Unterredungen über den ersten Brief an die Korinther

Kapitel 8-9,23

Unterredungen über den ersten Brief an die Korinther

In den Kapiteln 8 und 9 antwortet der Apostel auf zwei weitere Fragen.  Im 8. Kapitel handelt es sich darum, ob man von dem essen dürfe, was den Götzen geopfert worden war, eine an sich recht trockene Frage, derentwegen aber der Geist Gottes sich unmittelbar an das Gewissen der Korinther wendet.  Es möchte uns vielleicht scheinen, als ob dieser Gegenstand, weil er uns nicht persönlich angeht, beiseite gelassen werden könnte.  Wir werden aber sogleich sehen, daß wir ihn durchaus nicht weglassen dürfen.  Der Apostel beginnt mit den Worten: „Wir wissen“ - bezeichnender Ausdruck der christlichen Erkenntnis - „denn wir alle haben Erkenntnis“, und macht dann eine kleine Einschaltung: „Die Erkenntnis bläht auf, die Liebe aber erbaut.  Wenn jemand sich dünkt, er erkenne etwas, so hat er noch nicht erkannt, wie man erkennen soll; wenn aber jemand Gott liebt, der ist von ihm erkannt“ (V. 1-3).  Das ist doch wahrlich etwas, das uns alle angeht!  Die Frage der Götzen wird für einen Augenblick beiseite gelassen.  Man kann das Wort sehr gut kennen, kann es klar im einzelnen wie als Ganzes auslegen, kann die Lösung der Schwierigkeiten finden, die es uns bietet, und dabei kann diese so wünschenswert scheinende Erkenntnis eine Quelle geistlichen Hochmuts werden, welcher die schlimmste Form allen Hochmuts ist.  Und gerade in diese Schlinge waren die Korinther geraten.  Ihre Erkenntnis, der sie noch neue Teile hinzuzufügen wünschten, hatte sie aufgebläht.  Der Apostel kommt in seinem Brief wiederholt auf diese Sünde zurück.  Hüten wir uns, bei der Beschäftigung mit göttlichen Dingen, wobei ich gar nicht an die menschliche, völlig unzulängliche Erkenntnis denke, denn um diese handelt es sich hier überhaupt nicht - nach Erkenntnis zu suchen, ohne daß unser Gewissen dabei in Tätigkeit tritt, denn „Erkenntnis bläht auf!“ Haben wir nichts als sie, so ist es schlimm um uns bestellt.  Es gibt nur eins, was erbaut: nicht die Erkenntnis, sondern die Liebe, und wenn man nicht von der Liebe geleitet wird, ist keine Erbauung möglich.  Wir werden in Kapitel 14 sehen, daß Erbauung der Zweck aller Tätigkeit in der Versammlung ist; ohne sie bleibt jede Predigt wertlos. '“Die Liebe aber erbaut.“ „Wenn jemand sich dünkt, er erkenne etwas, so hat er noch nicht erkannt, wie man erkennen soll.“ Und dann fügt der Apostel hinzu: „Wenn aber jemand Gott liebt, der ist von ihm erkannt.“ Von Ihm erkannt!  Das ist es, was ich als Christ nötig habe. Ich bedarf der Erkenntnis, die Gott von mir hat. Das macht mich los von mir selbst.  Die Augen Gottes und nicht die meinigen sind's, die mich erforschen und die beurteilen, ob in meinem Herzen Liebe zu Ihm vorhanden ist.  Im Evangelium Johannes fragt der Herr gelegentlich der Wiederherstellung des Petrus ihn dreimal: „Liebst du mich?“ Petrus wird dadurch gründlich gedemütigt.  Er besaß ohne Zweifel Liebe zum Heiland, aber er antwortet, was ein gedemütigtes Herz stets antworten sollte: „Herr, du weißt alles; du erkennst, daß ich dich lieb habe.“ Er verließ sich auf die Erkenntnis Gottes und nicht auf seine eigene.  In dem Wunsche, die Augen Gottes möchten ihm ins Herz hineindringen, sagte er gleichsam: „Erforsche mich, Gott, und erkenne mein Herz“ (Ps. 139,23).  Die traurige Erfahrung, die er gemacht, hatte ihm gezeigt, daß er selbst in bezug hierauf nicht klar sah; aber daß Christus ihn völlig erkannte, war sein Trost.  Hüten wir uns also davor, die Erkenntnis um ihrer selbst willen zu suchen!  Ohne die Liebe, welche erbaut, gibt sie nur Veranlassung zum Fallen. Der Apostel fährt dann fort: „Wir wissen, daß ein Götzenbild nichts ist in der Welt, und daß kein anderer Gott ist als nur einer.“ Für die Menschen gibt es viele Götter und viele Herren, viele, welche Götter genannt werden, sei es im Himmel oder auf der Erde; aber „für uns ist ein Gott, der Vater, von welchem alle Dinge sind, und wir für Ihn, und ein Herr, Jesus Christus, durch welchen alle Dinge sind, und wir durch ihn“ (V. 6).  Das ist die christliche Erkenntnis.  Dann heißt es weiter: „Die Erkenntnis aber ist nicht in allen“, d. h. es gab unter den Korinthern Leute, welche, aus dem Heidentum hervorgegangen, noch nicht klar erfaßt hatten, daß das Götzenbild in sich selbst nichts war.  Wenn solche dann etwas aßen, was einem Götzenbild geopfert worden war, so bedeckten sie, indem sie sich nicht von dem Götzenbild freizumachen vermochten, ihr schwaches Gewissen.  Wie sollten sich nun die Korinther diesen schwachen Seelen gegenüber verhalten?  Der Apostel gibt ihnen diesbezügliche Verhaltungsmaßregeln.  Du bist durchaus frei, ist der Sinn seiner Worte, den Götzen Geopfertes zu essen.  Wenn aber ein Bruder, für den der Götze noch etwas ist, dich essen sieht, veranlaßt du ihn, denselben Weg zu gehen wie du.  Dadurch wird aber sein Gewissen befleckt, und wenn du sein Gewissen befleckt hast, kommt der Bruder um.  Das will nicht sagen, daß dieser Bruder ewig verloren gehen wird, sondern daß ich dafür verantwortlich bin, wenn ein schwacher Bruder auf einen Todesweg gerät.  Gott ist mächtig, ihn durch Seine Gnade von diesem Wege zurückzubringen.  Ich aber habe durch meine Erkenntnis etwas getan, wodurch mein Bruder umkommt.  Durch diese Handlung sündige ich gegen Christum. Der Schluß des Kapitels lautet, kurz gesagt: Alles geschehe in Liebe für Christum!  Wenn es so steht, kann ich sicher sein, daß es zur Erbauung meines Bruders dienen wird anstatt zu seinem Verderben. Wenn das erste unserer beiden Kapitel von der Freiheit in bezug auf die Götzenbilder handelt, so redet das zweite von der Freiheit bezüglich des Dienstes.  Damit erhalten wir die Antwort des Apostels auf die letzte der von den Korinthern an ihn gerichteten Fragen.  Es gab unter ihnen Leute, die sich anmaßten, die gleichen Rechte wie Paulus zu haben (vgl.  Kap. 4), und die sogar seine Apostelschaft in Frage stellten.  Die Korinther, welche durch seinen Dienst bekehrt worden waren, hatten gemeint, sich die Freiheit nehmen zu dürfen, Paulus bezüglich seiner Apostelschaft zu befragen.  Darauf stellt der Apostel zunächst die Gegenfrage: „Bin ich nicht ein Apostel?“ Ein Apostel war durch die Tatsache ausgezeichnet, daß er den Herrn gesehen hatte.  Nun, Paulus hatte Ihn gesehen. (V. 1.) Was das Ergebnis seines Werkes betraf, so waren sie selbst der Beweis davon. (V. 1-3.) Es gab nun unter den Christen zu Korinth, wie es immer vorkommt, solche, die aus der Versammlung Gottes ihre Welt machten, um dort eine Rolle zu spielen, sich eine Stellung zu verschaffen und die Macht an sich zu reißen.  Zur Erreichung dieses Zieles suchten sie den Einfluß derer zu untergraben.. die Gott selbst für Sein Haus bestellt hatte.  Wenn ein Bruder nach persönlicher Autorität in der Versammlung trachtet, setzt er sich notwendigerweise in Gegensatz zu denen, -welchen der Herr diesen Platz anvertraut hat.  Diesen Gegenstand schneidet der Apostel an, um zu zeigen, daß er dieselben Rechte und dieselbe Freiheit besaß wie alle anderen Apostel: das Recht zu essen und zu trinken, das Recht zu heiraten und sein Weib mit sich umherzuführen.  „Oder haben allein ich und Barnabas nicht ein Recht, nicht zu arbeiten?“ Die anderen Apostel arbeiteten nicht, während Paulus Zelte machte, indem er damit einen der geringsten Berufe ausübte, um von seiner Hände Arbeit seinen und der anderen Unterhalt zu bestreiten.  Hatte er nicht das Recht, von seinem Dienst irgendwie einen Nutzen zu erwarten?  Das Wort selbst belehrte die Brüder über diesen Punkt: „Du sollst dem Ochsen, der da drischt, nicht das Maul verbinden.“ War Gott etwa für die Ochsen besorgt?  Diese Stelle aus dem 5. Buch Mose fand also unmittelbare Anwendung auf die Arbeit derer, welche für den Herrn tätig waren.  Aber der Apostel hatte auf alle diese Vorteile verzichtet.  Er hatte volle Freiheit, in seinem Dienst von allen Rechten Gebrauch zu machen, welche Gott denen verleiht, die sich mit dem Evangelium beschäftigen, Aber er hatte sich ihrer freiwillig begehen und wollte jetzt seinen Ruhm nicht zunichte gemacht sehen.  Wehe ihm, wenn er nicht erfüllte, was als eine Notwendigkeit ihm auflag!  Aber sein Ruhm war mit dem Evangelium verknüpft, weil ihm sein ganzes Herz gehörte.  Sein Ruhm war, das Evangelium kostenfrei zu machen, ihm keinerlei Kosten zu bereiten.  Er wollte es ebenso frei sehen, wie sich selbst.  Sein ganzes Leben war darauf gerichtet.

Vom 19.  Verse an behandelt der Apostel noch einen anderen Punkt.  Er war frei, völlig frei; aber er, der allen gegenüber frei war, hatte sich allen zum Sklaven gemacht.  Hier haben wir einen der schönen Züge im Charakter dieses treuen Knechtes Gottes: Er hatte nie an sich selbst gedacht, während andere, die seine Apostelschaft angriffen, auf deren Trümmern selbst groß zu werden begehrten.  Er gab sich keine Mühe, sich selbst zu verteidigen.  Er hatte nur einen Gedanken: möglichst viele für das Evangelium zu gewinnen.  Hatte er es mit Juden zu tun, so war er ihnen wie ein Jude.  „Er war allen alles geworden, auf daß er auf alle Weise etliche errettete“ (V. 21+22). Wie oft hört man diese Stelle anführen, um die Vermengung der Christen mit der Welt zu rechtfertigen!  Es sei nicht nötig, sagt man, sich von ihr zurückzuziehen; der Apostel sei ja selbst allen alles geworden, und wir sollen ihm doch nachahmen, um die Welt für Christum zu gewinnen.  Gottes Wort enthält keinen derartigen Gedanken.  Der Apostel war völlig abgesondert von der Welt und von allen Vorteilen, die sie ihm bieten konnte.  Er achtete alles für Dreck (Phil. 3,8), um Christum zu gewinnen.  Wenn es sich darum handelte, Seelen zu gewinnen, wurde er allen alles.  Völlig frei gegenüber Juden, Griechen und sämtlichen Heidenvölkern, machte er sich allen zum Sklaven, um sie zu Christo zu führen.  Er stellte sich nicht unter das Gesetz, um die Juden zu gewinnen, aber er begegnete ihnen auf ihrem Boden, um sie zu überführen.  In dieser Weise ging er von Synagoge zu Synagoge, indem er sie mit „Männer, Brüder“ anredete.  Er berief sich ihnen gegenüber auf die Autorität der heiligen Schriften des Alten Testaments, welche sie als das Wort Gottes anerkannten, um ihnen den Messias zu verkündigen, den sie erwarteten, und um ihnen aus ihrem Gesetz und ihren Propheten zu zeigen, daß Christus dieser Messias war.  Er war oh n e Gesetz in Athen und verkündigte dort den Schöpfer-Gott, um sie zu dem „unbekannten Gott“, zu Christo zu führen.  Er predigte den Römern „Gerechtigkeit und Enthaltsamkeit und das kommende Gericht“, um ihre Gewissen aufzurütteln und sie zu veranlassen, zu einem Erlöser Zuflucht zu nehmen.  Unter den Christen von Korinth war er schwach, um die Schwachen für das Kreuz Christi zu gewinnen. Wie könnten wir uns in irgendeiner Weise mit der Welt verbinden, um die Welt zu retten, da wir ihr doch gekreuzigt sind?  Aber wir können sie im Geiste des Apostels durchschreiten, um „auf alle Weise etliche zu erretten“, indem wir „alles um des Evangeliums willen tun, auf daß wir mit ihm teilhaben mögen“ (V. 23).  Paulus sah sozusagen im Evangelium eine Person, für die er arbeitete und litt; er machte sich völlig eins mit allem, was ihr widerfuhr. Gebe Gott, daß wir in diesen Dingen dastehen, wie der Apostel es tat!  Möchte das Evangelium Christi - Christus selbst - einen solchen Platz in unseren Herzen einnehmen, daß es die Triebfeder unseres ganzen Lebens hienieden ist!  Wir sind alle dazu berufen, seine Mitteilnehmer zu sein, wie es der Apostel im Anfang seines Briefes an die Philipper ausspricht, die er in dieser Hinsicht sehr lobt.  Fragen wir uns, ob unsere Herzen, wenn das Evangelium in dieser Welt leidet, dergestalt mit ihm verbunden sind, dass wir die Schmach mitempfinden, die ihm widerfährt, oder ob wir uns mitfreuen, wenn es Fortschritte macht, und wir ein wenig mithelfen dürfen!  Gott beruft uns dazu. jeder kann an dieser Guten Botschaft teilnehmen durch seine Worte, seine Gebete, sein Mitempfinden, seine Dienste, oder auch einfach dadurch, daß er ihre Bedeutung in diesen „schweren Zeiten“ zu würdigen weiß.  Möge Gott uns geben, das Evangelium höher zu schätzen, als unsere so leicht gleichgültigen und weltlichen Herzen es uns leider oft schätzen lassen!

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