Einführende Vorträge zum Johannesevangelium

Kapitel 6

Einführende Vorträge zum Johannesevangelium

In Kapitel 6 setzt der Herr Israel unter einem anderen Gesichtspunkt beiseite. Dem Menschen unter Gesetz fehlte nicht nur die Gesundheit, sondern auch die Kraft, jene Segnungen zu nutzen, die Gott anbot. Nichts als das ewige Leben in Christus kann erretten; sonst bleibt das Gericht. Jetzt wurde der Herr wirklich als der große Prophet, der kommen sollte, von der Volksmenge anerkannt. Dies war die Folge seiner Werke, und zwar insbesondere des Werkes, welches die Schrift mit dem Sohn Davids in Verbindung bringt (Ps 132). Daraufhin wollten sie Ihn zum König machen. Das schien ganz natürlich zu sein. Er hatte die Armen mit Brot gesättigt. Warum sollte Er nicht seinen Platz auf dem Thron einnehmen? Der Herr weigerte sich und ging auf den Berg, um zu beten. Seine Jünger waren inzwischen auf dem See einem Sturm ausgesetzt und mühten sich ab, in den ersehnten Hafen zu kommen, bis Er mit ihnen zusammentraf. Unmittelbar danach war das Schiff an dem Land, zu dem sie fuhren (Verse 1–21.).

Im weiteren Verlauf des Kapitels (V. 27–58) bringt der Herr die Darstellung der Wahrheit Gottes in seiner Person und seinem Werk in einen Gegensatz zu den Verheißungen über den Messias. Er leugnet nicht die Wahrheit dessen, was sie erwarteten und woran sie sich klammerten. Er war wirklich der große Prophet und auch der große König. Genauso ist Er jetzt der große Hohepriester in der Höhe. Doch der Herr lehnte damals die Krone noch ab. Es waren noch nicht die Zeit und die Umstände für seine Herrschaft gekommen. Tiefgründigere Probleme forderten eine Lösung. Ein größeres Werk stand bevor. Darum zeigt uns der Rest des Kapitels nicht einen erhöhten Messias, sondern die Gabe des wahren Brotes – Ihn, der vom Himmel gekommen ist und der Welt das Leben gibt, einen sterbenden und nicht einen herrschenden Sohn des Menschen. Zuerst sehen wir seine Inkarnation (Fleischwerdung) und dann, wie Er in der Erlösung sein Fleisch zu essen und sein Blut zu trinken gibt. So verschwinden die früheren Dinge; der alte Mensch ist gerichtet, tot und eindeutig beseitigt. Ein zweiter, völlig neuer Mensch erscheint: Das Brot von Gott. Es ist nicht das Brot  vom Menschen, sondern  für den Menschen. Sein Charakter hier entspricht nicht im Geringsten der Stellung und Herrlichkeit des Messias in Israel nach der Verheißung und der Prophetie. Tatsächlich wird durch das ewige Leben und die Auferstehung am letzten Tag nicht nur das Gesetz und heilende Segenshandlungen (vgl. Kap. 5, 1–4), sondern auch die vorhergesagte messianische Herrlichkeit ganz und gar verdunkelt. Wie wir bemerken, ist Christus hier nicht so sehr der Lebensspender als Sohn Gottes (Kap. 5), sondern vielmehr der Gegenstand des Glaubens als Sohn des Menschen. Zuerst wurde Er Fleisch, um überhaupt gegessen werden zu können. Danach starb Er und gab Er sein Fleisch als Speise und sein Blut als Trank. So nähren wir uns von Ihm und trinken von seinem Blut als Mensch zu unserem Leben – zum ewigen Leben in Ihm.

Letzteres illustriert eine Wahrheit, die noch höher ist als die von der Menschwerdung. Sie weist eindeutig auf die Gemeinschaft mit dem Herrn in seinem Tod hin. Die Menschen waren schon vorher über seine Person gestrauchelt, als Er sich selbst als das fleischgewordene Wort an die Menschen vor die Blicke stellte, welches sie annehmen und dessen sie sich erfreuen sollten. Jetzt ging Er weiter: Wenn sie nicht das Fleisch des Sohnes des Menschen aßen und sein Blut tranken, hatten sie kein Leben in sich. Er setzt seine völlige Verwerfung und seinen Tod voraus und spricht von sich als dem Sohn des Menschen im Tod; denn es konnte kein Essen seines Fleisches, kein Trinken seines Blutes geben, solange Er lebte. So wird also die Person unseres Herrn nicht nur als göttlich und in die Welt kommend vorgestellt. Er, der als Lebender angenommen wird zum ewigen Leben, ist in seinem Tod unsere Speise und Trank und gibt uns Gemeinschaft mit seinem Tod. Der Herr setzt wirklich das, was ausschließlich messianisch war, durch die großen Wahrheiten der Fleischwerdung und vor allem der Sühne beiseite. Der Mensch muss mit beiden in lebendiger Verbindung stehen – er muss essen, ja, essen und trinken. Der Ausdruck bezieht sich auf beide Handlungen, doch er gilt insbesondere für das Trinken. So war und ist es. Wer die Wirklichkeit der Inkarnation Christi anerkennt, empfängt äußerst dankbar und anbetend von Gott die Wahrheit der Erlösung. Wer hingegen über die Erlösung stolpert, hat nicht wirklich die Bedeutung der Fleischwerdung in den Gedanken Gottes verstanden. Wenn jemand den Herrn Jesus einfach als eine Person sieht, die auf normale Weise in die Welt gekommen ist, und dies als „Inkarnation“ bezeichnet, wird er auf jeden Fall das Kreuz nicht verstehen. Falls andererseits eine Seele von Gott über die Herrlichkeit der Person dessen, der Fleisch wurde, belehrt ist, dann nimmt sie in aller Einfalt die zweite Wahrheit an. Sie freut sich darüber, dass Er, der Fleisch wurde, nicht aus Selbstzweck Fleisch wurde, sondern um damit einen Schritt auf ein anderes und schwerwiegenderes Werk hin zu tun: Er sollte Gott verherrlichen und unsere Speise werden in seinem Tod. Zu diesen erhabenen und bedeutungsvollen Gesichtspunkten führt uns hier der Herr.

Doch das Kapitel schließt nicht, ohne uns einen weiteren Gegensatz zu zeigen (V. 59–71). Was würden seine Zuhörer dazu sagen, wenn sie Ihn, der herniederkam und in dieser Welt starb, dahin auffahren sähen, wo Er vorher war? Alles wird im Charakter als Sohn des Menschen betrachtet. Der Herr Jesus nahm zweifellos in seiner Person das Menschsein mit in die Herrlichkeit, die Er als Sohn des Vaters so gut kannte.

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