Betrachtungen über das zweite Buch Mose

Die Stiftshütte: Zeltdecken, Vorhänge und Materialien

Betrachtungen über das zweite Buch Mose

Die erste Decke

Es folgt nun ein lehrreicher Abschnitt, der eine Beschreibung der Teppiche und Decken der Stiftshütte enthält und uns in diesen Bildern verschiedene Züge des Charakters Christi erkennen lässt. „Und die Wohnung sollst du aus zehn Teppichen machen; aus gezwirntem Byssus und blauem und rotem Purpur und Karmesin, mit Cherubim in Kunstweberarbeit sollst du sie machen“ (V. 1). Hier haben wir den Menschen Christus Jesus, von verschiedenen Seiten aus betrachtet. Der gezwirnte Byssus stellt die fleckenlose Reinheit seines Wandels und Charakters dar, während der blaue und rote Purpur und das Karmesin ihn uns als den Herrn vom Himmel zeigen. Dieser Herr sollte nach dem Ratschluss Gottes zwar herrschen, aber sein Königtum sollte das Ergebnis seiner Leiden sein. Wir sehen hier also einen fleckenlosen, himmlischen, königlichen und leidenden Menschen. Die hier genannten Stoffe sollten nicht nur für die Teppiche der Wohnung verwendet werden, sondern auch für den Vorhang (V. 31), für den Vorhang am Eingang des Zeltes (V. 36), für den Vorhang am Tor des Vorhofs (Kap. 27,16) und für die Dienstkleider und die heiligen Kleider Aarons (Kap. 39,1). In allem war Christus und Christus allein1.

Der gezwirnte Byssus

Der gezwirnte Byssus, als Bild der reinen und fleckenlosen Menschheit Christi, gibt uns Anlass zu einigen wichtigen Gedanken. Die Tatsache der wahren Menschheit Christi muss mit aller Konsequenz und geistlicher Kraft anerkannt, verteidigt und bekannt werden. Irren wir in diesem Punkt, so irren wir in allem. Sie ist eine Fundamentalwahrheit, und wenn sie nicht in der Weise aufgenommen, bewahrt und bekannt wird, wie Gott sie in seinem heiligen Wort offenbart hat, dann wird das ganze darauf ruhende Gebäude baufällig.

Als der Engel der Jungfrau Maria die frohe Botschaft von der Geburt des Heilandes verkündete, fragte sie: „Wie kann das sein,da ich ja keinen Mann kenne?“ (Lk 1,34). Ihr schwaches Verständnis war unfähig, das wunderbare Geheimnis „Gott offenbart im Fleisch“ (1. Tim 3,16) zu fassen, geschweige denn zu ergründen. Beachten wir die Antwort des Engels an Maria, die zwar unwissend war, aber nicht zweifelte. „Der Heilige Geist wird auf dich kommen, und Kraft des Höchsten wird dich überschatten; darum wird auch das Heilige, das geboren werden wird, Sohn Gottes genannt werden“ (V. 35). Maria dachte ohne Zweifel, dass diese Geburt nach den gewöhnlichen Grundsätzen der Natur geschehen sollte. Der Engel aber berichtigt ihren Irrtum, und indem er das tut, offenbart er eine der größten Wahrheiten. Er erklärte ihr, dass Gott im Begriff war, einen wirklichen Menschen, den zweiten Menschen, den Herrn vom Himmel (1. Kor 15,47), zu bilden – einen Menschen, der von Natur göttlich rein und unfähig war, sich selbst oder andere zu verunreinigen. Dieses heilige Wesen wurde gebildet „in Gleichgestalt des Fleisches der Sünde“ (Röm 8,3), aber ohne Sünde im Fleisch. Er nahm wirklich Fleisch und Blut an, jedoch ohne irgendwie mit dem Bösen in Verbindung zu kommen, das der ganzen Schöpfung anhaftete.

Dies ist, wie schon gesagt, eine Wahrheit, die wir unbedingt genau verstehen und festhalten müssen. Die Fleischwerdung des Sohnes, der zweiten Person in der ewigen Dreieinheit, sein geheimnisvoller Eintritt in ein reines und fleckenloses Fleisch, gebildet in einer Jungfrau durch die Kraft des Allerhöchsten – das ist die Grundlage des großen Geheimnisses der Gottseligkeit (1. Tim 3,16), dessen Vollendung der verherrlichte Mensch im Himmel ist, das Haupt, der Vertreter und das Vorbild der erlösten Versammlung Gottes. Die Reinheit des Menschen Jesus entsprach vollkommen den Forderungen Gottes und ebenso den Bedürfnissen des Menschen. Er war ein Mensch; denn nur ein Mensch vermochte dem Verderben des Menschen zu begegnen, aber Er war ein Mensch, der allen Forderungen der Herrlichkeit Gottes genügen konnte. Er war ein wahrhaftiger Mensch, aber rein und fleckenlos, ein Mensch, in dem Gott seine vollkommene Wonne finden und auf den sich der Mensch vorbehaltlos stützen konnte.

Es wird kaum nötig sein, daran zu erinnern, dass alles dieses nutzlos für uns wäre, sobald man es von dem Tod und der Auferstehung trennen wollte. Wir brauchen nicht nur einen Mensch gewordenen, sondern auch einen gekreuzigten und auferstandenen Christus. Allerdings musste Er ein Mensch sein, um gekreuzigt werden zu können, aber nur sein Tod und seine Auferstehung machen seine Fleischwerdung wirksam für uns. Die Annahme, dass Christus schon durch seine Fleischwerdung den sündigen Menschen mit sich vereinigt habe, ist nichts als eine schreckliche Irrlehre. Das war unmöglich. Er selbst lehrt gerade das Gegenteil: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es viel Frucht“ (Joh 12,24). Es konnte keine Vereinigung geben zwischen sündigen, dem Tod verfallenen Menschen und dem sündlosen Menschen Jesus, über den der Tod keine Macht besaß, so dass Er sein Leben lassen und es wiedernehmen konnte (vgl. Joh 10,18; 14,30). Der Tod, den Er freiwillig erduldete, ist die einzige Grundlage der Einheit zwischen Christus und seinen erwählten Gliedern. Wir sind „mit ihm einsgemacht worden in der Gleichheit seines Todes“. Unser alter Mensch ist mitgekreuzigt worden, „damit der Leib der Sünde abgetan sei“ (Röm 6,5.6). „In dem ihr auch beschnitten worden seid mit einer nicht mit Händen geschehenen Beschneidung, in dem Ausziehen des Leibes des Fleisches, in der Beschneidung des Christus, mit ihm begraben in der Taufe, in dem ihr auch mitauferweckt worden seid durch den Glauben an die wirksame Kraft Gottes, der ihn aus den Toten auferweckt hat“ (Kol 2,11.12). In den beiden hier angeführten Kapiteln finden wir eine ausführliche Darstellung der Wahrheit zu diesem wichtigen Thema. Nur als gestorben und auferstanden konnten Christus und die Seinen „eins“ werden (vgl. auch Eph 1,20–2,8). Das wahre Weizenkorn musste in die Erde fallen und sterben, bevor es Frucht für den Himmel hervorbringen konnte.

So klar wie diese Wahrheit in der Heiligen Schrift ans Licht gestellt ist, ebenso klar ist es auch, dass die Grundlage für das Erlösungswerk die Tatsache ist, dass der Sohn Gottes als sündloser Mensch auf die Erde kam; und die Teppiche von gezwirntem Byssus stellten die Reinheit dieses Menschen Christus Jesus bildlich dar. Wir haben gesehen, wie Er empfangen und geboren wurde (Lk 1,26–38), und wenn wir den ganzen Lauf seines Lebens verfolgen, begegnen wir immer und überall in ihm dieselbe fleckenlose Reinheit. Er wurde vierzig Tage lang in der Wüste vom Teufel versucht, aber in seiner reinen Natur gab es nichts, was den listigen Vorschlägen des Versuchers entsprochen hätte. Er konnte einen Aussätzigen oder die Bahre eines Toten anrühren, ohne selbst verunreinigt oder mit dem Geruch des Todes behaftet zu werden. Er lebte in einer Welt tiefsten Verderbens und blieb doch ohne Sünde (Heb 4,15) – ebenso wie ein Sonnenstrahl, der aus der Quelle des Lichts hervorkommt und durch das schmutzigste Fenster dringen kann, ohne selbst verunreinigt zu werden. Er war ganz und gar einzigartig in Bezug auf seine Natur und seinen Charakter. Keiner außer ihm hat je sagen können: „Du wirst nicht zugeben, dass dein Frommer die Verwesung sehe“ (Ps 16,10). Diese Aussage bezieht sich auf sein Leben als Mensch, das so vollkommen heilig und rein war, dass Er aufgrund dessen fähig war, die Sünde anderer zu tragen, „der selbst unsere Sünden an seinem Leib auf dem Holz getragen hat“ (1. Pet 2,24). Am Kreuz war Christus der Träger unserer Sünden, und nur dort. „Den, der Sünde nicht kannte, hat er für uns zur Sünde gemacht, damit wir Gottes Gerechtigkeit würden in ihm“ (2. Kor 5,21).

Blauer Purpur, roter Purpur und Karmesin

Blau ist die Farbe des Himmels. Der „blaue Purpur“ deutet daher an, dass Christus, obwohl Er wirklich Mensch war und, die Sünde ausgenommen, alle Bedingungen des menschlichen Lebens kannte, dennoch stets der Herr vom Himmel blieb (1. Kor 15,47). Obwohl Er ein wahrer Mensch war, lebte Er doch in dem ununterbrochenen Bewusstsein seiner Würde als ein Fremder vom Himmel. Nicht einen Augenblick vergaß Er, woher Er gekommen war, wo Er sich befand und wohin Er ging. Die Quelle seiner Freude war im Himmel. Die Erde konnte ihn weder reicher noch ärmer machen. Sie war für ihn ein dürres Land ohne Wasser, und deshalb konnte seine Seele nur im Himmel Erquickung finden. „Niemand ist hinaufgestiegen in den Himmel als nur der, der aus dem Himmel herabgestiegen ist, der Sohn des Menschen, der im Himmel ist“ (Joh 3,13).

Der „rote Purpur“ ist das Zeichen der Königswürde und zeigt uns ihn als den König der Juden. Als solcher hat Er sich dem jüdischen Volk dargestellt, und als solcher wurde Er verworfen (Joh 19,3); auch vor Pilatus nannte Er sich selbst einen König, als man äußerlich nicht eine Spur königlicher Würde an ihm zu entdecken vermochte. „Du sagst es, dass ich ein König bin“ (Joh 18,37). „Und ihr werdet den Sohn des Menschen zur Rechten der Macht sitzen und mit den Wolken des Himmels kommen sehen“ (Mk 14,62; vgl. Dan 7,13). Die Überschrift auf dem Kreuz endlich in hebräischen, griechischen und römischen Buchstaben, d. h. in der Sprache der Religion, der Wissenschaft und der Regierung, verkündigte der ganzen Welt, dass „Jesus, der Nazaräer, der König der Juden“ sei. Die Erde leugnete zu ihrem Unglück seine Rechte, aber nicht der Himmel. Hier wurden die Rechte Christi völlig anerkannt. Hier, in den ewigen Wohnungen des Lichts, wurde Er als Sieger empfangen, und, gekrönt mit Herrlichkeit und Ehre, hat Er sich unter dem Jubel himmlischer Heerscharen auf den Thron der Majestät in der Höhe gesetzt, fortan wartend, bis seine Feinde als Schemel für seine Füße hingelegt sind (vgl. Ps 2; 110,1).

„Karmesin“ oder „Scharlach“, die Farbe des Blutes, weist auf Christus hin, der „für uns im Fleisch gelitten hat“ (1. Pet 4,1). Ohne den Tod wäre alles nutzlos gewesen. Wir mögen den „blauen und roten Purpur“ mit Bewunderung betrachten, aber ohne den „Scharlach“ hätte in der Stiftshütte einer der wichtigsten Aspekte gefehlt. Nur durch den Tod zerstörte Christus den, der die Macht des Todes hatte. Niemals hätte der Heilige Geist uns mit der Stiftshütte ein so treffendes Bild von Christus vor Augen stellen und dabei einen so wichtigen Gedanken übergehen können; denn der Tod Christi ist die Voraussetzung für seine Vereinigung mit seinem Leib, der Versammlung, und die Grundlage seines Anspruchs auf den Thron Davids und auf seine Herrschaft über die ganze Schöpfung. So zeigt uns der Heilige Geist symbolisch in den Teppichen der Stiftshütte den Herrn Jesus nicht nur als den sündlosen und königlichen Menschen, sondern auch als den Leidenden, der durch den Tod seine Ansprüche auf alles das geltend machte, wozu Er nach den Ratschlüssen Gottes als Mensch berechtigt war.

Die Teppiche der Stiftshütte sind aber nicht nur der Ausdruck der Vollkommenheit der Wesenszüge Christi, sondern sie stellen auch die Einheit und Beständigkeit dieser Wesenszüge dar. Jeder Zug wird in seiner eigenen Vollkommenheit entfaltet; keiner wird durch den anderen beeinträchtigt. Alles war in vollkommenem Einklang vor den Augen Gottes und wurde so dargestellt in dem Muster, das Mose auf dem Berg gezeigt wurde (Kap. 25,40; Heb 8,5; Apg 7,44), sowie in der Nachbildung dieses Musters in der Wüste. „... ein Maß für alle Teppiche. Fünf Teppiche sollen zusammengefügt werden, einer an den anderen, und wieder fünf Teppiche zusammengefügt, einer an den anderen“ (V. 2.3). Wir erkennen hierin das richtige Verhältnis und die Übereinstimmung in allen Wegen Christi. In welchen Umständen oder in welchem Verhältnis wir ihn auch betrachten, Er wandelte stets als ein vollkommener Mensch auf dieser Erde. Wenn in seinem Handeln irgendeiner dieser Wesenszüge zum Ausdruck kam, geschah es niemals auf Kosten der göttlichen Vollkommenheit des anderen. Er war zu jeder Zeit, an jedem Ort und in allen Umständen der vollkommene Mensch. In allen seinen Wegen gab es nichts, was dieser vollkommenen Ausgewogenheit nicht entsprochen hätte. Es gab nur „... ein Maß für alle Teppiche“.

Die Zusammenfügung von zweimal je fünf Teppichen versinnbildlicht vielleicht die beiden Seiten des Charakters Christi, nämlich sein Handeln Gott und den Menschen gegenüber. Wir finden dieselben beiden Seiten im Gesetz: das, was sich Gott gegenüber geziemt, und das, was man den Menschen schuldig ist. In Christus ist alles vollkommen. Blicken wir in sein Inneres, so entdecken wir: „Dein Gesetz ist im Innern meines Herzens“ (Ps 40,9); betrachten wir seinen äußeren Charakter und Wandel, finden wir beide Elemente vollkommen und untrennbar miteinander verbunden durch die in ihm wohnende himmlische Gnade und göttliche Kraft.

„Und mache Schleifen aus blauem Purpur an den Saum des einen Teppichs am Ende, bei der Zusammenfügung; und so sollst du es machen an dem Saum des äußersten Teppichs bei der anderen Zusammenfügung … Und mache fünfzig Klammern aus Gold, und füge die Teppiche mit den Klammern zusammen, einen an den anderen, so dass die Wohnung ein Ganzes wird“ (V. 4–6). In den „Schleifen aus blauem Purpur“ und „Klammern aus Gold“ finden wir eine Darstellung der himmlischen Gnade und göttlichen Kraft in Christus, die ihn befähigten, die Forderungen Gottes und des Menschen zu verbinden und in Einklang zu bringen; beiden entsprach Er völlig, ohne dass für einen Augenblick die Einheit seines Charakters beeinträchtigt wurde. Wenn listige und heuchlerische Menschen ihn durch die Frage versuchten „Ist es erlaubt, dem Kaiser Steuer zu geben, oder nicht?“, so lautete seine weise Antwort: „Gebt denn dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist“ (Mt 22,17.21). Und so entsprach Er nicht nur allen Pflichten gegenüber dem Kaiser, sondern auch gegenüber den Menschen in jeder Hinsicht. So wie Er in seiner vollkommenen Person die Natur Gottes und des Menschen vereinigte, so begegnete Er auch in seinen vollkommenen Wegen den Anforderungen Gottes und des Menschen.

Teppiche aus Ziegenhaar

Die Teppiche, mit denen wir uns bisher beschäftigten, wurden von anderen „Teppichen aus Ziegenhaar“ überdeckt (V. 7–14). Die Schönheit der inneren Teppiche wurde durch die Rauheit und Strenge der äußeren verborgen. Im Innern sah man die Decke aus Ziegenhaar nicht. Alle, die das Vorrecht hatten, in das Innere des Heiligtums einzutreten, erblickten nur den blauen und roten Purpur, das Karmesin und den gezwirnten Byssus, diese verschiedenen und dennoch vereinigten Bilder der Herrlichkeiten jener göttlichen Hütte, in der Gott innerhalb des Vorhangs wohnte, d. h. der Person Christi, durch dessen Fleisch hindurch seine göttliche Natur in so angenehmer Weise sichtbar wurde, dass der Sünder sie anschauen konnte, ohne durch ihren Glanz geblendet zu werden.

Als der Herr Jesus diese Welt durchschritt – wie wenige erkannten ihn da wirklich! Wie wenige hatten erleuchtete Augen, um das tiefe Geheimnis seines Charakters durchdringen und schätzen zu können! Wie wenige erblickten den blauen und roten Purpur, das Karmesin und den gezwirnten Byssus! Nur wenn der Glaube einen Menschen in seine Gegenwart brachte, ließ Er seine Herrlichkeit hervorstrahlen. Dem natürlichen Auge erschien Er von einer Zurückhaltung und Strenge zu sein, die in den „Teppichen aus Ziegenhaar“ treffend vorgebildet wurden. Dieser Eindruck war die Folge seiner gänzlichen Absonderung und Zurückhaltung, nicht etwa von den Sündern persönlich, sondern von den Gedanken und Grundsätzen der Menschen. Er hatte mit dem Menschen als solchem nichts gemein. Auch war der Mensch von Natur aus gar nicht in der Lage, ihn zu verstehen oder sich seiner zu erfreuen.

„Niemand“, sagte Er, „kann zu mir kommen, wenn der Vater, der mich gesandt hat, ihn nicht zieht“ (Joh 6,44). Und wenn einer von denen, die gezogen wurden, seinen Namen bekannte, so erklärte Er: „Fleisch und Blut haben es dir nicht offenbart, sondern mein Vater, der in den Himmeln ist“ (Mt 16,17). Er war wie ein „Wurzelspross aus dürrem Erdreich“, der „keine Gestalt und keine Pracht“ hatte (Jes 53,2), um das Auge des Menschen auf sich zu ziehen oder sein Herz zu befriedigen. Die Volksgunst war nicht auf seiner Seite, während Er diese eitle Welt durchschritt, in eine „Decke aus Ziegenhaar“ gehüllt. Jesus war kein volkstümlicher Mann. Die Menge mochte ihm für einen Augenblick folgen, weil sie durch seinen Dienst mit „Broten und Fischen“ versorgt wurde (Mk 6,38), aber sie war ebenso bereit, zu schreien: „Hinweg, hinweg! Kreuzige ihn!“ (Joh 19,15) wie: „Hosanna dem Sohn Davids!“ (Mt 21,9). Wie wichtig ist es, dass die Christen, die Diener Christi und alle Prediger des Evangeliums diese Dinge im Bewusstsein behalten!

Rot gefärbte Widderfelle

Wenn nun aber die Ziegenfelle die Strenge der Absonderung Christi von der Welt andeuteten, so stellten die „rot gefärbten Widderfelle“ (V. 14) seine gänzliche Weihung und Hingabe für Gott dar, worin Er bis zum Tod ausharrte. Er war der einzige vollkommene Diener, der sich je in dem Weinberg Gottes befand. Er kannte nur ein Ziel, das Er von der Krippe bis zum Kreuz ohne Unterbrechung verfolgte, und dieses Ziel war die Verherrlichung des Vaters und die Vollendung des Werkes, das Er ihm aufgetragen hatte. Schon als Kind sagte Er: „Wusstet ihr nicht, dass ich in dem sein muss, was meines Vaters ist?“ (Lk 2,49). Seine Speise war, den Willen dessen zu tun, der ihn gesandt hatte, und sein Werk zu vollbringen (Joh 4,34). Die „rot gefärbten Widderfelle“ kennzeichneten, wenn wir so sagen dürfen, ebenso deutlich sein Verhalten wie die „Teppiche aus Ziegenhaar“. Seine vollkommene Hingabe an Gott trennte ihn von den Gewohnheiten der Menschen.

Seekuhfelle

Die „Seekuhfelle“ (V. 14) scheinen mir die Wachsamkeit zu bezeichnen, mit der der Herr Jesus jede Annäherung des Feindes beobachtete, der ihn von der Verwirklichung seines Lebensziels abbringen wollte. Er nahm seine Stellung für Gott ein und behauptete sie mit einer Beharrlichkeit, die durch keine Einflüsse der Menschen oder des Teufels, der Erde oder der Hölle überwältigt werden konnte. Die Seekuhfelldecke hing über der Decke von Widderfellen, und daraus erkennen wir, dass der hervorragendste Zug im Charakter des Menschen Christus Jesus der unerschütterliche Entschluss war, ein Zeuge für Gott auf der Erde zu sein. Er war der wahre Naboth, der eher sein Leben hingab, als dass Er die Wahrheit Gottes verleugnete oder das aufgab, wofür Er in diese Welt gekommen war.

Die Ziege, der Widder und die Seekuh müssen als Symbole gewisser natürlicher Züge, aber auch moralischer Eigenschaften betrachtet werden; und es ist nötig, bei der Anwendung dieser Bilder auf den Charakter Jesu beiden Seiten Rechnung zu tragen. Die Menschen vermochten nur die natürlichen Züge zu erkennen und entdeckten nichts von der inneren Gnade, Schönheit und Würde, die hinter der äußeren Erscheinung des verachteten und demütigen Jesus von Nazareth verborgen waren. Wenn Er in seinen Reden seine himmlische Weisheit zu erkennen gab, so fragte man: „Ist dieser nicht der Zimmermann?“ (Mk 6,3), oder: „Wie besitzt dieser Gelehrsamkeit, da er doch nicht gelernt hat?“ (Joh 7,15). Und wenn Er seine ewige Sohnschaft und Gottheit behauptete, so hieß es: „Du bist noch nicht fünfzig Jahre alt!“, oder: „Da hoben sie Steine auf, um auf ihn zu werfen“ (Joh 8,57.59). Mit einem Wort, das Bekenntnis der Pharisäer: „Von diesem aber wissen wir nicht, woher er ist“ (Joh 9,29) traf auch auf die Menschen im Allgemeinen zu.

Es ist im Rahmen dieses Buches nicht möglich, die Offenbarung der Charakterzüge Jesu in den Evangelien weiter zu verfolgen. Das bereits Gesagte möge hier genügen, um den Leser zu weiterem Nachdenken anzuregen und ihm eine schwache Vorstellung von dem Reichtum zu geben, der in den Teppichen und Vorhängen der Stiftshütte enthalten ist. Das verborgene Wesen Christi, seine inneren Beweggründe und seine Vollkommenheit, seine äußere, den Menschen nicht anziehende Gestalt, das, was Er in sich selbst, was Er für Gott und für die Menschen war, was der natürliche Mensch und was der Glaube von ihm hielt – alles das wird dem Auge, das zu sehen vermag, in den Teppichen aus blauem und rotem Purpur, Karmesin und gezwirnten Byssus sowie in den Decken aus Fellen in lieblicher und doch eindringlicher Weise gezeigt.

Die Bretter

Die „Bretter für die Wohnung“ (V. 15) bestanden aus demselben Holz, aus dem die Bundeslade gemacht war, und ruhten außerdem auf Füßen, die ebenso wie ihre „Haken und Köpfe“ (Kap. 38,17) aus Silber gefertigt waren, das von Sühnung sprach (vgl. sorgfältig Kap. 30,11–16 mit Kap. 38,25–28). Das ganze Zimmerwerk der Stiftshütte ruhte also auf einem Material, das von Sühnung und Lösegeld redete, während die „Haken und Köpfe“ denselben Gedanken fortsetzten. Die Füße standen in dem Sand der Wüste, die Haken und Köpfe waren oben. Ob wir also in die Tiefe oder in die Höhe sehen – überall begegnen wir der ewigen und herrlichen Wahrheit: „Ich habe eine Sühnung gefunden“ (Hiob 33,24). Gott sei gepriesen! Wir sind erlöst, „nicht mit vergänglichen Dingen, mit Silber oder Gold, … sondern mit dem kostbaren Blut Christi, als eines Lammes ohne Fehl und ohne Flecken“ (1. Pet 1,18.19).

Christus, die Tür

Die Stiftshütte war in drei verschiedene Teile gegliedert, nämlich in das „Allerheiligste“, das „Heilige“ und den „Vorhof“. Der Eingang zu jedem dieser Teile bestand aus denselben Stoffen: aus „blauem und rotem Purpur und Karmesin und gezwirntem Byssus“ (vgl. Kap. 26,31.36 mit Kap. 27,16). Die Erklärung dieser Einrichtung ist einfach: Christus ist die einzige Tür, durch die man eintreten kann in die verschiedenen Bereiche der Herrlichkeit, die auf der Erde, im Himmel oder in den Himmeln der Himmel noch offenbart werden soll. „Jede Familie in den Himmeln und auf der Erde“ (Eph 3,15) wird unter die Autorität Christi gestellt werden, und Menschen aus allen Geschlechtern der Erde werden aufgrund seines vollbrachten Versöhnungswerkes in ewige Glückseligkeit und Herrlichkeit eingehen. Das ist klar und kann leicht verstanden werden. Wenn wir die Wahrheit kennen, dann ist ihre bildliche Darstellung leicht zu erfassen. Wenn nur unsere Herzen mit Christus erfüllt sind, werden wir bei der Erklärung der Stiftshütte und ihrer Geräte nicht so leicht auf Irrwege geraten. Weder vieles Wissen noch ein scharfer, kritischer Verstand sind hier in erster Linie von Nutzen, sondern ein mit Liebe zu Christus erfülltes Herz und ein Gewissen, das in dem Blut des Kreuzes Frieden gefunden hat.

Fußnoten

  • 1 Der Ausdruck „glänzend und rein“ in Offenbarung 19,8 gibt dem Bild, das der Heilige Geist uns in den gezwirnten Byssus vor Augen stellt, besondere Kraft und Schönheit. Es könnte in der Tat kein besser geeignetes Sinnbild der reinen und fleckenlosen Menschheit Jesu geben.
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