Betrachtung über Prediger

Kapitel 8

Betrachtung über Prediger

Vers 1

Die für den Prediger so demütigende Erfahrung, von der er soeben sprach, vermindert durchaus nicht den Wert der Weisheit. „Wer ist wie der Weise? und wer versteht die Deutung der Dinge? Die Weisheit des Menschen erleuchtet sein Angesicht, und der Trotz seines Angesichts wird verwandelt.“ Sie ist für den Menschen von unermeßlichem Vorteil, weil er durch sie die Deutung der Dinge besitzt, die unter der Sonne geschehen. Sie gibt ihm einen äußeren Schein, der Vertrauen erweckt und auch einflößt, denn die Weisheit macht demütig, und die Demut spiegelt sich in den Gesichtszügen wieder.

Vers 2 - 4

So war es auch mit Salomo. Seine Autorität wurde durch seine Weisheit liebenswert, aber umso notwendiger war es, sich ihr zu unterwerfen und ihr zu gehorchen. Der König ist der Träger der Autorität Gottes, um das Böse zu bestrafen und das Gute zu belohnen. Es ist gut, mit ihm in ständiger Verbindung zu bleiben, um im Guten zu verharren und am Bösestun verhindert zu werden, denn Gott hat ihm die Macht anvertraut, damit er nach seinem Wohlgefallen handele, ohne jemand Rechenschaft schuldig zu sein.

Verse 5 - 7

Diese Unterwerfung unter die Befehle der Obrigkeit schützt den Menschen vor allem Bösen. Hier ist von der der Obrigkeit anvertrauten Regierung Gottes die Rede, die in ihren Grundsätzen wie in Römer 13,1-5 betrachtet wird. Der Weise selbst geht jedoch noch weiter. Er „kennt Zeit und richterliche Entscheidung, Denn für jede Sache gibt es eine Zeit und eine richterliche Entscheidung“. Er weiß, daß er ihr gehorchen muß und es für die Ausübung der Autorität eine Zeit gibt, und daß der, der sie ausübt, Gott verantwortlich ist, und daß alle ins Gericht kommen werden (Kap. 3,16+17).

Bis dahin wird der Mensch jedoch infolge seines sündigen Zustandes in Unwissenheit gehalten über das, was kommen und wie es geschehen wird, denn das Jenseits ist ihm verborgen, wie wir schon so oft sagten.

Verse 8 - 11

Indessen hat die dem König anvertraute Macht eine Grenze; sie hat keine Gewalt über den Geist, weder über den Geist des Menschen noch über den Geist Gottes. Der Geist ist frei. Ebensowenig hat der Mensch Gewalt über das Leben des Leibes. Gott ist es, der den Tag des Todes bestimmt, wenn dem auch manches entgegenzustehen scheint. Wer glaubt, sich durch seine Gesetzlosigkeit darüber hinwegsetzen zu können, wird sein Schicksal erleiden, dem er nicht entrinnen kann. Es gibt Zeiten, in denen die Autorität über die Menschen zu ihrem Schlechten ausgeübt wird, im Gegensatz zu dem im Anfang dieses Kapitels Gesagten. Denn dieses Buch hebt immer den Kontrast hervor zwischen dem, was Gott einst eingesetzt, und dem, was der Mensch daraus gemacht hat. Ebenso sieht man Gesetzlose, die mit allen Ehren begraben werden, während solche, die das Gute getan und vor Gott an „heiliger Stätte“ gelebt haben, plötzlich diese Erde verlassen und aus dem Gedächtnis ihrer Mitmenschen verschwinden. Beachten wir, daß hier, wie überall in diesem Buche, die Gegenwart Gottes sich auf die Erde beschränkt und zwischen dem Tode und dem, was nach ihm sein wird, ein Vorhang gezogen ist. Vergessenheit schwebt über den Toten, und der Prediger kann ausrufen: „Auch das ist Eitelkeit.“ Er verbindet hier seine Gedanken sozusagen mit seinem anfangs aufgestellten Leitsatz: „Alles ist Eitelkeit.“

Verse 11 - 14

Das Gericht über die Bösen kommt nicht sofort - die Wahrheit vom Gericht wird im Prediger stets aufrechterhalten -, weshalb die Menschen diese Straflosigkeit benutzen, um dem Bösen nachzusinnen und es auszuüben, und indem sie sich darauf verlassen, verlängern sie ihre Tage (vgl. Kap. 7,15). Aber wenn später Rechenschaft abgelegt werden muß, wird es denen wohl gehen, die Gott fürchten (vgl. Kap. 7,18), während das Unglück des Bösen und sein schließliches Verderben dem Fehlen dieser Furcht zuzuschreiben ist. „Er wird, dem Schatten gleich, seine Tage nicht verlängern.“ Das scheint dem 12. Vers zu widersprechen, aber Gott widerspricht sich niemals. Im ersten Fall handelt es sich um den Anschein, als werde das Gericht an dem Bösen nicht unverzüglich vollzogen, im zweiten Fall ist es Gott, der dem Leben des Gesetzlosen ein Ende macht, sobald die Stunde des Gerichts für ihn gekommen ist. Er hat sich nicht vor Gott gefürchtet.

Je mehr man in dem Studium dieses Buches fortschreitet, desto deutlicher sieht man, daß die Furcht Gottes der einzige lichte Punkt in all den rätselvollen Fragen dieser Welt ist, die die Weisheit vergeblich zu ergründen sucht. Die Eitelkeit besteht hier darin, „daß es Gerechte gibt, welchen nach dem Tun der Gesetzlosen widerfährt, und daß es Gesetzlose gibt, welchen nach dem Tun der Gerechten widerfährt“. Sich selbst überlassen, vermag die Weisheit den Grund dieser Tatsache nicht zu entdecken, weil sie auf den Kreis der sichtbaren Dinge beschränkt ist. Auch das ist Eitelkeit.

Verse 15 - 17

Es bleibt also „für den Menschen nichts Besseres unter der Sonne, als zu essen und zu trinken und sich zu freuen“ (vgl. Kap. 2,24; 3,12-13; 5,18; 6,7). Ein trauriger Schluß, denn wo soll das enden? Das ist alles, was dem Menschen von seiner Arbeit bleibt. Der Mensch ist, trotz all seiner Mühe, unfähig, das Werk zu erfassen, welches unter der Sonne geschieht; er muß es also Gott überlassen. Der Mensch kann es nicht verstehen, und selbst der Weise ist gezwungen, seine Unwissenheit einzugestehen.

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