Der Abgesonderte unter seinen Brüdern

Josephs Name

Der Abgesonderte unter seinen Brüdern

1. Mose 30,23–25

Gott hatte Rahels Wunsch erfüllt; sie hielt ihren erstgeborenen Sohn in den Armen. Der Name, den sie dem Kind gab, zeigt uns, was das für sie war, und lässt uns zugleich einen ersten Ausblick tun auf das, was der Glaube heute in dem wahren Joseph findet. „Und sie sprach: Gott hat meine Schmach weggenommen! Und sie gab ihm den Namen Joseph und sprach: Der HERR füge mir einen anderen Sohn hinzu!“ (1. Mo 30,23–25).

Merkwürdige Doppelbedeutung dieses uns so geläufigen Namens! Von Eva und ihren Söhnen an bis hin zu dem hochgelobten Namen unseres Herrn selbst lesen wir, dass wiederholt in den Namen ein besonderer, oft prophetischer Sinn hineingelegt wird (1. Mo 3,20; 4,1.25; 5,29; 10,25; 16,11; 17,5.15.16; 21,3–6; 25,25.26; 29,32 ff. u. a. – Mt 1,21 – vergl. Heb 7,2. – Es sei hinzugefügt, dass wir gut tun, hinsichtlich der Namendeutung vorsichtig zu sein und nicht willkürlich über das in der Schrift selbst Gesagte hinausgehen!). Nie aber lesen wir es wohl so wie hier, wo gleichsam die zwei Seiten dessen, was dieser Knabe seiner Mutter war, in dem einen Namen vereinigt sind; denn „Joseph“ bedeutet sowohl: Er nahm hinweg; wie auch: Er füge hinzu!, wie wir dies aus Rahels eigenen Worten bestätigt finden.

„Gott hat meine Schmach weggenommen!“ – Hatte Gott nicht gesagt: „Seid fruchtbar und mehrt euch“? War es nicht ein Gericht und darum ein Schmerz, wohl berufen, aber nicht fähig zu sein zur Erfüllung dieser Absichten Gottes? Wir kennen die „Fülle des Kummers“ einer Hanna, der Mutter Samuels, ebenso wie die Freude Elisabeths, der Mutter des Täufers: „Also hat mir der Herr getan ..., um meine Schmach unter den Menschen wegzunehmen“ (1. Sam 1 und Lk 1,25). Wir hören, was es für die Frauen in Israel war, unfruchtbar zu sein (Jes 4,1) und vernehmen den Lobpreis des HERRN im Psalm: „Der die Unfruchtbare des Hauses wohnen lässt als eine fröhliche Mutter von Söhnen. Lobet den HERRN!“ (Ps 113,9; vergl. 127,3 u. a.).

Doch da, wo die Natur – übrigens nicht nur bei Rahel, sondern auch schon bei Sara und bei Rebekka – ihre völlige Unfähigkeit erwiesen hatte – trat Gott ins Mittel, der Gott, für den „keine Sache zu wunderbar ist“, und „der das Nichtseiende ruft, wie wenn es da wäre“ (1. Mo 18,14; Röm 4,17). Er „gab Sara Kraft“, Er „ließ sich für Rebekka erbitten“, und Er „nahm die Schmach weg“ von Rahel, ja, ließ sie sogar als ein Beispiel von Fruchtbarkeit hinstellen (Heb 11,11; 1. Mo 25,21; Rt 4,11). Welch ein Gott!

Geliebter gläubiger Leser, hat Er nicht auch unsere Schmach weggenommen, die Schmach der Unfruchtbarkeit, wo Er doch so manches Jahr vergeblich Frucht an uns gesucht, wo wir als „faule Bäume“ nicht nur keine, sondern sogar schlechte Früchte hervorbrachten? (vergI. Lk 13,7; Mt 7,17). Hatten wir nicht – wie furchtbar! – „Gemeinschaft mit den unfruchtbaren Werken der Finsternis“? (Eph 5,11). Wie lesen wir? „Denn als wir im Fleische waren, wirkten die Leidenschaften der Sünden. . . in unseren Gliedern, um dem Tode Frucht zu bringen“ (Röm 7,5). Aber dann trat Er in unser Leben, der wahre Joseph, und nahm die Schmach unserer Sünde weg; wir wurden Sein, „damit wir Gott Frucht brächten“.

Doch kühn im Glauben, sprach Rahel: „Der HERR füge mir einen anderen Sohn hinzu!“ Wir wissen, ihr Wunsch wurde ihr gewährt, wenn dieser Sohn auch ein „Sohn ihrer Not“ wurde und es für sie durch den Tod ging (Kap. 35,16). „Er füge hinzu!“ so dürfen auch wir sagen im glaubenden Aufschauen zu Dem, der uns „dazu bestimmt hat, dass wir hingehen und Frucht bringen und unsere Frucht bleibe“ (Joh 15,16).

Wieder möchte ich fragen, lieber Leser: Lebt dieser Wunsch auch in uns? Oder sind wir müde geworden, – solche, die „das Ihrige suchen, nicht das, was Jesu Christi ist“, oder gar solche, die „auf das Irdische sinnen“? O, möchten wir uns im Lichte des teuren Wortes Gottes ernstlich prüfen! Wenn wir wie Rahel „unseren Mund weit auftun“ und zugleich „allen Fleiß anwenden“, so werden wir „nicht träge noch fruchtleer“ dastehen (2. Pet 1,8).

Die Weise Gottes ist es, stets „hinzuzufügen“. Er gab Seinen eingeborenen Sohn, und aus Seiner Fülle dürfen wir „Gnade um Gnade“ nehmen. „Er, der doch seinen eigenen Sohn nicht verschont, sondern ihn für uns alle hingegeben hat: wie wird er uns mit ihm nicht auch alles schenken?“ (Röm 8,32). Ja, wenn unser Herz in erster Linie darauf gerichtet ist, Ihm Frucht zu bringen, so will Er sogar für unsere irdischen Bedürfnisse Sorge tragen und uns „dies alles hinzufügen“ (Mt 6,33). Er reinigt jede Rebe, die Frucht bringt. „damit sie mehr Frucht bringe“. Und aus „mehr Frucht“ soll „viel Frucht“ werden, und diese Frucht soll „bleiben“. Dass dies so sei, ist der Wunsch eines jeden, in dessen Leben der Sohn Gottes getreten ist, wie Joseph, der Sohn der Verheißung, in das Leben Rahels.

Als Gott Seine Gnade an Rahel groß gemacht hatte, sprach Jakob zu Laban: „Entlass mich, dass ich an meinen Ort und in mein Land ziehe“ (1. Mo 30,25). Auch die Seele, in deren Leben der wahre Joseph getreten ist, fühlt, dass ihr Platz nicht mehr im Lande der Knechtschaft sein kann. Ihre Gefühle werden die gleichen sein; dieselben, die auch Elieser aussprach und gleichsam der Braut, die er durch die Wüste geleiten wollte, in den Mund legte: „Entlasst mich zu meinem Herrn!“ (1. Mo 24,54 ff).

Ja, welche Gnade, „errettet zu sein aus der Gewalt der Finsternis“ und „versetzt in das Reich des Sohnes seiner Liebe“!

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