Der Sühnungstag
Kommentar zu 3. Mose 16

Schlussbemerkungen

Der Sühnungstag

Das waren die besonderen Opfer am großen Sühnungstag; und durch den Geist Gottes wird der Unterschied zwischen der Stellung derer deutlich gemacht, die in das Heiligtum hineingehen können, und der Stellung, die Aaron für das Volk draußen durch das Fortsenden des Asasel sichert.

Nachdem dies alles getan war, sollte Aaron in das Zelt der Zusammenkunft hineingehen und „die Kleider aus Leinen ausziehen, die er anzog, als er in das Heiligtum hineinging, und sie dort niederlegen“. Dann badete er sein Fleisch im Wasser am heiligen Ort und zog seine Kleider an, d. h. seine gewöhnlichen Kleider, und er kam hinaus und opferte sein Brandopfer und das Brandopfer des Volkes und tat Sühnung für sich und für das Volk. Und das Fett des Sündopfers räucherte er auf dem Altar (Verse 23 - 25).

Nun waren diese Brandopfer keineswegs eine Besonderheit des großen Sühnungstages. Deshalb wird hier beobachtet, dass er die heiligen Kleider, die der Hohepriester nur zu dieser besonderen Gelegenheit trug, an diesem Punkt auszog. Hierauf sind wir schon eingegangen, um zu versuchen, die Schwierigkeit zu erklären, die einige in Hebräer 2,17 sehen. Diese haben sich selbst in viele nutzlose Sorgen gebracht, denn die eigentliche Berufung und Begrüßung des Hohenpriesters fand nach der Auferstehung und der Himmelfahrt statt. Da ist Er, „vollendet worden, (…) allen, die ihm gehorchen, der Urheber ewigen Heils geworden, von Gott begrüßt als Hoherpriester nach der Ordnung Melchisedeks“ (Heb 5,9.10). Aber es ist nicht weniger deutlich, dass der Hohepriester die Sünden des Volkes sühnen sollte. Da dies natürlich durch ein Sühnungsopfer geschah, ist es für einige ein Problem, wie eine Sühnung, die durch sein Blut bewirkt wurde, mit einem in Auferstehungsherrlichkeit droben ausgeübten Amt zu vereinbaren ist. Die Lösung ist, dass das, was der Hohepriester am großen Sühnungstag tat, etwas Besonderes und zugleich tief Bedeutsames war. Doch handelte er nicht in seinen gewöhnlichen Funktionen als Hoherpriester. Sein eigentlicher Platz war im Heiligtum.

Es ist auch allgemein bekannt, dass, wenn ein Israelit ein Brandopfer, ein Friedensopfer oder ein Sündopfer brachte, es der Opfernde war, der seine Hand auf den Kopf des Opfertieres legte. Bei jedem Feueropfer für den HERRN, wo der Tod eine Rolle spielte, identifizierte sich der Opfernde mit dem geschlachteten Opfertier, und der Priester sprengte nachher das Blut. Es ist ein Irrtum, dass der Priester das Opfertier schlachtete; vielmehr tat das der Opfernde. Die Aufgabe des Priesters begann, wenn das Tier geschlachtet war. Mit dem Sprengen des Blutes begannen seine Aufgaben. Aber Christus geruhte auch dies zu erfüllen - und kein Geringerer als Er.

In welch einem besonderen Licht stand nun der Hohepriester an jenem Tag? Keineswegs in seiner gewöhnlichen Herrlichkeit als Hoherpriester, auch nicht als ein gewöhnlicher Priester im Heiligtum. Der Hohepriester identifizierte sich zuerst mit den Sünden seines eigenen Hauses und dann mit denen der Kinder Israel. So stand er an jenem Tag nicht so sehr entsprechend der Würde seiner normalen Pflichten da, sondern mehr als ein Stellvertreter, der das auf sich nahm, was Gott vorschrieb, um die Sünden hinweg zu tun. Das mag deutlich werden durch die besondere Kleidung während der charakteristischen Handlungen jenes Tages, und es kommt klar genug in dem Text zum Ausdruck, auf den hier Bezug genommen wird. „Daher musste er in allem den Brüdern gleich werden, damit er in den Sachen mit Gott ein barmherziger und treuer Hoherpriester werde, um die Sünden des Volkes zu sühnen“ (Heb 2,17). Aus diesem und noch anderen Gründen wurde Er „Fleisches und Blutes teilhaftig“ (Heb 2,14).

Wiederum sagt der Apostel es in Römer 8,3 so: „Gott, indem er, seinen eigenen Sohn in Gleichgestalt des Fleisches der Sünde und für die Sünde sendend, die Sünde im Fleisch verurteilte“. Dies ist eine merkwürdige Ausdrucksweise. Adam war nicht in „Gleichgestalt des Fleisches der Sünde“ geschaffen; aber Er war auch ganz gewiss aus Fleisch und Blut, was seinen Körper angeht, der durch seinen Fall sündig wurde. Unser Herr Jesus war auf der anderen Seite gewiss kein gefallener Mensch und war auch nicht des sündigen Fleisches und Blutes teilhaftig. Das hätte nicht nur seine Person verdorben, sondern Er hätte so kein angemessenes Opfer für die Sünde sein können. Wenn es nur den geringsten Makel von Sünde gegeben hätte, wäre Er nicht der „Heilige Gottes“ gewesen. Auch hätte Er nicht das allerheiligste Opfer für die Sünde darbringen können, und Er hätte nicht unsere Sünden tragen können. Er hätte für seinen eigenen Zustand sterben müssen; Er hätte nicht stellvertretend für andere leiden können. Die Notwendigkeit für diese Ausdrucksweise des Geistes ist klar; Gott sandte „seinen eigenen Sohn in Gleichgestalt des Fleisches der Sünde und für die Sünde“. Da liegt genau die Wahrheit; und jeder aufrichtige Christ muss sie sehen und glauben.

Denn als Opfer für die Sünde wurde Er gesandt, aber deshalb einfach in Gleichgestalt, nicht in Wirklichkeit des Fleisches der Sünde. Obwohl Er als wirklicher Mensch von einer Frau geboren wurde, war Er doch Gott. Er war in jener Gleichgestalt, weil Er von einer Frau geboren wurde, die zwar eine Jungfrau aus dem Stamm Davids war, aber doch nicht weniger als jedes andere menschliche Wesen das Fleisch der Sünde an sich hatte. Wie sollte das Problem gelöst werden? Durch göttliche Gnade und Macht, durch seine Empfängnis durch den Heiligen Geist, hatte unser gelobter Herr, wenn Er auch ebenso wahrhaftig Mensch war wie jeder andere, weder einen menschlichen Makel an sich, noch befand Er sich, wenn man es so nennen kann, in diesem Verlustzustand, in den die Menschen durch die Sünde gefallen waren. Das wurde, wie Lukas 1 uns wissen lässt, durch die Kraft des Allerhöchsten bewirkt, welche die Jungfrau Maria überschattete. Deshalb wurde ihr Sohn der Sohn Gottes genannt. Das war wirklich absolut notwendig. Er musste sein Fleisch und Blut wirklich von seiner Mutter haben - aber durch jene wunderbare Kraft, die sein Menschsein ganz von jedem Flecken und Makel des Bösen fernhielt. Er war uns in allen Dingen gleich, ausgenommen die Sünde, von der Er hier in seinem Fleisch und seinem Geist getrennt war. Von dem Augenblick an, als erklärt wurde, dass die Jungfrau empfangen sollte und zur entsprechenden Zeit die Mutter unseres Herrn werden sollte, wurde eine totale Immunität gegen die Sünde für Ihn sichergestellt. „Einen Leib aber hast du mir bereitet“ (Heb 10,5). Sonst hätte das Sündopfer für Gott keinen Wert gehabt, und es wäre für den Menschen auch nicht wirksam gewesen. „Hochheilig ist es“ war sogar der Kommentar des Gesetzes in Bezug darauf; wie viel mehr war dies von Christus wahr? Er war in der Gleichgestalt des Fleisches der Sünde, weil seine Mutter ganz gewiss der sündigen Menschheit angehörte, wie alle anderen. Oder ziehst du die Tradition oder den Aberglauben Gottes Wort vor?

So wird deutlich, wie gottlos der Irrglaube war, der sich später einschlich, nämlich die so genannte unbefleckte Natur der Jungfrau. Rom preist von ihr, was nur von Ihm stimmt, was das natürliche Ergebnis der Vergötterung der Mutter ist, die in der Tat verbreiteter und vorherrschender ist als die Anbetung des Vaters und des Sohnes, von denen sie sich aus Furcht etwas fernhalten. Es ist die „Bona Dea“, die gute Göttin des Heidentums in christlicher Gestalt, die ganz zu denen passt, die Gott nicht kennen, wenn nicht auch zu denen, die dem Evangelium unseres Herrn Jesus nicht gehorchen. Der aufrichtige Christ sieht hier die Hand des Feindes. Aber der Herr Jesus nahm Fleisch und Blut an, wie es sich für Ihn geziemte, als Er ein Mensch wurde, und Er wurde in allem seinen Brüdern gleichgemacht, „damit er in den Sachen mit Gott ein barmherziger und treuer Hoherpriester werde, um die Sünden des Volkes zu sühnen“. Dies geschah ganz klar durch seinen Tod. Auf welche andere Weise sollte es geschehen können als durch das Vergießen seines Blutes? Demzufolge ist die Annahme, dass nach dem Tod und vor der Auferstehung ein neues und nachfolgendes Werk im Himmel geschah, ein Abweichen von Gottes Wort, wodurch man sich einer Gefahr und einer Täuschung aussetzt. Was auch der gewöhnliche Platz des Hohenpriesters gewesen sein mag - das Sühnungswerk wurde in den Kleidern aus Leinen vollbracht, als Schattenbild beschrieb es unseren Herrn sehr passend als den heiligen Opfernden und das Opfer für die Sünde.

Ganz anders wird unser Herr gesehen, als Er im Himmel mit Ehre und Herrlichkeit gekrönt wurde. Aaron trug am allerheiligsten Ort ausnahmsweise die heiligen Kleider aus Leinen. Der Grund dafür ist, dass die Sühnung an dem einen Tag bewirkt werden musste, als er in das Allerheiligste eintreten konnte. Und wenn er so dort hineinging, trug er die ungewohnte Kleidung, die davon zeugte, dass er das Sühnungswerk tat, sei es für seine eigene Familie oder für die Kinder Israel im Allgemeinen. Kommt dieses Bild nicht dem Problem, das einige in dem vorhin genannten Vers sehen, auf glückliche Weise zuvor? Hüte dich vor der Einseitigkeit, die nichts von unserem Herrn als Hoherpriester in einem Sinn oder zu einem besonderen Zweck hören will, bis Er nach droben ging, um sein eigentliches Amt vor Gott auszuüben. Man muss dies allerdings einräumen, wenn man nicht die Sühnung am Kreuz ableugnen will.

Das Neue Testament sagt ganz klar, dass die Sühnung durch den Hohenpriester geschah. Dadurch wird jede Annahme ausgeschlossen, dass die Sühnung nur dadurch vollbracht werden sollte, dass unser Herr zum Himmel ging. Das Werk war geschehen und vollendet, als Er „erhöht“ war. Dies mag ja, genau genommen, nicht auf der Erde gewesen sein, aber es war, bevor Er zum Himmel aufstieg. Als Er gekreuzigt wurde, als der Mensch an Ihm seinen tiefsten Hass und Zorn ausließ, da gab Gott es Ihm, das Wort zu vollbringen, wodurch seine Gnade von aller Ewigkeit her bestimmt hatte, den Schuldigsten zu retten, indem Er dies zur Grundlage seiner Gerechtigkeit machte. Ohne dieses Opfer hätte Gott die Schöpfung einfach vernichten müssen, oder Er hätte, wenn Er sie rettete, gegen sein Wesen und sein Wort handeln müssen. Auf Grund des Kreuzes Christi kann Er vollkommen lieben, so wie Er vollkommen gerichtet hat, und so hat Er alles bewahrt - ja, Er hat sogar eine neue und ewige Herrlichkeit gewonnen. Denn was sonst konnte Gott für Sünder tun? Oder wie konnte Er seine Rechte bewahren, wenn Er ohne das Kreuz Christi einfach Sünden vergeben hätte?

Wenn Gott uns gemäß unserer Sünden behandelt hätte, hätte Er das nur als Richter tun können, und Er hätte alle Sünder vernichten müssen. Wenn Gott auf der anderen Seite nur entsprechend der Liebe seiner Natur gehandelt hätte, hätte Er das in seiner Natur aufgeben müssen, was den Sünder verabscheut und bestrafen muss. So hätte ohne Christus und sein Kreuz alles zu Verderben, Verwirrung und Unehre geführt. Ohne das Kreuz wäre Gottes moralische Herrlichkeit vollkommen untergraben worden, und die Errettung der Verlorenen wäre unmöglich gewesen. Aber in Christus brauchte Gott weder den Sünder vernichten, noch die Sünden einfach leichtfertig ignorieren. Deshalb gab er Gottes Sohn zur Sühnung. Diese Sühnung geschah durch seinen Tod und das Blutvergießen, was allein für Gott und den verlorenen Menschen passend war. Das wiederum erklärt das Vorherrschen der Einrichtung des Opfers - was ohne Zweifel unter den Heiden herabgewürdigt und verfälscht wurde, aber in sich selbst wiesen die Opfer auf „ein Opfer von edlerem Rang und auf ein besseres Blut“ hin. So wie Satan alles zu verfälschen versucht, so hat er sich auch hier erfolgreich bemüht. Die Bedeutung hiervon wurde jedoch niemals voll sichtbar, bevor der Herr kam und am Kreuz starb, worin dann nicht mehr der bloße Schatten, sondern das wahre Bild gesehen wurde. Direkt als der Herr den Sühnungstod starb, war es die wahre Sühnung, die Gott durch Bilder vorher angekündigt hatte. Und sie bleibt vor Ihm als eine vollendete Tatsache in ihrem ganzen Wert.

Nachdem die besonderen Handlungen dieses Tages geschehen waren, zog Aaron die heiligen Kleider aus und zog seine normalen Kleider an und ging hinaus, um sein Brandopfer und das des Volkes darzubringen. Diese Brandopfer konnten von anderen an jedem anderen Tag dargebracht werden; aber an jenem Tag war der Hohepriester in allem, was von Bedeutung war, der ausschließlich Handelnde, auch wenn dies nicht mehr ein nur für diesen Tag vorgesehenes Opfer war. Es stellte den Herrn Jesus dar, der sich selbst durch den ewigen Geist ohne Flecken Gott geopfert hat. Die beiden Brandopfer waren für ihn selbst und für das Volk (Vers 24). Aus 3. Mose 8 wissen wir, ebenso wie es auch hier zum Ausdruck kommt, dass das Brandopfer zur Sühnung dienen sollte, aber dies natürlich nur ganz allgemein. Es drückte nicht den besonderen Ernst des großen Sühnungstages aus. Wenn ein Israelit von ganzem Herzen das Opfer brachte, um sein Gefühl der Abhängigkeit von der Güte Gottes zum Ausdruck zu bringen, dann hatte es immer einen sühnenden Charakter. Gott konnte ein Opfer ohne Blut nicht zur Sühnung annehmen. Weder der wahrhaftige Gott noch der Glaube geht über die Sünde leichtfertig hinweg. Wenn man daher all das betrachtet, was beständig auf dem ehernem Altar auf angenehme Weise Gott dargebracht wurde, so hatte die erste Annäherung zwischen Gott und dem Menschen, das Brandopfer, einen sühnenden Charakter.

Es gibt noch eine andere bemerkenswerte Tatsache: „Und das Fett des Sündopfers soll er auf dem Altar räuchern“ (Vers 25). Das war dem Altar Gottes vorbehalten, obwohl der geschlachtete Bock und der Stier für die Sünde geopfert waren. Das Fett des Sündopfers wurde nicht draußen mit den Tieren verbrannt. Das Blut wurde, wie wir gesehen haben, in das Allerheiligste gebracht. Es konnte kein besseres Zeugnis von der vollkommenen Annahme dessen geben, der geruhte, ein Sündopfer zu sein, wie auch immer er von Menschen verworfen und von Gott gerichtet werden würde. Wenn das Gegenbild, der Eine, der sich aus Liebe zum Sündopfer machte, an seiner Person Tod und Gericht erfahren musste - wie der Bock und der Stier, die außerhalb des Lagers verbrannt wurden, so wurde das Fett (an dem man zuerst gesehen hätte, wenn irgendeine Verunreinigung da gewesen wäre) auf dem Altar der Annahme verbrannt. Wie deutlich bezeugt dies die innere Reinheit unseres Herrn Jesus! Er war ganz gerecht und ganz heilig, nicht nur in seinen Handlungen, sondern auch seiner Natur nach.

Nachdem dann erwähnt worden ist, dass derjenige, der den Bock fortgeführt hat, seine Kleider waschen muss und sein Fleisch im Wasser baden muss, bevor er in das Lager zurückkehrt (Vers 26), wird dargelegt, dass der Stier und der Bock, deren Blut zur Sühnung in das Heiligtum gebracht worden waren, fortgeschafft werden sollten und dass ihre Häute und ihr Fleisch und ihr Mist außerhalb des Lagers verbrannt werden sollten (Vers 27), wobei der, der sie verbrannte, seine Kleider waschen musste und sich baden musste, bevor er in das Lager zurückkehrte (Vers 28). Hier wird es uns nicht gewährt, Vermutungen über die Bedeutung anzustellen. In Hebräer 13,11-13 gibt der Apostel uns ein unschätzbares Licht: „Denn von den Tieren, deren Blut für die Sünde in das Heiligtum hineingetragen wird durch den Hohenpriester, werden die Leiber außerhalb des Lagers verbrannt“. Es kann kein Zweifel bestehen, dass hinter diesem Schatten ein wichtiger Grundsatz und eine praktische Bedeutung für uns liegen. Worin besteht hier die Verbindung zu Christus? „Darum hat auch Jesus, damit er durch sein eigenes Blut das Volk heiligte, außerhalb des Tores gelitten. Deshalb lasst uns zu ihm hinausgehen, außerhalb des Lagers, seine Schmach tragend“. So sicher, wie die Auslegung ist, so sicher ist dies auch unsere Pflicht, denn es gibt nichts, das im Herzen eines Christen ein solches Echo findet wie die Verbindung mit Christus in praktischer Hinsicht.

Die Juden waren Gottes auserwähltes Volk innerhalb „des Lagers“, und der Hebräerbrief sieht Israel in der Wüste und nicht im Heiligen Land. Diese Stellung charakterisierte sie im Gegensatz zu den Heiden, von denen sie sich absonderten. Den Zugang, den sie zum Heiligtum hatten, besaßen sie nur durch die Vermittlung der Priester und des Hohenpriesters. Und wir haben oft gesehen, wie vage, selten und unsicher dieser Zugang war; denn das Gesetz hat nichts zur Vollendung gebracht. Aber sie, und sie allein, hatten auf der Erde den Anspruch, Gottes Volk zu sein. Das zeigte sich in der Wüste dadurch, dass sie ein Lager hatten, worin das Zelt war, in dem Gott im Allerheiligsten wohnte. Aber das Gesetz hielt das Volk streng außerhalb des Heiligtums. Der Weg zum Heiligtum war noch nicht offenbart; jetzt ist er durch Christus und sein Werk für uns offenbart, denn der Vorhang ist zerrissen.

Das Kreuz Christi brachte einen vollständigen Gegensatz zu diesen beiden am deutlichsten hervortretenden Umständen in der Stellung Israels. Auf der einen Seite wird der Christ eingeladen und ermutigt, da er mit Blut „besprengt und so gereinigt ist vom bösen Gewissen“ und mit reinem Wasser gewaschen ist (Heb 10,22), im Heiligtum zu nahen. Auf der anderen Seite wird der Christ ebenfalls ermahnt, zu Christus hinauszugehen außerhalb des Lagers, seine Schmach tragend. Diese beiden Extreme treffen sich jetzt bei dem Gläubigen - und zwar nicht darin, wie Christen leben oder wie sie reden, sondern wie Christen glauben sollten. Das Zusammenfallen dieser Tatsachen ist ernst. Wenn du ein Christ in Tat und Wahrheit bist, bist du gewaschen oder von deinen Sünden gereinigt im Blut Christi. Du wirst nicht reiner sein in den Augen Gottes, wenn du in den Himmel kommst, als jetzt, denn Christus ist gestorben, auferstanden und verherrlicht. Dies ist eine Angelegenheit des unverfälschten Glaubens; nichts kann dem hinzugefügt werden, was Christus getan und was Gott zu unseren Gunsten anerkannt hat. Wenn du auf diesen oder jenen Bruder schaust, magst du bei ihm deine eigenen Fehler sehen - in deinen Augen vielleicht sogar überspitzt. Das sollte nicht so sein. Wir sollten lieber die anderen höher achten als uns selbst. Aber ach! Dasselbe Fleisch, das uns gegenüber unseren eigenen Fehlern nachsichtig macht, macht uns hart im Hinblick auf die Fehler unserer lieben Brüder. So wenig leben wir in der Kraft der Gnade durch den Glauben. Wir sollen alle Falschheit verabscheuen!

Wenn Gottes Wort unsere Gedanken beherrscht, finden wir uns selbst in diesem Brief unter den heiligen Brüdern, die der himmlischen Berufung teilhaftig sind. Wir gehören zu dem wahren Haus Gottes, zu der Familie des Hohenpriesters, und später werden wir aufgefordert, im Heiligtum hinzuzutreten. Auf welcher Grundlage könnte irgendeine Seele wohl dort eintreten, wenn ihre Sünden nicht vollständig weggetan wären? Wenn sie es jetzt nicht sind, was soll sie dann ein anderes Mal auslöschen? Christus nahm seinen Platz in der Höhe nicht ein, bis alles vollbracht war für jeden, der glauben würde (Heb 1,3). Hiervon ausgehend legt der Apostel seine Beweisführung dar. Wenn eine Wiederholung nötig wäre, müsste Christus öfter gelitten haben. Demgegenüber steht die ganze Kraft der Lehre, dass sein Werk und sein Tod ein für alle Mal geschehen ist. Die gleiche Betonung erscheint im 1. Petrusbrief, wo es heißt, dass Er „einmal für Sünden gelitten hat“ (1. Pet 3,18). Auch hat Er nicht nur ein für alle Mal gelitten, sondern wir sind auch ein für alle Mal gereinigt. Wir sind gereinigt in unseren Gewissen entsprechend der Kraft jenes einen Opfers, durch das Er einen neuen und lebendigen Weg durch den Vorhang hindurch eingeweiht hat. Die Kraft dieses Opfers gilt nur für uns in Christus. Ich spreche jetzt allein von denen, die sich nicht wieder zum Verderben wenden, sondern die an die Errettung der Seele glauben.

Aber neben dem Hinzutreten im Heiligtum ergeht der Ruf, zu Christus hinauszugehen außerhalb des Lagers. Lasst uns keinen Ehrenplatz auf dieser Erde suchen, keine Möglichkeit, Ehre zu erlangen, kein bequemes Leben, keine äußerliche Auszeichnung. Die Juden mochten schon auf all dies spekuliert haben, aber durch Unglauben haben sie alles verloren. Anstatt hier auf der Erde einen bevorzugten Platz einzunehmen und Vergünstigungen zu suchen, sind die Christen aufgefordert, sich mit Ihm zu vereinigen, der außerhalb des Lagers litt. Sie waren nicht berufen, den Platz des „Lagers“ einzunehmen, als die Juden ihre Stellung verwirkten. Bevor die Juden öffentlich ihren Platz und ihr Volk verloren, wurden die von ihnen, welche durch Gnade Christen geworden waren, ermahnt, innerhalb des Vorhangs hinzuzutreten, selbst wenn sie früher Juden waren. Nachdem sie durch Christi Blut geheiligt sind, das sie von dem irdischen Heiligtum frei macht, werden sie jetzt aufgerufen, außerhalb des Lagers zu gehen. Seine Schmach zu tragen, ist ehrenhaft.

Der Christ ist ein Mensch, der nicht von der Welt ist. Er ist von Christus für den Himmel bestimmt und ist jetzt berufen, dorthin zu nahen, wo Er ist. Die beiden Wahrheiten fließen zusammen; und was Gott so zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht scheiden. Was für ein Recht hat jemand auf den Zutritt ins Allerheiligste, wenn nicht Gottes Ruf, Jesus nachzufolgen, der außerhalb des Tores litt, gleichzeitig befolgt wird? Wenn du dein Anrecht hochschätzt, innerhalb des Heiligtums hinzuzutreten, dann schrecke auch nicht davor zurück, zu Ihm hinauszugehen außerhalb des Lagers. Liegt nicht in beidem dein Platz - und dein einzig richtiger Platz bei Ihm? Lasst uns im Glauben bei Christus sein, sowohl innerhalb des Vorhangs als auch außerhalb des Lagers.

Die Christenheit hat all dies umgekehrt. In den Augen der Theologen ist es eine freche Anmaßung, innerhalb des Heiligtums hinzuzutreten, während wir hier auf der Erde sind. Ist dies nicht in Wirklichkeit der Unglaube der Christenheit? Aber Christus verschafft uns den Zugang zum Heiligtum als das normale Vorrecht der Seinen. Der Zugang ist frei für jeden Christen, sei er Calvinist, Arminianer oder Episkopalier, wenn er nur wirklich gläubig ist. Doch ist es gut, all solche Gruppen zu meiden, denn sie führen ihre Anhänger zu kurzsichtigen Anschauungen über Gott! Und manche kostbare Wahrheit kann hierbei leicht übersehen werden. Das Wort Gottes geht weit über menschliche Erörterungen hinaus. Man kann mit Recht argwöhnisch sein bei kirchlichen Gruppen - egal, was oder wo sie sind. Meine Erfahrung geht dahin, dass die, welche viel wissen, in ihrem Geist und ihren Zielen nicht besser, eher sogar schlechter, sind als die, die weniger wissen. Sicher sollten wir, liebe Brüder, über Streitigkeiten stehen, wenn wir die Wahrheit Gottes empfangen haben. Und haben wir Christus nicht so kennen gelernt, dass wir uns über solche Streitereien schämen müssten? „Wer Ohren hat zu hören, der höre.“ Christi Ehre und sein Wille sei unser einziges Verlangen.

Wir wollen uns ernsthaft und demütig vor Gott prüfen, damit wir aus all diesem Nutzen ziehen und uns vor jeder Falle hüten, indem wir uns in einem Geist der Gnade an Christus und an die Wahrheit klammern. Wenn irgendwelche Streit und Ichsucht vorziehen, dann lasst sie in Ruhe. Das kann uns betrübt machen, aber, wie alle wissen, gibt es nichts, das mächtiger wirkt als ein gutes Beispiel. So habe ich oft zu einigen gesagt, die uns engstirnig, verkehrt oder wie auch immer fanden: Warum zeigt ihr uns nicht durch euren Glauben einen vorzüglicheren Weg in der Ausführung der Wahrheit Gottes? Niemand wird behaupten, dass es für den Herrn wohlgefällig ist, wenn irgendwelche bloß kritisieren und gleichzeitig fortfahren mit dem, was sie als falsch erkannt haben. Wenn wir so erbärmlich gewandelt sind, warum macht ihr selbst es nicht besser? Warum nicht helfen, anstatt zu kritisieren? Seid selbst treu.

Gewiss sind dies große Wirklichkeiten - Zutritt zum Heiligtum und Gemeinschaft mit Christus außerhalb des Lagers, während wir noch auf der Erde sind. Wenn wir anerkennen, dass diese beiden Dinge Gottes Ruf an uns sind, müssen wir uns dann in Wort und Wandel verbinden mit solchen, die diese Wahrheiten leugnen? Müssen wir uns durch Tradition in eine Form der levitischen Anbetung hinabziehen lassen, die den Anbetenden draußen hält? Sind wir frei vor Gott, jedes Mal, wenn wir beten, die Wahrheit Christi zu vergessen und zu übergehen? Fragt ihr, wer das tut? Verzeiht mir, aber ich möchte die Christen sehen, die nicht „der Hütte dienen“, wie dieser Brief es nennt, anstatt im Glauben ihre ureigenen Vorrechte auszukosten.

Dieser Irrtum befindet sich nicht nur in einer besonderen Benennung. Ist er nicht auf alle zutreffend? Ich möchte nicht persönlich werden, aber ist es nicht der beste Dienst, wenn ich darauf dränge, das, was wir unter Anbetung zu verstehen, an dem zu prüfen, was Gott lehrt? Wenn ihr sein Wort darüber annehmt (und es ist ebenso klar wie auch tief und trostreich), dann klammert euch von ganzem Herzen an die Wahrheit. Ist das für einen Gläubigen zuviel verlangt? Warum solltet ihr, meine lieben Freunde, zwischen Wahrheit und Irrtum hin- und hergezogen werden, zwischen dem, was ihr als für Gott angenehm erkannt habt, und dem, was die Christenheit versäumt hat? Jeder Mensch liebt natürlicherweise das Lager. Für den natürlichen Menschen ist das „Heiligtum“ ein Extrem und „außerhalb des Lagers“ das andere. In dem Lager zu sein mit einem Priester für das Heiligtum, das ist der goldene Mittelweg, der für das Auge und für den Geist so angenehm ist. Sie finden sich so in einer angenehmen Stellung in der Welt, in der religiösen Welt natürlich. Das war genau die Stellung, welche die Juden zu alten Zeiten einnahmen. Von diesem Mittelweg rief der Apostel die Christen fort, um nicht nur innerhalb des zerrissenen Vorhangs zu nahen, sondern auch außerhalb des Lagers hinauszugehen; und beides ist heute, wie je zuvor, gültig, seitdem der Ruf ergangen ist.

Lasst mich nun fragen, war das Kreuz Christi etwas Ehrenvolles? Wurde es wirklich so gesehen, als Er außerhalb des Tores litt? Man könnte eher fragen, ob irgendjemand jemals größere Schmach ertragen musste. Die beiden Räuber, die mit Ihm gekreuzigt wurden, erlitten viel weniger Schmach und Hass als der Herr. Ach, Geliebte Gottes, euer Platz auf der Erde ist dieser Platz des Hasses. Wenn ihr wirklich die Nähe des Heiligtums genießt, ist es die Verpflichtung des Glaubens, zu Christus außerhalb des Lagers zu gehen. Nachdem das Blut ins Heiligtum getragen worden war, wurden die Tiere außerhalb des Lagers verbrannt. Dies ist eine deutliche Verbindung der göttlichen Wahrheit. Die Folgerung ist, dass wir auf beiden Wegen Gemeinschaft mit unserem Heiland haben sollten. Ihr habt Ihn jetzt zu eurer Freude im Himmel, wo ihr einst mit Ihm in ewiger Freude sein werdet. Deshalb schämt euch die kurze Zeit, in der wir hier auf der Erde sind, nicht seiner Verwerfung. Schreckt nicht vor dem Ruf zurück, bei Christus außerhalb zu sein. Das ist die Lehre, und die Praxis folgt. Ich möchte jetzt nicht weiter hierbei verweilen, weil es noch andere moralische Grundsätze von großem Wert gibt, die dieses fruchtbare Kapitel für uns bereithält. Es fehlt uns zudem die Zeit, alles zu behandeln.

Das nächste, was der Geist Gottes uns mit Nachdruck vor die Augen stellt, ist: „Und das soll euch zur ewigen Satzung sein“ (Vers 34). Wir hören das nicht bei irgendeiner untergeordneten Sache. Der große Sühnungstag steht so deutlich für sich selbst und als von besonderem Wert gegenüber allen anderen Tagen da. „Im siebten Monat, am Zehnten des Monats, sollt ihr eure Seelen kasteien und keinerlei Arbeit tun, der Einheimische und der Fremde, der in eurer Mitte weilt“ (Vers 29). Das erste, was eindringlich erwähnt wird, ist die Kasteiung der Seele. Die Sühnung sollte nicht eine Sache reiner Freude sein, damit sie nicht zu einer leichtfertigen Angelegenheit entartete. Wo sehen wir eine von Gott eingesetzte Handlung, die so in die Seele eindringt wie diese?

Während wir dies betrachten, lasst mich euch zeigen, wie schnell der Mensch in diese Irrtümer verfällt. In Apostelgeschichte 2,41 haben wir alle als Wirkung der Wahrheit, die der Apostel predigte, gelesen: „Die nun sein Wort aufnahmen, wurden getauft“. Es mag einigen neu sein, obwohl auch viele von euch es vielleicht wissen, dass das Wort „freudig“ keine ausreichende Berechtigung hat, hier zu stehen 1. Überlegt einen Augenblick, was es für einen Neubekehrten bedeutet, „freudig“ die Botschaft anzunehmen. Solch ein Wort passt nicht recht zu dem ernsten Augenblick, wenn eine Seele aus der Finsternis zu Gott gebracht wird. Denkt auch nicht einen Moment, dass die Freude des Gläubigen getrübt werden soll! Aber unser Herr lehrt uns, dass es ein schlechtes Zeichen ist, wenn die erste Wirkung der Wahrheit bei der Seele Freude ist. Tiefgehende Selbsterforschung und Demütigung sind unvergleichlich bessere Beweise eines echten Werkes Gottes an der Seele (vgl. Lk 8,13).

Aus diesem Gesichtspunkt heraus muss man auch fühlen, dass die moderne Art, das Evangelium in einer sehr kunstvollen Solodarbietung oder auf eine sehr lebhafte Weise durch Gesang zu verkündigen, nicht der Weise der Apostel entspricht und eine gefährliche Neuerung darstellt. Die Oberflächlichkeit davon steht dem ganzen Geist des großen Sühnungstages, der uns zu dieser Bemerkung veranlasst hat, entgegen. Die heutige Anwendung der Bedeutung dieses großen Tages auf eine Seele ist doch die, dass diese durch das Evangelium zu Gott gebracht wird. Betrachtet den Unterschied zwischen dem Wort Gottes und dem vorherrschenden heutigen Stil. Dies mag vielleicht einige hart treffen, die uns nahe stehen und die ihres Werkes wegen geachtet sind. Es liegt mir fern, persönlich zu werden. Aber ich meine doch, schonungslos alles beiseite rücken zu müssen, was Gottes Wort entgegensteht. Wenn Brüder sich beklagen, dass sie nicht in Ruhe gelassen werden, so ist das umso schlimmer für sie. Immerhin ist es viel besser, alles an dem Wort zu prüfen, damit die Wahrheit Gottes nicht menschlichem Eifer und populären Methoden zum Opfer fällt. Wie wird das in seiner Gegenwart bestehen? Sicher ist es ein großer Segen, vom Irrtum befreit zu werden, um den Willen Gottes zu tun.

Die Geschichte dieses Wortes „freudig“ oder „gerne“ ist in Wirklichkeit so, dass das Wort aus einem anderen Teil der Apostelgeschichte entnommen ist (Apg 21,17). Es ist ein Wort, das nur dieses eine Mal im Neuen Testament vorkommt und richtigerweise darauf angewandt wird, dass die geliebten Diener des Herrn aufgenommen wurden. Das zeigt deutlich, wie ein Wort (oder eine Redewendung) mitunter dort auftaucht, wo es nicht auftauchen sollte. Wir können verstehen, wie Brüder, die den Apostel zusammen mit anderen Dienern des Herrn sahen, diese freudig aufnahmen. Man fühlt, wie sehr dieses Verhalten zu solchen passte, welche Ruhe und Frieden mit Gott hatten. Aber in Apostelgeschichte 2 wurden Seelen zum ersten Mal mit ihren Sünden konfrontiert, und zwar in der Gegenwart Gottes. Sollten sie in diesem höchst bedeutsamen Augenblick ihres Lebens nicht einen gewissen Ernst an den Tag legen? Es wird nicht bezweifelt, dass, wie auch immer die Schwierigkeiten sein mögen, das Ergebnis Freude und Friede sein wird. Aber wir sprachen jetzt von dem Vorgang und von der eigentlichen, richtigen und wünschenswerten Wirkung des Wortes Gottes in der Beschäftigung mit den Seelen, die sich Ihm ergeben und zum ersten Mal einzeln ihren Platz einnehmen als Bekenner Christi im Licht.

Weiterhin kann man beobachten, wie ein Teil der Schrift mit einem anderen übereinstimmt. Wenn die Israeliten, als das Blut auf ihre Türen gestrichen war, das Fleisch des Lammes aßen, geschah das dann unter Trompetenstößen und Zimbelklängen? Denkt nicht, dass sie nicht zu anderen Zeiten sangen. Nur zwei Kapitel später finden wir das Lied Moses und das Lied Mirjams mit ihren Trommeln. Sie sangen am arabischen Ufer des Roten Meeres, aber wir hören kein Lied, als sie zum ersten Mal die Passahnacht feierten. Sie aßen das Fleisch des Lammes „mit bitteren Kräutern“. Was bedeutet das? Gewiss nicht, dass sie „freudig“ sein Wort aufnahmen. Sie empfingen in der Tat sein Wort, aber mit tiefem Ernst und Selbstgericht. Es geschah in dem echten Bewusstsein ihrer Sünden, und über Sünde singt, lacht und spricht man nicht leichtfertig. Kein Wunder, dass die Früchte der Verkündigung nach unserer modernen Weise so wenig von der apostolischen Einfachheit und Tiefe an sich haben.

Es erscheint gefährlich, Seelen zur Freude aufzufordern, was sich nicht bloß auf Unbekehrte, sondern auch auf solche bezieht, die offensichtlich von ihren Sünden überführt werden und im Bekehrungsprozess stehen. Das sind Seelen, die man ernstlich auffordern soll, Gottes Wort anzunehmen. Lehrt nicht das eine oder andere Bild sowie das klare Zeugnis der Schrift, dass es notwendig ist, dass man ernsthaft zu dem Gewissen redet? Denn man muss erst innerlich Klarheit bekommen haben vor Gott, damit sich das Herz zur entsprechenden Zeit in strahlender Freude öffnet. Bevor die Seele durch den Glauben an das Werk Christi ganz befreit ist, ist es nicht angebracht, Freude zum Ausdruck zu bringen. Noch weniger ist es ratsam, Seelen einzureden oder sogar zu überreden, vorzeitig zu glauben, dass sie gerettet sind. So wird das Gewissen verletzt und auch die Gnade des Herrn. Es würde das innere Werk ganz überflüssig machen und einen Appell an die Zuneigungen an dessen Stelle setzen, anstatt Christi Sühnungswerk der beladenen Seele vorzulegen. Das Gewissen muss richtigerweise erst erweckt und gereinigt werden. Danach haben die Gefühle ihren angemessenen Platz.

Das war genau die Art und Weise, wie der Herr mit der Frau aus Samaria umging, die zuerst kein Selbstgericht zeigte. Christus wusste, dass sie keinen Ehemann hatte, und durch sein Wort wurde ihre Sünde auf ihr Gewissen gelegt. Auf diese Weise wurde sie wahrhaft vor Gott gebracht. Das Gleiche war der Fall bei dem verlorenen Sohn. Es gab keine Freude, bevor Er zu seinem Vater zurückkam, obwohl die Hoffnung auf dessen Barmherzigkeit ausreichte, um ihn zurückzubringen. Nicht dass da kein Elend war, aber das Gewissen musste in ihm wirksam gemacht werden. Darum sei es als eine dringende Notwendigkeit mit Nachdruck gesagt, dass man nicht nur beim Predigen, sondern auch im Seelsorgerdienst darauf achten muss, dass man nicht von dem deutlich offenbarten Willen Gottes abweicht. Es ist die Aufgabe der Christen, die Wahrheit zu verwirklichen, nicht bloß in dieser oder jener Beziehung, sondern in allen Dingen. Im Zusammenhang mit der Sühnung besteht Gottes Wort auf der Kasteiung der Seele. Das soll nicht heißen, dass Zweifel oder Misstrauen jemals richtig oder annehmbar sein können. So etwas hat nichts mit Demütigung vor Gott zu tun. Zweifel oder Furcht zu hegen, ist vielmehr ein Hindernis als eine Hilfe bei der Kasteiung der Seele, die auf jeden Fall echt sein sollte. Sie kann kaum zu stark ausfallen, wenn das Herz auf Christus und sein Sühnungswerk schaut. Je mehr man darauf ruht, umso mehr preist man Gott für die Wahrheit, die demütigt, und für die Gnade in jenem kostbaren Blut, das von jeder Sünde reinigt. Für die Rettung der Seele kann man den Namen Jesu nicht in Verbindung bringen mit Leichtsinnigkeit des Geistes oder fleischlicher Erregung. Und der Ausdruck der Freude passt sicherlich nicht zu dem Augenblick, in welchem Gott sein alles durchforschendes Wort auf das Herz legt und die Seele in sein Licht stellt.

Aber das ist nicht alles. Es war noch etwas anderes, das insbesondere mit dem großen Sühnungstag verbunden war. So hieß es nicht nur: „Ihr sollt eure Seele kasteien“, sondern auch: „Ihr sollt keinerlei Arbeit tun“. Ist diese Vorschrift nicht merkwürdig für den großen Sühnungstag? Es ging nicht darum, ob es ein Sabbat war oder nicht. Der große Sühnungstag schloss zwingend jegliche Arbeit des Menschen in diesem Zusammenhang aus. Es ist unmöglich zu leugnen, dass Arbeit ein sehr wichtiger Teil der christlichen Pflicht ist. Unser Herr tat immer das Werk, das der Vater Ihm zu tun aufgetragen hatte; so ist jeder Christ aufgefordert, die guten Werke zu tun, die Gott vorher bereitet hat, damit er darin leben soll (Eph 2,10). Der Christ soll nicht nur ein sinnendes Wesen sein, das sich mit Herz und Geist in die Wahrheit vertieft. Das ist sehr wichtig zur entsprechenden Zeit, aber der Christ ist berufen, in Abhängigkeit und doch mit viel Eifer, mit Gehorsam und großer Kraft dem Herrn zu dienen. Aber die Kraft sollte immer der Andacht folgen. Die Aktivität soll aus dem hervorströmen, was zwischen ihm und Gott geschieht. Wenn Gott die Bosheit der Sünde und sein Sühnungswerk durch Christus für alle, die an Ihn glauben, offenbart, dann ist es gefährlich, sich in Fröhlichkeit des Herzens zu flüchten. Die Seele sollte sich in solch einem Augenblick kasteien, anstatt durch Musik und Gesang, durch ein Solo, einen Chor oder irgendeine andere Form der Erheiterung abgelenkt zu werden.

Wenn man im Glauben ruht, kann die Freude nicht ausbleiben. Der Gesang der Heiligen ist etwas ganz anderes. Was ist passender, als dass man, wenn man mit dem Geist erfüllt ist, in Psalmen und Gesängen und geistlichen Liedern zueinander redet? Das ist etwas ganz anderes, als Musik einzuführen, um die Seele einzulullen oder aufzureizen, die der Geist im Selbstgericht haben möchte. Unter glücklichen Gläubigen ist die Frage geklärt: spontanes Danksagen und Preisen soll das gewöhnliche Leben des Christen füllen. Aber die erste Aufforderung, die Gott für die Gegenwart am großen Sühnungstag gibt, ist die Betrübnis des Herzens wegen der Sünden, wenn Gott sie auch mit dem Sühnungsblut bedeckt.

Damit verbunden ist die zweite Aufforderung, keine Arbeit an jenem Tag zu tun. Wären unsere Werke doch gut gewesen! Aber ach! Wir mussten anerkennen, dass sie schlecht waren. Wie gut ist es dann für uns, vor dem unendlichen Sühnungswerk des Heilands für die Sünder zu ruhen! „Siehe, ich komme, o Gott, um deinen Willen zu tun“ (Heb 10,7). „Durch diesen Willen sind wir geheiligt durch das ein für alle Mal geschehene Opfer des Leibes Jesu Christi“ (Heb 10,10). Was hat Gottes Wille nicht alles bewirkt? In der Vollkommenheit seines Opfers sind nicht nur unsere Sünden ausgelöscht worden, sondern wir sind auch vollkommen für Gott abgesondert. Schlachtopfer und Speisopfer, Brandopfer und Sündopfer sind alle in diesem einen Opfer vereinigt. „Mit einem Opfer hat er auf immerdar die vollkommen gemacht, die geheiligt werden“ (Heb 10,14). Was ist noch mehr für den Menschen nötig? Was konnte Gott gerechterweise noch mehr für uns tun auf unserer gegenwärtigen Pilgerreise auf der Erde? Deshalb war es seinem Volk und sogar den Fremdlingen unter ihnen verboten, irgendeine Art von Arbeit an diesem Tag zu tun, damit auf diese Weise alle sehen und erkennen könnten, dass es allein sein Werk war, unvermischt mit irgendetwas anderem von unserer Seite. „Ein Sabbat der Ruhe soll er euch sein, und ihr sollte eure Seele kasteien, eine ewige Satzung“ (Vers 31). Auf der einen Seite sollte es keine Leichtfertigkeit des Herzens geben, auf der anderen Seite kein anmaßendes Hinzufügen eigener Werke zu dem großen Sühnungswerk, das da vollbracht und dem Volk Gottes kundgetan wurde.

Schauen wir auf den Apostel Paulus. Da haben wir einen Mann, der seine Seele kasteite und jeden Verdienst seinerseits vermied, obwohl er, was die Gerechtigkeit dem Gesetz nach angeht, untadelig war. Dies war ein Fall von gründlich bewirkter Bekehrung. Er war so berührt, dass er drei Tage und drei Nächte weder aß noch trank, so erfüllt war er von dem Gefühl äußerster Sündhaftigkeit und von der Wahrheit der Versöhnung mit Gott in Christus. Durch ein großes Licht geblendet, hatte er keinen Raum für eine andere Person oder andere Werke, sondern befand sich zutiefst im Selbstgericht. Er blickte allein auf die herrliche Person Christi und den Triumph der Gnade, die jetzt in Gerechtigkeit herrschte, Gnade, die Gott seiner einst so stolzen, aber jetzt gedemütigten Seele offenbart hatte.

Man muss zugeben, dass eine Bekehrung auch dann echt ist, wenn die einzelnen Merkmale schwächer sind. Der Kerkermeister zu Philippi war jemand, der bald aus dem überwältigenden Gefühl seines verlorenen Zustandes auftauchte, nachdem er den Herrn Jesus angenommen hatte. Wir hoffen, dass er gut durch die Gefahren der Wüste hindurch gekommen ist, und wir haben keinen Grund, daran zu zweifeln. Aber dennoch unterschied sich seine Situation stark von der des Apostels. Es ist nicht schwer, einen beträchtlichen Unterschied in der Art festzustellen, wie Leute im Allgemeinen zu Gott gebracht werden. Bei dem Kerkermeister und seiner ganzen Familie war erst Buße zu finden, aber schon bald danach Freude. Nicht, dass er nicht wirklich Buße tat, denn wir können sicher sein, dass das der Fall war. Aber wenn es kein tiefes Suchen des Herzens gibt, geht die Kasteiung bald vorbei. Gewöhnlich richtet das Herz sich bald wieder auf, und man beschäftigt sich dann mehr mit der Freude über das Gute, das die Gnade gegeben hat. Durch ein tieferes Selbstgericht wird der Blick der Seele noch mehr auf Christus gerichtet als auf die Befreiung vom Bösen, wie sehr diese auch vor Gott gefühlt werden mag.

Nebenbei möchten wir bemerken, dass einige das Alte Testament zu wenig beachten, aber sicherlich kann das kaum auf solche angewandt werden, die ihm die hier geforderte und bekräftigte Bedeutung geben. Wir glauben, dass das Alte Testament von Gott ist und dass es nicht weniger göttlich inspiriert ist als das Neue Testament. Es ist wahr, dass man in den levitischen Einrichtungen nur die Schattenbilder vor sich hat, aber auch sehr lehrreiche Handlungen, Verheißungen und Weissagungen Gottes, neben Beispielen für das Gute und Warnungen vor dem Bösen, was alles sehr nützlich ist. Man kann das zweite oder dritte Buch Mose nicht ohne das volle Licht des Neuen Testamentes richtig und fruchtbar lesen, aber der Gläubige nimmt das Wort als Ganzes an. Die heiligen Schriften (2. Tim 3,15) wurden vollständig durch den Heiligen Geist geschrieben. Dankbar und demütig nimmt man alles als etwas an, das „zur Lehre, zur Überführung, zur Zurechtweisung, zur Unterweisung in der Gerechtigkeit“ nützt (2. Tim 3,16), ebenso auch zum Trost und zur Ermahnung. Deshalb ist das, was jetzt vor unsere Augen gestellt worden ist, nicht ohne heilige und ernste Bedeutung, da es uns das Verkehrte vieler Gewohnheiten zeigt, die in diesen Tagen des Verfalls im Christentum aufkommen.

Aber man darf auf der anderen Seite die Gefahr, die aus der Gesetzlichkeit entspringt, nicht übersehen. Es liegt mir fern sagen zu wollen, dass es nicht ein schwarzer Tag für die Christenheit war, als die Leute zum ersten Mal sangen: „O Tag des Zorns, schrecklicher Tag“, was damals den Gedanken an Christi Wiederkunft weckte. War das echte Kasteiung der Seele? Es war kaum besser als ein furchtbarer Schrecken. Die Gnade war unbekannt. Es ist ein großer Unterschied zwischen Buße und Furcht. Äußerster Schrecken der Seele hat genau das mittelalterliche Christentum charakterisiert. Egal, ob hoch und niedrig gestellt - alle fürchteten sich, und in ihrer Angst gaben sie ihre Äcker oder ihre Arbeit, um Gott zu versöhnen, vor dessen Gerichten sie angesichts des Tages des Herrn zitterten. Aus diesem Geist heraus entstand mancher großer Dom mit seinem wirklich dämmrigen religiösen Licht. Es waren nicht bloß die großen Herren und die gekrönten Häupter, die von ihrem Reichtum oder ihrer Kriegsbeute dazu beitrugen, sondern auch die armen Arbeiter gaben freiwillig ihr Geschick und ihr Werkzeug - ein bleibendes und treffendes Zeugnis für die Macht der Angst in unerleuchteten Seelen. Dies war die hauptsächliche Waffe des Heidentums gewesen. Furcht war das einzige moralische Element dieses düsteren Betruges. So war es und ist es jetzt - leider! - in der gefallenen Christenheit.

Es soll nun nicht die fromme Furcht von dem ausgeschlossen werden, was in denen seine Wirkung tut, die Gottes Wort hören. Es ist wichtig und angebracht, dass die Schuldigen beunruhigt werden, wenn sie von ihren Sünden hören und von Gottes gerechtem und sicher eintreffendem Gericht. Wie segensvoll ist es zu wissen, dass Gott nach den Sünden und vor dem Gericht in der Person seines eigenen Sohnes vom Himmel herabkam, um sein unerschöpfliches Sühnungswerk zu vollbringen! Gewiss könnte dieses Werk nicht vollkommen sein, wenn Christus keine göttliche Person gewesen wäre. Es ist von größter Wichtigkeit, dass unser Herr Jesus ohne Vorbehalte als Gott anerkannt wird. Wenn das Wort nicht Gott gewesen wäre, wenn der Sohn nicht eins mit dem Vater gewesen wäre, wäre der Heiland für das Werk, das Er auf sich nahm, nicht geeignet gewesen. Aber der Sohn kam, das Werk wurde vollbracht und angenommen, und alles hat sich gewandelt. Bevor unser Herr das Opfer wurde, mochte die Gerechtigkeit Gottes wohl die Seele mit tiefer Angst erfüllen, das Gericht musste da seinen Lauf nehmen. Aber durch Christi Blut ist Gott gerechtfertigt, und Er rechtfertigt den Gläubigen. Wie segensvoll ist es, dass Gott uns rechtfertigt!

Jeder Jude anerkannte, dass Gott die Welt richten musste. Das konnte dem Schuldigen keinen Frieden geben. Es muss eine Auferweckung der Toten geben, sowohl der Gerechten als auch der Ungerechten. Nach dem Gericht wartete der Feuersee auf die Verlorenen. Der zweite Tod hört nicht auf zu bestehen. In der Tat ist der Tod selbst nur die Trennung der Seele vom Leib. Für den Gläubigen bedeutet er „abzuscheiden und bei Christus zu sein“ (Phil 1,23). Selbst wenn ein böser Mensch stirbt, wird er keineswegs zum Nichts: seine Seele wird vom Leib getrennt, und das ist der Tod. Für Gott leben alle (vgl. Lk 20,38), wenn auch nicht für den Menschen. Aber wenn der zweite Tod kommt, existieren die Bösen in Ewigkeit nicht nur der Seele nach, sondern auch dem Leib nach. Auferstehung ist kein zeitliches Sein, so wie das Leben jetzt in der Welt. Sie ist der Beginn dessen, was endgültig und unveränderlich ist.

Das lässt uns die tiefe Bedeutung des wahren Sühnungswerkes erkennen. Lasst mich fragen: Ruhen eure Seelen jetzt auf Christus und seinem Opfer? Im Evangelium verkündigt Gott Christus auch als die Sühnung für die ganze Welt. Wie schrecklich ist es für eure eigene Seele und für euren Leib, wenn ihr diese Botschaft übergeht! Nehmt sie an von Gott, und zwar ohne Anmaßung im Blick auf eure Werke, sondern nur mit echter Kasteiung der Seele. Wenn Christus so für die Sünden litt, warum soll man dann an Gottes Liebe zweifeln, auch wenn man schuldig ist? Die Tatsache, dass Er Christi Sühnungswerk offenbart, ist das vollste Zeugnis für Gottes Gnade und seine Gerechtigkeit. Gilt es nicht für Sünder in ihren Sünden und Übertretungen und in ihren Ungerechtigkeiten? Beziehen sich nicht diese seine Worte auf all das, was ihr getan habt? Genügt das Werk Christi nicht auch für das Schlimmste, was gegen euch vorgebracht werden kann? Am großen Sühnungstag tat der HERR die Sünden all derer weg, die sich vor Ihm beugten. Sucht also keine Entschuldigungen mehr!

Lasst eure Seele auf dem Heiland und seiner Sühnung ruhen, denn es gibt sonst nichts, was so heilig, wahr und wirksam ist. Nicht bloß dass Er das Werk getan hat, sondern Er ist die Sühnung. Es liegt Johannes besonders am Herzen, Ihn und das Werk miteinander zu identifizieren. „Er ist die Sühnung für unsere Sünden“ (1. Joh 2,2). Und deshalb sollten wir sie nur von Ihm erwarten. Gott bewahre, dass wir sie bei uns selbst oder anderswo suchen! Denn wie können andere uns helfen im Hinblick auf die Sünde? Was können hierbei die Jungfrau, die Engel oder die Heiligen tun? Wenn Gottes Kirche hier unten in ihrer ursprünglichen Einheit wäre, wenn der Stab „Huld“ und der Stab „Verbindung“ nicht zerbrochen wären (wenn man Bilder aus Israel anwenden darf; vgl. Sach 11,7.10.14), was könnten all die Heiligen zur Erlösung eurer Seele nützen? Gottes Versammlung (wenn nicht gar die des Menschen) würde euch mit den Lippen ihrer Mitglieder sagen, was seine Gnade in Christus für jeden und für alle von ihnen getan hat. Aber Gott teilt uns die Wahrheit in seinem Wort besser mit, als irgendeiner der nicht inspirierten Heiligen sie jemals gepredigt hat. Sein Wort soll euch die einzige unfehlbare Entscheidung geben, die irgendjemand in dieser Sache haben kann. Hier habt ihr alles, was ihr braucht, in diesem einzigen Kapitel, wenn es im Licht Christi gelesen wird. Es ist klar, dass man nicht viel damit anfangen könnte ohne das Neue Testament. Aber haben wir nicht das Alte Testament und das Neue Testament? Fällt nicht göttliches Licht auf die Schattenbilder der Vergangenheit, sodass die Wahrheit in ihrer ganzen Einheit und Heiligkeit, ihrer Größe und Einfachheit und mit absoluter Gewissheit zum Vorschein kommt?

Was ist mit euch, die ihr jetzt die Wahrheit hört? Möge Gott euch zu sich bringen und sein eigenes gesegnetes Wort in euren Gewissen festsetzen! Mögt ihr die Torheit eures Herzens und die Bosheit eures Lebens erkennen! Gibt es irgendetwas, das in seinen Augen böser ist, als wenn man die Schrift ständig gelesen und gehört hat und doch praktisch ohne Gott und ohne Christus lebt? Fangt also sofort an, im Gedanken an die Ewigkeit auf Gott zu hören! Verschiebt es nicht auf ein anderes Mal! Wenn du niemals vorher an Christus und seine Rettung geglaubt hast, dann möge Gott geben, dass du an Ihn glaubst, damit du jetzt errettet werden magst. Denke daran, dass mit dem Sühnungswerk die echte Kasteiung der Seele verbunden ist. Aber kein Werk von dir kann dem hinzugefügt werden, was Er bewirkt hat. Wenn die tiefe Not deiner Seele bei Gott gestillt ist, dann wird es reichlich Gelegenheit geben, seinem lauten Ruf folgend aktiv zu werden, und bleibende Freude wird folgen. Aber die Sühnung selbst ist zu heilig und zu ernst für den Menschen, als dass er auf eine andere Weise als gedemütigt und gebeugt vor dem Gott erscheinen kann, der seinen Sohn sandte, um für uns zu leiden. Beuge dich also Gott mit Kasteiung deiner Seele und verabscheue die Anmaßung, etwas Eigenes hinzuzufügen! „Sie werden kommen und seine Gerechtigkeit verkünden einem Volk, das geboren wird, dass er es getan hat“ (Ps 22,32).

Die gerade angeführten Worte bilden das Ende von Psalm 22. In diesem Psalm wird zunächst gezeigt, wie Christus die Leiden der Sühnung auf sich nimmt und Gott anruft, als Dieser Ihn unumgänglicherweise verlässt. Im letzteren Teil sehen wir dann die segensvollen Ergebnisse. Der eröffnende Ausruf im zweiten Vers findet im Neuen Testament dieselbe Anwendung, wie auch schon ausgeführt wurde. Jeder andere Gedanke beraubt ihn der Gnade, um nicht zu sagen der Bedeutung, und ist ganz unwürdig für den leidenden Menschen, der Gott war. In Psalm 40 sind die einzelnen Aspekte mehr vermischt; aber ohne Zweifel wird hier im Licht von Hebräer 10 dargestellt, wie Christus durch das Opfer seines Leibes am Kreuz ein für alle Mal nicht nur Schlacht- und Speisopfer, sondern auch Brand- und Sündopfer beiseite gesetzt hat. Sein williger Gehorsam bis zum Tod ist die zentrale Wahrheit, wenn Er auch, indem er auf diese Weise Gottes Willen tut, in Gnade die Sünden der gottlosen Menschen, deren Stellvertreter Er ist, wie seine eigenen empfindet. Psalm 69 weist auf den Messias am Kreuz hin, aber im Hinblick auf seine Verwerfung durch den Menschen und insbesondere durch die gottlosen Juden, mit dem Ergebnis, dass Gericht über sie kommen wird - trotz des angekündigten Segens für Zion. Psalm 88 wiederum sieht den Geist des Messias mit dem auserwählten Israel einsgemacht, das in Gnade gerechterweise die ganze Macht der Finsternis und des Todes empfindet und doch Tag und Nacht zu dem HERRN schreit. In Psalm 102 wird Christus mit dem Elend Zions identifiziert, unter Bezugnahme auf den HERRN, der den Gedemütigten als den HERRN anerkennt, der nicht weniger ewig und unwandelbar ist als Er selbst. Psalm 109 schließt diese wunderbaren Weissagungen über Christus damit ab, wie Er durch den Verrat der Juden unter Anführung des Judas leidet, während auch vorausschauend von dem Sohn des Verderbens in den letzten Tagen gesprochen wird, wenn Juden und Heiden sich wiederum gegen Ihn zu ihrer ewigen Schande vereinen werden; doch die Bedürftigen sollen sich in Ewigkeit in Ihm erfreuen.

Auch die prophetischen Bücher schweigen nicht, ebenso wenig wie das Gesetz und die Psalmen, obwohl man jetzt nicht über das klare und tiefe und volle Zeugnis von Jesaja 52; 53 hinauszugehen braucht. Der gerechte Knecht des HERRN, den die Juden für von Gott zerschlagen hielten, wurde in Wirklichkeit ihrer Übertretungen wegen verwundet und um ihrer Missetaten willen zerschlagen. Die Strafe zu ihrem Frieden lag auf Ihm, und durch seine Striemen ist ihnen Heilung geworden. Der HERR ließ Ihn ihrer aller Ungerechtigkeit treffen. Wegen der Übertretung seines Volkes hat Ihn Strafe getroffen. Er hatte kein Unrecht begangen, und kein Trug ist in seinem Mund gewesen. „Doch dem HERRN gefiel es, ihn zu zerschlagen, er hat ihn leiden lassen. Wenn seine Seele das Schuldopfer gestellt haben wird, so wird er Samen sehen, er wird seine Tage verlängern; und das Wohlgefallen des HERRN wird in seiner Hand gedeihen. Von der Mühsal seiner Seele wird er Frucht sehen und sich sättigen. Durch seine Erkenntnis wird mein gerechter Knecht die Vielen zur Gerechtigkeit weisen, und ihre Ungerechtigkeiten wird er auf sich laden. Darum werde ich ihm Anteil geben an den Vielen, und mit Gewaltigen wird er die Beute teilen: dafür, dass er seine Seele ausgeschüttet hat in den Tod und den Übertretern beigezählt worden ist; er aber hat die Sünde vieler getragen und für die Übertreter Fürbitte getan“ (Jes 53,10-12). Jegliche Beweisführung oder Auslegung ist hier überflüssig; außer für Menschen, die für die Sünde kein Gefühl haben und Gott gegenüber gleichgültig sind, ist die Wahrheit von dem heiligen Leidenden in jeder Hinsicht deutlich. Es ist „Jesus allein“. Wir haben seine Leiden gesehen, aber seine Herrlichkeiten sind jetzt noch nicht sichtbar, wie groß einige auch im Himmel sind. Aber sie werden ganz gewiss sichtbar werden - „an jenem Tag“.

Fußnoten

  • 1 Anm. d. Übers.: In einigen Übersetzungen wird im ersten Teil noch das Wort „freudig“ oder „gern“ hinzugefügt.
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