Unterredungen über den ersten Brief an die Korinther

Kapitel 7

Unterredungen über den ersten Brief an die Korinther

Wir haben schon früher gesehen, daß die Korinther wohl in mancher Beziehung unwissend waren und unterwiesen werden mußten, daß sie aber viele andere Dinge gut kannten, ohne jedoch deren bedeutungsvollen Inhalt auf ihr tägliches Verhalten und ihr Versammlungsleben anzuwenden.  Das war tatsächlich noch schlimmer, als wenn sie von jenen Dingen gar nicht gewußt hätten.  Darum wiederholt der Apostel auch so oft mit gerechter Strenge sein: „Wisset ihr nicht?“ Sie gaben sich keine Rechenschaft über ihren Todeszustand im Fleische, sondern legten diesem noch Wichtigkeit bei.  Sie hielten sich nicht der Welt für gekreuzigt, denn wenn Schwierigkeiten unter ihnen entstanden, riefen sie den Rechtsspruch der Welt an; gab es sittlich Böses in der Versammlung, so blähten sie sich auf, anstatt sich zu demütigen, um so Zucht ausüben zu können.  Mit einem Wort, die ersten Kapitel haben uns gezeigt, daß den Korinthern eine Hauptsache mangelte, nämlich die Verwirklichung der Tatsache, daß das Kreuz Christi auf dem Wege des Gerichts mit dem alten Menschen ein Ende gemacht hat.  So war es gekommen, daß sie, diese Hauptfrage außer Acht lassend, dem Apostel allerlei Einzelheiten als Gewissensfragen vorzulegen hatten.  Nichtsdestoweniger hat Gott diesen Umstand dazu benutzt, ihnen Aufschluß über die Ordnung zu geben, welche dem Hause Gottes geziemt. Sie hatten gefragt, ob man eheliche Beziehungen zueinander haben solle, ja oder nein, ob Christen, die mit Heiden verheiratet waren, mit diesen leben dürften, auch was sie mit ihren Kindern machen sollten; ferner ob jemand, der Sklave war, in dieser Stellung bleiben oder sich davon freimachen, ob man ledig bleiben oder heiraten solle, ob man den Götzen Geopfertes essen dürfe, oder ob man sieh davon enthalten müsse.  Gott beantwortet diese Fragen, die an und für sich interessant sind, weil sie die christliche Freiheit berühren, die sich aber als ins einzelne gehende Fragen des Geistes der Korinther so sehr bemächtigt hatten, daß sie darüber die wesentlichen, das Ganze erfassenden Wahrheiten vernachlässigten. Ähnlichen Seelenzuständen begegnet man häufig.  In demselben Maße, wie die geistliche Schwachheit zunimmt, beschäftigt man sich gern mit Nebenfragen, die das Herz mit der Person Christi nicht unmittelbar in Verbindung bringen.  Man verleiht übertriebene Wichtigkeit der Taufe, der bei der Feier des Abendmahls zu beobachtenden äußeren Form, der Nahrung, der Kleidung usw., lauter Fragen, welche Gott bei Gelegenheit beantwortet, denn Er hat eine Antwort für alles, die aber Satan gern dazu benutzt, die Seelen von dem Herrn abzuziehen. Auffallend ist die Art und Weise, wie der Apostel in dem vorliegenden Kapitel auf diese Fragen eingeht.  Von Vers 1–17 spricht er nicht als inspirierter Apostel, sondern einfach als Apostel, d. h. mit einer von seiten Gottes ihm gewordenen Autorität, die nicht Inspiration (göttliche Eingebung) war, zu deren Ausübung er aber angesichts ihres Ursprunges berechtigt war; denn er hatte den göttlichen Auftrag, eine Menge von Fragen in den Versammlungen zu ordnen (V. 17), wie wir das auch in den Briefen an Timotheus und Titus sehen.  Die Anordnungen, die der Apostel hier auf Grund seiner apostolischen Autorität trifft, unterscheidet er also von dem, was er als unmittelbar vom Herrn kommend, d. h. als inspiriert ausspricht. (V. 10.)

Im zweiten Teil dieses Kapitels (V. 25–40) redet er zu den Korinthern als ein Mann, der geistliche Autorität inmitten der Heiligen besaß.  „Ich habe“, so sagt er, „kein Gebot des Herrn; ich gebe aber eine Meinung, als vom Herrn begnadigt worden, treu zu sein.“ Darauf könnte man erwidern: In diesem Falle bin ich also nicht verpflichtet zu gehorchen.  Was?!  Sollten wir nicht verpflichtet sein, auf einen Mann zu hören, der offenbar durch den Geist Gottes geleitet wird?  Wenn wir das, was er uns sagt, nicht befolgen würden, so wären wir nichts anderes als Hochmütige, die sich für fähig halten, eine Sache viel besser zu entscheiden als der Apostel, und wir würden vergessen, was Gott über den Hochmut denkt. Doch was ist Inspiration?  Wenn wir erklären sollten, was göttliche Eingebung ist, würden wir wohl in große Verlegenheit geraten.  Da wir nicht inspiriert sind, werden wir wahrscheinlich auch nie dahin gelangen, eine solche Erklärung geben zu können; aber wir wissen, daß Gott durch Inspiration den von Ihm auserwählten Männern Seine Gedanken geoffenbart und sie uns durch deren Vermittlung mitgeteilt hat, und zwar auf eine Weise, die ebenso vollkommen war, wie jene sie empfingen, indem sie vor jeder Vermengung mit dem Fleische bewahrt wurden; denn Gott will, daß Seine für uns bestimmten Gedanken in ihrer ganzen göttlichen Vollkommenheit zu uns gelangen. Die wenigen in unserem Kapitel enthaltenen Stellen erläutern folgende drei Dinge: die apostolische Autorität, die göttliche Eingebung und das Recht des geistlichen Christen, angehört zu werden.  In Vers 6 lesen wir: „Dieses aber sage ich aus Nachsicht, nicht befehlsweise.“ Also lediglich aus Rücksicht auf ihre Schwachheit erteilte er keinen Befehl, obschon er die Autorität von Gott dazu besaß.  In Vers 17: „Also verordne ich in allen Versammlungen.“ Hier übt er jene Autorität über die ganze Kirche aus.  In Vers 25: „Ich habe kein Gebot des Herrn, ich gebe aber eine Meinung, als vom Herrn begnadigt worden, treu zu sein.“ Er spricht als ein geistlicher Mensch, der Anspruch darauf hat, gehört zu werden.  In Vers 40 sagt er: „Ich denke aber, daß auch ich Gottes Geist habe“, der also als solcher angehört werden muß. – Wenn er zur Inspiration kommt, sagt er in Vers 10: „Den Verheirateten aber gebiete nicht ich, sondern der Herr“, und in Vers 12: „Den übrigen aber sage ich, nicht der Herr“; er unterscheidet also zwischen seinem Wort als Apostel und dem ihm eingegebenen Wort.  Das letztere ist das Wort des Herrn, das übrigens schon aus dem Munde Christi selbst hervorgegangen ist, indem Er zu den Pharisäern sagte: „Was Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht scheiden“ (Mt 19,5+6; Mk 10,6–9).  Der Herr erinnert bezüglich der Ehe somit zunächst an das, was von Anfang an durch Inspiration bezeugt wurde: „Die zwei werden ein Fleisch sein“, bestätigt es dann durch Sein eigenes Wort und stellt es hier durch das inspirierte Wort des Apostels nochmals fest. Über dieses 7. Kapitel, das von Banden und Beziehungen redet, die unserem Leben hienieden angehören, könnte man die Überschrift setzen: Die christliche Freiheit, geregelt durch gänzliche Abhängigkeit von dem Herrn und Seinem Wort.  Der Apostel gibt zu, daß die Umstände verschieden sind, daß es erlaubt ist, denselben Rechnung zu tragen, und daß jeder frei ist, für sich selbst darüber zu urteilen.  Wenn es sich indes um den Dienst des Herrn handelte, wünschte er, daß „alle Menschen wären wie er selbst“ (V. 7).  Dies veranlaßte ihn auch später, zu dem König Agrippa zu sagen: „Ich wollte zu Gott, daß ... nicht allein du, sondern auch alle, die mich heute hören, solche würden, wie auch ich bin, ausgenommen diese Bande“ (Apg 26,29). übrigens, mochte es sich um die Ehe oder um einen Beruf handeln, es war nicht verkehrt, anders zu handeln als der Apostel, vorausgesetzt daß es „im Herrn“ geschah, da „jeder seine eigene Gnadengabe von Gott hat, der eine so, der andere so“ (V. 7+39).  Die Ehelosigkeit hat ihre großen Gefahren, die Ehe ihre großen Schwierigkeiten.  Möge ein jeder dies vor dem Herrn erwägen und dann seine Entscheidung treffen; in dieser Entscheidung gibt es nichts Böses.  Der Apostel macht die Herzen der Korinther, die mit diesen Gedanken beschäftigt waren, weit; nur sollte das Weib nicht vom Manne, noch der Mann vom Weibe geschieden werden. Es gab indes Verhältnisse, die nicht so einfach waren, wie z. B. dasjenige zwischen einem christlichen Weibe und einem heidnischen Manne, oder einem christlichen Manne und einem heidnischen Weibe. (V. 12–17) Sollten solche sich voneinander trennen?  Nach dem jüdischen Gesetz hätte es so sein sollen, wie wir das aus dem letzten Kapitel des Buches Esra ersehen: der Israelit mußte sich von seinem fremden Weibe trennen, um zu der heiligen Gemeinde, dem Volke Jehovas, gehören zu können.  Der Apostel geht von diesem Gedanken aus, um zu zeigen, daß unter der Regierung der Gnade sich alles in das unmittelbare Gegenteil dessen verwandelt hat, was unter dem gesetzlichen System gültig war.  Ein christlicher Mann sollte sich nicht von seinem heidnischen Weibe trennen, weil das Weib durch den Mann geheiligt war, und umgekehrt.  Es braucht nicht gesagt zu werden, daß der Apostel, wenn er von der Verbindung eines Christen mit einer Person aus der Welt redet, keinen Augenblick daran denkt, daß jemand eine derartige Verbindung nach seiner Bekehrung eingehen könne, vielmehr setzt er voraus, daß die Bekehrung des einen oder anderen Teiles erst nach der Heirat stattgefunden hat.  Er gibt also keinerlei Freiheit zu einer Verbindung mit weltlichen Personen.  Indem nun der Ungläubige durch den christlichen Ehegatten geheiligt ist, sind die aus dieser Verbindung hervorgegangenen Kinder heilig und durch ihre Stellung berechtigt, zu dem Hause Gottes zu gehören.  Man darf jedoch nicht vergessen, daß es sich in diesen Kapiteln um das Haus handelt, nicht etwa um den Leib Christi.  Die Kinder sind in eine Stellung des Geheiligtseins, der Absonderung versetzt, in ein äußerliches Verhältnis, das zu der Erde in Beziehung steht.  Es handelt sich hier nicht um ihre ewige Errettung, sondern sie werden als zum Hause Gottes hienieden gehörend betrachtet, um so all der Segnungen teilhaftig zu werden, die sich dort finden.

Der Apostel geht nunmehr zu einer anderen Frage über.  Wie sollten sich Christen hinsichtlich der verschiedenen Beziehungen und Verhältnisse verhalten, in denen sie sich zur Zeit ihrer Bekehrung befanden?  Erstlich: War es von Wichtigkeit, ob man als Jude oder als Heide berufen war? Nein; es handelt sich weder um Beschneidung noch um Nichtbeschneidung, sondern „um das Halten der Gebote Gottes“ (V. 18. 19).  Die Sklavenfrage, die er dann berührt, scheint uns wenig anzugehen, sie ist aber in Wirklichkeit von großer Wichtigkeit für uns.  Viele werden berufen, während sie sich in einer abhängigen Stellung befinden; sie möchten dieses Joch gern abschütteln, und dieser Wunsch wird zum Ausgangspunkt vieler Nöte in unserem christlichen Leben.  Wenn Sklaverei in Frage kommt, könnte es scheinen, als ob ein Christ sich unverzüglich von solchen Banden befreien sollte.  Der Apostel aber, der selbst den flüchtigen Sklaven Onesimus zu Philemon zurücksandte, gibt keineswegs den Rat, sich von seinem Herrn loszumachen.  Der Sklave sollte in dem Beruf bleiben, in welchem Gott ihn berufen hatte, denn er war „ein Freigelassener des Herrn“.  Wenn Gott ihm aber die Mittel gab, sich loszukaufen, so sollte er freudig Gebrauch davon machen (V. 21. 22), aber: „ein jeder, worin er berufen worden ist, bleibe darin bei Gott“ (V. 24). Endlich hatten die Korinther den Apostel betreffs solcher befragt, die nie eine eheliche Verbindung eingegangen waren.  Er gibt ihnen Fingerzeige, wie ein geistlicher Mann gleich ihm sie geben konnte, denn er urteilte, daß auch er Gottes Geist habe (V. 40). Er sagt ihnen, daß der oder die, welche unverheiratet seien, nicht heiraten sollten.  Ohne solche Bande könnt ihr viele gute Werke tun, denn ihr braucht dann nur dem Herrn zu gefallen, was das weit Bessere ist.  Ich gebe euch diesen Rat, doch seid ihr frei, unbedingt frei, nach dem Maße eures Glaubens zu handeln, vorausgesetzt, daß es „im Herrn“ geschieht.  Auch fügt er hinzu: „Die Zeit ist gedrängt.“ Seit dem Kreuz befinden wir uns in einer Zeit, wo alles mit raschen Schritten dem Ende entgegeneilt.  Alles vergeht; was wird Bestand haben?  Ladet euch deshalb nicht Dinge auf, die euch in eurem Vorwärtseilen hindern könnten. Wir können das heute mit noch viel mehr Grund sagen, als der Apostel, da wir ganz nahe vor der Ankunft des Herrn stehen.  Wollen wir uns mit allerlei Bürden und Fesseln beladen, die notwendigerweise eine große Rolle in unserem Leben spielen müssen?  Sie alle werden mit dem kurzen Dasein vergehen, an das sie geknüpft sind.  Nun wohl denn! laßt uns wie solche sein, die unverheiratet sind; laßt uns in unserem christlichen Wandel nichts uns aufbürden, möchte es auch noch so erlaubt oder gar berechtigt erscheinen!  Wenn dieser Gedanke stets in unserem Herzen lebte, wie würden wir dann vor irdischen Interessen bewahrt bleiben!  Je mehr unsere Herzen von Christo erfüllt sind,  desto mehr werden wir mit Gott beschäftigt sein, desto eifriger dem Herrn und Seinen Interessen dienen.  Anstatt unter den aufregenden Einflüssen unserer Umgebung zu leiden, würden wir, immer einfältiger, glücklicher, ruhiger werdend, diese Welt in wahrer innerer Ruhe durchschreiten. Laßt uns denn die Ermahnungen eines Mannes beachten, der, obwohl denselben heftigen Gemütsbewegungen ausgesetzt wie wir, in hervorragendsten Weise ein „geistlicher Mensch“ war; auch dann, wenn er diese Ermahnungen nicht befehlsweise ausspricht oder sie mit seiner apostolischen Autorität bekleidet!  Laßt uns ein geöffnetes Ohr haben, um auf sie zu hören, und Herzen, die bereit sind, sich den von ihm ausgesprochenen Gedanken zu unterwerfen, von ihm der sagen konnte: „Ich denke aber, daß auch ich Gottes Geist habe!“

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