Unterredungen über den ersten Brief an die Korinther

Kapitel 6

Unterredungen über den ersten Brief an die Korinther

Kapitel 5 hat uns mit der Zucht beschäftigt, welche nötig war, um die Heiligkeit des Hauses Gottes aufrecht zu halten.  Die Korinther mußten den Bösen von sich selbst hinaustun.  Im 6. Kapitel redet der Apostel von einem anderen Übel, das bei den Korinthern zur Gewohnheit geworden war und sich leider nur zu oft auch heute zeigt.  Ein Bruder tat dem anderen unrecht, und um ihre Zwistigkeiten zum Austrag zu bringen, gingen sie vor ein weltliches Gericht.  Der Apostel weist sie mit allem zu Gebote stehenden Ernst zurecht.  Er spricht zu ihnen von Dingen, die sie wußten, aber vergessen hatten, nicht von Dingen, die sie noch nicht kannten.  Sie besaßen Wahrheiten genug, um sieh in dieser Welt danach richten zu können in einer Weise, die den Herrn Jesus ehrte.  „Wisset ihr nicht, daß die Heiligen die Welt richten werden?“ Wie solltet ihr euch nun von einer Welt richten lassen, die ihr selbst einmal richten werdet? Und weiter, wenn ihr ein so bedeutungsvolles Gericht über sie sprechen werdet, seid ihr dann unwürdig, über die einfachen Dinge des täglichen Lebens zu entscheiden?  Es handelt sich hier nicht um die Rache, welche der Herr, wenn Er dereinst mit Seinen Heerscharen aus dem Himmel wiederkehrt, ausüben wird, sondern um eine gerichtliche Verhandlung, eine Rechtsprechung.  Viele Stellen der Schrift weisen darauf hin, daß der Herr bei diesem Kommen sich auf den Thron Seiner Herrlichkeit setzen wird, um die Völker zu richten, und wir werden Ihm in diesem Gericht beigestellt sein.  Aber davon redet der Apostel hier nicht.

Ferner: „Wisset ihr nicht, daß wir Engel richten werden?“ Man hört dieses Wort oft auf die Engel anwenden, welche ihren ersten Zustand nicht bewahrt haben, und die deshalb „zum Gericht des großen Tages mit ewigen Ketten unter der Finsternis verwahrt werden“ (Jud. 6), oder gar auf den Teufel und seine Engel, die in das für sie bereitete ewige Feuer geworfen werden. (Matthäus 25,41) Mit unrecht, denn es handelt sieh hier einfach um die Tatsache, daß der Thron des Gerichts und der Herrschaft den Heiligen verliehen werden wird, und daß dieser Thron über den Engeln steht.  Wenn es irgendeine Regierungshandlung den Engeln gegenüber geben wird, so wird der Herr uns zur Ausführung derselben benutzen.  Die Engel sind „dienstbare Geister, ausgesandt zum Dienst um derer willen, welche die Seligkeit ererben sollen“.  Es kommt hier nicht in Frage, ihnen eine Vorzugsstellung zu geben, sie werden im Gegenteil der Oberherrschaft derer unterworfen sein, welche der Herr sich in Seiner Regierung zugesellt hat.

„Wisset ihr nicht, daß wir Engel richten werden? geschweige denn Dinge dieses Lebens.  Wenn ihr nun über Dinge dieses Lebens zu richten habt, so setzet diese dazu, die gering geachtet sind in der Versammlung.“ Das Wort „gering geachtet“ will nicht sagen, daß wir Brüder zu einem solchen Dienst bestimmen sollen, die sich in einem schwachen geistlichen Zustand befinden.  Gering Geachtete sind solche, die nicht einen besonderen Platz in der Versammlung haben, wie ihn z. B. Jakobus, Kephas und Johannes einnahmen, die als Säulen angesehen wurden. (Gal. 2,9) Diese gering geachteten Christen waren, ohne eine besondere Gabe zu haben, nichtsdestoweniger verständige Männer, denn der Apostel fügt hinzu: „Also nicht ein Weiser ist unter euch, auch nicht einer, der zwischen seinen Brüdern zu entscheiden vermag?“ Es war nötig, daß solche Männer eine gute Einsicht hatten, verbunden mit einem rechtschaffenen, gesunden Sinn, ohne gerade eine hervorragende Stellung in der Versammlung einzunehmen. Beachten wir, wie sehr das die Gewissen der Korinther treffen mußte!  Ihr stolzes Trachten ging nach Menschenweisheit.  Sie konnten Leute nicht genug erheben, die nach ihrer Meinung sich in dieser Hinsicht vor anderen hervortaten; aber wenn die gewöhnlichsten Schwierigkeiten des täglichen Lebens auftauchten, gab es unter allen ihren Weisen nicht einen, der zwischen zwei streitenden Brüdern zu entscheiden vermochte. O möchten wir alle doch ein tieferes Gefühl von diesen Dingen haben, wenn wir - wie es vorkommen kann, denn das Fleisch ist in den Versammlungen der Heiligen überall dasselbe - eine Schwierigkeit zwischen Brüdern auftauchen sehen!  Möchten wir verstehen, daß die Ordnung solcher Zwistigkeiten nicht zunächst Sache der wegen ihrer Gaben geachteten Brüder ist, beziehungsweise daß nicht diese Gaben sie dazu berufen, Differenzen zu schlichten. Der Apostel ermahnt hier beide Parteien.  Er sagt der einen, welcher unrecht geschieht: „Warum laßt ihr euch nicht lieber übervorteilen?“ und der anderen, die unrecht tut: „Ihr tut unrecht und übervorteilet, und das Brüder!“ Beide Teile werden verurteilt, der eine, weil er das Unrecht nicht über sich ergehen ließ, der andere, weil er es getan hatte; bezüglich des letzteren fügt er jedoch hinzu: „Wisset ihr nicht, daß Ungerechte das Reich Gottes nicht ererben werden?  Irret euch nicht! weder Hurer, ... noch Diebe, noch Habsüchtige, noch Trunkenbolde, noch Schmäher ... werden das Reich Gottes ererben.“ Wie überaus ernst sind diese Worte, geliebte Mitgläubige!  Sind solche Fälle von Ungerechtigkeit, Schmähungen, Trunkenheit unbekannt in den Versammlungen der Gläubigen?  Der Apostel stellt sie mit dem Hurer, von dem er im vorigen Kapitel gesprochen hat, auf gleichen Boden.  Die solches tun ererben das Reich Gottes ebensowenig wie jener.  Alle fallen unter das Urteil der Versammlung und werden als Böse betrachtet. Mit Recht sind solche Worte geeignet, uns Schrecken einzuflößen.  Das Reich Gottes nicht ererben, heißt von seiner Gegenwart ausgeschlossen sein, heißt nicht in den Himmel eingehen, heißt auf der Erde zum Gericht zurückgelassen werden.  Man darf nicht vergessen, daß das Wort Gottes niemals die christliche Verantwortlichkeit abschwächt; wir haben hier ein Beispiel davon.  Aber es gibt eine Hilfsquelle, die Gnade, und wir wissen alle, daß wir ohne sie nicht bestehen könnten.  Nicht befreite Christen bedienen sich dieser Worte, um sich einzureden, daß sie, einmal errettet, wieder verloren gehen können.  Das sagt uns das Wort aber keineswegs; obwohl es uns unsere Verantwortlichkeit vorstellt, dürfen wir vernehmen, daß es in dem Herzen Gottes selbst dann noch Hilfsquellen der Gnade für uns gibt, wenn unsere Taten uns keine Hoffnung mehr lassen, dem Gericht zu entfliehen.  Und indem unser Gewissen getroffen wird, erfolgt Demütigung; wir weinen bitterlich, wie Petrus, und sagen zu Gott: „Dein Gericht ist geredet!“ Dann antwortet uns Gott, wie einst dem David: „Ich habe die Ungerechtigkeit deiner Sünde vorübergehen lassen.“ Es gefällt Ihm dann, uns zu zeigen, daß da, wo die Ungerechtigkeit des Menschen alles verloren hat, wo die Sünde überströmend geworden, die Gnade Gottes noch überschwenglicher geworden ist.

Nachdem der Apostel diesen Gegenstand zum Abschluß gebracht hat, geht er mit Vers 12 zu dem zweiten Teil des Kapitels über.  Er behandelt in zwei kurzen Versen die christliche Freiheit.  „Alles ist mir erlaubt, aber nicht alles ist nützlich.“ Sieh da den Ausgangspunkt unserer Pflicht als Christen.  Wenn es nicht nützlich ist für meine Brüder, daß ich von meiner Freiheit Gebrauch mache, soll ich es nicht tun.  Niemals hat unser Herr etwas getan, das nicht anderen zum Nutzen gereicht hätte.  „Die Speisen für den Bauch, und der Bauch für die Speisen; Gott aber wird sowohl diesen als jene zunichte machen.“ Im Himmel werden wir solche Speisen nicht mehr genießen, aber in dieser Welt gibt es Dinge, von denen ich mit voller Freiheit Gebrauch machen kann; sie haben aber keinen Bestand. Hiervon ausgehend zeigt der Apostel, daß es auch andere, bleibende Dinge gibt: „Der Leib aber nicht für die Hurerei, sondern für den Herrn, und der Herr für den Leib.“ Der Leib bleibt.  Die heidnischen Völker hatten alle kein Gewissen von Hurerei, sie galt ihnen nicht als Sünde; aber mit ihrer Bekehrung war eine gewaltige Veränderung in ihnen vorgegangen: ihr Leib war gerade so gut erkauft worden wie ihre Seele und ihr Geist.  Auch fragt sie der Apostel: „Wisset ihr nicht, daß eure Leiber Glieder Christi sind?“ (V.15).  Welch eine Ehre wird damit dem Leibe des Christen zuteil!  Er macht fortan gleichsam ein Stück von Christo aus.  Und wir hören dann weiter: „Gott aber hat sowohl den Herrn auferweckt, als Er auch uns auferwecken wird durch seine Macht.“ Von unseren sterblichen und verweslichen Leibern wird in dieser Welt nichts zurückbleiben.  Durch eine Macht des Lebens, die sie unverweslich aus dem Grabe hervorgehen lassen wird, werden wir verherrlichte Leiber haben, aber es werden unsere Leiber sein.  Von dem Augenblick an, da ich durch den Glauben und die Gabe des Heiligen Geistes teilhabe an Christo, ist mein Leib eines Seiner Glieder.  Wir können daran nicht genug denken.  Wir bilden als neue Geschöpfe ganz und gar einen Teil von Ihm, indem das Alte vergangen ist; das verleiht unserem Leibe Ehre, denn unser Herr hat ihn, wie alles andere, um den Preis Seines Blutes am Kreuze erkauft.  Im Anfang des Christentums hat es falsche Lehrer gegeben, welche die Christen aufforderten, den Leib nicht zu verschonen, ihm nicht eine gewisse Ehre zu geben (Kol. 2,23), während der Herr ihm im Gegenteil einen großen Wert beimißt, da Er ihn unverweslich auferwecken wird.

Im 18.  Verse sagt der Apostel weiter: „Fliehet die Hurerei!  Jede Sünde, die ein Mensch begehen mag, ist außerhalb des Leibes; wer aber hurt, sündigt wider seinen eigenen Leib.“ Wider seinen eigenen Leib!  Soll ich in den Leib Christi, von welchem der meine ein Glied ist, eine Befleckung einführen?  Wie sollte ein solcher Gedanke unseren Geist, unsere Herzen, unsere Gewissen treffen!  Ist es möglich, daß ich, der ich so innig mit Christo verbunden bin, eine Befleckung leichthin behandeln könnte?  Diese Ermahnung ist von ganz hervorragender Wichtigkeit für junge Gläubige, welche den Weg des Glaubens erst beginnen und mehr als andere den jugendlichen Lüsten ausgesetzt sind.  Mögen sie über dieses Kapitel nachsinnen, damit sie sich hüten, die Reinheit des Leibes Christi aufs Spiel zu setzen, ohne davon zu reden, wie sehr sie sieh durch ihr Verhalten dem Gericht Gottes und der Zucht der Versammlung aussetzen! Indem der Apostel immer wieder Dinge erwähnt, welche die Korinther hätten wissen sollen, fügt er hinzu: „Wisset ihr nicht, daß euer Leib der Tempel des Heiligen Geistes ist, der in euch wohnt, den ihr von Gott habt, und daß ihr nicht euer selbst seid?“ (V. 19) So ist denn unser Leib nicht nur ein Glied Christi, sondern auch ein Tempel des Heiligen Geistes.  Der Geist, eine Gabe, die wir unmittelbar von Gott empfangen haben, kann kraft des Erlösungswerkes in diesem Tempel wohnen.  Der Herr Jesus selbst hat Seinen Leib einen Tempel genannt, und da wir durch Ihn von der Sünde befreit sind, sind wir berechtigt, unseren Leib ebenso zu betrachten, wie Er den Seinigen.  Natürlich war Er in sich selbst „das Heilige“ (Luk. 1,35), was wir keineswegs sind, aber Er hat uns durch Sein Werk so völlig gereinigt, daß der Heilige Geist in uns Wohnung nehmen kann.  Soll ich nun diesen göttlichen Gast durch mein Verhalten betrüben, indem ich wie die Welt wandle, ich, der ich durch das Blut Christi aus ihr ausgesondert bin, und soll ich leben wie diejenigen, deren Leib noch unter dem unmittelbaren Einfluß Satans steht?  Kann ich da, wo der Geist Gottes wohnt, irgendwelche Unreinigkeit dulden?  Noch mehr: „Ihr seid nicht euer selbst, denn ihr seid um einen Preis erkauft worden.“ Ich gehöre nicht mehr mir selbst an, ich kann nicht mehr meinen Willen in dieser Welt tun; der Herr hat mich erkauft, - und um welch einen Preis! - auf daß ich Ihm allein gehöre und Ihm diene.  Der Apostel schließt mit der Mahnung: „Verherrlichet nun Gott in eurem Leibe!“

Damit endet dieses so wichtige Kapitel, wie übrigens alle diese Kapitel wichtig sind, die eine solche Fülle von praktischen Ermahnungen für unser tägliches Leben enthalten.  Gott will, daß wir in wahrer praktischer Absonderung vom Bösen wandeln bis zu jenem herrlichen Augenblick, da wir nicht mehr über uns selbst zu wachen oder den Gurt der Heiligkeit und Gerechtigkeit um die Lenden unserer Gesinnung zu legen brauchen, sondern, wie jemand sich ausgedrückt hat, unsere Kleider frei niederfluten lassen können in einer Umgebung bedingungsloser Reinheit, um Ihn geschart, der uns für sich erkauft hat auf immerdar.

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