Betrachtungen über das erste Buch Mose

Abram und Lot

Betrachtungen über das erste Buch Mose

Rückkehr aus Ägypten

Der Anfang dieses Kapitels behandelt den wahren Charakter der gottgemäßen Wiederherstellung. Wenn der Gläubige in irgendeiner Weise seine geistliche Stellung verlassen und die Gemeinschaft mit Gott verloren hat so ist er, sobald das Gewissen zu wirken beginnt, in Gefahr, die Gnade Gottes nicht völlig zu erfassen, und nicht wirklich gottgemäß wiederhergestellt zu werden. Nun, wir wissen, dass Gott alles in einer Weise tut, die ihm würdig ist. In der Schöpfung, der Erlösung, der Bekehrung, der Wiederherstellung und auch in seiner Sorge für uns kann Er nur gemäß dem handeln, was Er ist. Nur die Übereinstimmung mit seiner Natur kennzeichnet sein Handeln, und das ist ein großes Glück für uns, da wir stets versucht sind, dem „Heiligen Israels“ Grenzen zu setzen, und zwar ganz besonders dann, wenn es sich um seine wiederherstellende Gnade handelt.

In unserem Kapitel sehen wir, dass Abraham nicht nur aus Ägypten befreit, sondern auch „bis zu dem Ort“ zurückgeführt wurde, „wo im Anfang sein Zelt gewesen war …, zu der Stätte des Altars, den er dort zuvor gemacht hatte. Und Abram rief dort den Namen des HERRN an“ (V. 1–4). Gott kann nicht eher zufrieden sein, bis Er den Irrenden oder Zurückbleibenden völlig wiederhergestellt hat. Wir mögen in unserer Selbstgerechtigkeit meinen, dass einem solchen Menschen jetzt ein geringerer Platz als zuvor zukommen müsse, und es wäre tatsächlich so, wenn es sich um sein Verdienst oder seinen Charakter handelte. Aber da es nur eine Frage der Gnade ist, so ist es Gottes Vorrecht, das Maß der Wiederherstellung zu bestimmen, und dieses Maß wird uns in den Worten: „Wenn du umkehrst, Israel, spricht der HERR, zu mir umkehrst …“ (Jer 4,1), vor Augen gestellt. Das ist die Weise, wie Gott wiederherstellt. Es wäre seiner unwürdig, anders zu handeln. Wenn Er wiederherstellt, kann es nur in einer Weise sein, die den Reichtum seiner Gnade verherrlicht. Wenn daher der Aussätzige in das Lager zurückgeführt wurde, so wurde er bis „an den Eingang des Zeltes der Zusammenkunft“ gebracht (3. Mo 14,11). Als der verlorene Sohn in das Vaterhaus zurückkehrte, gab ihm der Vater einen Platz an seinem Tisch. Und als Petrus nach seinem Fall wiederhergestellt war, durfte er den Männern von Israel zurufen: „Ihr aber habt den Heiligen und Gerechten verleugnet“ (Apg 3,14), und sie einer Handlung anklagen, die er unter erschwerenden Umständen selbst begangen hatte. In diesen und vielen anderen Fällen sehen wir, dass Gott vollkommen wiederherstellt. In der vollen Kraft der Gnade und bei vollem Vertrauen des Glaubens führt Er stets die Seele zu sich selbst zurück. „Wenn du umkehrst, so kehre um bis zu mir“. „Abram zog wieder bis zu dem Ort, wo im Anfang sein Zelt gewesen war“.

Außerdem hat die gottgemäße Wiederherstellung der Seele eine sehr praktische Wirkung, und wenn der Charakter dieser Wiederherstellung die Gesetzlichkeit schon beschämt, so bringt ihre Wirkung die Gesetzlosigkeit ganz zum Schweigen. Die wiederhergestellte Seele wird ein lebendiges und tiefes Gefühl von dem Bösen haben, von dem sie befreit worden ist, und dies wird sich durch einen Geist des Eifers, des Gebets, der Heiligkeit und der Besonnenheit offenbaren. Gott stellt uns nicht wieder her, damit wir es noch leichter als bisher mit der Sünde nehmen und von neuem hineinfallen. – Nein, Er sagt: „Geh hin und sündige nicht mehr“ (Joh 8,11). Je tiefer mein Gefühl von der Gnade der Wiederherstellung ist, desto tiefer wird auch mein Gefühl von Gottes Heiligkeit sein. Dieser Grundsatz wird in der ganzen Heiligen Schrift gelehrt. „Wenn wir unsere Sünden bekennen, so ist er treu und gerecht, dass er uns die Sünden vergibt und uns reinigt von aller Ungerechtigkeit“ (1. Joh 1,9). Der rechte Weg einer gottgemäß wiederhergestellten Seele ist „der Pfad der Gerechtigkeit“. „Er leitet mich in Pfaden der Gerechtigkeit um seines Namens willen“ (Ps 23,3). Mit anderen Worten, wenn wir die Gnade geschmeckt haben, so gehen wir unseren Weg in Gerechtigkeit. Von Gnade reden und in Ungerechtigkeit leben, heißt nach den Worten des Apostels: „Die Gnade unseres Gottes in Ausschweifung verkehren“ (Jud 4). Wenn aber „die Gnade herrscht durch Gerechtigkeit zu ewigem Leben“ (Röm 5,21), so zeigt sie sich auch in Werken der Gerechtigkeit, als den Früchten dieses ewigen Lebens. Die Gnade, die uns unsere Sünden vergibt, reinigt uns auch von aller Ungerechtigkeit. Nie dürfen diese beiden Dinge voneinander getrennt werden. Vereinigt bringen sie, wie bereits bemerkt, sowohl die Gesetzlichkeit als auch die Gesetzlosigkeit des menschlichen Herzens zum Schweigen.

Lot, der Neffe Abrams

Es gab jedoch für das Herz Abrahams noch eine schwerere Prüfung als die Hungersnot, und diese hatte ihren Ursprung in der Verbindung mit jemand, der offensichtlich weder in der Kraft eines persönlichen Glaubens, noch in dem Gefühl einer persönlichen Verantwortlichkeit seinen Weg ging. Es scheint, dass Lot von Anfang an mehr durch den Einfluss und das Beispiel Abrahams als durch seinen eigenen Glauben an Gott geleitet wurde. Dies ist kein ungewöhnlicher Fall. Ein Blick in die Geschichte des Volkes Gottes zeigt uns, dass sich jeder großen, durch den Geist Gottes hervorgerufenen Bewegung immer einige anschlossen, die persönlich nicht die Kraft besaßen, die die Bewegung hervorgerufen hatte. Solche Personen gehen eine Zeit lang mit, indem sie entweder wie totes Gewicht auf dem Zeugnis lasten, oder es sogar ganz deutlich hemmen. So war es in Abrahams Fall. Gott hatte ihm geboten, seine Verwandtschaft zu verlassen, aber anstatt zu gehorchen, nahm er sie mit sich. Tarah hemmte den Weg Abrahams, bis der Tod ihn aus dem Weg räumte, und Lot begleitete ihn ein wenig weiter, bis „die Begierde nach den übrigen Dingen“ (Mk 4,19) ihn besiegte und ganz übermannte.

Bei dem Auszug der Kinder Israel aus Ägypten sehen wir dasselbe. Ein „Mischvolk“ folgte ihnen und wurde für sie häufig die Ursache von Verunreinigung, Schwachheit und Trauer. In 4. Mose 11,4 lesen wir: „Und das Mischvolk, das in ihrer Mitte war, wurde lüstern, und auch die Kinder Israel weinten wiederum und sprachen: Wer wird uns Fleisch zu essen geben?“ Ebenso war es in den ersten Tagen der Versammlung und auch später. Bei allen durch den Geist Gottes hervorgerufenen Erweckungen und Neubelebungen haben sich vielfach Personen der Bewegung unter den verschiedenartigsten Einflüssen angeschlossen. Weil diese Einflüsse aber nicht göttlich waren, waren sie nur vorübergehend und ließen diese Personen bald wieder zurücktreten und ihren Platz in der Welt einnehmen. Nur das, was von Gott ist, wird Bestand haben. Ich muss die Verbindung verwirklichen, die zwischen mir und dem lebendigen Gott besteht. Ich muss mir bewusst sein, dass Er mich in die Stellung berufen hat, die ich einnehme, denn sonst werde ich weder Standhaftigkeit noch Ausdauer in dieser Stellung beweisen. Wir können nicht der Spur eines anderen folgen, nur weil er diesen Weg geht. Gott zeigt in seiner Gnade jedem von uns einen Weg, den er gehen soll, einen Wirkungskreis, in dem er sich bewegen, und Pflichten, die er erfüllen soll. An uns ist es, unsere Berufung und die damit verbundenen Pflichten zu kennen, damit wir durch die Gnade, die uns täglich dargereicht wird, in dieser Berufung zur Verherrlichung Gottes wirken können. Es tut nichts zur Sache, wie groß oder wie klein unser Wirkungskreis ist, wenn nur Gott ihn uns zugeteilt hat. Ob wir fünf Talente oder nur ein einziges empfangen haben, wenn wir im Blick auf den Herrn das eine treu verwenden, werden wir ebenso gewiss aus seinem Mund die Worte hören: „Wohl, du guter und treuer Knecht!“ (Mt 25,21), als wenn wir „die fünf“ verwaltet hätten. Paulus, Petrus, Jakobus und Johannes hatten jeder ihr besonderes Maß, ihr besonderes Verdienst. Genauso ist es mit uns. Keiner braucht sich in die Arbeit eines anderen zu mischen. Ein Tischler hat eine Säge und einen Hobel, einen Hammer und ein Stecheisen, und er benutzt jedes Werkzeug, wie er es braucht. Nichts ist wertloser als bloße Nachahmung. In der Natur finden wir so etwas niemals. Jedes Geschöpf hat seinen Platz und seine besondere Funktion. Wenn es so in der natürlichen Welt ist, wie viel mehr in der geistlichen! Das Feld ist weit genug für alle. In jedem Haus gibt es Gefäße verschiedener Größe und Form, und der Eigentümer gebraucht sie alle.

Wir sollten uns daher immer prüfen, ob wir unter einem göttlichen oder einem menschlichen Einfluss stehen, ob unser Glaube auf Menschenweisheit oder auf Gotteskraft beruht, ob wir etwas tun, weil andere dasselbe getan haben, oder weil der Herr uns dazu berufen hat, und endlich, ob wir uns nur auf das Beispiel und den Einfluss unserer Umgebung stützen, oder ob wir durch persönlichen Glauben aufrechtgehalten werden. Das sind ernste Fragen. Es ist ohne Zweifel ein Vorrecht, die Gemeinschaft unserer Brüder zu genießen. Aber wenn wir uns auf sie stützen, so werden wir bald Schiffbruch erleiden. Ebenso wird unser Tun seinen Wert verlieren, wenn wir über unser Maß hinausgehen. Es wird gezwungen und unnatürlich sein. Es ist nicht schwer zu erkennen, ob ein Mensch an seinem Platz ist und nach dem Maß seiner Fähigkeit arbeitet. Alles gezwungene, gezierte Wesen, alle Anmaßung und alles Nachäffen sind verächtlich. Der Herr gebe uns Gnade, stets wahr, aufrichtig und natürlich zu sein! Wer nicht schwimmen kann und sich trotzdem in tiefes Wasser wagt, wird bald mit Händen und Füßen zappeln. Und wenn ein Schiff in See geht, ohne seetüchtig und ohne ordentlich ausgerüstet zu sein, wird es bald wieder in den Hafen zurückkehren müssen oder zu Grunde gehen. Lot verließ zwar „Ur in Chaldäa“, aber er unterlag in den Ebenen Sodoms. Die Berufung Gottes hatte nicht sein Herz erreicht, und sein Auge blieb geschlossen für die Herrlichkeit des Erbes Gottes. Ernster Gedanke! Aber Gott sei Dank! Es gibt für jeden Diener Gottes einen Weg, der erleuchtet ist durch seine Anerkennung und durch das Licht seines Angesichts, und es sollte unsere Freude sein, diesen Weg zu gehen. Seine Anerkennung genügt dem Herzen, das ihn kennt. Wir werden allerdings nicht immer nur Beifall und Zustimmung unserer Brüder finden, sondern vielmehr häufig von ihnen missverstanden werden. Aber „der Tag“ wird alles an seinen richtigen Platz stellen, und das treu gesinnte Herz kann mit Ruhe diesem Tag entgegensehen, da es weiß, dass dann „einem jeden sein Lob werden wird von Gott“ (vgl. 1. Kor 3,13; 4,5).

Die Liebe zur Welt

Doch lasst uns noch etwas näher untersuchen, was Lot veranlasste, den Weg des öffentlichen Zeugnisses zu verlassen. Es gibt in der Geschichte jedes Menschen einen Wendepunkt, wo sich zeigt, auf welchem Boden er steht, und was für Beweggründe ihn leiten. So war es bei Lot. Die sichtbare Ursache seines späteren Falls in Sodom war ein Streit zwischen seinen Hirten und den Hirten Abrahams. Wer nicht mit einfältigem Auge und mit geläuterten Neigungen seinen Weg geht, wird leicht über einen Stein fallen. In gewissem Sinn macht es wenig aus, was die scheinbare Ursache des Abweichens vom geraden Weg ist. Die wirkliche Ursache entgeht vielleicht der öffentlichen Aufmerksamkeit. Sie liegt unter der Oberfläche verborgen, in den geheimen Kammern des Herzens, dort wo die Welt in der einen oder anderen Form bereits Eingang gefunden hat. Der Streit der Hirten hätte ohne geistlichen Nachteil für Abraham wie für Lot beschwichtigt werden können. Er gab Abraham allerdings Gelegenheit, die herrliche Kraft des Glaubens zu zeigen, und die moralische Erhabenheit und himmlische Überlegenheit sichtbar werden zu lassen, womit der Glaube den Glaubenden bekleidet. Lot aber bot er Gelegenheit, die totale Weltlichkeit, mit der sein Herz erfüllt war, unter Beweis zu stellen. Der Streit erzeugte im Herzen Lots ebenso wenig die Weltlichkeit, wie in dem Herzen Abrahams den Glauben, aber er machte bei beiden offenbar, was in ihren Herzen war.

Streitigkeiten und Spaltungen entstehen auch in der Versammlung Gottes. Viele werden dadurch zu Fall gebracht und auf die eine oder andere Weise in die Welt zurückgetrieben. Sie schieben dann die Schuld auf die Streitigkeiten und Spaltungen, während in Wirklichkeit diese Dinge nur das Mittel waren, um den wirklichen Zustand ihrer Seele und die Neigungen ihres Herzens zu offenbaren. Ist die Welt einmal im Herzen, so ist der Weg zu ihr leicht zu finden. Auch verrät es wenig moralische Qualität, wenn man Menschen und Umstände tadelt, während die Wurzel des Bösen in uns selbst liegt. Es ist traurig und demütigend, in Gegenwart der „Kanaaniter und Perisiter“ Brüder sich streiten zu sehen. Unsere Sprache sollte stets lauten: „Lass doch kein Gezänk sein zwischen mir und dir …; denn wir sind Brüder!“ (V. 8.9). Doch warum wählte Abram nicht Sodom? Warum trieb der Streit ihn nicht in die Welt? Warum wurde er für ihn kein Anlass zum Fall? Weil er alles von der Seite Gottes aus betrachtete. Sein Herz war nicht weniger leicht zu begeistern für die „bewässerten Ebenen“ wie das Herz Lots, aber er erlaubte seinem Herzen nicht zu wählen. Er ließ zunächst Lot seine Wahl treffen, und dann überließ er es Gott, für ihn zu wählen. Das war himmlische Weisheit. So handelte der Glaube. Er überlässt es Gott, sein Erbteil festzusetzen, wie er es ihm auch überlässt, ihn darin einzuführen. Der Glaube kann sagen: „Die Mess-Schnüre sind mir gefallen in lieblichen Örtern; ja, ein schönes Erbteil ist mir geworden“ (Ps 16,6). Es kümmert ihn wenig, wo „die Mess-Schnüre“ für ihn fallen, denn nach dem Urteil des Glaubens fallen sie immer in „lieblichen Örtern“, weil Gott sie festlegt. Der Mann des Glaubens kann dem Mann des Schauens getrost die Wahl überlassen. Er kann sagen: „Willst du zur Linken, so will ich mich zur Rechten wenden, und willst du zur Rechten, so will ich mich zur Linken wenden“ (V. 9). Welch ein schönes Bild von Uneigennützigkeit und moralischer Erhabenheit!

Der Mensch von Natur wird trotz seiner vermessenen Wünsche mit Sicherheit niemals seine Hand nach dem Schatz des Glaubens ausstrecken. Er wird sein Teil stets in der entgegengesetzten Richtung suchen. Der Glaube bewahrt seinen Schatz an einem Ort, wo die Natur ihn im Traume nicht suchen würde. Sie könnte sich ihm nicht einmal nähern, selbst wenn sie es wollte, und würde es nicht wollen, wenn sie es könnte, so dass der Glaube in vollkommener Sicherheit und bewunderungswürdiger Uneigennützigkeit der Natur die Wahl überlassen kann. Was tat Lot, als er wählen durfte? Er wählte Sodom, gerade den Ort, über den das Gericht Gottes bald hereinbrechen sollte. Warum traf er eine solche Wahl? Weil er auf den äußeren Anschein und nicht auf den wahren Charakter und auf das zukünftige Schicksal dieses Ortes blickte. Der wahre Charakter Sodoms war Bosheit, und sein zukünftiges Los das Gericht, die Zerstörung durch Feuer und Schwefel. Aber, wird man einwenden, Lot wusste hiervon nichts. Vielleicht nicht. Abraham wusste es auch nicht. Aber Gott wusste es, und hätte Lot ihm die Wahl seines Erbteils überlassen, so hätte Gott ihm sicher nicht einen Ort angewiesen, dessen Zerstörung Er beschlossen hatte. Aber Lot wählte selbst und sah im Gegensatz zu Gottes Urteil in Sodom einen geeigneten Aufenthaltsort. Seine Augen sahen die „bewässerten Ebenen“, und sein Herz wurde von ihnen angezogen. Er „schlug Zelte auf bis nach Sodom“ (V. 10–12). So wählt die Natur. „Demas hat mich verlassen, da er den jetzigen Zeitlauf lieb gewonnen hat“ (2. Tim 4,10). Lot verließ Abraham aus demselben Grund. Er verließ den Ort des Zeugnisses und betrat den Ort des Gerichts.

Bestätigung der Verheißung an Abram

„Und der HERR sprach zu Abram, nachdem Lot sich von ihm getrennt hatte: Erhebe doch deine Augen und schau von dem Ort, wo du bist, nach Norden und nach Süden und nach Osten und nach Westen! Denn das ganze Land, das du siehst, dir will ich es geben und deiner Nachkommenschaft bis in Ewigkeit“ (V. 14.15). Der Streit und die Trennung blieben weit davon entfernt, dem geistlichen Zustand Abrahams zu schaden, sie brachten seine himmlischen Grundsätze nur umso klarer hervor und stärkten das Leben des Glaubens in seiner Seele. Außerdem dienten sie dazu, seinen Weg zu erhellen und ihn von einem Begleiter zu befreien, der nur seinen Schritt hemmte. So wirkte also für Abraham alles zum Guten mit und brachte ihm reichen Segen ein.

Vergessen wir nicht die ernste und zugleich ermutigende Wahrheit, dass jeder Mensch auf die Dauer seinen eigenen Standpunkt einnehmen wird. Alle die laufen, ohne gesandt zu sein, werden irgendwie zusammenbrechen und zu dem zurückkehren, was sie verlassen zu haben bekannten, während andererseits alle, die von Gott berufen sind und sich auf ihn stützen, durch seine Gnade aufrechtgehalten werden. „Der Pfad der Gerechten ist wie das glänzende Morgenlicht, das stets heller leuchtet bis zur Tageshöhe“ (Spr 4,18). Der Gedanke hieran erhält uns demütig, wachsam und im Gebet. „Wer zu stehen meint, sehe zu, dass er nicht falle“ (1. Kor 10,12), denn „es sind Letzte, die Erste sein werden, und es sind Erste, die Letzte sein werden“ (Lk 13,30). Das Wort: „Wer aber ausharrt bis ans Ende, der wird errettet werden“ (Mt 10,22), ist ein Grundsatz von großer moralischer Tragweite, wenn man von seiner besonderen Anwendung einmal absieht. Manches stolze Schiff verhieß beim Auslaufen eine herrliche Fahrt, aber Stürme. Wogen, Felsenriffe und Sandbänke änderten bald das Bild, und die unter günstigen Aussichten begonnene Reise endete in völligem Misslingen. Ich rede hier natürlich nur von dem Weg des Dienstes und Zeugnisses, keineswegs von der Annahme eines Menschen und seinem ewigen Heil in Christus. Das hängt, Gott sei gepriesen, in keiner Weise von uns, sondern von ihm ab, der gesagt hat: „ich gebe ihnen ewiges Leben, und sie gehen nicht verloren in Ewigkeit, und niemand wird sie aus meiner Hand rauben“ (Joh 10,28). Aber sehen wir nicht oft Christen den Weg eines besonderen Dienstes oder Zeugnisses einschlagen (unter dem Eindruck, dass sie von Gott dazu berufen sind), und nach einiger Zeit zusammenbrechen? Sehen wir nicht auch viele, die, nachdem sie sich zu bestimmten Grundsätzen ihrer Tätigkeit bekannt hatten, über die sie nicht von Gott belehrt sind, oder deren Folgen sie in der Gegenwart Gottes nicht reiflich erwogen hatten, damit enden, dass sie selbst diese Grundsätze offen verletzen? Solche Dinge sind sehr traurig, und wir sollten sie sorgfältig meiden. Sie dienen dazu, den Glauben der Auserwählten zu schwächen, und geben dem Feind der Wahrheit Anlass zur Lästerung. Jeder sollte seine Berufung und Sendung unmittelbar vom Herrn selbst empfangen. Alle, die Christus zu einem besonderen Dienst beruft, wird Er auch darin erhalten, denn Er hat noch nie jemand auf seinen eigenen Sold in den Krieg gesandt. Wenn wir aber laufen, ohne gesandt zu sein, so werden wir nicht nur selbst eines Tages unsere Torheit erkennen müssen, sondern auch andere werden sie wahrnehmen.

Der Leser möge mich jedoch nicht missverstehen. Nie sollte sich jemand als Vorbild eines besonderen Charakters des Dienstes oder Zeugnisses darstellen. Gott verhüte es! Das wäre nichts als Torheit und Betrug. Die Aufgabe eines Lehrers ist, das Wort Gottes zu erklären, und die Aufgabe eines Dieners, den Willen des Herrn vorzustellen. Aber wenn wir auch das alles verstehen und als richtig erkennen, so dürfen wir doch nicht vergessen, die Kosten zu überschlagen, bevor wir es unternehmen, einen Turm zu bauen oder in den Krieg zu ziehen (Lk 14,28). Wir würden weniger Verwirrung und verkehrte Dinge in unserer Mitte sehen, wenn dieser Ermahnung mehr Aufmerksamkeit geschenkt würde. Gott berief Abraham von Ur nach Kanaan, und daher leitete Gott ihn auch auf dem ganzen Weg. Als Abraham in Haran zögerte, wartete Gott auf ihn. Als er nach Ägypten hinabzog, stellte Gott ihn wieder her. Als Streit und Trennung entstand, trug Gott Sorge für ihn, so dass Abraham sagen konnte: „Wie groß ist deine Güte, die du aufbewahrt hast denen, die dich fürchten, gewirkt für die, die Zuflucht zu dir nehmen angesichts der Menschenkinder!“ (Ps 31,20). Er verlor nichts durch den Streit. Er besaß nach wie vor sein Zelt und seinen Altar. „Und Abram schlug Zelte auf, und kam und wohnte unter den Terebinthen Mamres, die bei Hebron sind; und er baute dort dem HERRN einen Altar“ (V. 18). Mochte Lot Sodom wählen, Abraham suchte und fand alles in Gott. In Sodom gab es keinen Altar, und alle, die diese Richtung einschlagen, suchen alles andere als einen Altar. Nicht die Anbetung Gottes, sondern die Liebe zur Welt lenkt ihre Schritte nach Sodom. Und was ist das Ende, wenn sie ihr Ziel erreicht haben? Das Wort Gottes gibt Antwort: „Da gab er ihnen ihr Begehr, aber er sandte Magerkeit in ihre Seelen“ (Ps 106,15).

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