kasteien, eine ewige Satzung.“ Dies wird einst in dem erlösten Überrest Israels seine Erfüllung finden, wie der Prophet Sacharja es im Voraus ankündigt: „Und ich werde über das Haus Davids und über die Bewohner von Jerusalem den Geist der Gnade und des Flehens ausgießen; und sie werden auf mich blicken, den sie durchbohrt haben, und werden über ihn wehklagen … An jenem Tag wird eine Quelle geöffnet sein für das Haus David und den Bewohnern von Jerusalem für Sünde und für Unreinheit … Und es wird ein Tag sein, einzig in seiner Art (er ist dem HERRN bekannt), nicht Tag und nicht Nacht; und es wird geschehen zur Zeit des Abends, da wird es Licht sein. Und es wird geschehen an jenem Tag, da werden lebendige Wasser aus Jerusalem fließen … Und der HERR wird König sein über die ganze Erde; an jenem Tag wird der HERR einer sein und sein Name einer. … An jenem Tag wird auf den Schellen der Pferde stehen: Heilig dem HERRN“ (Sach 12,10; 13,1; 14,7–9.20).

Welch ein Tag wird das sein! Ein herrlicher und glückseliger „Sabbat der Ruhe“ wird es sein, wenn der wehklagende Überrest sich im Geist wahrer Buße um die geöffnete Quelle versammeln und die vollen und endgültigen Ergebnisse des großen Versöhnungstages genießen wird. Ohne Zweifel werden sie dann ihre „Seelen kasteien“, denn wie könnte es anders sein, wenn ihr Blick voll Reue auf „ihn“ gerichtet ist, „den sie durchbohrt haben“? Aber welch einen Sabbat werden sie genießen! Nach langer, schrecklicher Trauernacht wird Jerusalem den Kelch des Heils, bis zum Rand gefüllt, trinken dürfen. Die einstigen Verwüstungen der Stadt werden vergessen sein, und ihre Kinder werden nach ihrer Heimkehr in ihre so lange verlorenen Wohnungen ihre Harfen von den Weiden nehmen und aufs Neue die lieblichen Psalmen Zions unter dem friedlichen Schatten des Weinstocks und des Feigenbaums erklingen lassen (vgl. Ps 137; Mich 4,4).

Gott sei Dank! Die Zeit ist nahe. Jeder Sonnenuntergang führt uns diesem reich gesegneten Tag näher. Der Ruf ist ertönt: „Ja, ich komme bald!“ (Off 22,20), und alles um uns her scheint uns laut anzukündigen, dass „die Nacht weit vorgerückt und der Tag nahe ist“ (Röm 13,12). Lasst uns daher wachsam und nüchtern sein zum Gebet! Erhalten wir uns unbefleckt von der Welt! Lasst uns in unserem Innern, in den Neigungen unserer Herzen und in der Erfahrung unserer Seelen bereit sein, dem himmlischen Bräutigam zu begegnen! Unser gegenwärtiger Platz ist außerhalb des Lagers. Gott sei Dank, dass es so ist! Innerhalb zu sein, wäre ein unberechenbarer Verlust für uns. Dasselbe Kreuz, das uns einen Platz innerhalb des Vorhangs geschenkt hat, hat uns aus dem Lager herausgeführt. Dorthin ist Christus verstoßen worden und wir mit ihm. Aber Er ist auch aufgenommen in den Himmel und wir sind mit ihm dort. Ist es nicht eine Gnade, außerhalb alles dessen zu stehen, was unseren Herrn und Meister verworfen hat? Je mehr wir Christus und andererseits den gegenwärtigen bösen Zeitlauf kennenlernen, umso dankbarer werden wir sein, dass wir mit ihm unseren Platz außerhalb des Lagers haben.

Fußnoten

  • 1 Die in manchen Übersetzungen sich findenden Worte „Sünden der“ („für die Sünden der ganzen Welt“) sind nicht inspiriert. Durch diese Einschiebung geht die g öttliche Genauigkeit dieser Stelle gänzlich verloren. Die hier darg estellte Lehre ist einfach diese. Im ersten Teil des Verses wird Christus als die Sühnung für die Sünden seines Volkes betrachtet; im letzten Teil ist aber weder von Sünden noch von Personen die Rede, sondern von der Sünde und der Welt im Allgemeinen. Tatsächlich wird Christus in dem ganzen Vers als das Gegenbild der beiden Böcke dargestellt, zunächst als der, der die Sünden seines Volkes trug, und dann als der, der Gott hinsichtlich der Sünde im Allgemeinen vollkommen verherrlicht und der für ein gnädiges Handeln mit der ganzen Welt sowie für die schließliche Befreiung und Segnung der ganzen Schöpfung die Grundlage gelegt hat.
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