Betrachtungen über das erste Buch Mose

Isaak und Abimelech

Betrachtungen über das erste Buch Mose

Isaak in Gerar und Beerseba

Der erste Vers dieses Kapitels stellt eine Beziehung zu Kapitel 12 her. „Und es entstand eine Hungersnot im Land, außer der früheren Hungersnot, die in den Tagen Abrahams gewesen war“ (V. 1). Die Prüfungen, denen die Kinder Gottes ausgesetzt sind, tragen fast alle denselben Charakter und bezwecken, offenbar zu machen, inwieweit das Herz alles in Gott gefunden hat. Es ist eine schwierige Sache, zu der man sich selten emporschwingt, in so vertrauter Gemeinschaft mit Gott zu leben, dass die Seele ganz unabhängig wird von Menschen und Dingen. Die „Ägypten“ und „Gerar“ zu unserer Rechten und Linken sind mächtige Versuchungen, die uns entweder von dem geraden Weg ablenken, oder uns davon abhalten wollen, unsere Stellung als Diener des lebendigen Gottes wirklich einzunehmen.

„Und Isaak zog zu Abimelech, dem König der Philister nach Gerar“ (V. 1). Zwischen Ägypten und Gerar besteht ein deutlicher Unterschied. Ägypten ist ein Bild von der Welt mit ihren natürlichen Hilfsmitteln und ihrer Unabhängigkeit von Gott. „Mein Fluss gehört mir“, sprach der Ägypter, der nichts von dem HERRN wusste und nicht von ihm Hilfe und Segen erwartete. Ägypten lag weiter von Kanaan entfernt als Gerar, und auch in übertragenem Sinn schildert es einen Zustand der Seele, der weiter von Gott entfernt ist. Von Gerar wird uns in Kapitel 10,19 gesagt: „Und das Gebiet der Kanaaniter erstreckte sich von Sidon nach Gerar hin, bis Gaza; nach Sodom und Gomorra und Adama und Zeboim hin, bis Lescha“. Auch erfahren wir, dass zwischen Gerar und Jerusalem drei Tagereisen lagen. Gerar nahm also gegenüber Ägypten eine höhere Stellung ein, aber dennoch lag es im Bereich sehr gefährlicher Einflüsse. Abraham bekam Schwierigkeiten und Isaak ebenfalls. Abraham verleugnete seine Frau, und Isaak tat dasselbe. Es ist ernst, Vater und Sohn am selben Ort in dieselbe Sünde fallen zu sehen. Es beweist, dass der Einfluss des Ortes nicht gut war. Wäre Isaak nicht zu Abimelech, dem König von Gerar, gegangen, so wäre er nicht in diese Situation geraten. Aber die geringste Abweichung von dem geraden Weg ist von geistlicher Schwachheit begleitet. Als Petrus sich im Palast des Hohenpriesters am Feuer wärmte, verleugnete er seinen Herrn. Isaak fühlte sich in Gerar augenscheinlich nicht wirklich glücklich. Wohl sagte ihm der Herr. „Halte dich auf in diesem Land“ (V. 3), aber wie oft gibt der Herr den Kindern Gottes Anordnungen, die dem Zustand angepasst sind, in dem Er sie findet, und die dazu dienen sollen, sie zu einem tiefen Bewusstsein von diesem Zustand zu führen. Gott befahl Mose (4. Mo 13), Männer auszusenden, um das Land Kanaan auszukundschaften, aber wenn der moralische Zustand des Volkes nicht so traurig gewesen wäre, wäre ein solcher Schritt nicht nötig gewesen. Wir wissen, dass der Glaube nicht „auszukundschaften“ braucht, wenn die Verheißung Gottes offen vor ihm liegt. Ebenso erhält Mose den Befehl (4. Mo 11,16), siebzig Männer von den Ältesten Israels auszuwählen, um mit ihm die Last des Volkes zu tragen. Aber wenn Mose die Hoheit und Segnung seiner Stellung völlig verstanden hätte, dann wäre dieser Befehl nicht nötig gewesen. Dasselbe gilt von dem an Samuel gerichteten Befehl des Herrn, dem Volk einen König zu geben. Das Volk hätte lieber keinen König verlangen sollen. Wenn wir daher die Anweisungen des Herrn richtig beurteilen wollen, müssen wir immer den Zustand des Empfängers einer Anordnung in Betracht ziehen.

Aber, wird man vielleicht einwenden, wenn Isaak sich in Gerar in einer falschen Stellung befand, warum lesen wir dann: „Und Isaak säte in jenem Land und gewann in dem Jahr das Hundertfältige; und der HERR segnete ihn“? (V. 12). Äußerer Wohlstand ist niemals ein Beweis von der Richtigkeit der Stellung eines Menschen. Wir haben bereits an einer anderen Stelle bemerkt, dass zwischen dem Segen des Herrn und seiner Gegenwart ein großer Unterschied besteht. Mancher wird gesegnet, ohne in der Gegenwart des Herrn zu leben. Auch ist das Herz geneigt, die Segnung mit der Gegenwart Gottes zu verwechseln, oder doch wenigstens sich einzureden, dass das Eine notwendigerweise von dem Anderen begleitet sein müsse. Das ist ein großer Irrtum. Wie oft sehen wir Personen, die von Gottes Segnungen überschüttet sind, aber seine Gegenwart weder haben noch wollen. Es ist wichtig, das zu verstehen. Es kann jemand groß werden wie Isaak (V. 13–15), und dennoch nicht völlig in der Gegenwart Gottes leben.

Kleinvieh und Rinder sind nicht der Herr. Diese Dinge erregten den Neid der Philister, was die Gegenwart des Herrn nie getan hätte. Isaak hätte enge Gemeinschaft mit Gott haben können, ohne dass die Philister darauf geachtet hätten, und zwar aus dem einfachen Grund, weil sie nichts davon verstanden und ihren Wert nicht zu würdigen vermochten. Herden von Klein- und Rindvieh, Knechte, Mägde und Brunnen konnten sie beurteilen, nicht aber die Gegenwart Gottes.

Endlich jedoch trennte sich Isaak von den Philistern und zog hinauf nach Beerseba. „Und der Herr erschien ihm in jener Nacht und sprach: Ich bin der Gott Abrahams, deines Vaters; fürchte dich nicht, denn ich bin mit dir, und ich werde dich segnen“ (V. 24). Beachten wir, dass hier nicht nur die Segnung des Herrn, sondern der Herr selbst mit ihm ist. Und warum? Weil Isaak die Philister mit all ihrem Neid, ihrem Gezänk und ihren Streitigkeiten hinter sich gelassen hatte und nach Beerseba hinaufgezogen war. Hier konnte der Herr sich seinem Diener zeigen, während Er ihn in Gerar, obwohl Er ihn reich segnete, nicht durch seine Gegenwart erfreuen konnte. Um Gottes Gegenwart erleben zu können, müssen wir da sein, wo Er ist, und gewiss finden wir ihn nicht mitten im Streit und Gezänk einer gottlosen Welt. Je eher ein Kind Gottes diese Dinge aufgibt, umso besser. Diese Erfahrungen machte Isaak. So lange er sich bei den Philistern aufhielt, hatte er weder Ruhe in seinem Geist noch übte er einen heilsamen Einfluss auf sie aus. Manche meinen, den Menschen dieser Welt dadurch helfen zu können, dass sie Verbindung mit ihnen suchen. Doch wirklich nützlich kann man ihnen nur sein, wenn man in der Kraft der Gemeinschaft mit Gott von ihnen getrennt lebt und ihnen so das Beispiel eines besseren Weges gibt.

Beachten wir die geistlichen Fortschritte in der Seele Isaaks und die moralischen Folgen seines Weges: „Er zog von dort hinauf nach Beerseba“, „der HERR erschien ihm“, „er baute dort einen Altar“, „er rief den Namen des HERRN an“, „er schlug dort sein Zelt auf“, und „die Knechte Isaaks gruben dort einen Brunnen“ (V. 23–25). Das waren herrliche Fortschritte. Von dem Augenblick an, als Isaak den ersten Schritt auf dem richtigen Weg tat, ging er von Kraft zu Kraft. Er trat in die Freude der Gegenwart Gottes ein und genoss wahre Anbetung. Er offenbarte den Charakter eines Fremdlings und Pilgers. Er fand Erfrischung und Ruhe und einen Brunnen, der ihm nicht streitig gemacht wurde und den die Philister nicht verstopfen konnten, weil sie nicht da waren.

Diese für Isaak so gesegneten Ergebnisse hatten gleichzeitig eine deutliche Wirkung auf andere. Wir lesen: „Und Abimelech zog zu ihm von Gerar, mit Achusat, seinem Freund, und Pikol, seinem Heerobersten. Und Isaak sprach zu ihnen: Warum kommt ihr zu mir, da ihr mich doch hasst und mich von euch weggetrieben habt? Und sie sprachen: Wir haben deutlich gesehen, dass der HERR mit dir ist; und wir haben uns gesagt: Möge doch ein Eid sein zwischen uns, zwischen uns und dir“, usw. (V. 26–28). Um auf Herz und Gewissen der Menschen dieser Welt wirken zu können, muss man ganz bewusst von ihnen getrennt sein, obwohl man zugleich in vollkommener Gnade mit ihnen verkehrt. Solange Isaak in Gerar blieb, gab es nichts als Zank und Streit. Er erntete für sich nur Kummer und konnte seine Umgebung nicht zum Guten beeinflussen. Kaum aber hatte er diesen Ort verlassen, so suchten die Philister ihn auf und wünschten einen Bund mit ihm zu schließen.

Die Geschichte der Kinder Gottes hat viele ähnliche Beispiele. Vor allem sollten wir wissen, dass unsere Stellung zu Gott geordnet ist, ja, nicht nur unsere Stellung, sondern auch der Zustand unserer Seele. Wenn Gott gegenüber alles in Ordnung ist, können wir auch anderen helfen. Sobald Isaak nach Beerseba ging und seinen Platz als Anbeter einnahm, wurde seine Seele gestärkt, und Gott benutzte ihn, um auf seine Umgebung einzuwirken. In einer niedrigen Stellung bleiben raubt uns viele Segnungen und macht uns zu unserem Zeugnis und Dienst völlig untüchtig. Auch sollten wir nie, wie es oft geschieht, in einer falschen Stellung bleiben und fragen: „Wo kann ich etwas Besseres finden?“ Gottes Gebot lautet: „Hört auf, Böses zu tun!“ (Jes 1,16) Und wenn wir diesem heiligen Befehl gehorcht haben, sagt Er: „Lernt, Gutes zu tun“ (Jes 1,17). Wenn wir meinen, wir könnten lernen, Gutes zu tun, bevor wir das Übel tun gelassen haben, so täuschen wir uns. „Wache auf, der du schläfst, und stehe auf aus den Toten, und der Christus wird dir leuchten!“ (Eph 5,14).

Wenn du etwas tust, wovon du weißt, dass es böse ist, oder wenn du irgendwie teil hast an einer Sache, die du als schriftwidrig erkennst, so beachte des Herrn Wort: „Hört auf, Böses zu tun!“ und du kannst sicher sein, dass du nicht lange in Ungewissheit über deinen Weg bleiben wirst, wenn du diesem Wort gehorchst. Nur der Unglaube verleitet uns zu sagen: „Ich kann das Böses tun nicht lassen, bis ich etwas Besseres gefunden habe“.

Nächstes Kapitel »« Vorheriges Kapitel