Der erste Brief an die Korinther

Kapitel 1

Der erste Brief an die Korinther

Verse 1 – 3

„Paulus, berufener Apostel Christi Jesu durch Gottes Willen, und Sosthenes, der Bruder, der Versammlung Gottes, die in Korinth ist, den Geheiligten in Christus Jesus, den berufenen Heiligen, samt allen, die an jedem Ort den Namen unseres Herrn Jesus Christus anrufen, ihres und unseres Herrn. Gnade euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus!“

Paulus schreibt diesen Brief an die Versammlung in Korinth als ein Apostel. Sorgfältig betont er, dass er seine Autorität als Apostel durch die Berufung Christi Jesu durch Gottes Willen empfangen hatte, und nicht etwa durch Berufung von Menschen oder nach dem Willen des Menschen. Trotz der Tatsache, dass er als ein Apostel schreibt, ist er doch vollkommen frei, sich darin mit einem Bruder zu verbinden. Wenn dieser Bruder jener Sosthenes war, der in der Vergangenheit der Vorsteher der Synagoge in Korinth gewesen war (Apg 18,17), so wird er den Empfängern gut bekannt gewesen sein.

Paulus spricht die Versammlung in Korinth als solche an, die Geheiligte in Christus Jesus und berufene Heilige sind. Er betrachtet diese Heiligen also auf ihrem Weg durch diese Welt für Christus abgesondert und zur gleichen Zeit als aus diesem gegenwärtigen bösen Zeitlauf herausgerufen, um Teil zu haben mit dem erhöhten Christus – denn unsere Berufung ist himmlisch und nach oben (Heb 3,1; Phil 3,14).

In der Anrede an die Versammlung in Korinth verbindet der Apostel mit den Empfängern all jene, „die an jedem Ort den Namen unseres Herrn Jesus Christus anrufen, ihres und unseres Herrn“. Es gibt nur einen Herrn, von welchem jede örtliche Versammlung im Blick auf alle anderen Versammlungen sagen kann, dass Er sowohl ihr als auch unser Herr ist. Diese Tatsache ist in einem Brief, der sich mit dem praktischen Zustand der Gläubigen und dem Aufrechterhalten der Zucht und Ordnung in der Versammlung beschäftigt, von größter Wichtigkeit. Es zeigt nämlich deutlich, dass sich diese Unterweisungen an das ganze christliche Bekenntnis zu allen Zeiten richten. Wir werden im Verlauf dieses Briefes immer wieder Stellen finden, die den Versuch, diese Unterweisungen auf eine örtliche Versammlung und auf die Zeit der Apostel zu beschränken, als falsch widerlegen (siehe Kap 4,17; 7,17; 11,16; 14,36+37; 16,1).

Der Apostel wird offene Worte im Blick auf die Unordnung in dieser Versammlung gebrauchen; doch bevor er diese klaren Worte der Verurteilung ausspricht, ist es sein aufrichtiger Wunsch, dass sich die Empfänger dieses Briefes an den Segnungen der Gnade und des Friedens „von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus“ erfreuen möchten.

Verse 4 – 9

„Ich danke meinem Gott allezeit euretwegen für die Gnade Gottes, die euch gegeben ist in Christus Jesus, dass ihr in allem reich gemacht worden seid, in allem Wort und aller Erkenntnis, wie das Zeugnis des Christus unter euch befestigt worden ist, so dass ihr an keiner Gnadengabe Mangel habt, indem ihr die Offenbarung unseres Herrn Jesus Christus erwartet, der euch auch befestigen wird bis ans Ende, dass ihr untadelig seid an dem Tag unseres Herrn Jesus Christus. Gott ist treu, durch den ihr berufen worden seid in die Gemeinschaft seines Sohnes Jesus Christus, unseres Herrn.“

Obwohl der Apostel wegen des niedrigen Zustandes dieser Versammlung sehr viel zurechtzuweisen haben wird, erkennt er doch dankbar die Gnade und die Treue Gottes ihnen gegenüber an. Sie hatten die Gnade Gottes – wie wir alle auch – 'in Christus Jesus' empfangen. Diese Gnade hatte sie reich gemacht mit jeder geistlichen Segnung in Christus und ihnen das ganze Wort der Lehre und alle Erkenntnis geschenkt. Das Zeugnis des Christus bestand in ihrer Mitte – bestätigt durch die Kenntnis von der Wahrheit, die sie besaßen, und der Tatsache, dass sie an keiner Gnadengabe Mangel leiden mussten und die Offenbarung unseres Herrn Jesus Christus erwarteten. Darüber hinaus würde auch diese Gnade, die sie so reich gesegnet hatte, sie bis ans Ende befestigen, so dass sie untadelig sein würden an dem Tag unseres Herrn Jesus Christus – wie viel der Apostel an ihrem gegenwärtigen Zustand auch zu korrigieren haben würde.

Wie untreu die Heiligen auch immer sein mögen, der Apostel kann doch auch weiter noch dafür danken, dass Gott treu ist, durch welchen die Glaubenden 'in die Gemeinschaft seines Sohnes Jesus Christus, unseres Herrn', berufen worden sind. Wir müssen erachten, dass es hier nicht um die Gemeinschaft mit Seinem Sohn geht, sondern um die Gemeinschaft Seines Sohnes. Das ist eine Gemeinschaft, bei welcher Christus als Herr das Band ist, und welche alle jene umschließt, die Seinen Namen anrufen. Dies ist wahre christliche Gemeinschaft – die einzige Gemeinschaft, die die Heilige Schrift anerkennt.

In der Christenheit mögen andere Gemeinschaften gebildet werden, deren gemeinsames Band das Aufrechterhalten mancher bedeutenden Wahrheit oder das Ausüben von besonderen Diensten sein mag; doch solche Gemeinschaften sind von einem sektiererischen Wesen und bleiben zwangsläufig weit hinter der Gemeinschaft zurück, in welche wir berufen worden sind und die als das gemeinsame Band den Herrn Selbst besitzt, die in dem Mahl des Herrn ihren tiefsten Ausdruck findet, und deren leitende Kraft der Heilige Geist ist (1. Kor 10,16+17; 2. Kor 13,14). Eine Generation mag vergehen und an ihrer statt eine neue aufstehen – doch der eine Herr (Eph 4,5) bleibt bestehen. Und wie groß der Verfall und das Durcheinander in dem christlichen Bekenntnis auch sein mag, Seine Gedanken über die Zucht und Ordnung in den örtlichen Versammlungen Gottes bleiben in all ihrer Kraft und Eindringlichkeit bestehen – und so werden sie in diesem Brief entfaltet.

Es ist zu beachten, dass der Apostel, während er Gott für Seine Gnade dankt, über den geistlichen Zustand der Korinther nichts Anerkennendes zum Ausdruck bringen kann. Während er seine Freude daran hat, die Treue Gottes zu rühmen, kann er sie nicht als 'treue Brüder' anreden, wie er das in seinen Briefen an die Heiligen in Ephesus und Kolossä tut (Eph 1,1; Kol 1,2). Ach! Ein wenig später muss er bemerken, dass sie trotz all ihrer Erkenntnis, und obwohl sie in keiner Gnadengabe Mangel hatten, doch fleischlich waren und er zu ihnen nicht als zu Geistlichen reden konnte (Kap 3,1). Das Fleisch kann sich der Erkenntnis rühmen und verliehene Gaben zur Selbsterhöhung benutzen; doch wir tun gut daran, uns vor Augen zu halten, dass bloße Erkenntnis und der Besitz aller Gnadengaben Unordnung nicht verhindern oder einen geistlichen Zustand garantieren kann, solange das Fleisch nicht gerichtet ist.

Verse 10+11

„Ich ermahne euch aber, Brüder, durch den Namen unseres Herrn Jesus Christus, dass ihr alle dasselbe redet und nicht Spaltungen unter euch seien, sondern dass ihr in demselben Sinn und in derselben Meinung vollendet seiet. Denn es ist mir über euch berichtet worden, meine Brüder, durch die Hausgenossen der Chloe, dass Streitigkeiten unter euch sind.“

Nachdem der Apostel alles das anerkannt hat, was in dieser Versammlung von Gott war, beginnt er nun, sich mit der dort bestehenden Unordnung, wodurch ihr geistliches Wachstum und ihr Zeugnis für Christus gehindert wurde, zu beschäftigen.

Das erste große Übel, das hier behandelt wird, ist der Zustand der Teilungen, der in ihrer Mitte bestand. 'Es sind Streitigkeiten unter euch' schreibt der Apostel in Vers 11; und wieder in Kap 11,18: „Ich höre, es seien Spaltungen unter euch“. Er eröffnet diesen Gegenstand, dem er ernsteste Bedeutung beimisst, indem er sich auf 'den Namen unseres Herrn Jesus Christus' beruft. Gerade erst hatte er die Versammlung in Korinth – und damit auch uns – daran erinnert, dass wir 'in die Gemeinschaft seines Sohnes Jesus Christus' berufen worden sind. Diese Berufung, mit der viele Vorrechte verbunden sind, bedeutet auch gleichzeitig die Verantwortung, in unseren Wegen und unserem Wandel dieser Gemeinschaft treu zu bleiben. Um unsere Vorrechte genießen und unserer Verantwortung entsprechen zu können, werden wir ermahnt, völlig zusammengefügt zu sein in demselben Sinn und in derselben Meinung, damit es nicht zu einer Spaltung in dem Volk Gottes oder zu einem Bruch in der Gemeinschaft kommen kann.

Vers 12

„Ich sage aber dies, dass jeder von euch sagt: Ich bin des Paulus, ich aber des Apollos, ich aber des Kephas, ich aber des Christus.“

Der Apostel fährt damit fort, die Wurzel aufzudecken, aus der solche Spaltungen entstehen: „Jeder von euch sagt: Ich bin des Paulus, ich aber des Apollos, ich aber des Kephas, ich aber des Christus“. Einerseits erhöhten sie begabte Diener des Herrn in eine falsche Position als Mittelpunkt von Versammlungen – das ist das böse Prinzip des Klerikalismus, der so genannten Geistlichkeit; andererseits formierten sie sich selbst in Parteiungen um diese Diener und begannen dadurch mit dem bösen Prinzip der Sektiererei.

Es mag die Frage aufkommen, was von denen zu halten ist, die alle menschlichen Führer von sich weisen und sagen: „Ich bin des Christus“. Diese sind wahrhaftig noch schlechter als die anderen, denn sie versuchen, Christus zum Haupt einer Partei zu machen und missachten die Gaben, die Er gegeben hat. Es ist das Vortäuschen einer höheren Geistlichkeit, die bekennt, auf den Dienst von anderen verzichten zu können; und es ist der Anspruch, Christus ausschließlich für sich selbst beanspruchen zu können.

Dieser Missstand hier ist das Gegenteil von dem, wovon der Apostel in Apg 20,30 spricht. Dort warnt er die Ältesten von Ephesus, dass Schwierigkeiten durch die Führer aufkommen würden; hier stellt er fest, dass diese Übungen durch die Jünger aufgekommen waren. Dort spricht er von Dingen, die sich nach seinem Tode ereignen würden; hier sind es Ereignisse, die sich noch zu seinen Lebzeiten ereigneten. Der eine Missstand führte geradewegs zu dem nächsten Übel. Erst bilden die Christen Parteiungen um menschliche Führer, und dies endet darin, dass Führer verkehrte Dinge reden. Dieses traurige Prinzip, das sich schon in Korinth zeigte, ist mit den gleichen verheerenden Folgen die ganze Geschichte der christlichen Kirche hindurch wirksam gewesen. Gläubige haben sich um beliebte und bevorzugte Lehrer geschart; und diese Führer, die es zugelassen haben, in eine solch falsche Position gesetzt zu werden, haben schließlich verkehrte Dinge gelehrt und Trennungen und Spaltungen unter dem Volk Gottes bewirkt, indem sie die Jünger hinter sich selbst her abgezogen haben.

Verse 13–16

„Ist der Christus zerteilt? Ist etwa Paulus für euch gekreuzigt, oder seid ihr auf den Namen des Paulus getauft worden? Ich danke Gott, dass ich niemand von euch getauft habe, außer Krispus und Gajus, damit nicht jemand sage, dass ihr auf meinen Namen getauft worden seiet. Ich habe aber auch das Haus des Stephanas getauft; sonst weiß ich nicht, ob ich jemand anders getauft habe.“

Durch die Frage: „Ist der Christus zerteilt“? verurteilt der Apostel diese Sektiererei. Wir sind in eine Gemeinschaft berufen worden, von welcher Christus das Band ist. Leider sind wir dazu in der Lage, andere Gemeinschaften mit einem anderen Band zu bilden, aber wir können den Christus nicht zerteilen.

Dann verurteilt er den Klerikalismus der Korinther durch die Frage: „Ist etwa Paulus für euch gekreuzigt“? Paulus wies es weit von sich, in eine verkehrte Stellung als Mittelpunkt des Zusammenkommens des Volkes Gottes erhoben zu werden. Der einzig wahre Mittelpunkt des Volkes Gottes ist der Eine, der Seinen Besitzanspruch an sie dadurch unter Beweis gestellt hat, dass Er sich für sie kreuzigen ließ. Wie sehr Paulus auch das Volk Gottes lieben mochte, so war er doch nicht für sie gekreuzigt worden. Er wollte sich nicht die Stellung als Gegenstand der Zuneigungen des Volkes Gottes widerrechtlich aneignen – diese Zuneigungen gehören allein dem Gekreuzigten. Nach dem, was Paulus selbst gesagt hat, war es sein einziges Begehren – wie es das eines jeden wahren Dieners sein sollte –, sie einem Manne zu verloben, um sie als eine keusche Jungfrau dem Christus darzustellen (2. Kor 11,2).

Der Apostel hatte sich auch nicht dadurch zu einem Mittelpunkt des Zusammenkommens gemacht, indem er auf seinen Namen getauft hätte. Tatsächlich hatte er nur Krispus und Gajus und auch das Haus des Stephanas getauft. Was die übrigen dieser Heiligen in Korinth betraf, so hatte er es unterlassen, sie zu taufen, damit nicht jemand sagen könnte, er würde auf seinen eigenen Namen taufen und so versuchen, eine Gruppe um sich selbst zu sammeln. Dadurch, dass die Korinther die von ihnen bevorzugten Lehrer so erhöhten und ihnen anhingen, wollten sie deren Person hervorheben oder auszeichnen und rühmten sich so eher der Menschen als des Herrn, und eher der Gaben als des Gebers.

Um diesem bösen Zustand zu begegnen, betont der Apostel nachdrücklich zwei große Wahrheiten: zuerst das Kreuz Christi - das ist der große Gegenstand des restlichen Teiles dieses ersten Kapitels; und als zweites die Gegenwart und wirksame Kraft des Heiligen Geistes – das ist das große Thema des zweiten Kapitels. Hinsichtlich ihres Zustandes wird er im einzelnen noch viel zu korrigieren haben, doch bevor er damit beginnt, ist er bemüht, sie in den großen Wahrheiten zu befestigen, durch die das Fleisch völlig ausgeschlossen wird. Die Wurzel aller Unordnung in der Versammlung liegt nämlich darin, dass dem Fleisch Zugeständnisse gemacht werden. Das Kreuz beschäftigt sich mit dem Fleisch im Gericht vor Gott. Die Gegenwart des Heiligen Geistes duldet das Fleisch in der Versammlung Gottes auf Erden nicht. Es ist eine ernste Erwägung für uns alle, dass wir praktischerweise jedes Mal das Werk vom Kreuz leugnen und die Gegenwart des Heiligen Geistes nicht beachten, wenn wir dem Fleisch gestatten, sich in der Versammlung Gottes zeigen zu können!

Zuerst spricht der Apostel in Vers 17 von dem Kreuz Christi selbst. In Verbindung damit haben wir dann in den Versen 18 bis 25 das Wort oder die Predigt vom Kreuz, in den Versen 26 bis 29 die Berufung Gottes, und schließlich in den Versen 30 und 31 die Stellung, in die wir durch die Berufung Gottes gebracht worden sind. Jede einzelne dieser Wahrheiten schließt das Fleisch völlig aus und führt zu der Schlussfolgerung: „Wer sich rühmt, der rühme sich des Herrn“ (Vers 31).

Vers 17

„Denn Christus hat mich nicht ausgesandt, zu taufen, sondern das Evangelium zu verkündigen; nicht in Redeweisheit, damit nicht das Kreuz Christi zunichte gemacht werde.“

Das Kreuz Christi

Als erstes verteidigt der Apostel vor diesen Gläubigen das Kreuz Christi. Er war nicht ausgesandt worden, um zu taufen, sondern um das Evangelium zu verkündigen. Die Verkündigung geschah nicht in Redeweisheit, damit nicht das Kreuz Christi zunichte oder wirkungslos gemacht würde. Das Evangelium kann nicht nur durch Worte dargelegt werden, es muss durch das Kreuz dargelegt werden. Es ist von großer Bedeutung, dass wir diesen Grundsatz verstehen: Gott macht uns mit Sich selbst durch Seine Taten und Handlungen vertraut, und nicht einfach nur durch Beschreibungen oder Darstellungen von Sich. Philosophie und Theologie versuchen, Gott zu beschreiben; aber Beschreibung macht Redeweisheit erforderlich, und Redeweisheit erfordert menschliches Lernen, um die Worte zu formen und zu verstehen. Gott ist viel zu groß, um mit Worten beschrieben werden zu können; und wir sind viel zu gering, um bloße Beschreibungen von Ihm erfassen zu können. Gott hat deshalb einen anderen Weg eingeschlagen – den einzig tatsächlich möglichen Weg –, um Sich selbst und das Evangelium bekannt zu machen. Er hat Sich als Person und in Handlungen kundgetan. In der Person Christi ist Gott offenbart worden im Fleisch; und durch all Seine Taten unter den Menschenkindern ist Er kundgemacht worden. Und in dem Kreuz Christi finden diese Handlungen der Gnade und Liebe und Heiligkeit ihren Höhepunkt. Das Kreuz ist die größtmögliche Darstellung der Liebe Gottes dem Sünder gegenüber, Seines Hasses der Sünde gegenüber, und der völligen Beiseitesetzung des Menschen im Fleisch.

Und weil das so ist, lehnt es der Apostel ab, das Evangelium durch bloße Beschreibungen zu verkündigen – dies wäre mit Redeweisheit verbunden gewesen –, sondern er verkündigt vor den Korinthern das Kreuz Christi, wodurch Menschen, wie sie die Korinther erhöht hatten, an die Seite gesetzt werden.

Verse 18–25

„Denn das Wort vom Kreuz ist denen, die verloren gehen, Torheit; uns aber, die wir errettet werden, ist es Gottes Kraft. Denn es steht geschrieben: 'Ich will die Weisheit der Weisen vernichten, und den Verstand der Verständigen will ich wegtun'. Wo ist der Weise, wo der Schriftgelehrte, wo der Schulstreiter dieses Zeitlaufs? Hat Gott nicht die Weisheit der Welt zur Torheit gemacht? Denn weil ja in der Weisheit Gottes die Welt durch die Weisheit Gott nicht erkannte, so gefiel es Gott wohl, durch die Torheit der Predigt die Glaubenden zu erretten; weil ja sowohl Juden Zeichen fordern als auch Griechen Weisheit suchen; wir aber predigen Christus als gekreuzigt, den Juden ein Anstoß und den Nationen eine Torheit; den Berufenen selbst aber, sowohl Juden als auch Griechen, Christus, Gottes Kraft und Gottes Weisheit; denn das Törichte Gottes ist weiser als die Menschen, und das Schwache Gottes ist stärker als die Menschen.“

Das Wort vom Kreuz

Philosophen bevorzugen ihre angelernten Vorträge und Abhandlungen; deshalb ist das Wort vom Kreuz denen, die verloren gehen, Torheit. Die Weisen dieses Zeitlaufs sehen nicht die Herrlichkeit der Person dessen, Der an das Kreuz gegangen ist. Daher sehen sie auch die Liebe Gottes nicht, Der Ihn hingegeben hatte, damit Er leiden sollte; auch sehen sie weder die Heiligkeit Gottes, die ein solches Opfer verlangte, noch die völlige Verderbtheit des Menschen, die gerade am Kreuz sichtbar wird. Alles, was sie sehen, ist ein an das Kreuz genagelter Mensch zwischen zwei Räubern. Die Verkündigung der Errettung durch das Kreuz scheint ihnen daher völlige Torheit zu sein. Doch jeder, der so denkt, gehört zu denen, die verloren gehen. Für solche, die errettet werden, ist das Kreuz Gottes Kraft zur Errettung; denn durch das Kreuz kann Gott auf gerechte Weise selbst den übelsten und gemeinsten Sünder retten.

Die Weisheit dieser Welt ist somit bloßgestellt und zunichte gemacht worden. Die Welt hat reichlich Zeit gehabt, ihre Weisheit zu entwickeln; das Ergebnis davon ist, dass all die Weisheit der Philosophen sich als Torheit erwiesen hat, da sie den Menschen in völliger Unkenntnis über Gott lässt. Das Ergebnis aller menschlichen Weisheit ist, dass „die Welt durch die Weisheit Gott nicht erkannte“ (Vers 21). Es war nicht so, dass die Welt durch ihre Unwissenheit und Torheit Gott nicht erkannt hätte, sondern sie erkannte Gott durch ihre Weisheit nicht. Das Endresultat aller Weisheit aus allen Zeitaltern – der vereinten Anstrengungen der scharfsinnigsten Gelehrten der Welt – ist, den Menschen in völliger Unwissenheit über Gott und auch über sich selbst zu lassen. Wenn das vollständige Versagen der menschlichen Weisheit bewiesen ist, gefällt es Gott, durch die Torheit der Predigt solche zu erretten, die da glauben.

Aber die Weise Gottes, sich zu offenbaren und den Menschen zu segnen, erregt bei den Juden genauso Anstoß, wie unter den Nationen. Die Juden wollen Zeichen sehen – geheimnisvolle und wunderbare Eingriffe Gottes, die sich an die Sinne richten. Die Nationen wollen logische Argumente, die sich an den Verstand richten. Doch durch den gekreuzigten Christus wendet Gott Sich an Herz und Gewissen. Dies jedoch war den Juden ein Anstoß und den Nationen eine Torheit (Vers 23).

Die Juden erwarteten einen Messias, der von seinem Thron aus in Macht regieren würde, der das Königreich wieder aufrichten, ihre Feinde niederwerfen und Israel als Haupt über die Nationen setzen würde. In ihrer Vorstellung musste Christus von einem Thron aus herrschen; Christus am Kreuz war eine Kränkung für sie. Da sie kein Empfinden für ihre Bedürfnisse als Sünder hatten, sahen sie in dem Kreuz keinen Sinn. In ihrem Unglauben wurde es für sie zu einem Anstoß.

Was die Nationen betrifft, so war es aus ihrer Sicht völlige Torheit, ihnen weismachen zu wollen, dass durch einen Gekreuzigten Errettung zu finden war; dass es durch einen Gestorbenen Leben gibt, und dass es durch einen, der in Schwachheit gekreuzigt worden war, Kraft gibt. Die Nationen erwarteten etwas, das sich an ihren Verstand richtet – neue Dinge und philosophische Ideen. Dennoch war den Berufenen aus ihnen, sowohl aus den Juden als auch aus den Nationen, Christus Gottes Kraft und Gottes Weisheit geworden. Solche finden in Ihm die Kraft Gottes zur Errettung und die Weisheit Gottes in der Ausführung all Seiner Ratschlüsse.

Für den Verstand des Menschen ist die Predigt 'das Törichte Gottes', und das Kreuz 'das Schwache Gottes'; doch es wird sich erweisen, dass „das Törichte Gottes weiser ist als die Menschen, und das Schwache Gottes stärker ist als die Menschen“.

Verse 26–29

„Denn seht eure Berufung, Brüder, dass es nicht viele Weise nach dem Fleisch, nicht viele Mächtige, nicht viele Edle sind; sondern das Törichte der Welt hat Gott auserwählt, damit er die Weisen zuschanden mache; und das Schwache der Welt hat Gott auserwählt, damit er das Starke zuschanden mache; und das Unedle der Welt und das Verachtete hat Gott auserwählt und das, was nicht ist, damit er das, was ist, zunichte mache, damit sich vor Gott kein Fleisch rühme.“

Die Berufung Gottes

Paulus hat das religiöse Fleisch der Juden und das verstandesmäßige, intellektuelle Fleisch der Griechen beiseite gesetzt, indem er das Kreuz und das Wort vom Kreuz vorgestellt hat. Nun setzt er den Hochmut und Stolz des Fleisches beiseite, indem er die Berufung Gottes vorstellt: „Denn seht eure Berufung, Brüder, dass es nicht viele Weise nach dem Fleisch, nicht viele Mächtige, nicht viele Edle sind…“. Gott hat das Törichte, das Schwache, das Unedle, das Verachtete und das, was nicht ist, auserwählt, um das Weise zuschanden zu machen und das zunichte zu machen, was ist. Deshalb konnte es geschehen, dass ein blinder Bettler die weisen Pharisäer in Erstaunen versetzte (Joh 9), und dass ein einfacher Fischer die weisen Führer Israels so vollständig in Erstaunen versetzte, dass sie ausrufen mussten: „Was sollen wir tun?“ (Apg 2,14–37).

Gott benutzt also das, was nicht ist, um das zunichte zu machen, was ist. In den Tagen der Apostel waren es der Judaismus und die Philosophie, durch die die Menschen versuchten, sich selbst zu erhöhen; und Gott benutzte einfache Menschen, um diese Dinge zunichte zu machen, damit in Seiner Gegenwart sich kein Fleisch rühmen kann.

Das Fleisch hat immer das Bestreben, sich irgendwelcher Dinge rühmen zu wollen – sei es der Abstammung, des Reichtums, oder des Verstandes; doch in der Gegenwart Gottes können sich weder Gläubige noch Ungläubige dieser Dinge rühmen. Ach! Vor anderen mögen wir uns durch unsere Herkunft, unser Vermögen, unsere Weisheit oder unsere Fähigkeiten selbst zu erhöhen suchen, doch vor Christus schämen wir uns genau der Dinge, deren wir uns voreinander rühmen. Wir wagen es nicht, sie vor Ihm zu erwähnen; es sei denn, wir verurteilen uns, weil wir uns ihrer gerühmt haben. Wenn wir uns dieser Dinge rühmen, zeigt das nur, wie wenig wir wirklich vor Ihm sind.

Verse 30+31

„Aus ihm aber seid ihr in Christus Jesus, der uns geworden ist Weisheit von Gott und Gerechtigkeit und Heiligkeit und Erlösung; damit, wie geschrieben steht: 'Wer sich rühmt, der rühme sich des Herrn'.“

Die Stellung des Gläubigen in Christus

Schließlich noch setzt der Apostel das Fleisch dadurch beiseite, dass er die Abstammung und die Stellung des Gläubigen in Christo vorstellt. Der Gläubige ist 'aus Gott'. Wie weitaus größer ist es, aus Gott zu sein, als aus den Hochgeborenen, aus den Mächtigen, aus den Weisen oder aus den Reichen! Doch mehr noch, wir sind aus Gott 'in Christus Jesus'. Wir haben nicht nur eine Abstammung aus Gott, wir sind auch in Christus Jesus. Wir stehen nicht in dem Zustand und der Stellung Adams vor Gott, fern von Gott und unter dem Gericht, sondern wir stehen in der ganzen Annehmlichkeit Christi vor Gott und vor dem Himmel.

Und das ist noch nicht alles. Wir mögen nur wenig Verständnis über uns selbst haben, doch Christus ist uns 'Weisheit von Gott' geworden. Um Weisheit zu bekommen, brauchen wir uns nicht an die Philosophie, an weise Menschen, oder an unsere eigene eingebildete Weisheit zu wenden, denn wir haben Christus. Wenn wir Ihn besitzen, erkennen wir sofort, worüber alle Weisheit dieser Welt uns nie belehren kann. Christus am Kreuz hat uns die Augen über unseren verlorenen Zustand völlig geöffnet und uns Gott in Seiner Liebe vorgestellt. Und Christus in der Herrlichkeit stellt uns alle Ratschlüsse Gottes vor. In Christus sehen wir die Weisheit Gottes, wie Er unserem verderbten Zustand begegnet ist, und wie Er Seine Ratschlüsse erfüllt hat.

Weiterhin ist Christus uns 'Gerechtigkeit' geworden. Wir selbst besitzen keine Gerechtigkeit vor Gott. Die Gerechtigkeit Gottes erweist sich darin, dass Er uns auf der Grundlage des Todes Ihm entsprechend rechtfertigt. Wenn wir wissen wollen, was diese Gerechtigkeit ist, und wie vollkommen passend für die Herrlichkeit wir dadurch gemacht worden sind, dann müssen wir nicht auf Menschen oder auf uns blicken, sondern auf Christus. Durch Christus in der Herrlichkeit wird uns die Gerechtigkeit Gottes vorgestellt.

Christus ist uns auch 'Heiligkeit' geworden. Er ist der Maßstab, das Vorbild und die Kraft zur Heiligkeit. Und schließlich ist uns Christus auch 'Erlösung' geworden, die vollständige Befreiung von den Auswirkungen der Sünde in unseren Leibern – darauf warten wir noch. Wir sehen diese Erlösung in Christus vorgestellt; wir besitzen sie jetzt schon in Ihm, unserem Haupt; und wir warten darauf, dass sie auch an uns offenbar werden wird.

Wenn wir also nur in Christus alles besitzen, und in dem Menschen als solchem gar nichts haben, dann ist die Schlussfolgerung: „Wer sich rühmt, der rühme sich des Herrn“. Das Kreuz, das Wort vom Kreuz, die Berufung Gottes und unsere Stellung in Christus vor Gott schließen das Fleisch absolut aus.

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