Gideon

Richter 6

Eine Besonderheit des Buches der Richter ist die, dass es uns Beispiele des Glaubens und Beispiele des Eingreifens Gottes vorstellt und zwar in Umständen, wobei man hätte denken können, Gott wäre gezwungen gewesen, Sein Volk aufzugeben. Auch für uns könnten wir diesen Schluss ziehen, wenn wir unsere Sünden sehen und die Schwachheit, die sie nach sich ziehen.

Das Volk Gottes war in den Tagen Gideons so elend und so im Bösen verwurzelt, dass es sich einerseits den Verheerungen durch die Midianiter unterwarf und sich anderseits gegen den erzürnte, der den Altar des Baal zerstört hatte (Vers 30). Ist das Volk Gottes schwach, so ist es schwächer als seine Feinde; einmal, weil es nicht die Kraft der Welt besitzt, und auch, weil es sich nicht auf die Kraft Gottes stützt.

Verse 1-5. In seiner Bedrängnis richtete sich Israel die Klüfte in den Bergen, die Höhlen und die Bergfesten zu. Sie verbergen sich vor der Macht des Feindes, aber es kommt ihnen nicht in den Sinn, Baal aufzugeben, der doch die Ursache ihres Elends ist. Diese Ursache entdeckt man zuletzt, weil sie die verborgene Wurzel ist, aus der alles andere hervorkommt. Nachdem Petrus Jesum verleugnet hatte, weinte er über seine Sünde, ohne an sein Selbstvertrauen, die verborgene Quelle seines Falles, zu denken. Der Herr hatte ihn angeblickt, ohne ihm etwas vorzuwerfen; aber nach Seiner Auferstehung fragte Er ihn: «Liebst du mich mehr als diese?» In den Augen des Herrn hatte der schlechte Zustand des Petrus seinen Grund im Vertrauen, in welchem er meinte, Jesum mehr zu lieben als die anderen Jünger. So geht Gott immer zur Quelle des Bösen zurück. Er lenkt den Glauben wieder auf Seine Person, und wenn Er das Herz erforscht, um es wieder herzustellen, lässt Er das Böse fühlen und enthüllt dessen Quelle; dann ist das Böse geheilt. Man kann seine Sünde bereuen und sie bekennen, trotzdem aber nicht mehr die Gemeinschaft haben wie vorher, weil die Wurzel der Sünde selbst noch nicht gerichtet ist.

Wir werden jetzt sehen, wie Gott im Falle Gideons handelte. Gott hatte zugelassen, dass das Böse einen solchen Grad erreichte, dass die Kinder Israel, wie in Ägypten, gezwungen wurden, zu Jehova zu schreien (V. 7); ihre Herzen mussten dazu gedrängt werden, Ihn zu suchen. Da erst nahm das Volk Zuflucht zu Jehova, statt zu den Klüften in den Bergen, zu den Höhlen und zu den Bergfesten. Man mag Schutz suchen, wo man will, es gibt keine Befreiung, bis man Gott gefunden hat. Es ist unbedingt nötig, dass wir Ihn haben, Ihn selbst.

Verse 7-10. Als die Kinder Israel zu Jehova schreien, sendet Er einen Propheten zu ihnen. Das erste, woran Gott sie erinnert, ist Seine vollkommene Gnade und dass sie sich über nichts anderes zu beklagen haben, als über sich selbst. Er richtet sich an sie als der Gott Israels: «Ich bin Jehova, euer Gott.» Meine Gnade ist nicht abgeschwächt. «Ich habe euch aus Ägypten heraufgeführt und euch herausgeführt aus dem Hause der Knechtschaft; und ich habe euch errettet aus der Hand der Ägypter und aus der Hand all eurer Bedrücker, und ich habe sie vor euch vertrieben und euch ihr Land gegeben.» Gott hatte Seine Beziehung zu ihnen völlig geoffenbart. Das einzige, das Er ihnen geboten hatte, nämlich, nicht «den Göttern der Amoriter» zu dienen, hatten sie nicht befolgt; sie waren ungehorsam. Im Kleinen wie im Großen ist dies immer die Geschichte der Seele, welche die Gnade Gottes nicht geniesst. Er aber ändert die Beziehung zu Seinem Volke nicht; Er erinnert sie an das ganze Ausmaß und an die ganze Macht Seiner Gnade. Wie demütigt uns dies!

Aber Gott will dem Volke zeigen, dass Er immer derselbe ist, dass Er es ist, der befreit, selbst ohne menschliche Mittel zu gebrauchen. Auch jetzt wird Er weder zweiunddreißigtausend noch zehntausend Krieger nötig haben, sondern sich nur dreihundert Männer bedienen, von denen keiner das Schwert zieht, um den Sieg zu erringen. Dabei genügt es, dass sie ihre Krüge zerschmettern und in die Posaunen stoßen. So zeigt Gott, dass Er allein befreit, aber durch Männer des Glaubens, die, ohne sich auf ihre Knie niederzulassen, um zu trinken, sich damit begnügen, mit ihrer Hand zu ihrem Munde zu lecken (7,1-8).

Die Israeliten hatten ihre Segnung anderswo als in Gott gesucht. Gideon hatte getan wie die anderen und war äußerlich demselben Elend ausgeliefert. Er schlug den Weizen aus in der Kelter, um ihn vor Midian zu flüchten. Trotzdem antwortet das Herz Gideons auf das Zeugnis Gottes durch den Propheten, vielleicht sogar ohne dass er es gehört hat. Das kam von Gott; Gideon war geübt und bearbeitet, um zu vernehmen, wie es zu allen diesen Dingen gekommen war und dass Gott wirklich mit ihm und mit seinem Volke sein würde. Der Engel sagte zu ihm: «Jehova ist mit dir.» Bis jetzt hatte sich das noch nicht gezeigt. Denn wenn Gideon den Weizen in der Kelter ausschlug, um ihn zu verbergen, so gab er ja damit kund, dass er nicht mit der Befreiung Gottes rechnete. Aber Jehova, der Gideon kannte, nennt ihn: «tapferer Held». Gideon macht sich eins mit dem Volke Gottes. Er sagt nicht: «wenn Jehova mit mir ist», sondern: «wenn Jehova mit uns ist» (V. 13). Er hatte wohl die Überzeugung, dass wenn Gott mit ihnen wäre, auch die Segnungen einträten; er hielt viel von der Macht und der Liebe Gottes. Aber wird Er jetzt für Sein Volk einstehen? «Wenn Jehova mit uns ist..., wo sind alle Seine Wunder, die unsere Väter uns erzählt haben?» Er hätte hochmütig werden können wegen des Zeugnisses, das Gott Ihm gegeben hatte - «tapferer Held», und hätte versuchen können, sich selbst zur Geltung zu bringen, aber nein. Er verbindet Jehova mit Israel: Hat Er jetzt keine Liebe für Sein Volk? Das ist für ihn die große Frage. Die Untreue des Volkes nährt den Unglauben seines Herzens: Weil das Volk so elend ist, glaubt er nicht, dass Gott handeln will und begreift nicht, dass dies so kommen musste, weil Gott wirklich das ist, was Er ist. «Wo sind alle seine Wunder, die unsere Väter uns erzählt haben?» Anderseits sah aber Gideon sehr wohl, dass die gegenwärtige Züchtigung das Werk Jehovas war und dass die Kinder Israel ihrer Sünden wegen den Midianitern überliefert worden waren.

Im 14. Vers sagt Jehova zu Gideon: «Gehe hin in dieser deiner Kraft, und rette Israel aus der Hand Midians! Habe ich dich nicht gesandt?» Diese Kraft besteht darin, das Elend des Volkes Gottes zu fühlen, aber auch die Liebe Jehovas für sie. Sein Herz ist unglücklich im Gedanken, dass Jehova sie überliefert hatte und dass ihre tiefe Not nicht einfach ein Unglück war. Doch Jehova sieht auf Gideon, heftet Seine Augen auf ihn. Die Kraft des Dieners Gottes besteht darin, die Gedanken Gottes durch das Werk der Gnade in seinem Herzen zu erfassen. Es ist nötig für das Herz, dass diese Dinge offenbar werden und dass Gott bei den Seinigen eine solche Gewissensübung hervorruft.

Dann aber zeigt Gott Seine Macht und Seine Liebe in der Befreiung. Er reduziert, wie wir schon gesagt haben, das Volk auf die sehr geringe Zahl von dreihundert und bewirkt, dass sich die Midianiter selber vernichten. Das war nicht dieselbe gewaltige Befreiung wie beim Durchzug durchs Rote Meer, aber es war dieselbe Macht, die sie befreite. Gideon kann nicht voraussehen, dass Gott nicht mit derselben Macht handeln wird, und sein Herz ist darüber in Übung. Er sah Gott im Elend und in der Trübsal des Volkes, und er hat von der Beziehung Gottes zu Israel noch einen solchen Begriff, dass er alles der Züchtigung Gottes zuschreibt, was geschehen wird.

Verse 15-16. Gideon meint keineswegs dass er in sich selbst Kraft habe: «Bitte, mein Herr, womit soll ich Israel retten?» Sein Tausend ist das ärmste in Manasse, und Gideon war der Jüngste im Hause seines Vaters. Aber Jehova sagt zu ihm: «Ich werde mit dir sein, und du wirst Midian schlagen wie einen Mann.» Das war die Antwort Gottes, Seine Güte und Liebe gegenüber Gideon.

Verse 17-24. Gideon verlangt ein Zeichen, erbittet es sogar zweimal, und Zeichen auf Zeichen. Jehova lässt sich zu der Schwachheit seines Glaubens herab, weil dieser aufrichtig ist. Er offenbart Seine Gegenwart, indem Er Feuer aus dem Felsen aufsteigen lässt. Er ermutigt Gideon: «Friede dir! fürchte dich nicht, du wirst nicht sterben.» Wenn Gott in einem Herzen mächtig wirkt, ist das erste Ergebnis dies, dass es Gott erkennt, Seine Gegenwart verwirklicht und Ihm sein Angesicht zuwendet. Gideon beginnt nicht damit, dass er das Volk zusammenruft, sondern einen Altar baut, den er «Jehova-Schalom» nennt, «Jehova ist Friede». Dieser Name drückt eine wichtige Tatsache aus. Solange das Herz nicht im vollen Frieden ist mit Gott, sind die Hände schwach, wie die eines Kindes. So ist es immer, auch mit einem jeden von uns. Gott kann nicht im Segen handeln, als nur wenn unsere Seelen so mit Ihm in Verbindung sind, dass wir Ihn als einen Gott des Friedens erfahren. Du kannst nicht an der Segnung anderer teilhaben, bevor deine Seele in inniger Beziehung zu Gott steht, gemäß der Kraft, die für einen solchen Zustand nötig ist. Das Fleisch muss dabei im Tode gehalten werden, denn Gott will das Schwert des Geistes nicht in die Hand des Fleisches legen. Damit dieses Schwert sich zum Segen und in Kraft zeigen kann, bedarf es einer vertrauten Verbindung mit Gott, als dem Gott des Friedens. Sollen unsere Herzen darin leben können, müssen sie Gefässe des Glaubens sein. Das Fleisch kann nicht teilhaben daran, es sei denn zum Gericht. Beachten wir dies wohl. Wenn Gott sich einer Seele zum Segen Seiner Versammlung bedienen will, muss sie diese Erfahrungen gemacht und dem Gott des Friedens einen Altar errichtet haben.

Verse 25-29. Nun hat Gideon Mut. Gegen wen? Gegen die Midianiter? Nein, gegen Israel. Gideon zerstört den Altar des Baal, der seinem Vater gehört. Wohl tut er es in der Nacht, denn er fürchtet das Haus seines Vaters und die Leute der Stadt. Es braucht mehr Glauben, um gegen das Böse im Innern vorzugehen, als gegen das Böse draußen. Für die Leute der Stadt war Gideon der Jüngste im Hause seines Vaters, aber er geht, reißt den Altar des Baal nieder und tut das Böse aus der Mitte Israels hinaus, damit Gott mit Israel wider Midian sein könne.

Verse 29-32. Die Leute der Stadt sagen: «Gideon hat das getan.» Das ist ihnen nicht entgangen, wenn er es auch aus Furcht nachts getan hat. Man kann sich dem Auge der Welt nicht entziehen, auch nicht den Blicken der Christen, die wenig treu sind. Aber was ist das Ergebnis davon? Sobald das Böse weggetan ist, ist es machtlos. «Wenn Baal ein Gott ist, so rechte er für sich selbst», sagt Joas. Das Böse hat keine Kraft vor der Treue. Sobald ein wenig Glauben an Gott vorhanden ist, ist es machtlos und wird weggetan. Der Glaube Gideons war sehr schwach; er verlangte Zeichen auf Zeichen. Aber was uns hier vorgestellt wird, ist die Gnade Gottes und die Beziehungen Gottes mit Seinem Volke, die immer bestehen.

Verse 33-35. Das unmittelbare Resultat der Treue Gideons und der Zerstörung des Baal ist dies, dass die ganze Welt, Midian, Amalek und die Söhne des Ostens sich wider ein Volk versammeln, das keinen Baal mehr, dafür aber Gott in seiner Mitte hat, um dessen völlige Vernichtung herbeizuführen. Doch Satan täuscht sich, wenn er gegen Gott kämpft. Sobald diese Bedrohung auftaucht, kommt der Geist Gottes über Gideon und lehrt ihn, den Krieg zu führen. Die Treue dieses einen Mannes hat zum Ergebnis, dass die Männer der Stadt und das ganze Volk ihm folgen, weil sich in ihm der Glaube an Gott findet. Die Macht Gottes beherrscht auch die Gedanken der Männer.

Erinnern wir uns daran, dass Gott mit den Worten: «Gehe hin in dieser deiner Kraft» alles Nötige vorbereitet hatte, indem die Seele Gideons dadurch empfinden lernte, was Gott für Sein Volk alles war So erinnerte ihn Gott daran, dass Gott jetzt ebensowohl der Gott Seines Volkes ist, wie Er es früher war.

Gebe uns Gott die Gnade, allezeit daran zu denken, dass Er mit uns ist in unsern Bedürfnissen, und dass unsere Herzen von Anteilnahme am Zustand des Volkes Gottes erfüllt seien, aber auch durchdrungen von der Liebe Gottes für die Seinen!

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