Die christliche Gemeinschaft

9. Christliche Gemeinschaft heute

Satan ist nie untätig. Seine rastlose Aktivität hat in der Christenheit inzwischen zu derart verworrenen Zuständen geführt, daß praktische Gemeinschaft mit allen Gläubigen heute nicht mehr möglich ist. Mit Gott kann der einzelne Gläubige jedoch auch unter solchen Umständen Gemeinschaft genießen. Wir haben gesehen, daß dies Vorrecht jedem Kind Gottes zu jeder Zeit offensteht. Ein trostreiches Beispiel dafür ist Henoch, der in der Zeit vor der Sintflut lebte, als die Erde voll Sünde und Gewalttat war. Zweimal lesen wir von ihm in 1. Mose 5: „Und Henoch wandelte mit Gott“ (Verse 22 und 24). Er hatte eine innige, dauerhafte Gemeinschaft mit Gott, und diese kann auch heute, so kurz vor dem Kommen unseres Herrn, jeder Gläubige noch erfahren.

9.1 Mit Gott

Denken wir nur an die Worte des Herrn Jesus an die Versammlung in Laodizäa: „Siehe, ich stehe an der Tür und klopfe an; wenn jemand meine Stimme hört und die Tür öffnet, zu dem werde ich hineingehen und das Abendbrot mit ihm essen, und er mit mir“ (Off 3,20). In der Endphase des christlichen Zeugnisses auf der Erde spricht Er hier zu dem einzelnen Gläubigen, und Seine Worte enthalten einen warmen Trost und einen zarten Appell. In Seiner Geduld mit uns läßt Er sich dazu herab, zu jedem einzelnen der Seinen zu sagen: Öffne mir deine Tür!

Nie drängt Er sich jemand auf, der Seine Gegenwart und Gemeinschaft nicht wünscht. So war es am Anfang der Gnadenzeit, und so ist es an ihrem Ende. Gegenüber den beiden Jüngern, die am Tag Seiner Auferstehung traurig von Jerusalem nach Emmaus wanderten, „stellte er sich, als wolle er weitergehen“ (Lk 24,28). Erst als sie Ihn baten: „Bleibe bei uns, denn es ist gegen Abend, und der Tag hat sich schon geneigt“, ging Er mit ihnen ins Haus und blieb bei ihnen. Und wie änderte sich nun mit einem Schlag alles! Ihre Herzen waren bereits durch Seine Worte warm geworden, und in der Tischgemeinschaft mit Ihm wurden auch ihre Augen für Seine Herrlichkeit und Größe geöffnet.

Im siebten Sendschreiben spricht der Herr Jesus ein hartes Urteil über den lauwarmen Zustand von Laodizäa aus, richtet jedoch zugleich einen liebevollen Appell an jeden einzelnen, die letzte Zeit vor dem Einbrechen der Nacht, in der niemand wirken kann, in praktischer Gemeinschaft mit Ihm zu verbringen. Er klopft an und wartet darauf, daß Ihm geöffnet wird, damit Er mit uns und wir mit Ihm Gemeinschaft genießen können. Mag der Verfall in der Christenheit auch unaufhaltsam fortschreiten, für jeden einzelnen Gläubigen bleibt die Möglichkeit praktischer Gemeinschaft mit dem Sohn und mit Seinem und unserem Vater bis zum Ende bestehen. Ein wunderbarer Trost! Möge diese Gemeinschaft in diesen schweren Tagen der letzten Zeiten unser aller Teil sein und uns erfreuen! Judas ermuntert uns dazu am Schluß seines Briefes mit den Worten: „Ihr aber, Geliebte, euch selbst erbauend auf euren allerheiligsten Glauben, betend im Heiligen Geist, erhaltet euch selbst in der Liebe Gottes, indem ihr die Barmherzigkeit unseres Herrn Jesus Christus erwartet zum ewigen Leben“ (Vers 20.21).

9.2 Miteinander

Aber wie sieht es in unserer Zeit mit der Gemeinschaft der Gläubigen untereinander aus? Durch die Aktivität Satans sind viele falsche Lehren und böse Verhaltensweisen in die Christenheit eingesickert. Auch wahre Kinder Gottes sind davon erfaßt. Daher ist eine volle Gemeinschaft in Gottes Licht nicht mehr unter allen Gläubigen möglich, wohl aber unter denen, die von all diesem Bösen abgesondert leben (Eph 5, 7–14).

Dabei gibt es in der Christenheit heute mehr Bemühungen als jemals zuvor, Einheit und Gemeinschaft im großen Stil herbeizuführen. Am bekanntesten sind die Bestrebungen der kirchlichen Ökumene und der Evangelischen Allianz, doch gibt es auch manche anderen Ansätze in kleinerem Rahmen. Alle diese Anstrengungen ähneln einander darin, daß sie auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner basieren, d.h. man hebt die Gemeinsamkeiten hervor und übergeht alles „Trennende“. So müssen alle diese Bemühungen auf Kompromisse hinauslaufen, die letzten Endes zur Duldung oder Anerkennung unbiblischer Standpunkte, zur Gemeinschaft mit Bösem und zur Anpassung an die Welt führen. Dinge, die unserer Gemeinschaft mit dem Vater, dem Sohn und miteinander zuwiderlaufen und sie schließlich unmöglich machen.

Andererseits kann überbetonte Absonderung von der Welt zu einem pharisäisch-überheblichen „Solidaritätsgefühl“ führen, das nichts mit wahrer Gemeinschaft zu tun hat. Trennung vom Bösen und Verurteilung fleischlichen Eigenwillens sind allein noch keine Garantie für Gemeinschaft. Es ist eher umgekehrt: Die innige Gemeinschaft im Licht Gottes kann uns vor Zügellosigkeit und vor den Verlockungen der Welt, aber auch vor jeder Verbindung, die nicht Seine Zustimmung trägt, bewahren.

Eine weitere Gefahr ist die heute zu beobachtende Überbetonung der Gefühlswerte im Glaubensleben. Man sucht nach etwas, bei dem man sich wohlfühlen kann, und urteilt dabei nicht mehr nach Gottes Wort, sondern danach, wie einem etwas gefällt. Biblisch begründete Gemeinschaft ist jedoch nicht eine Sache der Gefühle, wenn auch unsere Empfindungen dabei nicht ausgeschaltet sind. Das Wort Gottes, nicht das Gefühl ist der allein richtige Maßstab für unser Urteil – auch über Gemeinschaft.

9.2.1 Gottes Wort als Maßstab

Es ist gefährlich, über Einheit und Gemeinschaft zu reden, ohne danach zu fragen, was die Heilige Schrift dazu sagt. Bei allem Streben nach Liebe zueinander und Gemeinschaft miteinander muß doch das Motto immer lauten: „In Wahrheit und Liebe“ (2. Joh 3). Wir dürfen nichts von dem kostbaren Gut fallen lassen oder aufgeben, das Gott uns anvertraut hat, sondern müssen daran festhalten, denn es ist die einzig gültige Grundlage für unser Denken und Handeln. Wir haben uns daran erinnert, daß die ersten Christen in der Lehre der Apostel und in der Gemeinschaft verharrten, d.h. standhaft daran festhielten und eifrig damit beschäftigt waren. Denselben Auftrag haben wir heute noch.

Bei Gläubigen, die noch nicht viel Erkenntnis der Wahrheit besitzen, dürfen wir darauf vertrauen, daß Gott sie auf Seine Weise weiterführen wird, wenn sie aufrichtig danach suchen: „Wenn ihr etwas anders gesinnt seid, so wird euch Gott auch dies offenbaren“ (Phil 3,15). Doch die folgenden Worte: „Wozu wir gelangt sind, laßt uns in denselben Fußstapfen wandeln“ (Phil 3,16) weisen auf einen für alle Kinder Gottes verbindlichen gemeinsamen Weg hin und widerlegen die Behauptung, es sei richtig, wenn die verschiedenen Gruppen von Gläubigen auch unterschiedliche Ansichten über die Wahrheit nebeneinander bestehen lassen, weil gerade dadurch die Größe Gottes und die Vielfalt Seiner Gedanken besser zum Ausdruck käme. Auf einer solchen Basis kann es keine wirkliche Gemeinschaft geben.

Zwar setzt Gemeinschaft nicht unbedingt eine völlig einheitliche Erkenntnis der Wahrheit und einheitliche Gedanken voraus, aber ebensowenig eine Vielfalt von einander widersprechenden Gedanken und Praktiken. Zur Bewahrung der Einheit des Geistes der Grundlage praktischer Gemeinschaft, sind Demut und Liebe erforderlich, nicht aber die ausdrückliche Anerkennung des Nebeneinanders unterschiedlichster Ideen. Eine solche Vorstellung entspricht zwar der modernen pluralistischen Denkweise der Welt, die keine absolute, für alle verbindliche Wahrheit mehr kennt. Doch der Herr Jesus sagt zu Seinem Vater: „Dein Wort ist Wahrheit“ (Joh 17,17), und diese Wahrheit ist und bleibt die unveränderliche Richtschnur unserer Erkenntnis und Grundlage unserer Gemeinschaft.

Wirkliche, tiefe Gemeinschaft miteinander können wir nur haben, wenn wir die Wahrheit Gottes als in allen Punkten verbindlich betrachten und beachten. Zur Bewahrung dieser kostbaren Lehre gehört aber auch die rechte geistliche Gesinnung, die Paulus so schön in Philipper 2,1–4 beschreibt: „Wenn es nun irgendeine Ermunterung gibt in Christus, wenn irgendeinen Trost der Liebe, wenn irgendeine Gemeinschaft des Geistes, wenn irgend innerliche Gefühle und Erbarmungen, so erfüllt meine Freude, daß ihr gleichgesinnt seid, dieselbe Liebe habend, einmütig, eines Sinnes, nichts aus Streitsucht oder eitlem Ruhm tuend, sondern in der Demut einer den anderen höher achtend als sich selbst; ein jeder nicht auf das Seine sehend, sondern ein jeder auch auf das der anderen.“

Die durch den Heiligen Geist bewirkte Gemeinschaft ist immer durch unsere menschlichen Schwächen und Charaktereigenschaften, besonders aber durch unseren Egoismus in seinen verschiedenen Formen gefährdet. Nur wenn wir einander in Demut, Sanftmut, Langmut und Liebe ertragen und nichts aus Parteisucht, Ehrsucht und Selbstsucht tun, sondern uns ständig und eifrig um Einmütigkeit bemühen, entsteht in der Praxis das wunderbare Bild der Gemeinschaft, das in Psalm 133 beschrieben wird:

„Siehe, wie gut und wie lieblich ist es, wenn Brüder einträchtig beieinander wohnen!“

9.2.2 Gemeinschaft im täglichen Leben

Bei solcher Gemeinschaft steht der Herr Jesus im Mittelpunkt. Er ist es ja, mit dem jeder einzelne durch den Glauben verbunden ist, und durch Seinen Geist ist Er auch das Bindeglied der Seinen untereinander. Bloße Geselligkeit dagegen ist noch keine Gemeinschaft, sondern eher eine Gefahr, die uns leicht in die Gleichförmigkeit mit der Welt hinabgleiten läßt.

Wenn wir uns gegenseitig besuchen, einen Ausflug miteinander unternehmen oder mit mehreren Familien zusammen in Urlaub fahren, so sind das wunderbare Gelegenheiten, Gemeinschaft zu erfahren. Wir sollten uns die Fragen stellen: Steht dabei der Herr Jesus im Mittelpunkt? Oder sind es irdische oder gar weltliche Interessen? Wie segensreich ist es, wenn wir uns die Zeit nehmen, gemeinsam über das Wort Gottes zu sprechen, zu beten und unsere Probleme zu besprechen, alles auf der Grundlage unserer Gemeinschaft mit dem Vater und mit Seinem Sohn Jesus Christus, unserem Herrn. Wie schade dagegen, wenn Kinder Gottes im privaten Kreis beisammen sind und nicht einmal zusammen beten können! Der Ausweg ist, dies dem Herrn zu bekennen, darüber miteinander zu sprechen und mit Seiner Hilfe einen Neuanfang zu machen. Er wird uns den Segen der Gemeinschaft nicht versagen!

Auch für die Kinder in unseren Familien ist es wichtig, zu sehen, was uns miteinander verbindet, und so schon früh praktisch zu erfahren, was christliche Gemeinschaft bedeutet! Es ist eine alte, oft übersehene Erfahrung, daß Kinder mehr durch das beeinflußt werden, was sie bei ihren Eltern im täglichen Leben sehen und hören, als durch ihnen vorgestellte Grundsätze – seien sie auch noch so gut –, die in der Praxis nur unvollkommen verwirklicht werden. Das frühe Erleben der Geborgenheit und Gemeinschaft in den eigenen und mit anderen Familien wird sich dagegen prägend auf ihr ganzes späteres Glaubensleben auswirken.

Der heutige Lebensstil der Welt um uns her hat dazu geführt, daß das herkömmliche Bild der Familie, das biblischen Ursprungs ist, sich langsam auflöst. Heute führt jeder sein eigenes Leben, und auch in den bestehenden Familien trifft man sich kaum noch bei gemeinsamen Mahlzeiten, geschweige denn zu anderen gemeinsamen Unternehmungen. Viele Jugendprobleme in der Welt haben ihre Ursache in der daraus entstandenen Isolation und Einsamkeit von Kindern, die kein echtes Zuhause mehr haben. Wie wichtig ist es daher für gläubige Eltern, ihren Kindern zu Hause auch in geistlicher Hinsicht Liebe, Wärme und Gemeinschaft zu schenken!

Eine solche Ausstrahlung können Kinder und Heranwachsende in Familien erfahren, wo Mann und Frau, Vater und Mutter in Gemeinschaft mit dem Herrn und miteinander leben. Die Ehe ist ja die engste Gemeinschaft, die es im irdischen Bereich gibt. Sie ist von Gott als Ordnung in der Schöpfung (1. Mo 2,24) und als Abbild von Christus und Seiner Versammlung (Eph 5,25–33) eingesetzt worden.

Wenn die Ehe auch in der Welt mehr und mehr an Wert verliert und sogar mit Füßen getreten wird, ist sie doch für alle, die glauben und die Wahrheit erkennen, weiterhin göttliche Lebensordnung und Bereich engster Gemeinschaft im Herrn. Die Ehe ist der einzige von Gott gegebene äußere Rahmen für die innigste Gemeinschaft zwischen einem Mann und einer Frau, und wir dürfen diese äußerliche Form der Gemeinschaft nicht geringschätzen. Sie ist ein Bund für das ganze Leben, der mit einer öffentlichen Verbindung beginnt und erst mit dem Tod endet (vgl. 1. Mo 29,21f.; Röm 7,2f.). Sie ist auch der Ort geistlicher, geistiger und seelischer Gemeinschaft, in der Mann und Frau als Kinder Gottes innerliche Gemeinschaft im Glauben, im Denken und in ihrer Liebe zueinander haben können. Sie ist schließlich der Raum für die körperliche Gemeinschaft miteinander, denn so hat Gott es schon beim ersten Menschenpaar zum Segen und Schutz der Menschen angeordnet: „Darum wird ein Mann seinen Vater und seine Mutter verlassen und seinem Weibe anhangen, und sie werden ein Fleisch sein“ (1. Mo 2,24; vgl. Mt 19,5; 1. Kor 6,16; Eph 5,31).

Die Ehe als solche ist keine speziell christliche oder geistliche Ordnung, sondern ein Teil der allgemeingültigen Schöpfungsordnung Gottes. Doch die eheliche Verbindung zweier Gläubiger, die „nur im Herrn“ (1. Kor 7,39), d.h. in Übereinstimmung mit Seinem Wesen und Willen, geschlossen werden darf, steht auf einem besonderen, hohen Niveau. Laßt uns das nie vergessen! Die innige Verbindung zwischen Christus und Seiner Versammlung ist das Vorbild einer Ehe. in der Mann und Frau im Glauben, in geistlicher Übereinstimmung und tiefer, herzlicher Zuneigung miteinander verbunden sind. Eine solche Gemeinschaft ist ein Segen nicht nur für die beiden, sondern auch für ihre Kinder und die ganze Versammlung. Ein besonders schönes und lehrreiches Beispiel einer solchen Ehe sind Aquila und Priszilla, die nur sechsmal, und immer nur ganz kurz, im Neuen Testament erwähnt werden. Aber jedesmal werden sie gemeinsam genannt, wobei je nach der Situation Aquila oder Priszilla an erster Stelle steht (Apg 18,2.18.26; Röm 16,3; 1. Kor 16,19; 2. Tim 4,19).

Wie bei jeder anderen Form von Gemeinschaft, die wir betrachtet haben, macht uns das Wort Gottes auch hier auf verschiedene Gefahren aufmerksam. Deshalb werden die Männer aufgefordert, ihre Frauen zu lieben (Eph 5,25.28.33), nicht bitter gegen sie zu sein (Kol 3,19), sondern ihnen als dem schwächeren Teil Ehre zu geben (1. Pet 3,7). Die Frauen sollen ihre Männer lieben (Tit 2,4), sich ihnen unterordnen (Eph 5, 22.24; Kol 3,18; Tit 2,5; 1. Pet 3,1) und nicht über sie herrschen (1. Tim 2,12). Nur wenn diese Gefahren der ehelichen Gemeinschaft rechtzeitig erkannt werden, kann ihnen in der Abhängigkeit vom Herrn begegnet werden. Gemeinschaft jedes einzelnen mit dem Herrn ist die Grundlage zur Erhaltung der Gemeinschaft auch in der Ehe und in der Familie.

Ein weiterer Aspekt der Gemeinschaft miteinander besteht darin, Geschwistern, die sich in Not befinden, behilflich zu sein. Wir haben dies schon bei den ersten Christen in Jerusalem gesehen. Auch wenn es so scheinen könnte, als ob es in der heutigen Zeit sozialer Absicherung auf allen Gebieten in unserem Land keine Bedürftigkeit mehr gäbe, sieht die Wirklichkeit doch manchmal anders aus. Hinzu kommen manche seelischen Nöte, deren Häufigkeit offenbar immer mehr zunimmt. Die Tatsache, daß es oft gar nicht bekannt ist, in was für einer materiellen oder geistlichen Notlage sich alleinstehende Geschwister oder auch ganze Familien befinden, ist ein trauriges Zeugnis dafür, wie wenig wir uns dieser Seite der Gemeinschaft bewußt sind. Wie tröstlich und hilfreich kann allein schon ein Besuch bei solchen Geprüften oder Niedergeschlagenen sein, ganz zu schweigen von praktischer und geistlicher Hilfe, soweit sie erforderlich oder angebracht ist.

9.2.3 Gemeinschaft beim Brotbrechen

Die höchste Form der Gemeinschaft unter Gläubigen wird auch heute noch durch den Tisch des Herrn dargestellt. Voll Freude über unsere ewige Errettung, voll Dankbarkeit für das Werk der Erlösung und voll Anbetung für unseren Herrn, der es vollbracht hat, kommen wir zusammen, um unserer Gemeinschaft mit Ihm und miteinander sichtbaren Ausdruck zu verleihen. Brot und Kelch, die Zeichen Seines Todes, sind zugleich die Zeichen unserer Einheit und Gemeinschaft.

Der Gedanke, wir könnten den Tisch des Herrn zu hoch einschätzen und den damit verbundenen Vorrechten, aber auch der Verantwortung einen zu wichtigen Platz einräumen, zeugt von wenig Verständnis für den wunderbaren und erhabenen Platz, zu dem der Herr uns durch Seine Gnade gebracht hat. Wir haben Gottes heilige Maßstäbe und Anforderungen in dieser Hinsicht bereits betrachtet. Laßt uns Ihn um Gnade und Kraft bitten, ihren Wert immer mehr zu erkennen und daran festzuhalten.

In Gemeinschaft mit Ihm werden wir die aus verschiedenen Stellen des Neuen Testaments zu entnehmenden Bedingungen für die Teilnahme am Tisch des Herrn nicht aufgeben:

1. Wer diese Gemeinschaft zum Ausdruck bringen will, muß ein Glied Seines Leibes, das heißt ein erretteter Mensch sein (1. Kor 10,16);

2. sein Lebenswandel muß in Übereinstimmung mit dem Wort Gottes sein (1. Kor 5);

3. er darf keiner falschen Lehre anhängen (2. Joh 9–11);

4. er darf nicht in einer Gemeinschaft mit Personen oder Dingen stehen, die der Gemeinschaft mit Gott widerspricht (1. Kor 10,21; Eph 5,11; 2. Tim 2,21).

Für die Beurteilung und Beachtung dieser Merkmale ist die ganze Versammlung verantwortlich; es ist nicht Sache einzelner Brüder. Das gilt auch, wenn es sich um Besucher handelt, die nicht durch ein Empfehlungsschreiben eingeführt werden. Doch darauf kommen wir noch zurück.

Darüber hinaus wollen wir uns immer wieder daran erinnern, daß der Tisch des Herrn nicht unser Tisch ist. Hüten wir uns daher davor, andere Grundsätze als die Seines Wortes damit zu verbinden. Wir wollen uns deshalb die wesentlichen Grundsätze des Tisches des Herrn und des Zusammenkommens in Seinem Namen kurz ins Gedächtnis rufen. Sie können uns auch dabei helfen, ganz allgemein Zusammenkünfte von Gläubigen im Licht des Wortes Gottes richtig zu beurteilen.

Maßgebend ist allein die uneingeschränkte Autorität des wörtlich vom Heiligen Geist inspirierten Wortes Gottes und die des Herrn Jesus, der in der Mitte der Versammelten ist, nicht menschliche Autorität, Gemeinde-Organisation, Traditionen oder Regeln (Mt 18,20).

Am Tisch des Herrn kommt die Einheit aller Gläubigen auf der Erde, nicht nur die der örtlich Versammelten, zum Ausdruck. Gottes Wort kennt keine voneinander unabhängigen Versammlungen, sondern nur solche, die die Einheit des Leibes Christi anerkennen und sie in der Bewahrung der Einheit des Geistes praktisch verwirklichen wollen (Eph 4,3.4). Das ist die Grundlage für die Anerkennung von Handlungen anderer Versammlungen (Zulassung und Ausschluß vom Brotbrechen), denn wenn eine örtliche Versammlung im Namen des Herrn handelt, tut sie es zugleich im Namen der gesamten Versammlung auf der Erde (Eph 4,4; Mt 18,18).

Gottes Wort kennt keine Mitgliedschaft in irgendeiner Gruppierung, sondern nur die Zugehörigkeit zu Seiner Versammlung, dem Leib Christi. Die Mitgliedschaft in einer von Menschen organisierten Kirche steht daher im Widerspruch zu der von Gott geschaffenen Einheit Seiner Versammlung (1. Kor 1,12.13; 12,27).

Grundsätzlich hat jedes Glied am Leib Christi seinen Platz am Tisch des Herrn (1. Kor 10,16; 12,27), es sei denn, daß von der Schrift her begründete Hindernisse vorliegen (wenn die oben erwähnten Bedingungen nicht erfüllt sind). Unkenntnis über Gottes Gedanken ist jedoch kein Hinderungsgrund, wenn der aufrichtige Wunsch erkennbar ist, dem Herrn zu folgen.

Wenn wir an diesen Voraussetzungen festhalten, kann die Einheit der Glieder des Leibes Christi in wahrer Gemeinschaft ihren Ausdruck finden, auch wenn es in der Praxis bedeutet, daß nicht jedes Gotteskind ohne weiteres daran teilhaben kann. „Wißt ihr nicht, daß ihr Gottes Tempel seid und der Geist Gottes in euch wohnt? ... Denn der Tempel Gottes ist heilig, und solche seid ihr“ (1. Kor 3,16.17).

9.2.4 Gemeinschaft und Heiligkeit

Manche Kinder Gottes empfinden es als einen Widerspruch, daß gerade da, wo die Einheit des Leibes Christi sichtbar zum Ausdruck kommt, Glieder dieses Leibes ausgenommen sein sollen. Dabei lassen sie jedoch – vielleicht, ohne es zu wollen – außer acht, daß Gott nicht nur Liebe, sondern auch Licht ist. Licht ist in der Bibel ein Symbol für die Heiligkeit Gottes (vgl. 1. Joh 1,5; Joh 3, 19–21: Eph 5,8–14); der Begriff,heilig' ist der Ausdruck der Reinheit und Herrlichkeit der Gegenwart Gottes, und,heiligen' bedeutet, Personen oder Dinge für Gott absondern. Alles dies beinhaltet zugleich Trennung von jeder Art des Bösen.

Jeder einzelne Gläubige, aber auch die Versammlung als Ganzes ist zur Heiligkeit berufen. „Wie der, der euch berufen hat, heilig ist, seid auch ihr heilig in allem Wandel.“ -„Denn der Tempel Gottes ist heilig, und solche seid ihr“ (1. Pet 1,15; 1. Kor 3,17; vgl. Ps 93,5). Der Herr Jesus wacht über Seinen Tisch und hat Seiner Versammlung den Auftrag zur Wachsamkeit und zur Zucht gegeben. Wenn wir wirklich in enger Verbindung mit Ihm leben möchten, werden wir auch die Gemeinschaft am Tisch des Herrn nicht auf die leichte Schulter nehmen. Daran stoßen sich jedoch manche Kinder Gottes. Wie ist das zu erklären?

Das heutige, von dem Begriff Toleranz geprägte Denken und Leben in der westlichen Welt hat zu einer Vielfalt von Meinungen und Lebensgewohnheiten geführt, mit denen der moderne Mensch eben leben muß. Die Versammlung Gottes besteht zwar auch aus vielen verschiedenen Gliedern, die aber alle in einem Geist zu einem Leib getauft sind und eine gemeinsame verbindliche Richtschnur für ihr Leben haben: das Wort Gottes. Die Lehre dieses Wortes ist eine der wesentlichen Grundlagen unserer Gemeinschaft, wie wir uns bei der Betrachtung von Apostelgeschichte 2, 42 erinnert haben.

Manche Christen betrachten fremde oder falsche Lehren heute lediglich als „abweichende Auffassungen“, die man stehenlassen und ertragen muß. Gottes Wort warnt uns jedoch eindringlich vor allen Abweichungen von der gesunden Lehre und fordert uns auf, in Sanftmut und Liebe, aber auch in Klarheit Stellung dagegen zu beziehen, und zwar bis hin zum Abbruch jeglicher Gemeinschaft (Röm 16,17–19; Gal 1,6–9; 2. Thes 3,14.15; 2. Joh 9–11).

Viele Kinder Gottes verstehen auch nicht, wie sehr es den Herrn betrüben muß, daß Christen meinen, neben der vom Heiligen Geist geschaffenen Einheit, die ja die Grundlage der Gemeinschaft aller Gläubigen ist, zusätzliche Benennungen mit verschiedenen Glaubensbekenntnissen und Organisationsformen schaffen zu müssen, um sich als Christen zu versammeln. Im Lauf vieler Jahrhunderte sind diese Einrichtungen etwas so Selbstverständliches geworden, daß die meisten Gläubigen daran gar keinen Anstoß mehr nehmen.

Wenn wir das Bestehen von Kirchen- und Gemeindeorganisationen am Wort Gottes messen, so ist das weder eine Leugnung der Tatsache, daß es dort Gläubige gibt, noch ein persönlicher Angriff gegen sie. Jeder nachdenkende Christ weiß, daß weitaus die meisten Gläubigen sich in den christlichen Gemeinschaften befinden. Doch Gottes Wort kennt nur eine Kirche, eine Gemeinde, eine Versammlung, und die bloße Existenz der verschiedenen christlichen Benennungen widerspricht dieser Einheit. „Jeder von euch sagt: Ich bin des Paulus, ich aber des Apollos, ich aber des Kephas, ich aber des Christus. Ist der Christus zerteilt? Ist etwa Paulus für euch gekreuzigt, oder seid ihr auf den Namen des Paulus getauft?“ (1. Kor 1,12.13). Wenn aber die Existenz dieser Benennungen der biblischen Einheit der Gläubigen widerspricht, dann ist auch die Mitgliedschaft darin mit der Gemeinschaft am Tisch des Herrn unvereinbar.

Nun kommt es hin und wieder vor, daß ein Christ, der weder das Verkehrte seiner Zugehörigkeit zu einer christlichen Benennung noch den biblischen Platz des Zusammenkommens im Namen des Herrn kennt, einfach den Wunsch hat, den Tod des Herrn zu verkündigen und zu den Brüdern kommt, weil zum Beispiel seine Gruppierung an dem betreffenden Ort nicht existiert. In einem solchen Fall dürfen wir das fehlende Verständnis von der Versammlung Gottes nicht als Hindernis für die Teilnahme am Brotbrechen betrachten. Verbindung mit falschen Lehren oder sittlichem Bösen macht die Gemeinschaft am Tisch des Herrn allerdings unmöglich. Wenn ein solcher Besucher dann zum Brotbrechen zugelassen wird, haben wir jedoch die Aufgabe, schriftgemäße Belehrung über das Vorrecht und die damit verbundene Verantwortung zu geben, auch darüber, daß jeder, der am Tisch des Herrn teilnimmt, der Zucht der Versammlung untersteht. Dazu gehört auch, daß es mit der Ordnung Gottes unvereinbar ist, gleichzeitig am Brotbrechen in christlichen Benennungen oder Gemeinden und am Tisch des Herrn teilzunehmen.

9.3 Dienstgemeinschaft

Auch für uns gilt heute noch der Auftrag des Herrn an Seine Jünger: „Geht hin in die ganze Welt und predigt das Evangelium der ganzen Schöpfung“ (Mk 16,15). Gott will ja, „daß alle Menschen errettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit kommen“ (1. Tim 2,4). Jedem Kind Gottes sollte die Verbreitung des Evangeliums am Herzen liegen. Ihm sei Dank dafür, daß es auch heute noch viele gibt, die sich diesem Dienst widmen. Dabei gibt es manche Gelegenheiten, bei denen mehrere Gläubige zusammenarbeiten können, um diesen Dienst für den Herrn Jesus gemeinschaftlich zu tun. Ob es sich um einen Evangelisationsvortrag handelt, für den eingeladen werden muß, ob ein Büchertisch mit evangelistischer Literatur in einer Straße oder bei einer Messe aufgestellt wird, ob in einer Stadt Traktate verteilt werden, oder ob es um andere Bemühungen wie z.B. Missionsarbeit in fernen Ländern geht, bei all diesen Aufgaben besteht die Möglichkeit, oft sogar die Notwendigkeit, mit mehreren Geschwistern zusammenzuarbeiten. Nicht nur die Apostel in der Anfangszeit zogen meistens in Begleitung mehrerer Brüder durch die verschiedenen Städte und Länder (Apg 10,23; 13,4.5; 15,40), sondern auch ganz „unbekannte“ Brüder taten das ebenfalls (Apg 8,4:11,19–21). Sie konnten einander behilflich sein, einander ergänzen und stärken. Schon im Buch des Predigers heißt es ja: „Zwei sind besser daran als einer“ (Pred 4,9)! Es ist ein großes Vorrecht, im Dienst für den Herrn Gemeinschaft zu haben, wenn dies auch beim Evangelium eher vorkommt als im Dienst an Gläubigen, da der Hirtendienst meistens im persönlichen Gespräch und der Lehrdienst oft in öffentlichen Wortverkündigungen erfolgt.

Mit den Voraussetzungen zur Gemeinschaft im Dienst für unseren Herrn haben wir uns bereits früher beschäftigt. Dabei steht die persönliche Gemeinschaft mit Ihm und der Gehorsam gegenüber Seinem Wort an erster Stelle, nicht unser Eifer oder unser eigener Dienst. Auch jugendliche Begeisterung führt manchmal dazu, daß ernstere Gedanken beiseitegeschoben werden. Der Prophet Samuel mußte einmal zum König Saul sagen: „Gehorchen ist besser als Schlachtopfer, und Aufmerken besser als das Fett der Widder“ (1. Sam 15,22).

Die Zerrissenheit unter den Gläubigen, an die wir uns schon mehrmals erinnert haben, hat das Zeugnis für unseren Herrn sehr geschwächt. Ist es nun ein Ausweg, wenn wir uns mit Geschwistern aus verschiedenen Kreisen zusammentun – möglicherweise mit solchen, von denen wir uns aus Liebe zu dem Herrn Jesus und zu Seinem Wort trennen mußten –, um im Evangelium ein gemeinsames Zeugnis für die Gnade Gottes abzulegen? Wird die Botschaft Gottes dadurch glaubwürdiger? Diese Frage muß mit Entschiedenheit verneint werden. Gefühlsmäßig mag der eine oder andere vielleicht zu einer solchen Zusammenarbeit neigen, aber der Gehorsam gegenüber unserem Herrn und wirkliche Liebe zu Ihm wird uns davor bewahren.

Wenn wir in Gemeinschaft mit dem Herrn und im Gehorsam gegenüber dem Wort Gottes leben möchten, dann können wir vor der Welt nicht mit Gläubigen zusammen auftreten, von denen wir wissen, daß sie Lehren oder Praktiken haben, die von der Heiligen Schrift abweichen. Die gemeinsame Gotteskindschaft ist zwar Anlaß zur Dankbarkeit, denn zu jedem Gläubigen habe ich als Glied des Leibes Christi eine durch den Heiligen Geist geschaffene Beziehung, die ich zu keinem Ungläubigen haben kann. Aber zur Gemeinschaft in der Arbeit für den Herrn reicht dies nicht aus. Dazu ist nicht nur Gemeinschaft im Glauben an den Herrn Jesus und in der Liebe zu Ihm, sondern auch Gemeinschaft des Geistes in der Anerkennung der Autorität des Wortes Gottes nötig.

Das Evangelium weist ja nicht nur verlorenen Menschen den Weg zur ewigen Errettung, sondern macht auch Erlöste mit dem Ratschluß Gottes, den geistlichen Segnungen und ihrer Verantwortung bekannt (vgl. Röm 1,15). Gott will, daß alle Menschen errettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit kommen (1. Tim 2,4). Das betrifft nicht nur das persönliche, sondern auch das gemeinschaftliche Leben, mit anderen Worten: die biblischen Grundsätze der Versammlung Gottes. Wie könnten wir nun gemeinsam mit Gläubigen, deren Zusammenkommen nicht mit der Schrift übereinstimmt, Neubekehrte belehren? Werden diese dadurch nicht verwirrt, zweierlei Gedanken kennenzulernen? Können wir es vor dem Herrn verantworten, daß „neugeborene Kinder“ etwas anderes als die „vernünftige, unverfälschte Milch“ bekommen, damit sie geistlich wachsen (vgl. 1. Pet 2,2)?

Manchmal wird die Frage gestellt: Gibt es eine schriftgemäße Begründung für eine Ablehnung der Zusammenarbeit im Werk des Herrn mit Geschwistern aus christlichen Gemeinschaftskreisen? Darauf ist zunächst zu antworten, daß diese Frage im Neuen Testament nicht behandelt wird, weil die zugrundeliegende Situation noch nicht existierte. Die Versammlung stellte damals äußerlich noch eine Einheit dar, wenn auch mancherorts schon Parteiungen entstanden waren (denken wir nur an den 1. Korintherbrief. den Galaterbrief usw.).

Trotzdem können wir in Gottes Wort eine Antwort finden, wenn wir die darin gegebenen Belehrungen über die Gemeinschaft überdenken. Darüber hinaus finden wir verschiedene beachtenswerte Beispiele. Dem Apostel Paulus wäre es unmöglich gewesen, mit Brüdern in Kleinasien, von denen er mit Trauer feststellen mußte, daß sie sich von ihm abgewandt hatten (2. Tim 1,15), gemeinsam für den Herrn zu arbeiten, wie er es mit Silas, Timotheus und anderen tat. Auch mit Johannes-Markus und Barnabas konnte er keine Gemeinschaft im Dienst haben, solange die tiefe innere Übereinstimmung mit ihnen gestört war, die die Grundlage jeder Gemeinschaft ist, besonders im Dienst für den Herrn (Apg 15,36–40). Mit erkennbarer Trauer schreibt er von Männern, die das Evangelium aus unlauteren Motiven verkündigten, und wenn er sich auch freute, daß „auf alle Weise, sei es aus Vorwand oder in Wahrheit, Christus verkündigt“ wurde (Phil 1,15–18), so hätte er sich doch nicht mit ihrem Dienst vereinigen können, auch wenn er frei gewesen wäre.

So können auch wir alle evangelistischen Arbeiten vor den Thron der Gnade bringen und dafür beten, daß das Wort Gottes in Klarheit verkündigt wird, damit Verlorene errettet werden, auch wenn wir mit denen, die die Arbeit tun, um des Herrn willen keine praktische Gemeinschaft haben können. Dabei ist – wie immer – geistliches Unterscheidungsvermögen unerläßlich. Es ist beispielsweise nicht dasselbe, ob ich mich mit einem Bruder gemeinsam in der Öffentlichkeit evangelistisch betätige oder ob ich ihm durch Überlassung von guten Traktaten oder Literatur Unterstützung gewähre und dadurch die Wahrheit verbreiten helfe.

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