Betrachtung über die Psalmen (Synopsis)

Psalm 8

Betrachtung über die Psalmen (Synopsis)

Wir kommen jetzt zu Psalm 8, der diese Darstellung des Zustandes des Überrestes und der Ratschlüsse Gottes bezüglich des verworfenen Gesalbten Jehovas beschließt. Was in diesem Psalm gesagt wird, kommt noch aus dem Munde des nun erretteten Überrestes. „Jehova, unser Herr“ vergebens sind die Heiden wider Ihn aufgestanden „wie herrlich ist dein Name auf der ganzen Erde, der du deine Majestät gestellt hast über die Himmel!“ Es ist hier nicht die Rede von einem König in Zion (obschon dieser sicher da sein wird), sondern von einer über die Himmel gestellten Majestät. Auch handelt es sich nicht allein um die Segnung des Volkes des großen Königs, sondern überall, wo Menschenkinder wohnen, ist der Name Jehovas, des Herrn von Israel, groß. Wir erblicken hier nicht Christum, den Gesalbten, auf Seinem heiligen Berge Zion, sondern den Sohn des Menschen, gesetzt nicht nur über die Menschenkinder, sondern auch über alles, was Seine Hand erschaffen hat, „an allen Orten Seiner Herrschaft“. Er ist gesetzt über alle Werke Seiner Hände; nichts ist ausgenommen, als nur Der, welcher Ihm alles unterworfen hat. Und wer ist dieser Sohn des Menschen? Es ist Einer, der ein wenig unter die Engel erniedrigt war wegen des Leidens des Todes, der aber jetzt mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt und über alle Werke der Hand Gottes gesetzt ist 1. Der Brief an die Hebräer (Kap. 2) zeigt uns, dass dies jetzt noch nicht erfüllt ist. Er konnte nicht als der Christus verworfen werden (wenn auch dieser Titel später zur Wirklichkeit werden wird durch Den, der vom Himmel her über die ohnmächtige Wut der Könige der Erde lacht), es sei denn, dass Ihm nach den Ratschlüssen Gottes ein noch herrlicherer Platz zuteil wurde, nämlich im Himmel mit Herrlichkeit gekrönt und als Herr gesetzt zu werden über alle Dinge. Sohn Gottes und Sohn Davids, König in Zion – das waren Seine Titel auf der Erde (vgl. Joh 1, 49 – 51). Aber Seine erste Verwerfung in diesem Charakter führte Ihn in diese größere Herrlichkeit ein, die Er gleichfalls treulich erworben hatte und die durch göttliche Zuerkennung dem Sohne des Menschen gehörte. Daher sehen wir in den Evangelien (z. B. Lk 9, 20 – 22) dass der Herr Seinen Jüngern gebietet, nicht mehr zu sagen, dass Er der Christus sei (denn Er war damals schon in Wirklichkeit durch Israel verworfen), weil der Sohn des Menschen leiden, verworfen und den Nationen überliefert werden, sterben und danach auferstehen musste. Dies war deshalb Gnade gegen Israel, aber es war die Gnade gegen den Menschen, gegen den Menschen in der Person Christi, und Israels Herr, Jehova, wurde dadurch herrlich auf der ganzen Erde.

Dieses geziemende Ergebnis wird am Ende des Psalms durch den Mund des Überrestes ausgesprochen, obschon es durch eine viel höhere Herrlichkeit hervorgebracht wird und von ihr abhängig ist. Angesichts der Wut und Bosheit Seiner Feinde, und um die Unterdrücker und den Stolz der Feinde, der beharrlichen, unbarmherzigen Verfolger Seiner Heiligen und Seines Volkes, zum Schweigen zu bringen, hat Gott die Schwächsten auf der Erde erwählt, um Sein Lob zu verkünden.

Ein kleines Vorbild davon erblicken wir in dem Empfang des verworfenen Christus gelegentlich Seines Einzuges in Jerusalem; die volle Erfüllung wird erst in den letzten Tagen gesehen werden. Damals hatte Gott Ihm als Sohn Gottes Zeugnis gegeben in der Auferweckung des Lazarus, als Sohn Davids in jenem Einzug in Jerusalem, als Sohn des Menschen, als die Griechen zu Ihm kamen (Joh 12, 20). Aber um diese letzte Herrlichkeit als Sohn des Menschen zu besitzen, musste Er sterben. Äußerlich betrachtet, schlug damals alles fehl hienieden. In den letzten Tagen wird es nicht so sein, sondern alles wird in Macht erfüllt werden. Mittlerweile ist Jesus mit Herrlichkeit und Ehre an einem herrlicheren Orte gekrönt.

In dem ganzen 8. Psalm gibt sich eine besondere Erhabenheit und Kraft kund, der großen Errettung angemessen, die in ihm gepriesen wird. Wie klein ist doch der Mensch der Schöpfung gegenüber! Was ist er, wenn wir das große und herrliche Weltall betrachten? Nichts! Doch wirf einen Blick auf Christum, und alle jene Herrlichkeiten der Schöpfung verbleichen vor der Vortrefflichkeit Dessen, dem alles unterworfen ist. Ja, die geschaffenen Dinge selbst empfangen durch Seine Herrlichkeit neuen Glanz. In Ihm ist der Mensch wirklich groß und steht über allem, in Ihm, dem Sohne des Menschen, der über alle Dinge gesetzt ist.

Es ist hier nicht der Ort, uns über die Art und Weise zu verbreiten, wie unser Psalm im Neuen Testament angewandt wird; aber diese Anwendung macht seinen Sinn und seine Bedeutung sehr klar. In 1. Korinther 15 sehen wir, dass er in der Auferstehung seine Erfüllung gefunden hat; in Hebräer 2, dass die Unterwerfung aller Dinge in der zukünftigen Welt stattfinden wird, und dass Christo jetzt noch nicht alles unterworfen, dass Er aber schon mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt ist. Epheser 1 zeigt uns, dass in dieser herrlichen Stellung die Versammlung mit Ihm vereinigt ist. Doch gehört dies keineswegs in den Bereich unseres Psalms; es ist ein Teil des Geheimnisses, das von den Zeitaltern und von den Geschlechtern her verborgen war (Kol 1, 26).

Bevor wir weitergehen, möchte ich den Inhalt der Psalmen, die wir bisher betrachtet haben, nochmals kurz an unseren Blicken vorübergehen lassen, da sie eine Art von Einleitung in das ganze Buch bringen. Zuerst beschäftigte der Überrest in den letzten Tagen unsere Aufmerksamkeit, dann die Ratschlüsse Gottes betreffs des Messias, während die Könige der Erde und die Fürsten sich gegen Jehova und Seinen Gesalbten auflehnen. Dennoch wird Er als König in Zion eingesetzt werden. Dann fanden wir in den  Ps 3  – 7  die Haupt-Grundsätze für den Wandel des Überrestes unter den Umständen, in denen er sich infolge der Verwerfung Christi befinden wird. Wir begegneten nicht den tiefen Gefühlsausbrüchen, die anderwärts durch die Schwere der Trübsal hervorgerufen werden, sondern nur den Empfindungen, die die Gnade in der Stellung des Überrestes bewirken wird, soweit dieselben nötig sind, um den Gefühlen der Gnade und des Glaubens in dieser Stellung Ausdruck zu geben. In den Ps 3 – 5 finden wir das Vertrauen, in Psalm 6 und Psalm 7 die Beugung des Herzens unter der Trübsal. Psalm 3 zeigt einfaches Vertrauen, Psalm 4 die Anrufung des Gottes der Gerechtigkeit und den Pfad des Gerechten; in Psalm 5 schreit der Gerechte zu Jehova, weil dieser zwischen dem Bösen und Guten einen Unterschied macht und deshalb der Gesetzlose ausgestoßen werden muss, der Gerechte aber, der auf Ihn vertraut, von Jehova gesegnet wird. In Psalm 6 beruft sich der Gerechte auf Gottes Güte, indem er in der Angst seiner Seele Jehova bittet, ihn nicht zu strafen in Seinem Zorn; und Jehova hat sein Flehen, ihn vom Tode zu erretten, gehört. In Psalm 7 ruft er Jehova an gegen seine Verfolger, indem er den Gegensatz zwischen ihrem Verhalten und dem seinigen ihnen gegenüber hervorhebt; aber Jehova richtet Sein Volk.

Das sind die Hauptelemente der Beziehungen Jehovas zu dem Überrest Seines Volkes in jenen Tagen. Wie köstlich wird es für jene Gläubigen sein, ihren Glauben so unterstützt zu sehen und für denselben Ausdrücke zu finden, die über ihre Befürchtungen erhaben sind, und die ihnen durch diese gnadenreichen Zeugnisse des Geistes Christi dargeboten werden, um sie zu leiten, ihre höchsten Hoffnungen zu rechtfertigen und sie in ihren gegründetsten Befürchtungen zu beruhigen! Es ist wohl nicht schwer zu verstehen, warum Christus nicht persönlich die Gefühle und Wünsche haben konnte, die hier ausgedrückt sind, und wie Er doch prophetisch durch Seinen Geist diese selben Wünsche in dem Überrest zu erwecken vermag und mitfühlend in alle seine Umstände eintreten konnte. Er kam vom Himmel herab und verlor nie den Geist, der dort weht, obschon Er Sich in den Umständen befand, die die Erde über Ihn brachte; dieser Geist aber ist Liebe. Er stand über dem Bösen in der Macht der Liebe und in dem Bewusstsein der göttlichen Gefühle, die der Sohn des Menschen, „der im Himmel ist“, haben musste, obschon Er durch alle Leiden hindurchging, denen der Sohn des Menschen auf der Erde unterworfen sein konnte. Er durchschnitt all die Trübsal, die die Sünde und die nie ruhende Feindschaft des Menschen sowie die Gefühllosigkeit selbst Seiner Jünger (sie verstanden nicht einmal, was Er zu ihnen sagte) über Ihn bringen konnten; aber obwohl Er infolge Seiner Vollkommenheit nur um so mehr darunter litt und ein um so tieferes Gefühl davon hatte, stand Er doch über all dem Bösen in Liebe, in der persönlichen Vollkommenheit des Guten. Mit dem Überrest wird es nicht so sein. Er wird von Gott aufrechterhalten werden, doch nicht nur inmitten des Bösen, sondern unter der Last desselben, von dem Bösen niedergedrückt durch das Gefühl der Schuld, durch die Furcht vor dem Zorn, ja, durch ein tiefes Bewusstsein von diesem Zorn, und mehr als das, durch einen Schrecken vor demselben, der die Seele sichtet. Es gibt keine Rettung für diese Heiligen als nur durch die Vernichtung ihrer Feinde; und sie verlangen danach. Ihre Feinde sind auch die Feinde Jehovas, und ihr Verlangen ist richtig (siehe Ps 6, 5. 7. 10).

Christus handelte nicht so, wie wir gesehen haben. Er stand über all dieser Feindschaft der Menschen in himmlischer Liebe und infolge einer wahren, bewussten Gemeinschaft mit dem Vater, dessen Willen Er in Frieden, Seiner Anerkennung gewiss, zu erfüllen hatte, bis Er am Ende in das dunkle Tal hinabstieg, wo Er um unseret- und um Israels willen in Wahrheit dem Zorn begegnen musste. Aber was hier vorging, trug sich zwischen Ihm und Gott allein zu; Seinen menschlichen Feinden gegenüber sagt Er nur: „Wenn ihr mich suchet, so lasset diese gehen“, worauf alle vor Ihm zu Boden stürzen, während Er in vollkommener Ruhe ihnen zuruft: „Dies ist eure Stunde und die Macht der Finsternis.“ Indem Er, die göttliche Liebe selbst, so durch jede Trübsal, die Israel oder wir zu erdulden haben mögen, hindurchging, tat Er es persönlich in Liebe. Alles wurde von Ihm gefühlt, aber Er stand über dem Bösen in Seiner Liebe zu den Menschen, indem Er in vollkommener Gemeinschaft mit dem Himmel und dessen Liebe und Gunst war. Hierin ist Er ein Muster für die Christen, nicht für Israel. Aber Er ging in Wirklichkeit durch alles hindurch, was der Überrest je durchmachen kann; indes war Er Selbst genügend frei von irgendeiner Einwirkung dieser Umstände auf Ihn, um für andere darin fühlen zu können. Dies hat Er vollkommen getan, und Er gibt in prophetischer Weise die Ausdrücke des Glaubens denen ein, die, noch unbekannt mit der himmlischen Liebe und Errettung, unter der Drangsal gebeugt einhergehen; auch verleiht Er durch den prophetischen Geist (so wie der Geist es in solchen Personen tun würde) den Gefühlen ihrer gebeugten Herzen vor Gott Ausdruck, diesen Gefühlen, die durch die Umstände hervorgebracht werden, wenn die göttliche Gunst und Errettung noch nicht gekannt sind. Niemand kann in die Not und Kümmernisse eines anderen, der unter dem eben erwähnten Druck steht, so eingehen wie einer, der die Ursachen davon kennt, sowie die Folgen bezüglich des Verhältnisses zu Gott, der sich aber nicht selbst darin befindet. Christus ist in all ihren Trübsalen gewesen und hat sie gefühlt; aber Er hat nicht die Gefühle gehabt, die diejenigen haben, die in solchen Trübsalen notwendiger- und gerechterweise sind. Er hatte für Seine Bedränger Gefühle himmlischer Liebe. In Seinem vollkommenen Mitgefühl ist Er durch den prophetischen Geist in alle Umstände und Gefühle des Überrestes eingetreten und hat diesen einen gottgemäßen Ausdruck verliehen.

Das menschliche Herz könnte hier einwenden, es sei leicht für Ihn gewesen, durch den prophetischen Geist dies letztere zu tun, wenn Er Selbst nicht wirklich in jenen Umständen war. Doch ich antworte: Er war voll und ganz in jedem Teil ihrer Trübsal, und zwar unendlich mehr als der Überrest es je sein wird, da Er zugleich das litt, was sie, weil Er es getan, nie leiden werden. Wie könnten auch die besseren Gefühle, mit denen Er in die Umstände eintrat, Ihn hindern, ein vollkommenes Mitgefühl mit dem Überrest zu haben? Sie befähigen Ihn vielmehr zu diesem Mitgefühl hinsichtlich der ganzen Trübsal, die, als Er Selbst litt, von Satan und von Gott kam, wobei es sich nicht nur um Gefühle für diejenigen handelte, die Ihm die Trübsal bereiteten. Er ging durch alles in gleicher Weise hindurch wie sie, nur viel tiefer; und was einen Teil der Leiden, und zwar den tiefsten, betrifft, so nahm Er Selbst auf Sich, was sie niemals zu tragen haben werden.

Wenn die Heiligen des Überrestes sich in denselben Leiden befinden ohne Kenntnis der göttlichen Gunst, so wird Er ihnen, und zwar durch diese Psalmen, alle die Gefühle darreichen, denen Gott Seine Anerkennung geben und denen Er Sein Ohr leihen kann. Er wird ihre Seelen mittels derselben leiten. Wie oft geschieht es, wenn wir in Trübsal sind und in der Ungewissheit eines umwölkten Glaubens kaum auszusprechen wagen, was wir fühlen, aus Furcht, Gott zu betrüben, dass unser Herz durch ein Schriftwort beruhigt wird, das unseren Schmerz in einer Weise zum Ausdruck bringt, die, weil es Gottes Wort ist, richtig sein muss; und wie oft gibt uns ein solches Wort Vertrauen im Aufblick zu Gott! So wird es in jenen Tagen für den Überrest sein.

Fußnoten

  • 1 Die Kleinheit des Menschen, verglichen mit der Schöpfung in der Höhe, gibt Veranlassung zu der Offenbarung der Ratschlüsse Gottes im Menschen.
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