Anbetung in Geist und Wahrheit

Hier ist es nun meine Absicht, etwas über Anbetung zu sagen; nicht über die Person des Anbeters, sondern über Anbetung – über Anbetung in Geist und Wahrheit. Im Allgemeinen haben viele, um nicht zu sagen die meisten Kinder Gottes, über diesen Gegenstand nur unklare Vorstellungen und Worte, die auch oft weit von der Wahrheit Gottes entfernt sind. Sie haben sich die Gewohnheit angeeignet, jeden religiösen Dienst Anbetung oder Gottesdienst zu nennen; das umfasst nicht nur das Beten, sondern auch die Wortverkündigung oder das Lehren. Sogar der größte Teil von dem, was in Gedichte oder Lieder gekleidet worden ist, ist nur der Ausdruck von Wünschen, manchmal auch von Lehre, ganz allgemein jedoch sind es Bitten. Echte, wirkliche Anbetung – selbst unter wahren Kindern Gottes – ist jedoch sehr selten. Der Grund ist offensichtlich. Wir können keine wahre Anbetung erwarten, bevor nicht die Anbeter sich ihrer christlichen Stellung vor Gott voll und ganz bewusst sind. In dem vorangegangenen Aufsatz war es mein Bestreben, zu zeigen, dass bei den wahrhaftigen Anbetern die Seele nicht nur göttliches Leben besitzen muss, sondern dass auch durch den Geist schon jetzt die Beziehung eines Kindes zu Gott gekannt sein muss. Dies ist im Allgemeinen nicht die Verfassung eines jeden Christen. Auf irgendeine bedauerliche Art und Weise – ich bin sicher, mit hinreichend rechtschaffenen Absichten – sind sie von der vollen Gnade Gottes abbewegt worden. Sie haben sich davor gescheut, dem Werk des Herrn Jesus für ihre Seelen völlig zu vertrauen. Gern wird zugestanden, dass die Gnade Gottes so überwältigend und grenzenlos ist und so über die Gedanken und Vorstellungen der Menschen erhaben, dass nur die Kraft des Heiligen Geistes die Seelen in dem Genuss dieser Gnade bewahren kann. Und auf der anderen Seite sind alle Versuche, außerhalb der Gegenwart Gottes diese Gnade zu suchen, mit größten Gefahren verbunden. Das Fleisch wird diese Gnade nämlich ständig in Freizügigkeit oder Zügellosigkeit verdrehen; und so kommt es, dass sich viele gottesfürchtige Seelen daran gestoßen haben, wenn sie wegen einer falschen Darstellung oder Verdrehung der Gnade Gottes derart erschütternd Böses sehen mussten.

Sie hatten die hochtrabendsten Gefühlsäußerungen gehört, das Zudecken von Sünde, selbst Heuchelei. Anstatt den alten Menschen zu richten, hatte sich stattdessen eine falsche Beurteilung der göttlichen Wahrheit bei ihnen eingeschlichen. Dies ist nicht weise; denn es wird niemals ohne praktisches Bestreiten oder Anzweifeln der Glaubwürdigkeit des Wortes Gottes einhergehen. Ihre Gewissen waren dadurch bösen oder sorglosen, oberflächlichen Menschen ausgeliefert, die der Wahrheit, welche sie lehrten, Schande bereiteten. Wenn wir die Heilige Schrift öffnen, sehen wir deutlich die Gnade und Wahrheit Gottes. Es ist gerade Seine Absicht, wenn Er sich so offenbart, Gläubige, die von ihren Sünden bekehrt sind und Buße getan haben, in den strahlenden, ausgedehnten, einfältigen Genuss Seiner Gnade zu führen, damit nun das ganze Leben der Ausdruck sowohl von Danksagung und Lobpreis als auch von Dienst und Hingabe an Ihn sei.

Es gibt noch einen anderen Grund, warum Menschen höchst widerwillig nur zur Anbetung bereit sind: sie sind der verderblichen, schädlichen Vorstellung gefolgt, dass der Gläubige in dieser Welt gelassen worden ist, um dieses Geschlecht zu verbessern und eine Zierde, wenn nicht gar ein Verbesserer der menschlichen Gesellschaft zu sein und mit ihr umzugehen, als befände sie sich noch unter der Erprobung und dem Gesetz Gottes, so wie es mit Israel vor dem Erlösungswerk war. Nun, ich will auch nicht im Geringsten abstreiten, dass der Gläubige das Licht dieser Welt und das Salz der Erde sein soll (Mt 5,13+14). Er ist hier gelassen worden, um ein Zeugnis zu sein; aber ein Zeugnis wovon? Von seiner eigenen Tugend oder von der Tugend Christi? Darin liegt ein großer Unterschied. Der Herr sagt: „Lasst euer Licht leuchten vor den Menschen, damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater, der in den Himmeln ist, verherrlichen“ (Mt 5,16). Das ist der entscheidende Punkt. Es geht nicht darum, unsere guten Werke vor den Menschen darzustellen, damit wir dadurch selbst verherrlicht würden. Und das ist auch der Punkt, worin die Menschen so leicht irren, denn die Verherrlichung von gewissen Einzelpersonen wirft auch so etwas wie einen Glorienschein auf das Geschlecht, dem sie angehören.

Aber es ist auch eine völlig andere Sache, wo unser Licht scheint. Dabei verstehe ich unter diesem Licht das Verbreiten der Person Christi; nicht unsere eigenen Vorzüge, sondern das, was wir nur in dem Herrn besitzen. Es ist also das gute Bekenntnis Seines Namens. Wenn Menschen gute Werke verbunden mit dem Darstellen des Herrn Jesus sehen, dann wird das Bekenntnis Seines Namens nicht uns die Ehre bringen, sondern dem Vater im Himmel. Das sind die Worte des Herrn Jesus, doch die Menschen scheuen vor dem zurück, was ihnen die klare Gewissheit gibt, dass sie nicht zu der Welt gehören; denn das ist der Bereich, wo sie die nicht geringe Neigung haben, etwas darstellen zu wollen. Ganz egal, wie niedrig jemand ist, er möchte etwas bedeuten. Aber genau das ist es, wovon Christus uns freimachen möchte; denn wenn die Botschaft wahr ist – und es ist nicht unsere Sache, daran Zweifel zu hegen –, dann ist es einer ihrer Hauptgrundsätze, dass wir der Welt gestorben sind, und dass unser Leben mit dem Christus verborgen ist in Gott (Kol 3,3). Wenn ein Mensch gestorben ist, dann hat es mit ihm ein Ende genommen. Das ist es, was Christus auf jeden Gläubigen schreibt, was Er bei jedem, der Ihn und Sein gewaltiges Werk angenommen hat, echt und wahr machen möchte. Wir sind mit Ihm gekreuzigt – nicht bloß aufgefordert, die alte Natur zu kreuzigen. Alle, die Christus angehören, haben das Fleisch mit seinen Regungen gekreuzigt. Du siehst also, dass die ersten Grundsätze des Christentums diejenigen, die Christus angehören, von der Welt trennen, von ihren Interessen und Zielen; während sie sie, wenn wir so wollen, auf einer anderen Grundlage in diese Welt hineinstellen, denn das ist erwiesenermaßen auch wahr. „Wie du mich in die Welt gesandt hast, so habe auch ich sie in die Welt gesandt“ (Joh 17,18). Der Tod Christi nimmt uns aus der Welt heraus, aber durch Seine Auferstehung sind wir auf einer neuen Grundlage des Lebens und der Gerechtigkeit in diese Welt gesandt worden. Es ist der neue Boden der Gerechtigkeit Gottes, auf welchem wir als wahrhaftige Anbeter stehen, und nur auf diesem Boden können wir unserem Gott und Vater Anbetung in Geist und Wahrheit bringen.

Und doch scheuen sich selbst wahre Kinder Gottes vor dieser Stellung. Sie lieben den Herrn Jesus. Sie hängen Ihm an, sie finden Trost und Ruhe in Seiner Liebe, sie stützen sich auf Sein vergossenes Blut; aber weiter gehen sie lieber nicht. Sie ziehen es vor, die Welt noch nicht ganz aufzugeben. Sie wären der zukünftigen Welt gern ganz sicher, aber die Beharrlichkeit, mit welcher sie dieser Welt anhängen, macht es ihnen unmöglich, sich der zukünftigen Welt wirklich bewusst zu sein. In einem solchen Zustand kann es keine wahre christliche Anbetung geben. Folglich also, da sie nie bestreiten wollen, Anbeter zu sein oder anzubeten, gehen sie sogar so weit, zu sagen, dass sie eine Anbetungs-Predigt hören würden. Wir alle wissen das, und vielleicht haben sich einige es sogar schon angewöhnt, sich so auszudrücken. Ich führe das nur deshalb an, um die allgemeine Unbestimmtheit der Kinder Gottes im Blick auf die Anbetung zu zeigen. Der Zustand, aus dem durch die Gnade Anbetung hervorkommt, ist nur so kläglich verwirklicht, dass wir uns darüber nicht zu wundern brauchen.

Was ist nun christliche Anbetung?

Die Israeliten brachten ihrer Stellung und ihrem Zustand entsprechend Anbetung dar. In dieser Anbetung vereinigten sich alle Israeliten. Jeder brachte seine Opfergabe, seine freiwillige Gabe, sein Friedensopfer dar; und auch die Früchte des Landes, das Gott ihnen gegeben hatte, brachten sie, so wie es Gott ihnen beim Einzug in das Land vorgeschrieben hatte. Nun sollte es uns allerdings klar sein, dass dies nicht das eigentliche Teil des Christen ist, sondern das des auserwählten, alten Volkes Gottes.

Seit dem Erlösungswerk Christi bildet Gott nun eine andere Gemeinschaft von Anbetern, die weder mit Jerusalem noch mit diesem Berg in Samaria in Verbindung stehen. Es war nun etwas ganz Neues eingetreten. Die Anbeter werden nun nicht mehr nach Jerusalem berufen, und auch die Samariter benötigen keine gnädige Ausnahme davon mehr, sondern ganz im Gegenteil: wo immer auf der ganzen Welt der Geist Gottes nun ein Volk zum Lobpreis Gottes, des Vaters und des Herrn Jesus bildet, sind das die wahren Anbeter; und die wahre Anbetung ist ihre Huldigung Dessen, der sie in eine solche gesegnete Beziehung gebracht hat. Ihre Herzen erfreuen sich an dem, was Er für sie getan und erlitten hat; sie finden ihren Genuss in Seiner Person. Gott hat Ihn gegeben und Sich selbst in Seinem Sohn Jesus Christus offenbart. Wahre christliche Anbetung ist die Antwort des Herzens darauf.

In Übereinstimmung damit gibt unser Herr Jesus durch den Geist hier ein bestimmtes Merkmal dieser Anbetung, und ich möchte dabei etwas verweilen. „Es kommt aber die Stunde und ist jetzt, da die wahrhaftigen Anbeter den Vater in Geist und Wahrheit anbeten werden“ (Vers 23). Wenn wir nun einmal die Ausdrucksweise der Christenheit beobachten, dann ist es auffällig, wie selten da der Name des Vaters genannt wird. Man kann dazu irgendeine Art der Anbetung, ob im Osten oder im Westen, nehmen – es gibt nur geringfügige Unterschiede in diesem Punkt. Es ist ihnen allen gemein, dass sie aus ihrer eigentlichen Nähe als Kinder zu ihrem Vater herabsinken in eine Stellung der Ferne, wie ein Volk vor seinem Herrscher oder sogar Richter. Wenn sie Gott nahen wollen, dann nahen sie einem Gott der Ferne, einem Gott, den sie wohl suchen, vor dem sie sich aber fürchten. Er ist für sie ein Gott, von dem sie sich auf manche Weise ein gewisses Maß an Freude erhoffen, das sie so noch nicht besitzen, eine gewisse Vertrautheit, nach der sie sich sehnen, die sie aber noch nicht kennen gelernt haben.

Wir finden folglich Abstand und Zweifel, Furcht und Unruhe, die sich auch in der förmlichen Ausdrucksweise solcher Seelen, selbst wenn sie Kinder Gottes sind, kundtut. Nehmen wir einmal ein gut bekanntes Beispiel, und wie mir scheint, keineswegs einen extremen Fall: Bibelstellen, die den Gottlosen beschreiben, werden ausgewählt, um die Seele auf die Erkenntnis Gottes vorzubereiten, z.B. Hesekiels Ausruf: „Wenn aber ein Gesetzloser umkehrt von seiner Gesetzlosigkeit, die er begangen hat…“ (Hes 18,27), oder die Worte des verlorenen Sohnes: „Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen…“ (Lk 15,18). Was ist die Bedeutung solcher Stellen? Ganz gewiss gelten sie nicht einem Gläubigen. Ist der Gläubige ein Gesetzloser, oder sogar einer, der sich aufmacht und zu seinem Vater geht, wie der verlorene Sohn? Wenn die Seele sich in einem solchen Zustand befindet, dann wird und muss auch christliche Anbetung ihr fremd sein. Nachdem solche Stellen vorgelesen werden, gibt es ein Bekenntnis, und darauf folgt die Absolution; und dann erst, aber immer noch ängstlich und wankelmütig und verworren, drückt sich ein gewisses Erkennen und Sehnen nach Gott aus, eine Geringachtung Seines Zorns, Flehen um Seine Gunst, insbesondere in irdischen Dingen, verbunden außerdem mit Bitten um Vergebung usw. Man mag nun fragen, ob das nicht schriftgemäß sei? Nun, ich frage dagegen: Ist das schriftgemäß für Christen in ihrer Anbetung? Nein, geliebte Freunde, aber es trifft auf solche zu, die das Wesen der Anbetung verloren haben und herabgesunken sind unter solche, die eher halb Juden und halb Christen sind.

Wir haben uns an den verlorenen Sohn erinnert. Wenn wir nun versuchen würden, anhand dieses Abschnittes zu beschreiben, was christliche Anbetung ist, dann finden wir das bei dem verlorenen Sohn nicht bei seinem Sündenbekenntnis, sondern nachdem er sich aufgemacht hatte und zu seinem Vater gegangen war; als er das beste Kleid anhatte und der Ring an seinem Finger und Schuhe an seinen Füßen waren, und es zu dieser Szene der glückseligen Freude nicht nur für diesen verlorenen Sohn oder die Freunde oder des ganzen Hauses gekommen war, sondern – was das Größte dabei ist – zur Freude des Vaters selbst. „Bringt das gemästete Kalb her, und schlachtet es, und lasst uns essen und fröhlich sein; denn dieser mein Sohn war tot und ist wieder lebendig geworden, war verloren und ist gefunden worden“ (Lk 15,23+24). Ohne Zweifel würden manche behaupten, dass das der Himmel sei. Kein Stück! Diese Szene ist hier, ist jetzt in dieser Zeit. Sie ist wahr von dem Christen in dieser Welt. Für die Welt wäre das völlig unmöglich, und darin liegt auch der Haken für sie. Sie wollen die Welt in diese christliche Anbetung mit hineinbringen; und da sie die Welt nicht zur christlichen Anbetung emporzuheben vermögen, ziehen sie den Christen in seiner Anbetung auf den Boden der Welt hinunter. Aber ich bestreite, dass diese gleichnishafte Szene der Freude in diesem Gleichnis den Himmel vorstellen soll, und ich will auch erklären, warum. Der ältere Sohn war auf dem Feld; und als er nach Hause kam, konnte er den Grund dieser Freude nicht verstehen. Er verleugnete eigentlich den verlorenen Sohn als seinen Bruder und rechnete ihn seinem Vater zu. „Dieser dein Sohn,…der deine Habe mit Huren verprasst hat“ (Vers 30). Ist das nicht hier auf dieser Erde?

Es geht also tatsächlich darum, dass Gott der Vater Seine Freude darin findet, den verlorenen Sohn zu segnen, ja mehr noch, ihn in die Gemeinschaft Seiner eigenen Freude zu bringen. Das ist das Wesen und die Quelle christlicher Anbetung. Es sind die Söhne Gottes, die in der Kraft des Heiligen Geistes teilhaben an dem Genuss des Vaters an Christus. Aber um es noch einmal zu sagen: wir sehen, dass das nicht der Himmel sein kann, denn dort wird es keine älteren Brüder geben, die über die Gnade Gottes murren. Könnte man das leugnen? Könnte man beteuern, dass dies nicht die richtige Anwendung des Gleichnisses sei? Könnte man irgendetwas vorbringen, das ein anderes Licht auf diese Szene wirft?

Es ist nicht der Himmel, wo der verlorene Sohn bekleidet und gesegnet wird. Es ist hier auf der Erde; und es ist ein sehr ernster Gedanke, dass es hier und nur hier auf der Erde ist. Wenn wir bei Christus sein werden, werden wir dort im Himmel nicht mehr Christus anziehen können. Wenn ich nicht hier auf Erden Christus angezogen habe, dann werde ich nach 2. Korinther 5,3 nackt befunden werden: „…sofern wir allerdings, wenn wir auch bekleidet sind, nicht für nackt befunden werden“. Die Gottlosen werden bei der Auferstehung der Toten alle bekleidet sein; sie werden alle ihren Leib haben; und doch werden sie, obwohl sie bekleidet sind, nackt befunden werden, denn sie haben nicht Christus hier auf Erden angezogen. Auch die Gerechten werden bekleidet sein, aber das Kleid ihres Auferstehungs-Leibes wird sie nicht nackt erscheinen lassen, sondern vielmehr deutlich zeigen, dass sie Christus angehören. Nun kann zweifellos jeder vor den Augen seiner Mitmenschen durch seine Kleidung das verdecken, was er in Wirklichkeit ist; aber in der Auferstehung muss alles offenbar werden, seien es die Gerechten oder die Gottlosen. Für den Gläubigen bedeutet es Trost und Beruhigung, in der Herrlichkeit offenbar zu werden; aber für den Gottlosen – was für ein ernster Gedanke –, dass er durch und durch erkannt sein wird! Dann werden sie – ich will nicht sagen aufrichtig oder ehrlich sein – aber absolut unverhüllt und in all ihrer Abscheulichkeit und Verderbtheit aufgedeckt sein. Wenn sie auch bekleidet sind, so werden sie doch nackt befunden werden. Wir Gläubigen jedoch haben hier schon das beste Kleid angezogen.

Allen Segen von Christus besitzen wir jetzt schon als Ergebnis der Erlösung, und genau das soll hier auch gezeigt werden. Wir können die Anbetung nicht von dem Anbeter trennen; und weil die Offenbarung Gottes immer der Ausgangspunkt von Anbetung ist und weil Er sich selbst als Vater vor die Blicke stellt, sucht Er folglich auch unbedingt und sehnt sich nach dem liebenden Lobpreis der Kinder Gottes. Nichts Geringeres als solche Anbetung kann Er suchen oder annehmen. Wir hatten in der Tat nichts anderes als das Gericht verdient, doch durch die Erlösung stehen wir in völliger Übereinstimmung mit der Fleckenlosigkeit Christi tadellos vor Gott. Was uns in diese absolute Reinheit vor Ihn versetzt hat, ist das ein für allemal geschehene Werk Christi; und der Heilige Geist ist uns als die Kraft gegeben worden, in der wir das alles genießen können. Der Heilige Geist wird uns nicht erst im Himmel gegeben, sondern wir besitzen Ihn schon jetzt auf der Erde. Dort werden wir alles in Vollkommenheit genießen und anbeten; kein Hindernis wird es dort geben. Wir werden ewige und vollendete Freude haben und im Genuss alles dessen sein, was Gott uns durch Seinen eigenen Sohn geschenkt hat. Hier jedoch sind wir durch Glauben, ja in dem Geist in die Wirklichkeit dieser Dinge gebracht – wenn es auch viele und große Hindernisse dabei geben mag.

Es war das vornehmste Ziel Christi bei Seiner Menschwerdung, den Vater zu offenbaren. Er wuchs in Vollkommenheit auf sowohl als Kind, als auch als Junge und als Mann. Wir finden in Ihm das harmonische Zusammengehen von absoluter Unterordnung unter Seine irdischen Eltern mit dem ständigen Bewusstsein der Beziehungen der Gottheit. Ich weise darauf hin um zu zeigen, dass Er als Mensch auf Erden sich immer Seiner Sohnschaft bewusst war, denn während Seines ganzen Erdenlebens spricht Er von Gott als Seinem Vater. Als Er aber auf dem Kreuz Sühnung tat für die Sünde, da schüttete Er Seine Seele aus in den Tod; und Er tat dies mit den feierlich-ernsten Worten: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen“ (Mt 27,47)? Nach Seiner Auferstehung aus den Toten ließ Er durch Maria Magdalene die Botschaft überbringen: „Ich fahre auf zu meinem Vater und eurem Vater und meinem Gott und eurem Gott“ (Joh 20,17). Er redete also Seine Jünger in dieser zweifachen Beziehung an: die eine, in welcher Er sein ganzes Leben gewandelt hatte, und die andere, die Ausdruck gab von Seinem Tod am Kreuz. Aber Er nahm Seine Jünger in diese beiden Beziehungen mit hinein, nachdem ihr Gericht vorübergegangen war, nachdem ihre Sünden von ihnen genommen waren; so dass nun alles das, was Gott als Gott ist und alles was Er als Vater aufgrund des Erlösungswerkes Christi empfindet nichts anderes als Liebe und Befriedigung in ihnen als Gläubigen ist. Welche Weisheit und Gnade! Und das ist der Grund dafür, dass wir Ihn nun nicht nur als Vater genießen, sondern auch als Gott – vor dem Erlösungswerk etwas ganz Schreckliches, jetzt aber die Quelle höchster Segnungen für den Gläubigen. Wenn ich Ihn als Gott nicht kenne, bedeutet das unendlich großen Verlust für meine Seele. Wir müssen uns bewahren lassen, dass wir im Blick auf Seine Majestät ernste und erhabene Gedanken darüber haben, aber gleichzeitig auch in Seiner Vaterliebe ruhen. Der Sohn Gottes bewirkt, dass das Gleichgewicht dieser Wahrheit ungestört bleibt und lässt mich nicht weniger vollkommen lernen, was Er von Gott als Gott kennt, als auch was Er von Ihm als Vater kennt. In vollkommener Gnade hat Er mir dies alles nun nahe gebracht. Die Gnade macht also den Gläubigen Christus immer ähnlicher – ausgenommen natürlich Seine Gottheit.

Genau das ist es auch, wohin der Herr Jesus den Gläubigen als Anbeter bringt. Er sagt, dass die Anbeter „den Vater in Geist und Wahrheit anbeten werden; denn auch der Vater sucht solche als seine Anbeter“ (Vers 23). Unaussprechliche Güte! Wir sehen das in der Person, die Er bei dieser Gelegenheit suchte. Die Frau aus Samaria – was war das für eine Frau? Sie dachte, Jesus wäre einfach ein Jude; sie wusste nicht, dass Er der Sohn Gottes ist. Der Herr jedoch rüttelte sie aus dieser Vorstellung wach. In wenigen Worten stellte Er ihr ganzes vergangenes Leben bis zu diesem Augenblick vor. Er sprach zu ihr von den fünf Männern, die sie gehabt hatte, und dass der Mann, mit dem sie jetzt lebte, nicht ihr Ehemann war. So war sie bloßgestellt im Licht Gottes. Sie empfand, dass Er ein Prophet war, und der Herr ließ sie nicht eher, bis sie erkannt hatte, dass Er der Christus war, der Sohn, der Heiland. Sie war solch eine Person, die der Vater als Anbeter suchte, und konnte sie nicht in Geist und Wahrheit anbeten? Er kommt in Seiner Kraft, um uns zu dem zu machen, was wir nach Seinen Gedanken sein sollen. Er sucht nicht, ob Er das schon bei uns findet. Er sucht uns selbst, ohne Zweifel; aber Er gibt uns ein neues Leben, eine neue Kraft, den Heiligen Geist; und die Folge davon ist, dass wir nicht nur zu jedem guten Werk völlig geschickt sind, sondern auch zu christlicher Anbetung. Gerade diese Frau ist ein Beispiel dafür.

Aber wir finden hier noch mehr. Es ist nicht genug, dass wir den Vater anbeten, so wie die Gnade Ihn in dem Sohn offenbart hat. Wir finden hier die zweifache Beziehung: „Gott ist ein Geist, und die ihn anbeten, müssen in Geist und Wahrheit anbeten“ (Vers 24). Wenn Er von dem Vater spricht, dann steht die Fülle Seiner Gnade vor uns, in welcher Er uns zu dem gemacht hat, was Er gesucht hat; wenn Er aber von Gott spricht, dann geht es um das, was Seine Natur – und auch unsere als aus Ihm Geborene – erfordert.

Gerade das ist es, was so schön in Römer 2 zu sehen ist, wo die gleiche Wahrheit bezeugt wird. Der Apostel stellt dort die Erlösung durch das Blut und die Auferstehung Christi vor. Das eine ist die Grundlage der Rechtfertigung, das andere die Darstellung ihrer Kraft. Aber vorher zeigt er uns noch, dass Gottes Grundsätze unveränderlich sind. Er zeigt uns, dass nur solche ewiges Leben besitzen, die weder streitsüchtig noch ungehorsam sind, sondern im Gegenteil Ihn entsprechend Seinem Wesen suchen. So sagt er ab Vers 6: „…der jedem vergelten wird nach seinen Werken: denen, die mit Ausharren in gutem Werk Herrlichkeit und Ehre und Unvergänglichkeit suchen, ewiges Leben; denen aber, die streitsüchtig und der Wahrheit ungehorsam sind, der Ungerechtigkeit aber gehorsam, Zorn und Grimm. Drangsal und Angst über jede Seele eines Menschen, der das Böse vollbringt, sowohl des Juden zuerst als auch des Griechen“.

Die moralischen Grundsätze Gottes werden also durch das Evangelium der Gnade überhaupt nicht beeinträchtigt. Darin liegt das Geheimnis, wodurch Er einen gottlosen Menschen zu einem gottesfürchtigen Menschen macht. Doch obwohl es die Gnade des Evangeliums ist, durch die ein Mensch von Schuld und Sünde befreit und zu Gott geführt wird, verändert sich doch die Natur Gottes durch die Gnade der Erlösung in Christus nicht. Dies mag ausreichen hinsichtlich der allgemeinen Grundsätze christlicher Anbetung der Kinder Gottes, oder besser ausgedrückt derer, die durch den Geist Gottes befähigt sind, in der Liebe Christi und in dem Bewusstsein Seines vollbrachten Erlösungswerkes hinzuzunahen und den Gott und Vater unseres Herrn Jesus, welcher sie an einen solchen Platz gebracht und Sich in solcher Güte ihren Seelen offenbart hat, Lobpreis und Anbetung darzubringen. Und dementsprechend sollten wir in dieser Gesinnung das Neue Testament lesen.

Nehmen wir z.B. Epheser 1: „Gepriesen sei der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns gesegnet hat mit jeder geistlichen Segnung in den himmlischen Örtern in Christus, wie er uns auserwählt hat in ihm vor Grundlegung der Welt, dass wir heilig und untadelig seien vor ihm in Liebe; und uns zuvorbestimmt hat zur Sohnschaft durch Jesus Christus für sich selbst, nach dem Wohlgefallen seines Willens, zum Preise der Herrlichkeit seiner Gnade, womit er uns begnadigt hat in dem Geliebten, in dem wir die Erlösung haben, die Vergebung der Vergehungen, nach dem Reichtum seiner Gnade“ (Verse 3–7). Ich führe diese Stelle an, um zu zeigen, welcher Zustand und welcher Geist allein Anbetung hervorbringt. Wundert es uns dann, wenn wir die Welt nicht dazu bringen können, Anbetung darzubringen? Es geht nicht darum, Menschen zu diesem Punkt hin zu erziehen. Die Frage ist die, ob der Mensch schon in die Stellung eines wahren Christen gelangt ist. Dann erst obliegt es ihm, in Geist und Wahrheit anzubeten. Wir sehen an dieser Stelle hier auch wieder die gleichen Beziehungen: „…der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns gesegnet hat mit jeder geistlichen Segnung“. Aber Er ist auch nicht nur bereit zu segnen. Ein Mensch, der darauf wartet, gesegnet zu werden, ist recht viel versprechend; aber er ist noch nicht völlig frei geworden, wie in Römer 8,2 und anderen Stellen zu sehen ist.

Ich erinnere mich gut an die schon etwas zurückliegende Zeit während der Wiedererweckung, wo ich oftmals schmerzlich berührt wurde durch unbesonnene und voreilige Ausdrücke solcher, die leichtfertig über die Gnade Gottes gesprochen haben. Dabei ist es in Wahrheit etwas außerordentlich Ernstes, jemanden von der Finsternis zum Licht, aus der Macht Satans hin zu Gott zu führen; doch ich glaube nicht an die Echtheit einer solchen Umkehr, solange es nicht ein echtes (ich sage nicht ein tiefes) Werk in dem Gewissen des Betreffenden gegeben hat. Hier in dem Fall der Frau von Samaria kann man das sehen. Christus brachte die ganze Wahrheit ihres Lebens ins Licht. Sie wurde überführt. Solange der Glaube nicht begleitet wird von Buße gibt es keine Gnade. Hier sehen wir alle gesegneten Resultate; aber ich möchte auch gerne auf diesen Punkt hinweisen, dass es eine gegenwärtige Wirklichkeit ist. Wenn ein Kind Gottes den Heiligen Geist in Übereinstimmung mit dem Wort Gottes als eine Quelle in sich besitzt, dann haben wir christliche Anbetung.

Ich werde sicherlich noch auf die Hilfen und Hindernisse für die Anbetung zu sprechen kommen, hier möchte ich aber nur den Grundsatz christlicher Anbetung berühren. Nehmen wir dazu eine andere Stelle aus der Heiligen Schrift. Der Apostel sagt in Kolosser 1,11+12: „…gekräftigt mit aller Kraft nach der Macht seiner Herrlichkeit, zu allem Ausharren und aller Langmut mit Freuden; danksagend dem Vater, der uns fähig gemacht hat zu dem Anteil am Erbe der Heiligen in dem Licht“. Stellen wir nun einmal diese Worte neben irgendeine erdichtete Liturgie: „…der uns fähig gemacht hat zu dem Anteil am Erbe der Heiligen in dem Licht“. Glaubt ihr, dass solche, die an diese Worte glauben, große Furcht vor einem plötzlichen Tod hätten? dass sie sich davor fürchten würden, schnell in die Herrlichkeit zu gelangen, um dort bei Christus zu sein? Warum sind oft bekennende Christen in einer solchen Angst vor einem plötzlichen Tod? Es liegt daran, dass sie meinen, eine Vorbereitung auf den Tod sei notwendig. Dies alles rührt aus einer Unsicherheit über die christliche Befreiung her, die sie doch schon erfahren haben. Was selbst bei wahren Kindern Gottes gesucht werden muss, ist ein tieferes, echteres Erfassen dessen, was Errettung ist – nicht ein Zustand, den wir einmal zu erreichen hoffen, sondern in dem wir im Grunde genommen jetzt schon stehen. Das Alte Testament spricht nicht in dem Sinn wie das Neue Testament über den Vater und den Sohn oder über Errettung in der christlichen Bedeutung dieses Wortes; aber das eine setzt das andere nicht beiseite, sie ergänzen sich vielmehr gegenseitig. Im Epheser-Brief, auf den wir schon hingewiesen haben, wird von der Errettung immer gesprochen als bereits geschehen und noch gegenwärtig. Es ist ein Zustand, der seinen Ursprung in dem hat, was durch und in Christus vollbracht worden und geschehen ist. Aber in einem anderen Sinn warten wir auch noch auf die Errettung. Die Errettung unserer Seelen besitzen wir bereits und warten nun auf die Errettung unseres Leibes. Die Errettung der Seelen ist aber so vollkommen wie nur möglich vollbracht worden; die Erlösung wurde durch Christus bewirkt und von Gott angenommen und der Heilige Geist wurde auf den Gläubigen ausgegossen. Es ist eine ernste Sache, den Besitz des Heiligen Geistes zu beteuern, aber es gibt gleichzeitig auch nichts Lieblicheres. Lasst mich euch sagen, dass sich viele gute Menschen geirrt haben, als sie die Grundlage davon in sich selbst zu finden meinten, statt in dem was Christus getan hat, versiegelt mit dem Heiligen Geist. Bevor nicht das Werk der Erlösung vollbracht war, hatte Er niemals jemanden versiegelt. Im Alten Testament gab es keinen Heiligen, der nicht durch den Geist Gottes lebendig gemacht worden wäre; aber sie besaßen noch nicht dieses Siegel, solange die Erlösung noch nicht vollbracht war, wie hier in Epheser 1.

So sehen wir also hier in Kolosser 1, wie die Heiligen beschrieben werden als solche, die dem Vater danksagen, „der uns fähig gemacht hat zu dem Anteil am Erbe der Heiligen in dem Licht“.

Ohne nun noch zahllose weitere Beispiele anzuführen, will ich doch noch auf eine Stelle hinweisen: „Wir haben einen Altar, von dem zu essen die kein Recht haben, die der Hütte dienen. Denn von den Tieren, deren Blut für die Sünde in das Heiligtum hineingetragen wird durch den Hohenpriester, werden die Leiber außerhalb des Lagers verbrannt. Darum hat auch Jesus, damit er durch sein eigenes Blut das Volk heiligte, außerhalb des Tores gelitten“ (Heb 13,10–13). Der Apostel benutzt hier ein wunderbares Bild aus dem Gesetz. Wenn ein Opfer zu dem ehernen Altar gebracht wurde, wurde das Blut noch gar nicht in das Heiligtum hineingebracht; das Tier wurde außerhalb geschlachtet. Wenn aber das Blut dann in das Heiligtum hineingebracht wurde, wurde das Tier genommen und außerhalb des Lagers verbrannt. Der Apostel sagt nun, dass dies auch bei Christus zu sehen ist, Der außerhalb des Tores gelitten hat und nun in die Gegenwart Gottes getreten ist – um uns aus der Welt herauszunehmen und in das Heiligtum hineinzuversetzen. Manche suchen da einen Mittelweg. Aber es ist nur eine armselige Ruhe, weniger als die volle Gnade und Herrlichkeit Gottes festzuhalten. Wir sollten uns nicht außerhalb der Wahrheit Gottes auf menschlicher Vernunft ausruhen. Der Weg der Vernunft ist gefährlich in den Augen Gottes. Es ist nicht der Weg des Glaubens; und ohne Glauben ist es unmöglich, Gott wohlzugefallen (Heb 11,6). Halten wir daher nicht die Schlussfolgerungen des gesunden Menschenverstandes fest, sondern die Offenbarung des göttlichen Wortes. Durch das Blut, das uns gereinigt und jede Spur von Sünde an uns beseitigt hat, sind wir nun in das Heiligtum gebracht worden; und hier auf der Erde nehmen wir, die wir ins Heiligtum gebracht worden sind, auch Seinen Platz ein, den Platz des Gekreuzigten, und tragen Seine Schmach.

Bist du bereit, dich verachten zu lassen? Hier auf dieser Erde nichts zu sein, weil du in der Gegenwart Gottes alles besitzt? Das ist die wahre Ehre und Herrlichkeit eines Christen; und ein Christ wirkt am meisten für Gott, wenn er von den Menschen am meisten verachtet ist.

Möchte unser Ruf und unsere Bekanntheit nicht in den Zeitungen oder auf den Grabsteinen sein, sondern in der Höhe, wo nie jemand in Vergessenheit geraten wird. Gebe der Herr unterdessen, dass wir im Heiligtum Anbeter sind, und außerhalb des Lagers Seine Zeugen, die Seine Schmach tragen.

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