Der Prophet Daniel

Kapitel 8

Wir verlassen nun den Teil der Prophetie, der sich besonders mit den heidnischen Weltreichen beschäftigt. Und darum kehrt mit Beginn des 8. Kapitels auch die Sprache des Grundtextes vom Aramäischen zum Hebräischen zurück. Das Gesicht, das uns in diesem Kapitel aufgezeichnet ist, erschien dem Daniel etwa zwei Jahre nach dem in Kapitel 7 betrachteten. Obwohl sich die Mächte der Nationen immer noch im Blickfeld befinden, liegt das Schwergewicht doch auf ihrem Handeln in Bezug auf Jerusalem, mit dem Heiligtum und seinen Opfern. Daniel sieht sich im Gesicht nicht in Babylon, sondern in der Burg Susan, einem Palast des medopersischen Reiches, das das babylonische besiegte. Es war vermutlich in der Zeit, kurz bevor der Umsturz stattfand.

Bevor also das medo-persische Reich den Sieg davontrug, wurde dessen eigener Fall schon dem Geist Daniels beschrieben, denn der Widder mit den zwei Hörnern (Vers 3) ist ein deutliches Bild dieser Macht. Das persische Horn wurde das vorherrschende, aber es stieg zuletzt empor. Für eine Zeit war der Widder unbezwingbar, folgte seinem eigenen Willen und stieß in alle Himmelsrichtungen vor.

Der Ziegenbock, der dann kam ist die griechische Weltmacht (Verse 5,21) und das «ansehnliche Horn» weist hin auf Alexander den Grossen, der mit großer Schnelligkeit vorrückte und die Perser überwältigte. Vers 8 sagt das plötzliche Ende Alexanders voraus und die Aufteilung seiner soeben eroberten Gebiete in vier geringere Herrschaftsbereiche.

Bis dahin wurde uns eine erweiterte Sicht von dem gegeben, was in Kapitel 7,6 in einem einzigen Vers zusammengefasst ist. Aber von Kapitel 8,9 an kommen wir zu neuen Voraussagen. Sie handeln eher von den unmittelbaren Folgen der Auflösung des griechischen Weltreiches, als von Geschehnissen der letzten Tage. Erst in den Versen 19-26, worin das Gesicht erklärt wird, geht es um die Zeit des Endes. Wie das häufig der Fall ist, so geht auch hier die Auslegung weit über die Einzelheiten des Gesichts hinaus.

Die Weissagungen über das «kleine Horn» (Vers 9 ff.) und sein Vorgehen sind verschieden von denen über das «kleine Horn» in Kapitel 7,8. Jenes entsprang dem vierten Weltreich in seinen letzten Tagen. Dieses aber kam aus einem der vier Teile des aufgelösten dritten Weltreiches. Diese eindrucksvolle Person würde sich selbst verherrlichen und sich gegen Süden und Osten und das «Land der Zierde» wenden, womit zweifellos Palästina gemeint ist. Unter den «Sternen», die dieser Mensch niederwerfen werde, verstehen wir leuchtende Knechte Gottes. Er werde das beständige Opfer wegnehmen, das Heiligtum niedertreten und so den «Fürsten des Heeres» verunehren. Dies alles erfüllte sich während der Laufbahn des gottlosen und boshaften Mannes, der in der Geschichte als Antiochus IV mit dem Beinamen Epiphanes bekannt ist. Er entweihte den Tempel und versuchte, den Juden heidnischen Götzendienst aufzuzwingen. Das führte zu den Makkabäer-Aufständen, zu einer Zeit großer Drangsal, bis schließlich, nach 2300 Abenden und Morgen, das Heiligtum gerechtfertigt wurde. Wir glauben, dass vieles aus Hebräer 11,35-38 auf die Heiligen jener Tage zutrifft.

Als Daniel Verständnis über das Gesicht erlangte, wurden seine Gedanken bald weiter getragen zu dem, «was in der letzten Zeit des Zornes geschehen wird» (Vers 19). Die Verse 20-22 fassen die Geschichte, die wir bereits betrachtet haben, zusammen. Aber Vers 23 führt uns weiter zu späteren Tagen, in denen sich zwei Dinge ereignen werden. Erstens werden die Frevler «das Maß voll gemacht haben». Zweitens wird in der gleichen Gegend ein König aufstehen, frechen Angesichts und der Ränke kundig. Das ist aus der Tatsache ersichtlich, dass er am Ende ihres Königtums aufstehen wird. Er wird aus dem nördlichen Teil von Syrien kommen, wie einst der berüchtigte Antiochus, der ein Nachkomme von Seleukos war, einem der vier Generäle Alexanders, der nach dessen Tod König über den nördlichen Teil des Reiches wurde. Zur gleichen Zeit hatten Ptolemaios und seine Nachkommen als Könige des Südens die Herrschaft über Ägypten übernommen.

Dieser kommende König des Nordens wird, wie Antiochus, versuchen, die Starken und das Volk der Heiligen, d.h. Israel am Ende der Tage, zu verderben. Sein Tun ist in den Versen 24 und 25 beschrieben. Zuletzt wird er sich wider den «Fürsten der Fürsten» auflehnen, aber als Folge davon, «ohne Menschenhand zerschmettert» werden, d.h. ohne menschliche Mithilfe. Hier haben wir also den «König des Nordens» oder «den Assyrer', der so oft in den prophetischen Schriften des Alten Testaments vorkommt. Er wird durch den Herrn Jesus selbst vernichtet, wenn Er in Herrlichkeit erscheint und seine Füße auf dem Ölberg stehen werden, (siehe Sacharja 14,3.4).

Es ist wichtig, dass wir den Unterschied zwischen dem kleinen Horn, das vom dritten Tier herrührt und dem, das aus dem vierten kommt, klar festhalten. Das kleine Horn des vierten Tieres (Kapitel 7) wird nach Offenbarung 13 durch den falschen Messias in Jerusalem unterstützt, d.h. es ist verbündet mit den Juden und mit Jerusalem. Der König des Nordens hingegen, das andere kleine Horn, ist ihr entschiedener Feind. Beide, obwohl nicht zum gleichen Zeitpunkt, werden vernichtet werden durch die Erscheinung Christi in Herrlichkeit.

Daniel wurde versichert, dass dieses Gesicht wahr und gewiss sei, obwohl es Dinge enthüllte, die in seinen Tagen noch in weiter Ferne lagen. Doch sein Schrecken über das Gesicht machte ihn krank, er verstand es nicht. Er sollte es verschließen, denn in seinen Tagen würde es versiegelt bleiben. Für uns aber ist es ein geoffenbartes Gesicht, da wir das Licht des Neuen Testamentes und den Heiligen Geist in uns wohnend besitzen. Wir mögen wohl ausrufen: «Gott aber sei Dank für seine unaussprechliche Gabe!», auch für die Gabe des Geistes.

Nächstes Kapitel »« Vorheriges Kapitel