Unterredungen über den ersten Brief an die Korinther

Kapitel 11,17-34

Unterredungen über den ersten Brief an die Korinther

Wenn man den Brief an die Epheser und den Brief an die Kolosser mit dem vorliegenden vergleicht, so kommt man zu einem überraschenden Ergebnis betreffs der Punkte, in denen die verschiedenen Briefe sich voneinander unterscheiden. Selbstverständlich trennt der Geist Gottes in keinem dieser drei Briefe die Versammlung, als Leib, von ihrem Haupt. Aber der Epheserbrief stellt uns das Haupt und den Leib dar, den einen neuen Menschen, die Versammlung als „die Fülle dessen, der alles in allem erfüllt“, während der Kolosserbrief redet vom Haupt des Leibes, und der Korintherbrief den Leib des Hauptes ins Licht rückt. Die Darstellung der Einheit des Leibes Christi hienieden haben wir bereits im 10. Kapitel gesehen. Nachdem dann im Anfang des 11. Kapitels gezeigt worden ist, was dem Weibe geziemt dem Manne gegenüber, als Vorbild der Beziehungen der Braut zum Bräutigam, – denn „der Christus ist das Haupt eines jeden Mannes“ (V. 3) – geht der Apostel mit dem 17. Verse über zu den Verrichtungen des Leibes, einen ganz neuen Gegenstand, der bis zum Schluß von Kapitel 14 behandelt wird. Wie soll, wenn wir als Versammlung zusammenkommen – hier haben wir wieder den Leib die Versammlung sich verhalten?  Diese Frage ist für uns von grundlegender Wichtigkeit.  Ohne Zweifel sind die Verhältnisse heute nicht mehr die gleichen wie damals, wo die Versammlung in Korinth sich an einem einzigen Ort versammelte.  Aber mögen wir auch nur zu zwei oder drei im Namen des Herrn versammelt sein, so haben wir uns doch der Ordnung zu befleißigen, die dem Leibe Christi hienieden geziemt. Indem wir näher auf den Gegenstand eingehen, finden wir zuerst, was das Zusammenkommen der Versammlung Oberhaupt ist: „Denn fürs erste, wenn ihr als Versammlung zusammenkommt. . .“ (V. 18).  Es gibt also in dieser Welt etwas, das als ein „Zusammenkommen der Versammlung“, des Leibes Christi, bezeichnet wird.  Die Schrift belehrt uns darüber, daß jedes „Zusammenkommen als Versammlung“ einen gemeinsamen Zug trägt.  Der Herr ist persönlich und im Geiste in ihrer Mitte – ein Umstand, der diesem Zusammenkommen einen Segens-Charakter verleiht, den Christen, die sich einfach zur Evangelisation oder zur Wortverkündigung zusammenfinden, nie kennen lernen werden.  Außer diesem allgemeinen Charakterzug hat das Zusammenkommen als Versammlung aber noch seine besonderen Züge.  Den ersten Platz nimmt das Zusammenkommen zum Gottesdienst ein, mit dem Gedächtnismahl des Todes des Herrn als Mittelpunkt.  An zweiter Stelle steht das Zusammenkommen zum Gebet, das allerdings hier nicht erwähnt wird.  Wir finden es in Matthäus 18.  Diese Stelle gibt uns Aufklärung darüber, daß ein Zusammenkommen als Versammlung selbst dann möglich ist, wenn nur zwei oder drei sich um Jesum als ihren Mittelpunkt versammeln. An dritter Stelle käme das Zusammenkommen zur Erbauung, wie es Kapitel 14 unseres Briefes schildert.

Wenn der Apostel sich jetzt im einzelnen mit dem Zusammenkommen als Versammlung beschäftigt, muß er mit einem Tadel beginnen: „Indem ich aber dieses vorschreibe, lobe ich nicht, daß ihr nicht zum Besseren, sondern zum Schlechteren zusammenkommt“ (V. 17).  Im zweiten Vers des vorliegenden Kapitels hatte er schreiben können: „Ich lobe euch ..., daß ihr die Überlieferungen, wie ich sie euch überliefert habe, festhaltet.“ Aber wie sah es in Wirklichkeit mit dem Beobachten dieser Überlieferungen aus?  Der erste Punkt, der schon im ersten Kapitel in allgemeiner Weise erwähnt wurde, hier aber in Verbindung mit den Zusammenkünften als Versammlung hervorgehoben wird, betraf die Spaltungen unter ihnen.  Sein Tadel betreffs dieser Dinge ist in sehr ernste Form gekleidet.  Wenn Christen bei ihrem Zusammenkommen als Versammlung imstande waren, auf diese Weise ihre Gemeinschaft untereinander und mit dem Herrn darzustellen, wie durfte es dann unter ihnen zu Spaltungen und Sektenbildung kommen?  Freilich hatten ihre Spaltungen sie noch nicht, wie es später der Fall war, äußerlich voneinander getrennt; aber wenn sie auch noch miteinander in Verbindung waren, so verstanden sich die also versammelten Gläubigen doch nicht mehr.  Das war der Beginn des späteren Zerfalls.  Sobald die apostolische Autorität nicht mehr vorhanden war, um die Gläubigen zusammenzuhalten, ja, in gewissem Maße sogar noch vor dem Abschluß der Laufbahn des Apostels Johannes, haben diese Spaltungen zu Trennungen geführt, und nach und nach ist die Kirche in zahllose Sekten zerfallen.  Der Apostel lobt diese Unordnung in ihrer Mitte nicht.  Im Gegenteil.  Aber es gab damals und, Gott sei Dank! es gibt auch heute noch in der Versammlung Christi Männer, die, anstatt diese Trennungen gutzuheißen, kräftig dagegen auftreten.  Auf solche Männer wendet Gott das Wort an: „auf daß die Bewährten unter euch offenbar werden“ (V.19). Von diesem ersten Tadel muß der Apostel zu einem zweiten übergehen.  „Wenn ihr nun an einem Orte zusammenkommet, so ist das nicht des Herrn Mahl essen“ (V. 20).  Zu jener Zeit pflegten die Gläubigen wohl das Mahl des Herrn vor oder nach ihrem Liebesmahl (griech.: agape) zu feiern.  Dazu brachte ein jeder sein eigenes Mahl mit, aber anstatt auch andere daran teilnehmen zu lassen, behielten sie ihre Vorräte für sich selbst, und so gingen die einen satt und gar trunken nach Hause, was damals unter den Heiden als wenig entehrend galt, während andere hungrig waren.  Die Unordnungen, die durch die Verbindung des Liebesmahls mit dem Mahl des Herrn eingedrungen waren, geben dem Apostel Gelegenheit, zwischen beiden einen Trennungsstrich zu ziehen und jedem seinen Platz anzuweisen (vergl.  V. 33 und 34). über das Mahl des Herrn erteilt er dann eine besondere Belehrung, weil dieser Gegenstand durch die anderen Apostel bisher nicht völlig geoffenbart worden war, denn in der Tat gibt der Apostel durch Offenbarung die Wahrheit in bezug auf diese Einrichtung bekannt.  Er hatte unmittelbar vom Herrn empfangen, was er ihnen mitgeteilt hatte. (V. 23.)

Das Mahl des Herrn hat nicht die gleiche Bedeutung wie der „Tisch des Herrn“ im zehnten Kapitel, wo die Einheit des Leibes Christi dargestellt wird.  Das Mahl ist eine Gedächtnisfeier. Wenn wir den „Tisch“ nur da finden, wo die Einheit ins Licht gerückt wird, so ist dem nicht so beim Abendmahl.  Das letztere ist eine in der Christenheit bekannte Sache, die, wenn auch unvollkommen, so doch aufrecht gehalten wird.  Brot und Kelch werden dabei als Erinnerungszeichen des Todes Christi anerkannt.  Und wir haben Ursache, Gott zu danken, daß es so ist.  Allerdings erinnert die Feier des Abendmahls im allgemeinen in der Christenheit in nichts an eine gemeinsame Feier.  Sie wird mehr als eine Sache des einzelnen betrachtet.  Trotzdem werden gottesfürchtige Seelen gewiß einen Segen haben, wenn sie sich des vollbrachten Werkes Christi auf diese Weise für sich selbst erinnern. Vier Dinge haben wir hier in Verbindung mit dem Mahle des Herrn zu beobachten.  In erster Linie ist es eine Gedächtnisfeier an die Person des Herrn.  Zweimal hat der Herr, als Er Brot und Kelch nahm, den Jüngern gegenüber wiederholt: „Dies tut zu meinem Gedächtnis.“ Wenn wir an diesem Mahl teilnehmen, ohne daß unsere Herzen von Ihm selbst erfüllt sind, so entsprechen wir diesem Seinem Wunsch nur unvollkommen.  An zweiter Stelle ist dieses Mahl eine Erinnerung an Sein Werk. „Dieser Kelch“, sagt der Herr, „ist der neue Bund in meinem Blute“.  Wie wir wissen, wird zu einem noch zukünftigen Zeitpunkt ein neuer Bund mit Israel geschlossen werden, nicht mit uns, denn nie ist mit der Kirche ein alter Bund geschlossen worden.  Aber die Christen genießen gegenwärtig schon voll und ganz den Segen, den in der Zukunft dieser neue Bund dem Volke Israel bringen wird.  Aus dem achten Kapitel des Briefes an die Hebräer, und zwar in der Anführung des Propheten Jeremias, ersehen wir, daß dieser Bund viererlei umfaßt.  Zuerst heißt es: „Denn dies ist der Bund, den ich dem Hause Israel errichten werde nach jenen Tagen, spricht der Herr: Indem ich meine Gesetze in ihren Sinn gebe, werde ich sie auch auf ihre Herzen schreiben“ (V. 10).  Das ist ganz etwas anderes als der Bund des Gesetzes, das sich an das natürliche Herz des Volkes richtete, und das von diesem niemals erfüllt werden konnte.  Dieser neue Bund wird nicht wie der alte ein von zwei Parteien geschlossener Bund sein, sondern wird ganz und gar von einer abhängen, und zwar von dem Herrn, der selbst das Werk in ihren Herzen vollführen wird.  Was uns betrifft, so braucht dieses Werk nicht mehr getan zu werden.  Es ist schon vollbracht. Betreffs des zweiten Punktes heißt es: „Ich werde ihnen zum Gott, und sie werden mir zum Volke sein.“ Die Beziehungen Israels zu Jehova werden wiederhergestellt werden. (Hos 1,10.) Für uns bestehen sie bereits, denn wir dürfen Ihn schon heute unseren Gott und Vater nennen. – Was den dritten Punkt anlangt, lesen wir: „Und sie werden nicht ein jeder seinen Mitbürger und ein jeder seinen Bruder lehren und sagen: Erkenne den Herrn! denn alle werden mich erkennen vom Kleinen bis zum Großen unter ihnen“ (V. 11.) Wir besitzen heute diese Erkenntnis Gottes durch die Tatsache, daß wir neue Herzen empfangen haben und in eine neue Verbindung mit Ihm gebracht worden sind, während Israel noch auf den Bund wartet, der ihm dies alles bringen wird. – Der vierte Punkt endlich ist: „Denn ich werde ihren Ungerechtigkeiten gnädig sein, und ihrer Sünden und ihrer Gesetzlosigkeiten werde ich nie mehr gedenken“ (V. 12). Israel wird später, und dann für immer, von seinen Sünden befreit, die aus Gottes Gedächtnis gänzlich getilgt sein werden.  Wir aber können dies schon heute von uns sagen auf Grund des Werkes Christi, das wir im Glauben angenommen haben.  Wir besitzen also schon jetzt alles, was der neue Bund Israel bringen wird, ohne daß dazu dieser Bund mit uns geschlossen worden wäre.  In diesen vier Punkten finden wir die christlichen Segnungen vereint.  Aus diesem Grunde wird der Kelch, das Sinnbild des Blutes Christi, der Kelch des neuen Bundes genannt. Wie wir oben sahen, haben wir im Abendmahl zunächst das Gedächtnis des Todes des Herrn, und zweitens das Gedächtnis Seines Werkes. Weiter lesen wir: „Denn so oft ihr dieses Brot esset und den Kelch trinket, verkündiget ihr den Tod des Herrn.“ Das Abendmahl ist also eine Verkündigung des Todes des Herrn inmitten der Welt. Hier, auf diesem Schauplatz, gibt es eine solche Sache: Die Versammlung Christi vereint, um diese große Tatsache zu verkündigen und bekannt zu machen.  Die Versammelten brauchen dazu nicht die Stimme zu erheben.  Die Tatsache an sich, daß die Christen versammelt sind, um alle miteinander das Gedächtnismahl ihres Herrn zu feiern, verkündet der Welt, mag sie es beachten oder nicht, den unendlichen Wert des Kreuzes Christi. Viertens finden wir im Abendmahl noch etwas, das untrennbar damit verbunden ist.  Wir feiern es, „bis Er kommt“.  Wir erwarten Seine Wiederkunft.  Die Verkündigung Seines Todes wird während der ganzen Zeit Seiner Abwesenheit fortgesetzt; sie wird aufhören, sobald Er gekommen ist.  Dann wird die Welt, sich selbst überlassen, für immer dessen beraubt sein, was sie verachtet hat; diejenigen aber, welche diesen Tod in so großer Schwachheit verkündigt und ihn so unvollkommen verstanden haben, sie werden ihn miteinander in der himmlischen Herrlichkeit in unaufhörlichen Lobgesängen feiern, geschart um das geschlachtete Lamm selbst.

In bezug auf die Feier des Abendmahls waren in Korinth betrübende Dinge vorgekommen.  Manche nahmen unwürdiglich daran teil.  Es ist nötig, die Bedeutung dieser feierlichen Handlung zu verstehen und, so man teilhat an einem Christus, der für unsere Sünden gestorben ist, nicht zu essen und zu trinken, ohne „den Leib zu unterscheiden“.  Sonst ißt und trinkt man sich selbst Gericht.  Wie ernst ist das!  Die unwürdige Art, das Mahl des Herrn zu feiern, ohne es von einer gewöhnlichen Mahlzeit zu unterscheiden, mußte Gericht bringen auf diese Kinder Gottes in Korinth, ein Gericht, das in dieser Welt über sie kam, da sie ja dem ewigen Gericht nicht mehr ausgesetzt waren.  Es gab deshalb unter ihnen manche Schwache und Kranke, und ein gut Teil waren bereits durch den Tod weggerafft worden.  Diese Sünde war für manche „eine Sünde zum Tode“, für die man nicht beten konnte.  Auch für uns ist die Sache von heiligem Ernst, was wir wohl beachten sollten.  Nie dürfen wir bei der Feier des Mahles des Herrn das Selbstgericht vergessen, damit Er nicht genötigt wird, uns zu richten wegen unseres Mangels an Ehrfurcht und Wachsamkeit beim Vornehmen dieser Handlung, zu der Er uns selbst geladen hat.

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