Was von Anfang war
Eine Auslegung der Johannesbriefe

1.Johannes 2,7-11

Was von Anfang war

Wie wir bereits in den vorangegangenen Versen gesehen haben, ist der Gehorsam das erste und wesentlichste Kennzeichen dafür, dass jemand Leben aus Gott hat. Es liegt im Wesen des Gehorsams, dass man nicht nur tut, was in sich recht ist, sondern es in Anerkennung der Autorität Gottes tut und weil man Ihm wohlgefällig sein will. Ein Mensch handelt stets auf verkehrter Grundlage, wenn er das Rechte nur um des Rechten willen tut, denn er lässt dann außer Acht, was für Gott und auch für den Gläubigen als Sein Kind das Allerwichtigste ist. An erster Stelle muss es stets darum gehen, dass Gott zu Seinem Recht kommt. Geht es dem Menschen dagegen lediglich darum zu tun, was er nach seinem eigenen Urteil für richtig hält, dann ignoriert er Gott. Nicht der Mensch, sondern der Wille Gottes ist maßgebend. Daher geziemt sich Gottesfurcht für ihn, die immer der Anfang geistlicher Weisheit ist. Somit ist der Gehorsam der erste Prüfstein für das Vorhandensein des neuen, göttlichen Lebens, insbesondere im Hinblick auf die Gesetzlosigkeit, die bereits damals unter den christlichen Bekennern wirksam war.

Wenn der Mensch sich selber die Beurteilung der Dinge anmaßt, ohne sich um den unsichtbaren Gott zu kümmern, dann verlässt er jede Grundlage für eine sichere und gottgemäße Beurteilung. Er mag moralisch einwandfrei und äußerlich korrekt erscheinen, trotzdem ist er Gott nicht gehorsam, wenn er in allem, was ihm begegnet, lediglich nach eigenem Ermessen handelt. Ohne den Gehorsam Gott gegenüber ist alles verkehrt und völlig unvereinbar mit der Verantwortlichkeit eines Christen.

Nun gibt es aber noch einen weiteren sittlichen Grundsatz, der mit dem eben behandelten in Verbindung steht. Die Ursache davon ist klar: Beide Grundsätze haben ihre Quelle in dem Herrn Jesus und kommen von Ihm. Denn Er ist das Leben, und die Darstellung, die Er hier auf Erden in Wort und Tat davon gab, liefert uns nicht nur eine Theorie oder Lehre, sondern gibt uns den Maßstab dafür, was ewiges Leben wirklich ist. Nichts ist dem Geschöpf vertrauter als das „Leben“. Empfindung, Urteilsfähigkeit, selbständiges Handeln sind ohne Leben undenkbar. Alle Menschen besitzen das natürliche Leben des unter die Macht der Sünde und des Todes geratenen Menschen. Welchen Nutzen kann dieses Leben für Gott oder für uns haben? Es ermöglicht uns, viel Böses zu tun, kann uns aber niemals dahin bringen, Gott wohlgefällig zu sein. Das war allein bei dem Herrn Jesus der Fall, der stets in vollkommener Weise das Gott Wohlgefällige tat. Dieses Leben Christi ist aber jetzt unser Leben geworden. Er schenkt jedem dieses Leben, der von Herzen an Ihn glaubt. Durch den ersten Menschen wurde der Tod eingeführt, doch der Zweite Mensch ist ein lebendig machender Geist. In Ihm, dem ewigen Wort, war Leben, und als Mensch empfing Er von dem Vater, Leben in Sich Selbst zu haben. Er gibt das Leben denen, die Ihn aufnehmen; Er macht (ebenso wie der Vater) lebendig. Nichts kennzeichnet Gott mehr in Seinem Tun, als dass Er Leben erschafft und Leben gibt. Die Weisen dieser Welt, denen es an Glauben mangelt, haben immer noch nicht entdeckt, was Leben ist und wo es ist. Manche suchen eifrig in der Retorte nach seinen Spuren; sie hoffen, mittels chemischer Experimente hinter sein Geheimnis zu kommen. Die Metaphysiker sind auch nicht einen Deut weiser dadurch, dass sie ihre Vernunft zu Rate ziehen, die sich wohl bestens für die Prüfung von Schlussfolgerungen eignet, aber unfähig ist, die Wahrheit zu ergründen. Solche und ähnliche menschlichen Hilfsmittel mögen gut genug sein für die elementaren Dinge, die zum materiellen und intellektuellen Bereich gehören. Wenn wir aber bedenken, dass es sich um das Leben handelt, dann können wir wohl ermessen, wie fruchtlos die menschlichen Bemühungen und Erwartungen sein müssen, dem Leben durch derartige Untersuchungen auf die Spur zu kommen.

Nein, der Mensch erhielt das Leben ursprünglich und unmittelbar von Gott, und zwar dadurch, dass Gott ihm Seinen Odem einhauchte. Aus diesem Grunde hat nur er eine unsterbliche Seele. Die Tiere haben eine für ihr Dasein passende Seele und Leben, aber diese entstanden nicht durch den Odem Gottes, sondern nur durch Seinen Willen und Seine Macht. Er gestattete ihnen ein befristetes Dasein; das ist aber etwas ganz anderes, als das persönliche Einhauchen des Odems Gottes in die Nase des Menschen. Bei keinem anderen Geschöpf der Erde hat Er dieses getan, nur der Mensch genoss einen solchen Vorrang. Hat man diesen Unterschied erkannt, dann wird einem klar, dass der Mensch ein sittliches Wesen mit persönlicher Verantwortung ist, weil er eine unsterbliche Seele besitzt. Nun gibt es aber ein Vorrecht, das unermesslich größer ist als nur die Unsterblichkeit im Sinne einer unaufhörlichen Existenz der Seele. Diese allein kann unaussprechlich furchtbare Konsequenzen haben; man denke an die endlose Existenz im Feuersee! Jeder, der den Sohn verwirft, kommt unweigerlich unter das ewige Gericht Gottes. Das bedeutet ein endloses Dasein in der Pein, und zwar unter Leiden von Seiten Gottes. Der Mensch hat sich ja in seiner Unbußfertigkeit vorsätzlich geweigert, daran zu glauben, dass der Herr Jesus in Seiner Gnade das Gericht Gottes erduldet hat, damit der schuldige Sünder niemals Seine Strafe erleiden muss, sondern für immer gesegnet sei. Wie reich ist Gottes Barmherzigkeit, den Verlorenen Rettung anzubieten, weil Christus an dem Kreuz das Gericht über die Sünde trug! Glaubt man aber weder Ihm noch der guten Botschaft von dem, was Gott durch Ihn gewirkt hat, so steht man unter der Macht Satans, in der Gewalt des unerbittlichen Feindes, der Gott und Menschen hasst.

Die Existenz des Menschen kann niemals mehr aufhören; darin besteht ja die entsetzliche Schuld des Sünders, der seinem Dasein gern ein Ende bereiten würde, wenn er könnte. Er mag Selbstmord begehen; doch wird er darüber Gott Rechenschaft ablegen müssen. Denn Gott gab ihm das Leben, und der Mensch hat keine Befugnis, dieses Leben mit eigener Hand auszulöschen. Wie könnte solch eine verwerfliche und törichte Tat irgendetwas Gutes hervorbringen? Wenn schon jeder Mord ein furchtbares, finsteres Verbrechen ist, so ist der Selbstmord eine seiner schlimmsten Formen und zudem eine direkte, grobe Beleidigung Gottes.

Der vollkommene Gehorsam des Herrn Jesus entsprang Seinem vollkommenen, ewigen Leben. In uns Gläubigen ist dieses Leben nicht immer tätig, weil wir zu unserer Schande das Fleisch wirksam werden lassen. Doch das neue, ewige Leben ist stets in Bereitschaft für eine gottgemäße Handlungsweise. Unvorsichtigkeit und Mangel an Wachsamkeit zum Gebet lassen das alte Leben zuweilen zum Vorschein kommen, denn es ist immer noch vorhanden. Nach Römer 8,7 ist es die „Gesinnung des Fleisches“, die Feindschaft gegen Gott bedeutet. Es zeigt sich als der Eigenwille des Menschen, mit dem er dem Satan gehorcht; denn der Wille des Menschen wird Satans Werkzeug. Das also ist der vermeintliche freie Wille, mit dem der Mensch sich brüstet!

Wir dürfen nicht aufhören, immer wieder darauf hinzuweisen, dass jeder, der an Christus glaubt, von Ihm sogleich ewiges Leben empfängt. Die ersten Atemzüge dieses Lebens setzen bereits ein, sobald die Seele zu glauben beginnt, d. h., wenn sich der Sünder vor Christus beugt als vor Dem, den Gott in Seiner Gnade für uns dahingab. Selbst dieser Glaubensakt ist, wie wir gesehen haben, bereits eine Sache des Gehorsams Gott gegenüber. Es ist Sein ausdrückliches Gebot, dass man Buße tut und dem Evangelium glaubt. Dadurch unterwirft sich die Seele in Wahrheit Gottes Willen. Denn der Gehorsam bezieht sich nicht nur auf das, was man fortan für Gott tun soll; vielmehr beugt sich die Seele von Anfang an vor Gott und anerkennt, dass Er in Seinem Sohn der Heiland-Gott ist.

In welch gesegneter Weise gab Er mir das Leben, auf welch wunderbare Art machte Er mich zum Gegenstand Seiner Liebe! Konnte Gott mir noch größere Liebe erweisen? Er gab nicht nur Den, der das ewige Leben war, für mich dahin, um für meine Sünden zu sterben und durch diese ewige Erlösung alle meine Sünden völlig zu tilgen; Er sandte auch Seinen Sohn für mich auf diese Erde, um mir ewiges Leben zu geben. Dieses neue Leben ist aber nicht nur die Quelle des Gehorsams, sondern auch der gottgemäßen Liebe. Es handelt sich hierbei nicht lediglich um die Liebe zu Gott. Diese muss ja aus der Erkenntnis erwachsen, dass Gott uns in Seiner unumschränkten Gnade, in Seinem eingeborenen, geliebten Sohn, ewiges Leben und die Sühnung der Sünden geschenkt hat. In diesem Abschnitt wird jedoch der Nachdruck darauf gelegt, dass wir Gläubigen einander lieben sollen. Christen, die noch jung im Glauben und, wie in Korinth, ungeistlich sind, meinen, es sei etwas Leichtes, einander zu lieben. Man kann nur wünschen, dass sie es auch täglich mit allem Ernst versuchten. Bei einer gründlichen Selbstprüfung vor Gott würden sie bald erkennen, dass vieles, was für Liebe gehalten wird, nur ein Lieben „mit Worten und mit der Zunge“ ist (1. Joh 3,18). Es mag alles sehr einfach erscheinen, solange die Dinge glatt laufen und keine Widerstände auftreten. Werden unsere Wünsche aber durchkreuzt, dann kommen diejenigen in Bedrängnis, die das Lieben für eine leichte Sache hielten. Diese Art von Liebe findet sich bei jedem liebenswürdigen Menschen, ja selbst bei Hunden und Katzen, ohne dass sie eine Spur göttlichen Wesens aufweist.

Wenn es darum geht, unsere Brüder wirklich zu lieben, dann zeigen sich erst die gewaltigen Hindernisse in uns und teilweise, wenn nicht ebenso stark, auch in ihnen. Der Christ unterscheidet sich darin von dem Herrn Jesus, von dem es heißt: „In ihm ist keine Sünde. „ In uns ist sie aber der Natur nach noch vorhanden. Jeder, der das nicht glaubt, ist zu bedauern. Er lebt in einer großen Selbsttäuschung, wenn er sich einbildet, in praktischer Hinsicht jetzt schon vollkommen zu sein. Er ist davon weit entfernt, denn er hat noch nicht einmal verstanden, dass die christliche Vollkommenheit darin besteht, sich selbst zu verleugnen und alles in Christus zu finden. Was kann er erst davon wissen, wenn es sich um die tägliche Praxis handelt! Nein, unsere Vollkommenheit wird erst dann erreicht sein, wenn wir vollständig in Sein Bild verwandelt sein werden. Beurteilen wir uns selbst im Licht, so werden wir bald allen Grund haben, unser Versagen zu beklagen. Dennoch gebot der Herr Seinen Jüngern ausdrücklich und mit allem Ernst, einander zu lieben. Der Glaube an Ihn gereichte den Juden äußerlich ebenso wenig zum Vorteil wie die Tatsache, dass sie auf alle Nationen von oben herabsahen. Wie viel Stolz liegt doch in der Liebe zum eigenen Volk! Man identifiziert sich so gern mit den besonderen Verdiensten und glänzenden Vorteilen, die man bei seinem Volk zu sehen glaubt. Die Juden waren diesbezüglich gewiss so stolz, wie es ein Volk nur irgend sein kann; sie hatten allem Anschein nach auch mehr Veranlassung dazu als ihre Feinde. In Wirklichkeit hat aber kein Mensch den geringsten Grund, stolz zu sein; er gehört in den Staub wegen der Sünden, die er gegen Gott begangen hat. Man mag noch so beeindruckt sein von dem, was Gott gewirkt hat, – und Israel hatte zweifellos mehr Grund dazu als alle anderen Völker – es bleibt doch wahr, dass jeder aufrichtige Mensch nicht anders kann, als sich wegen seiner Unwürdigkeit vor Gott zu demütigen, sobald er die Dinge in Seinem Lichte sieht. Wir erkennen unsere Sündhaftigkeit und auch die der anderen. Deshalb ist es nötig, dass uns der Heilige Geist über das alles erhebt, was uns herausfordert und in Versuchung bringt, was sich im Gegensatz zu unseren Wünschen befindet und was wir als verkehrt erkannt haben.

Die nächsten Verse stellen uns hinsichtlich der Liebe unausweichlich auf die Probe. Die Frage lautet, ob wir die Ausdauer haben, selber in dieser Weise zu lieben. Wohl darf es uns nie gleichgültig sein, wenn Christus verunehrt oder die Wahrheit Gottes preisgegeben wird, wenn Ungerechtigkeit oder offenkundige Sünde in irgendeiner Form zutage tritt. Doch wir sind dazu berufen, zu tragen und zu ertragen, stark zu sein in der Gnade, die in Christo Jesu ist, Trübsale zu erleiden als Seine guten Kriegsleute, alles um der Auserwählten willen zu erdulden, damit auch sie die Seligkeit erlangen, die in Christo Jesu ist, mit ewiger Herrlichkeit (2. Tim 2,10). So handelt wahre Liebe. Dann kommt man dahin, in fast allen Dingen, die einem tagsüber begegnen, ähnlich geduldig zu werden, wie Gott Selbst es ist. Der Herr Jesus bewies diese Geduld bis zum Äußersten und offenbarte sie Tag für Tag in Seinem Erdenleben. Das hinderte Ihn aber nicht daran, das gegen Gott gerichtete Böse öffentlich zu rügen. Doch das war keineswegs ein Mangel an Liebe. Das Böse nicht zu hassen hätte eine Herabwürdigung der Natur Gottes und Seines Wortes bedeutet; Gleichgültigkeit dem Bösen gegenüber ist das genaue Gegenteil von Heiligkeit. Das Gute zu lieben und nach Gerechtigkeit zu trachten sind Bestandteile der praktischen Heiligkeit des aus Gott Geborenen. In allem, was uns persönlich zu schaffen macht und unserem Denken und Wünschen oft so entgegengesetzt ist, erweist sich die Liebe als siegreich. Wir können im Glauben alle unsere Schwierigkeiten Gott überlassen und sollten es stets aus Liebe tun. Es gibt viel Verkehrtes um uns her zu missbilligen; wir müssen es verurteilen, doch nur insoweit, als wir dabei nicht selber ungebührlich handeln. Lasst uns aber bedenken, dass wir dazu berufen sind, uns in der Liebe Gottes zu erhalten (Jud 21), wie bedauerlich auch die Zustände sind. Das wird nicht nur uns selber zum Segen gereichen, sondern sich auch in unserer Umgebung auswirken.

Es sei kurz darauf hingewiesen, dass das erste Wort in Vers 7 ein Beispiel für die Neigung des Menschen ist, sich nicht an die exakte Ausdrucksweise des Wortes Gottes zu halten. In einigen Übersetzungen steht hier das Wort „Brüder“. Aber der Apostel ist noch nicht soweit gekommen, diese Anrede zu benutzen. „Brüder“ sagt er etwas später, in Kapitel 3, 13, übrigens das einzige Mal als Anrede in diesem Brief. Jetzt beschäftigen ihn nicht in erster Linie unsere gegenseitigen Beziehungen, sondern die Liebe ist zunächst der Gegenstand, über den er schreiben möchte. Seine Anrede steht damit in trefflicher Übereinstimmung. „Kinder“ und „Geliebte“ sind seine üblichen Worte, und auch hier ist die richtige Lesart: „Geliebte, nicht ein neues Gebot schreibe ich euch ...“ Ist das nicht sehr bezeichnend? Die Beziehungen der Gläubigen zueinander waren eine wichtige Tatsache, doch darum ging es ihm jetzt nicht. Er spricht jetzt in einer Weise zu ihnen, die sie daran erinnern soll, dass sie geliebt wurden. Es war gar nicht nötig zu sagen, wer sie so liebte. Selbstverständlich waren sie dem Apostel durch die Gnade teuer und wertvoll. Aber auch Gott Selbst liebte sie, und zwar mit einer unwandelbaren Liebe, wie sie durch den Herrn Jesus kundgetan worden war. Welch ein Ansporn zur gegenseitigen Liebe, zur Liebe allen gegenüber, die Gegenstände derselben Liebe sind! „Geliebte, nicht ein neues Gebot schreibe ich euch, sondern ein altes Gebot, welches ihr von Anfang hattet.“ Dieses alte Gebot finden wir bereits im Evangelium des Johannes. Dieser inspirierte Schreiber bringt es weit mehr als die übrigen zum Ausdruck, und er ist wohl auch der einzige, der so bestimmt darüber spricht. Mit welchem Ernst gebot der Herr Seinen Jüngern, dass sie einander lieben sollten! Das lesen wir bereits im ersten jener wunderbaren Kapitel des Johannesevangeliums, in denen Er davon sprach, dass Er diese Welt verlassen und zum Vater gehen würde. In den Versen 34 und 35 von Johannes 13 haben wir das neue Gebot. Es sei kurz erwähnt, was der Herr bei dieser Gelegenheit noch sagte: „Kinder, noch eine kleine Weile bin ich bei euch; ihr werdet mich suchen, und wie ich den Juden sagte: Wo ich hingehe, könnt ihr nicht hinkommen, so sage ich jetzt auch euch.“ Sein Fortgang war eine notwendige Voraussetzung für die Einführung des Christentums. Die Abwesenheit Christi auf der Erde bedeutet, dass Er im Himmel ist. Solange Er hier war, hatte das Christentum noch nicht eigentlich begonnen, d. h., soweit die gegenseitigen Beziehungen der Jünger in Frage kamen, obwohl der Ursprung aller Segnungen in Ihm lag. Doch ihre wahre Stellung und Ihr Verhältnis zu Christus und daraus folgend zu allen übrigen war etwas Neues und wurde erst bewusst erfasst, nachdem der Herr gestorben, auferstanden und zum Himmel aufgefahren war.

Als der Herr den Jüngern eröffnete, dass Er sie verlassen würde, äußerte Er ihnen gegenüber Seinen Wunsch, dass diese Liebe in ihnen sei und auch von ihnen ausstrahlen möge. „Ein neues Gebot gebe ich euch“, – (man sieht deutlich die direkte Bezugnahme auf das Johannesevangelium) – „dass ihr einander liebet, auf dass, gleichwie ich euch geliebt habe, auch ihr einander liebet. Daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe untereinander habt.“ Im Johannesbrief finden wir die praktische Anwendung davon. Das Gebot, das Johannes bereits in seinem Evangelium bekannt gemacht hatte, war vom Herrn gegeben worden, als Er noch auf Erden war. Damit wird bestätigt – wie bereits bei der Erläuterung der ersten Verse dieses Briefes gesagt –, das der Ausdruck „von Anfang“ etwas völlig anderes bedeutet als „im Anfang“. Es hätte allerdings nichts „von Anfang“ sein können, wenn nicht „im Anfang“, d.h., ehe Himmel und Erde wurden, das Wort – der Sohn – gewesen wäre. „Von Anfang“ heißt, von der Zeit an, als das ewige Wort, Fleisch geworden, voller Gnade und Wahrheit hier auf Erden bei den Jüngern war und unter ihnen zeltete oder wohnte. Auf diese Zeit bezieht Johannes die Worte: „Das alte Gebot ist das Wort, welches ihr von Anfang hattet. „Das Wort, welches ihr gehört habt“ war ganz gewiss nicht das Wort, das „im Anfang“ war, sondern die Mitteilung, die sie von dem Herrn Jesus empfangen hatten. Solch ein Gebot war nie zuvor gegeben worden. Es handelt sich nicht um die Nächstenliebe, die, gleich welchen Ursprungs, in Art und Umfang wie auch bezüglich des Personenkreises von ganz anderem Charakter war. Hier handelte es sich um göttliche Liebe, ausgehend von und zu solchen, die das ewige Leben in Christus empfangen hatten, für die das ewig gültige Erlösungswerk durch Seinen Tod geschehen sollte und die also auch selber Gegenstände dieser göttlichen Liebe waren. Eine ganz neue Gemeinschaft war im Entstehen. Die Jünger, als deren Glieder, wurden jetzt auf das vorbereitet, was sie besitzen sollten. Sie wurden umgestaltet, soweit dies schon damals entsprechend dem ewigen Leben, das sie in Ihm besaßen, möglich war. Doch Sein Tod und Seine Auferstehung waren ein unabdingbares Erfordernis, um eine göttliche Grundlage zu schaffen, auf der allen Schwierigkeiten und Mängeln begegnet werden kann und die uns die Garantie für sämtliche Vorrechte bietet. Dieser Teil der Ratschlüsse und Wege Gottes gehört jedoch nicht zu dem speziellen Gebiet, das dem Apostel Johannes anvertraut war; dazu müssen wir die Briefe des Apostels Paulus erforschen. Johannes hat mehr die abstrakten Grundsätze vor Augen, die für die Heiligen ganz persönlich und uneingeschränkt gelten. Einschränkungen kommen nur in gewissem Umfang vor, soweit sie durch unseren Zustand und den der Welt verursacht werden. Die Grundsätze bleiben trotzdem an ihrem Platz bestehen, und Johannes führt die Getreuen voll und ganz in sie ein. Er beharrt auf den von Gott gegebenen Grundsätzen, die es für uns festzuhalten gilt. Bleiben wir in der Abhängigkeit von dem treuen Gott, so werden alle Probleme durch das Wort gelöst, das ja zu diesem Zweck, hauptsächlich durch den Apostel Paulus, niedergeschrieben wurde.

Johannes besteht nun darauf, dass wir nach dem Vorbild der Liebe Christi zu uns lieben sollen. Es handelte sich um ein „altes Gebot“, weil Er es den Jüngern gab, als Er vor Seinem Tode und Seiner Auferstehung noch mit ihnen auf der Erde lebte. Sie waren bis dahin noch Juden, hatten aber in ihren Seelen bereits das empfangen, was unendlich weit über das Judentum hinausging. Äußerlich fuhren sie fort, in den Tempel zu gehen, mögen auch nach den Vorschriften des Gesetzes Opfer dargebracht und Gelübde geleistet haben. Viele, wenn nicht alle Jünger in Jerusalem verharrten in diesen Dingen noch geraume Zeit. Selbst von den führenden Aposteln lesen wir, dass sie, nachdem sie am Pfingsttag den Heiligen Geist der Verheißung empfangen hatten, zur Stunde des Gebetes gemeinsam zum Tempel hinaufgingen, wie sie es von früher, ehe sie dem Herrn nachfolgten, und auch nach Seinem Fortgang gewohnt waren.

„Das alte Gebot ist das Wort, welches ihr gehört habt“ (der Ausdruck „von Anfang“ wird hier völlig zu Recht nicht wiederholt). Dies Gebot kann sich nicht auf die Ewigkeit beziehen. „Im Anfang“ wurde dieses Gebot nicht erlassen; niemand hörte es in der Ewigkeit. Es war ja niemand da, der dieser Aufforderung gemäß hätte lieben können, und so wäre dieses Gebot im falschen Bereich von Raum, Zeit und Person gegeben worden. Kurz, es ist ein offensichtlicher Irrtum, wenn man die Begriffe „von Anfang“ und „im Anfang“ nicht auseinander hält, was viele leider unterlassen und damit das Wort verdrehen.

Nun lesen wir in Vers 8 etwas, das ziemlich paradox klingt. Johannes macht dies jedoch nicht zu schaffen; denn das, was paradox zu sein scheint, ist tatsächlich nichts als die vollkommene Wahrheit. Das unbeschnittene Ohr meint zwar, etwas Unbegreifliches und Widersprüchliches zu vernehmen. Doch die rechte Art und Weise, die Schriften zu verstehen, besteht stets darin, ihnen zu glauben; dann beginnen wir sie zu verstehen. Wie könnte man die Schrift ohne Glauben verstehen? Nur der menschliche Sinn stellt das eigene Ich über Gott und weigert sich, das anzunehmen, was unermesslich weit über seinen Horizont hinausgeht. Die eigenen Gedanken, Ansichten und Worte über Gottes Wort zu erheben ist völlig unvereinbar mit dem Glauben an die göttliche Inspiration.

Für den Gläubigen gibt es nur einen Standpunkt – sich ganz entschieden auf die Seite Gottes und Seines Wortes zu stellen. möglicherweise kann er sich diese oder jene Schwierigkeit im Wort nicht erklären; doch er glaubt Gott und misstraut sich selbst. Daher wartet er ab in der Überzeugung, dass der Herr ihm Licht über die rätselhafte Stelle schenken wird, falls dies gut für ihn ist. Empfängt er kein Licht darüber, so vertraut er darauf, dass der Herr auch hierin Seine guten Gründe hat. Er ist sich im Klaren darüber, dass Gott stets recht handelt, weiß aber andererseits, wie viel Irren bei ihm selbst zu finden ist. So fährt nun der Apostel fort: „Wiederum schreibe ich euch ein neues Gebot, das, was wahr ist in ihm und in euch." Wenn dieser Vers auf den ersten Blick schwer verständlich erscheint, so erklärt er doch alles ganz genau. Man braucht nicht lange nachzudenken oder weit herumzusuchen, um zu verstehen, inwiefern das alte Gebot zugleich auch das neue Gebot ist. Die menschliche Schulweisheit freilich würde wohl nie dahinter kommen, wenn sie auch bis zum Jüngsten Tage Zeit hätte. Sie möchte gerne verstehen, ohne zu glauben, und daher bleibt sie verfinstert und unwissend, wie gelehrt sie auch sonst sein mag. Das alte Gebot war wahr in Christus. Als Er es den Jüngern mitteilte, liebte Er sie alle so, wie nur Gott lieben kann, nämlich mit aller Vollkommenheit. Könnt ihr euch vorstellen, dass die Jünger zu jener Zeit einander liebten? Waren sie nicht so eifersüchtig aufeinander, wie man es sich bei frommen Menschen nur vorstellen kann? Der Hang zum Hader war bei ihnen stets erkennbar, und sie stritten unbeirrt und eifrig darum, wer von ihnen der Größte sei. War da ein Funken Liebe vorhanden? Solche Rivalität ist das Gegenteil von Liebe und zeugt nur von der Wirksamkeit des Fleisches.

Die Liebe hätte gefühlt, dass es allein Gottes Sache ist, jedem einzelnen seinen Platz anzuweisen. Die Schrift zeigt uns, dass Gott die Glieder gesetzt hat, wie es Ihm gefiel. Aber jeder von ihnen wollte der Größte sein, was natürlich unmöglich war. Kann es einen stärkeren Gegensatz zur Liebe geben als den Wunsch, der Größte zu sein und den besten Platz für sich selbst zu beanspruchen? Dieses Trachten steht in völligem Widerspruch zu der Gesinnung Christi, die wir in Philipper 2 finden.

Hier wird also gezeigt, dass das, was während der Anwesenheit des Herrn auf der Erde ein altes Gebot war, jetzt ein neues Gebot ist, weil es jetzt nicht mehr allein in Ihm, sondern auch in Seinen Jüngern wahr ist. Nur durch den Tod und die Auferstehung des Herrn Jesus war das möglich geworden, und nur dadurch wird alles neu. Die Auferstehung war ohne den Tod nicht denkbar. Ebenso konnte ohne den Tod Christi das Alte nicht zum Verschwinden gebracht werden, noch das Neue ohne Seine Auferstehung eingeführt werden. Doch Er ist die Auferstehung und das Leben; das ist der erhabene und glorreiche Grundsatz des Christentums. Alles gründet sich auf den Tod und die Auferstehung des Herrn Jesus; dadurch wird das Alte neu und damit auch in en Jüngern ebenso wahr wie in Ihm. Er war und ist die Wahrheit. Doch wie steht es in dieser Hinsicht mit mir und dir? Wandeln wir im Geiste, oder ist es uns noch immer um das eigene Ich zu tun? Dann ist weder Christus noch die Liebe der Beweggrund unseres Tuns.

Welch ein Segen, dass das alte Gebot jetzt ein neues ist, wahr in Ihm und in den Seinen, und zwar weil alle Gläubigen durch den Besitz Seines Lebens in die gleiche Stellung gebracht sind. Auf dem Kreuz Christi ist mit den Sünden abgerechnet und alles gerichtet worden, was die Wirksamkeit des göttlichen Lebens, seine Ausübung in Liebe und seine freie Entfaltung untereinander verhinderte. Indem das Wort diese Dinge offenbart, macht der Geist sie in dem Herzen jedes Gläubigen lebendig. Der Apostel gibt auch hier wieder den Grundsatz an. Irgendwelche gelegentlichen Einschränkungen, die sich aus dem jeweiligen Zustand des Gläubigen ergeben, zieht er nicht in Betracht. Dafür enthält das Wort Gottes an anderen Stellen die entsprechenden Hilfsmittel. Johannes teilt uns hier den wahren und absoluten Grundsatz mit, an dem sich der Glaube erfreut und der durch Gnade, entsprechend unserem geistlichen Verständnis, verwirklicht werden muss. Er erklärt, dass dieser Grundsatz in uns, d.h. in allen Gläubigen, ebenso wahr ist wie in Christus.

Das ist eine beglückende, ja erstaunliche Tatsache im Bereich der geistlichen Vorrechte. Der daraus fließende Segen wird jedoch niemals genügend erkannt, wenn man nicht glaubt, dass Gottes Wort es sagt und dass dies für die anderen Gläubigen ebenso zutrifft wie für die eigene Seele. Das alte Gebot war solange wirkungslos, bis Christus starb und auferstand. Als Er aber gestorben und auferstanden und damit die ganze Segensfülle in Ihm ans Licht gekommen war, wurde es auch auf Seine Jünger übertragen. Das Weizenkorn blieb allein, bis es in die Erde fiel und starb. Doch der Herr sagte: „Wenn es aber stirbt, bringt es viel Frucht.“ Wo ist denn diese viele Frucht? In allen wahren Gläubigen. Bedauerlicherweise kommen Abschwächungen vor, die sich hindernd in den Weg stellen. Daher ist es so wichtig zu lernen, wie diese Hindernisse überwunden werden können, wie wir über ihnen stehen können und sollten. Niemals dürfen wir es dahin kommen lassen, dass wir uns der beschaulichen Ruhe hingeben, dass wir nachlassen im ernsten Rufen zu Gott und im Gebrauch der Mittel, die Sein Wort und Sein Geist uns bieten, um die Schwierigkeiten in uns und eventuell bei anderen zu beseitigen. Der Herr hat uns in der Fußwaschung ein Beispiel hierfür hinterlassen; Lasst auch uns einander die Füße waschen.

Dieser Grundsatz, das Gebot Christi, erweist sich also jetzt in Kraft. Als es noch das alte Gebot war, hat nur Er es vollständig ausgelebt. Man beachte den Unterschied bei den Jüngern, nachdem der Herr gestorben und auferstanden war.

Wir lesen in Apostelgeschichte 2,14: „Petrus aber stand auf mit den Elfen ...“ Sie handelten gemeinsam wie ein Mann, kein fleischlicher Streit, keine Rivalität oder Selbstsucht war mehr zu sehen. So etwas hatte es bis dahin noch nie gegeben. Niemals lesen wir von einer solchen Veränderung bei ihnen, solange der Herr Seinen Dienst auf der Erde vollführte (also der Zeitraum, der hier „von Anfang“ genannt wird). Damals war das Gebot Christi nur in Ihm wahr; erst durch die Macht Seiner Auferstehung war es gleicherweise wahr in Ihnen wie in Ihm. Welcher Grund wird dafür angegeben? „Weil die Finsternis vergeht ...“ (nicht „vergangen ist ...“ das wäre nicht richtig). Es tut mir leid, hier wieder als Kritiker erscheinen zu müssen, doch bitte ertragt mich, denn es geht ja um die Wahrheit. Ich weiß und sage aus Überzeugung, dass diese Übersetzung der Wahrheit entspricht. Es ist keine Vermutung, keine subjektive Empfindung oder Meinung. Das vom Geiste Gottes hier angewendete Wort bedeutet „im Vergehen begriffen“ und nicht „vergangen“. Es wäre weit übertrieben zu sagen, dass die Finsternis bereits vergangen sei. Sie wird bis zur Wiederkunft Christi nicht vergangen sein. So sagt Jesaja 60,1: „Stehe auf, leuchte! Denn dein Licht ist gekommen." Erst dann wird die ganze Erde Licht haben. In Jerusalem wird vielleicht ein besonderer Glanz sein; doch das Licht wird die ganze Welt erleuchten, so wie Seine Herrlichkeit dann die gesamte Erde erfüllen wird.

Es ist klar, dass dieser Zustand noch längst nicht eingetreten ist. In unserem Zeitalter werden das Heidentum und die Religionen, wie z. B. der Islam, nicht aufhören zu bestehen. Babylon und Rom existieren und werden sich mehr und mehr entfalten, ebenso alle Arten von Gräueln, sogar innerhalb der Christenheit. Das Schlimmste aber ist, dass das Kommen des „Gesetzlosen“ bevorsteht, der sich in den Tempel Gottes setzen und sich selbst darstellen wird, dass er Gott sei. Man denke auch an den Skeptizismus, der heutzutage an jedem Sonntag in London (und vielen anderen Städten der Christenheit, Anm. d. Üb.) gepredigt wird, sowohl in Staatskirchen wie auch in freikirchlichen Gemeinden, und zwar nicht etwa von überspannten Leuten, sondern von einigen ihrer hervorragendsten Geistlichen. Es sind nur wenige, die entschieden gegen diesen sträflichen Unfug auftreten, nur einige „lästige“ Personen, die sich in zunehmendem Maße durch ihre vernehmlichen Warnungen unbeliebt machen. Wie sehr sie sich auch von diesen Lehren fernhalten und einfältig wandeln, machen sie doch durch ihr Zeugnis deutlich, dass dieser Irrglaube ein Betrug des Teufels ist und dass er den kommenden Abfall sowie den Menschen der Sünde ankündigt, den der Herr Jesus bei Seiner Erscheinung in Herrlichkeit vernichten wird.

Die Finsternis ist also noch keineswegs vergangen, aber sie ist im Vergehen. Inwiefern? Durch jeden Gläubigen, der der Versammlung in aller Welt hinzugefügt wird, sei es in Kamtschatka, in Japan oder selbst im armen, stolzen, listigen und aggressiven Russland. Wo auch die Gnade wirkt – mit jedem weiteren Menschen, der im Glauben zu Gott kommt, weicht die Finsternis zurück. Sie wird auch in jedem Gläubigen zurückgedrängt. Der Apostel spricht auch hier wieder in grundsätzlicher Weise; er untersucht nicht, inwieweit das schon verwirklicht ist, denn das ist nicht seine Aufgabe. Er betrachtet die Dinge so, wie sie in dem Christen sein sollten, d. h., wie er das göttliche Prinzip, das seine Seele empfangen hat, zur Darstellung bringen sollte. Er fügt aber noch hinzu: „... und das wahrhaftige Licht schon leuchtet.“ Damit ist der ganze Sachverhalt so genau wie möglich ausgedrückt. Es gibt Christen, die keinen großen Wert auf Genauigkeit und Sorgfalt legen. Aber ist es nicht besser, die einfache, klare und vollständige Wahrheit zu besitzen, die uns allein weiterhelfen kann? Hier ist davon die Rede – und das ist der wesentliche Punkt –, was nach dem Tod und der Auferstehung Christi in Erscheinung trat. Hat die Welt nicht das Licht durch Seinen Tod ausgelöscht? Sie versuchte es jedenfalls mit allen Mitteln. Doch Seine Auferstehung strafte die Welt und alle ihre Anstrengungen Lügen; denn das Licht scheint jetzt machtvoller denn je. „Das wahrhaftige Licht leuchtet schon.“ Die Gläubigen, die vorher so schwach waren, erstarkten und vergaßen in ihrer Freude über den auferstandenen Heiland sich selbst und ihre früheren Irrungen. Der Geist, den Gott aufgrund des Werkes Christi gegeben hat, ist der Geist der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit. So können wir sehen, wie wahr das Gebot der Liebe in Ihm und in den Jüngern ist. Das Problem lag „in ihnen“, nicht in Ihm, in dem das Gebot unbestreitbar verwirklicht war. Doch wie konnte es auch in ihnen wahr werden? Dadurch, dass Er auferstanden ist, um viel Frucht zu bringen, weicht die Finsternis, und das wahrhaftige Licht scheint bereits. Christus verbannt die Finsternis für jeden' Gläubigen und leuchtet schon immer heller für sie und in ihnen.

Folgerichtig bekommt in Vers 9 derjenige seine Antwort, der da sagt, er sei in dem Lichte, obwohl er seinen Bruder hasst. Der Ausdruck „sagen“ hat in diesem Brief einen ungünstigen Sinn. Das wahre Gotteskind spricht nicht leichtfertig davon, dass es im Licht sei. Der Gläubige weiß, dass er im Licht ist, und preist Gott dafür. Aber er behandelt einen derart erhabenen Gegenstand mit dem größten Ernst und überlässt es anderen, sich mit der Aussage zu brüsten: „Ich bin in dem Lichte“, während er von einem wahren Heiligen meint: „Du bist in der Finsternis.“ Was könnte dem Namen des Herrn mehr Schmach zufügen und eines Christen unwürdiger sein als ein solches Grosstun. Das richtige, wahre Verhalten besteht nicht darin zu sagen, dass man im Licht wandelt, sondern dass man es durch einen gottgemäßen Wandel bezeugt. „Wer da sagt, dass er in dem Lichte sei, und hasst seinen Bruder“, beweist, dass er nicht in dem Lichte ist. Der Hass dem Bruder gegenüber ist nicht nur mit der Liebe, sondern auch mit dem Licht und dem Leben unvereinbar, denn diese sind untrennbar miteinander verbunden. Das Leben äußert sich im Gehorsam, aber ebenso in der Liebe; und das wahre Licht, das bereits leuchtet, macht eine solche Finsternis – d. h. den Hass im Herzen – sichtbar. Wenn ein Bruder hart und ungeduldig ist oder sonst wie falsch handelt, dann dient das sicherlich dem Zweck, dich auf die Probe zu stellen; sei umso behutsamer, wenn du etwas Übles an ihm wahrzunehmen meinst. Sollte dein Herz sich nicht bemühen, ihn durch Liebe zu gewinnen? Warum die Liebe preisgeben, wo sie so dringend benötigt wird? Du solltest auch Mitleid mit dem Bruder haben, wenn du meinst, dass er ein schweres Unrecht begangen hat. Mach ihn zum Gegenstand der ernsten Fürbitte vor Gott, wie sehr du auch das Böse verurteilen magst.

„Wer da sagt, dass er in dem Lichte sei, und hasst seinen Bruder, ist in der Finsternis bis jetzt.“ Das sind geballte Worte von schneidender Schärfe, und sie werden von dem „liebevollen“ Johannes gesagt! Niemand war so zartfühlend, aber auch niemand so entschieden wie er. Hier sehen wir den leuchtenden Gegensatz zur Gleichgültigkeit. Er sagt nicht nur: „Ich liebe meinen Bruder“, sondern er liebt ihn tatsächlich. „ Wer seinen Bruder liebt, bleibt in dem Lichte“; und er liebt auch dann, wenn betrübliche Irrungen vorliegen, die hohe Anforderungen an seine Liebe stellen und sie um so mehr ans Licht bringen; „... und kein Anlass zum Anstoß ist in ihm.“ Es mochte ein Fall sein, der ihm große Übungen brachte. Doch er liebte, und so ist er einer, „der in dem Licht bleibt, und kein Anlass zum Anstoß (oder: kein Ärgernis) ist in ihm“. Hätte er nach dem Grundsatz gehandelt, Böses mit Bösem zu vergelten, sich zu rächen, so wäre ein Anlass zum Anstoß vorhanden gewesen. Dann hätten ihn nur die natürlichen Gefühle des Menschen geleitet, aber das bedeutet die Verleugnung Christi und somit des Christen.

In Vers 11 wird das Böse mit aller Deutlichkeit in seinem gewalttätigen Charakter gezeigt: „Wer aber seinen Bruder hasst, ist in der Finsternis ...“ Das ist der Zustand, der letzten Endes den Ausschlag gibt. Wie Johannes später in Kapitel 3, 15 klarmacht, ist jeder, der seinen Bruder hasst, im Prinzip ein Menschenmörder. Es geht nicht nur darum, was er tut oder wie er wandelt, sondern er ist tatsächlich in der Finsternis. Sein grausames Verhalten liefert den Beweis dafür; seine Worte und Taten machen seinen Zustand nach außen hin kund. Wovon zeugen seine Worte? „Er hasst seinen Bruder." Was verraten seine Taten? „Er hasst seinen Bruder“, und er „wandelt in der Finsternis.“ Der Wandel eines solchen Menschen lässt seinen inneren Zustand erkennen, wie ja auch umgekehrt die Tatsache, dass wir im Lichte sind, zur Folge hat, dass wir im Lichte wandeln. Es geht hier nicht um eine Theorie, sondern um tiefe Wirklichkeit; nichts weniger als das liegt in dem Wort „Wandel“. „Und weiß nicht, wohin er geht“ heißt es weiter. Er betrügt sich selbst und ist unglücklich. In seiner Verhärtung merkt er nicht, dass er eine Beute des Feindes geworden ist. Es fehlt ihm das Bewusstsein, dass sein Weg ins Verderben führt, doch das ist die Wahrheit und das um so mehr, als er in seiner Verblendung einst den Platz eines Christen einnahm. Nichts ist gesegneter, als ein wahrer Christ zu sein, aber nichts verwerflicher, als keiner zu sein und doch nach außen hin als ein solcher gelten zu wollen. Doch wie viele Seelen werden heutzutage auf diese Weise irregeführt!

Wie kann man denn Gewissheit haben? Ich bin zunächst überzeugt, dass ich ein verlorener Sünder bin, aber dass Gott den verlorenen Sünder im Namen Jesu willkommen heißt. Denn Gott gab Seinen Sohn, damit Er als der Sohn des Menschen das Verlorene sucht und rettet. Ich brauche Christus zu meiner Errettung und glaube an Ihn so, wie das Wort Gottes von Ihm spricht. Bin ich daher nicht berechtigt, den Platz eines Christen einzunehmen? Wenn wir Christus annehmen, empfangen wir Sein Leben, und für den Glauben ist Er die einzige Sühnung für unsere Sünden. Auf diese Weise erhalten die, welche an Seinen Namen glauben, das Recht, Kinder Gottes zu heißen. Nur Er ist der Garant dafür, dass sie alle in die christliche Stellung und Segnungen eingeführt werden. Alle Vorrechte der Gnade sind praktisch in Ihm zusammengefasst. Bekennt sich dagegen jemand nur oberflächlich zu dem Namen des Herrn, ohne eine aufrichtige Erkenntnis seiner Sünden und der Notwendigkeit der Befreiung und Erlösung, so wandelt und bleibt er eindeutig in der Finsternis. Er weiß nicht, wohin er geht, weil die Finsternis seine Augen verblendet hat; das ist umso schlimmer, da er sich als Christ ausgibt. „ Wenn nun das Licht, das in dir ist, Finsternis ist, wie groß die Finsternis!“ sagt der Herr in Matthäus 6,23. Der wahre Christ ist nicht aus Geblüt, noch aus dem Willen des Fleisches, noch aus dem Willen des Mannes, sondern aus Gott geboren. Es geschieht durch den lebendigen Glauben an den Herrn Jesus.

Ich sage das nicht, um den schwächsten unter den Gläubigen zu entmutigen; das ist nicht meine Absicht. Es gibt weder im Alten noch im Neuen Testament ein einziges Wort, das Menschen in Zweifel stürzen will; alles dient nur dazu, sie zum Glauben anzuspornen. Denen, die glauben und sich Gottes offenbartem Wort, dem Wort Seiner Wahrheit und Gnade, unterwerfen, gehören alle Segnungen. Das Wort der Wahrheit ist das Evangelium des Heils. Dieses Wort allein hat die Wirkung, den Menschen als verlorenen Sünder bloßzustellen, gleichzeitig aber jeden Makel an ihm zu beseitigen, jede Sünde zu tilgen und ihm zu ermöglichen, sich des Besitzes des ewigen Lebens und der Rechtfertigung vor Gott zu erfreuen. Ich rechtfertige mich nicht selbst; ich verurteile mich. Gott aber rechtfertigt den an den Herrn Jesus Glaubenden. Nur Er war imstande, mich von jedem Verdammungsurteil zu befreien. Wenn ich Christus habe, kann ich mein Ich gänzlich beiseite setzen. Alles, worauf ich einst eingebildet und stolz war, alle Torheiten jeglicher Art gebe ich dann auf, da ich erkenne, wie verkehrt und böse alles war. Welche Seligkeit zu erkennen, dass alle Segnungen Gottes in Christus zu finden sind und dass Gott sie alle aus freier Gnade schenkt! Nicht aufgrund unserer Werke, auf dass sich niemand rühme. Aber nun stelle man sich jemand vor, der es wagt, diesen heiligen Namen für sich in Anspruch zu nehmen, ohne ein aufrichtiges Empfinden für seine Sünden und für die Gnade Gottes zu haben. Es ist reine Anmaßung und Selbstbetrug; oder heutzutage klerikaler Druck, um gedankenlose Massen in den Kirchen dahingehend zu beeinflussen. Nun gesellt sich ein solcher zu den Christen und ihrer Gemeinschaft, versagt dann aber vollständig. Er hasst seinen Bruder und beweist damit, dass er ein natürlicher Mensch und als solcher in der Finsternis ist. Er „ wandelt in der Finsternis und weiß nicht, wohin er geht, weil die Finsternis seine Augen verblendet hat“. Doch hat man wirklich geglaubt, so sieht man klar. Der Glaube an Christus räumt die Blindheit ebenso wie jedes andere Hindernis hinweg. Gottes Gnade gibt uns Christus nicht nur als das Leben und die Sühnung, sondern als den Führer für den tagtäglichen Wandel mit seinen Gefahren und Schwierigkeiten. Es ist ermunternd, auf welch einfache und doch tiefgründige Weise der Apostel diese beiden Prüfsteine oder Merkmale hervorhebt, an denen wir den wahren Gläubigen erkennen: zunächst am Gehorsam, sodann an der Liebe. Wo diese beiden vorhanden sind, wandelt man nicht mehr in der Finsternis wie die Welt, sondern man besitzt das Licht des Lebens. Weil wir Christus im Glauben und Gehorsam nachfolgen, wandeln wir auch in der Liebe. Wir haben also als Erstes und Wichtigstes gefunden, dass der Gehorsam Gott gegenüber das primäre und wesentlichste Kennzeichen des Christen ist. Der Gehorsam erstreckt sich auf jede Handlung in unserem Leben. Alles, was wir in Angriff nehmen, alle Absichten und Wünsche, gleich welcher Art, sind nach der Regel zu beurteilen: Entsprechen sie Gottes Willen? Sind sie Ihm wohlgefällig? Liegt darin Sein Auftrag für mich, etwas zu tun oder zu tragen, ganz gleich, um was es sich handelt?

Wenn man sich Seinem Wort unterwirft, sind alle Fragen entschieden. Christus wandelte stets in dieser Abhängigkeit. Die absolute Unterwerfung unter den Willen Seines Vaters macht uns die Nachfolge leicht. Er sagte: „Nehmet auf euch mein Joch und lernet von mir, denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig, und ihr werdet Ruhe finden für eure Seelen; denn mein Joch ist sanft und meine Last ist leicht.“ Mein Bruder, bist du von Herzen bereit einzuwilligen? Welch ein Trost, dass das Joch durch Christus Selbst leicht gemacht wird, wenn nur das Auge fest auf Ihn gerichtet bleibt. Wendest du es von Ihm ab und auf dich selbst oder auf irgendetwas anderes, dann wird Seine Last unerträglich, und du brichst im Unglauben völlig zusammen.

Wir können die Weisheit des Geistes darin erkennen, dass Er diese beiden Prüfsteine vorstellt und sie auch in dieser Reihenfolge aufeinander folgen lässt, nämlich zuerst Gehorsam, sodann Liebe. Man wird allgemein feststellen – das ist meine Erfahrung –, dass Christen bei Unterhaltungen über die Praxis des Christentums dazu neigen, der Liebe den ersten Platz zu geben. Man setzt voraus, dass ein Bruder, der die Liebe so in den Vordergrund stellt, sie auch am meisten ausübt. Es wäre tatsächlich erbärmlich, als Bruder keine Liebe zu haben. Doch wie ist es mit seinem Gehorsam bestellt? Ist er, einst eigenwillig, jetzt dadurch gekennzeichnet, dass er Gott gehorsam ist?

Erinnern wir uns an die ersten Verfolgungen, denen die Apostel ausgesetzt wurden (Apg 4 und 5). Sie hatten nur eine Rechtfertigung für ihr Tun – sie mussten Gott gehorchen! Ihre Verkündigung und Lehre, dass Jesus der Christus sei, versetzte die jüdischen Hohenpriester, Ältesten, Schriftgelehrten und Sadducäer in höchste Aufregung. Sie geboten den Aposteln, nicht in diesem Namen zu reden. Doch Gott trat für sie ein zum Erstaunen aller, die sie beschuldigt und eingekerkert hatten. Ein Engel führte sie aus dem Gefängnis heraus und gebot ihnen, erneut im Tempel zu predigen. So erging es auch Petrus, als er auf wunderbare Weise allein aus dem Gefängnis befreit wurde. Doch vorher waren bereits alle Zwölfe gleicherweise befreit worden, während die Wachen ahnungslos vor dem Kerker auf und ab gingen und nicht im Mindesten wahrnahmen, was Gott in diesen Augenblicken tat. Ja, Er weiß die Augen zu blenden und von Fesseln zu befreien, wie es Ihm gefällt. Nachdem sie zum Tempel zurückgeführt worden waren, verkündeten sie dort Seine Botschaft. Doch die jüdischen Führer blieben selbst durch dieses Wunder unbeeindruckt und beharrten darauf, dass die Apostel schweigen sollten. Petrus konnte ihnen darauf erwidern, dass man Gott mehr gehorchen müsse als den Menschen. Dies ist die allerwichtigste Forderung Gottes und die unabdingbare Pflicht des Gläubigen – der Gehorsam. Wenn wir Gott nicht gehorchen, begehen wir das größte Unrecht gegen Ihn.

Es gibt auf dieser Erde Menschen, die das Recht haben zu gebieten, wie auch solche, die gehorchen müssen. Ein Kind zum Beispiel muss seinen Eltern gehorchen, und jeder ist gehalten, der Obrigkeit untertan zu sein. Doch dieses Gehorchen unterscheidet sich grundlegend von dem Gehorsam, dessen Wesen hier dem Gläubigen vorgestellt wird. Äußerlicher oder natürlicher Gehorsam kann auch trotz inneren Widerstrebens geleistet werden. Doch niemals drang ein derartiges Empfinden in den Gehorsam des Herrn Jesus ein, und das sollte auch bei dem Gläubigen nie der Fall sein. Er ist geheiligt zum Gehorsam Jesu Christi (1. Pet 1,2) und wird ermahnt, in das vollkommene Gesetz der Freiheit nahe hineinzuschauen (Jak 1,25), weil er eine neue Natur besitzt, die es liebt, den in der Schrift offenbarten Willen Gottes zu tun. Er befindet sich darin im Gegensatz zu Israel, das sich unter einem Gesetz der Knechtschaft und der Androhung der Todesstrafe befand. Die neue Natur findet alle ihre Beweggründe in dem Willen Gottes; Christus war dafür das vollkommene Vorbild.

Es kann sein, dass wir leiden müssen, wenn wir Gott gehorchen, doch das ist dann eine Ehre für uns. Die Apostel wurden wegen ihres entschiedenen Gehorsams geschlagen, aber demütig ertrugen sie diese Folgen. Es galt für einen Juden als eine große Schande, vor dem Synedrium gezüchtigt zu werden. Doch die Apostel ertrugen es gelassen, „voll Freude“, für Seinen Namen so geschmäht worden zu sein. Das war kein „passiver Widerstand“, sondern heiliger Gehorsam; sie erduldeten die Folgen des Gehorsams ohne Murren und voller Freude. Gehorsam setzt also voraus, dass der eigene Wille gebrochen und dem Wort Gottes, und damit Ihm Selbst, unterworfen ist. Ohne Gehorsam gibt es keine wahre Demut. Ist er aber vorhanden, dann wappnet er die schwächste Seele gegen alle Verlockungen und gibt ihr Festigkeit gegenüber jedem Widersacher. So war es bei dem Herrn Jesus, der die Heilige Schrift ehrte wie nie jemand zuvor. Er gestaltet auch den Gläubigen nach Seinem eigenen Vorbild um. Gehorsam richtet den moralischen Sinn ganz auf den Willen Gottes aus und ist eifersüchtig darauf bedacht, Gottes Autorität hinsichtlich jedes Wortes, das aus Seinem Munde hervorgegangen ist, aufrechtzuerhalten. Denn er weiß, dass in Ihm Majestät, Heiligkeit, Wahrheit und Treue in göttlicher Vollkommenheit vereinigt sind und in Christus, Seinem Bilde, völlig zur Darstellung kamen.

Die Liebe ist nicht gleichbedeutend mit der Reinheit des Wesens – obwohl sie vollständig damit in Einklang ist, wie das Licht es deutlich zum Ausdruck bringt, das überall, wo es scheint, sowohl sich selbst kundtut, wie auch jeden Menschen und alle Dinge offenbar macht. Liebe ist die Energie der Gottheit, die in inniger Güte nicht nur da tätig ist, wo Beziehungen zu Gott und Übereinstimmung mit Ihm bestehen, sondern die sich auch über alle Hindernisse erhebt und sich selbst schändlichsten Sündern zuwendet, um alle, die Christus annehmen, in souveräner Gnade aus dem größten Verderben zu erretten kraft der Erlösung durch Christi Blut. Sie empfangen das ewige Leben, das in dem Sohne ist und das dem Gläubigen als sein neues Leben gegeben wird, sowie den Heiligen Geist, der die Führung des Gläubigen als eines Kindes Gottes nun übernimmt. Der Heilige Geist wirkt fortan in ihm und durch ihn in der Einheit des Leibes Christi, der Versammlung, während der Gläubige das Kommen des Herrn erwartet, der ihn zu Sich aufnehmen und mit allen Heiligen in das Vaterhaus einführen wird. Wenn ich mich so ausdrücken darf, dann ist der Gehorsam in dem Licht die zentripetale, d. h. nach innen gerichtete, Kraft des Gläubigen, während die Liebe die Zentrifugalkraft ist, die nach außen strebt. Durch sie sind wir Nachahmer Gottes, als geliebte Kinder, und wandeln in Liebe, gleichwie auch der Christus uns geliebt und Sich Selbst für uns hingegeben hat als Darbringung und Schlachtopfer, Gott zu einem duftenden Wohlgeruch (Eph 5,1.2).

Möge der Herr schenken, dass nicht nur das erste Kennzeichen in uns wahr ist, sondern auch das zweite – diese Liebe, die das machtvolle Prinzip der göttlichen Natur ist. Bedenken wir, dass die Thessalonicher noch jung im Glauben waren, und doch konnte ihnen der Apostel Paulus schreiben: „Was aber die Bruderliebe betrifft, so habt ihr nicht nötig, dass wir euch schreiben; denn ihr seid selbst von Gott gelehrt, einander zu lieben“ (1. Thes 4,9). Der Herr gebe uns Gnade, dass wir, von Gott gelehrt, in der Liebe noch reichlicher zunehmen mögen. Mit der Liebe geht auch die Dankbarkeit stets Hand in Hand. Alle andere Nächstenliebe ist reine Gefälligkeit, wie die Menschen es nennen, nichts weiter als liebenswürdiges Wesen, das nicht gern verletzt und auch selbst nicht gern gekränkt werden möchte und das jeden bereitwillig seinen eigenen Weg gehen lässt. So etwas wird dann Liebe genannt! Möge uns der Herr befähigen, die Dinge des Geistes Gottes recht zu erkennen.

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