Betrachtung über die Psalmen (Synopsis)

Psalm 101-102

Betrachtung über die Psalmen (Synopsis)

Psalm 101

Psalm 101 stellt dann noch die Grundsätze fest, nach denen der König Sein Haus und das Land regieren wird, wenn Er die Herrschaft im Namen Jehovas antritt.

Jene Reihe begann, wie wir sahen, mit Psalm 93, der sozusagen die Überschrift bildet: „Jehova regiert.“ Wir finden dort die Wut und Auflehnung der Menschen wider Gott, die oberherrliche Autorität Jehovas und die Heiligkeit, die Seinem Hause geziemt. Psalm 94  leitet die dann folgenden Psalmen ein mit dem Hilferuf des Überrestes, während die Ungerechtigkeit noch auf dem Thron ist. Psalm 95 ist ein Aufruf an Israel (den Überrest) in den letzten Tagen, Psalm 96 ein Aufruf an die Völker, denn Jehova kommt, um die Erde zu richten. Psalm 97 zeigt uns Jehova auf dem Wege, um Gericht auszuüben. Psalm 98  fordert auf, Jehova ein neues Lied zu singen, weil Er Gericht über die Erde gehalten und an Israel in Gnaden gedacht hat. In Psalm 99 hat Jehova Seinen Thron auf Erden in Zion eingenommen, und Psalm 100  wird Israel als Sein Volk anerkannt und zur Anbetung Jehovas aufgefordert; doch ist der Tempel in Jerusalem zugleich ein Bethaus für die ganze Erde. In bezug auf Israel sind sich nun Güte und Wahrheit begegnet (Ps 100, 5): Güte, denn Israel hatte gesündigt – Wahrheit, denn Gott hatte Verheißungen gegeben. Psalm 101 zeigt uns, dass von Güte und Recht gesungen werden kann, wenn der Thron Jehovas auf der Erde errichtet und von Ihm eingenommen worden ist.

Psalm 102

Psalm 102 ist einer der bemerkenswertesten, vielleicht der bemerkenswerteste aller Psalmen. Vers 10 macht uns mit der Ursache der Klage bekannt, mit der der Psalm beginnt. Christus wird hier völlig als Mensch betrachtet, der aus dem Volke erwählt und zum Messias erhoben ist, der aber jetzt, anstatt das Königtum einzunehmen, verworfen und hinweggetan wird 1. Wir sehen Ihn hier dicht vor dem Kreuze; doch mag der Herr, wie wir auch in Johannes 12  sehen, schon vorher oftmals im Geiste nahe davor gestanden haben. Er blickt auf Jehova, der Ihn, nachdem Er Selbst Ihn in die Stellung des Messias berufen hat, hinwirft und Ihn Zorn und Grimm schmecken lässt. Die Leiden Christi, die hier vor uns stehen, sind weit umfassender, als wenn sie nur aus der Hand der Menschen kämen. Wohl litt Er von Seiten der Menschen und fühlte dies, aber sie stehen nicht vor Seinen Blicken im Gericht; auch handelt es sich hier nicht um Sein Versöhnungswerk, obgleich das, wodurch die Versöhnung bewirkt wurde, eingeschlossen ist, wenn wir die volle Wirkung des Zornes und Grimmes Gottes, wie sie am Kreuze zutage trat, mit einbegreifen. Wir haben hier Ihn Selbst, Sein Abgeschnittenwerden als Mensch. Er ist in Bedrängnis; Sein Herz ist verdorrt. Er gleicht dem Pelikan in der Wüste, der Eule in den Einöden. Seine Tage sind wie ein gestreckter Schatten; Er verdorrt wie Kraut. So war der Messias, dem alle Verheißungen gehörten. Doch Jehova bleibt auf ewig, Seine Verheißungen sind sicher, Er wird aufstehen und Sich Zions erbarmen, denn die hierzu bestimmte Zeit ist gekommen.

Die ganzen Vorgänge zur Zeit, da Christus auf der Erde war, und zur Zeit des Überrestes in den letzten Tagen gehören zusammen; sie werden hier als eins betrachtet. Wenn Zion wiederhergestellt wird, werden die Nationen den Namen Jehovas fürchten. Jehova wird erscheinen, und, indem Er Zion aufbaut, dem armen Überrest antworten. So wird der Name Jehovas verkündigt werden in Zion und Sein Lob in Jerusalem, wenn die Völker sich allzumal dort versammeln werden. Aber wo wird dann der Messias sein? Seine Kraft ist doch gebeugt worden auf dem Wege, Seine Tage sind verkürzt worden. Er hat geschrieen zu Dem, der vom Tode erretten kann. Soll Zion wiederhergestellt werden ohne den Messias, indem Dieser gebeugt und weggenommen worden ist? In den Versen 24–28 vernehmen wir Gottes wunderbare und herrliche Antwort auf diese Frage: Der Messias ist ja Selbst der Schöpfer des Himmels und der Erde, von Ewigkeit her Derselbe. Seine Jahre werden nicht enden, selbst wenn die Schöpfung wie ein veraltetes Gewand zusammengewickelt werden wird. Die Söhne Seiner Knechte werden bleiben, und ihr Same wird vor Ihm feststehen. Der Messias, der verachtete und verworfene Jesus, ist Jehova, der Schöpfer aller Dinge. Ja, der Jehova, der, wie wir hörten, kommen wird, ist der Christus, der einst hienieden war; der „Alte an Tagen“ (Dan 7, 9. 10. 13) kommt, und es ist Christus, obwohl Er zugleich der „Sohn des Menschen“ ist. Dieser Gegensatz zwischen der äußersten Erniedrigung und Vereinsamung Christi und Seiner göttlichen Natur ist außerordentlich eindrucksvoll. Doch handelt es sich in diesem Psalm um das Gefühl, das Christus persönlich von Seiner Verwerfung hatte, und zwar in Verbindung mit dem Überrest – nicht um das Tragen des Gerichts über die Sünde in Seiner Seele für die Menschen. Das sieht man auch daran, dass in Psalm 22 ganz andere Folgen zutage treten als hier, obwohl jenes vollkommene Versöhnungswerk, von dem der letztgenannte Psalm handelt, auch für „die Nation“ notwendig war; sonst würde ihre Befreiung niemals stattfinden. können.

Fußnoten

  • 1 Es ist beachtenswert, dass Christus hier den Zorn und Grimm Jehovas (V. 10) nicht in Verbindung mit Sich Selbst bringt wie in Psalm 22 („Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“), obwohl Er auch hier den Zorn und Grimm Jehovas verwirklicht und im Geiste mitfühlt. Doch von Sich Selbst sagt Er hier nur: „Du hast mich emporgehoben und mich hingeworfen.“ Dieser Unterschied ist ein Schlüssel, der uns vieles in den Psalmen verständlich macht.
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