Einführende Vorträge zum Lukasevangelium

Kapitel 20

Einführende Vorträge zum Lukasevangelium

Kapitel 20 zeigt die verschiedenen Klassen der Religionisten und weltlichen Menschen, wie sie sich nacheinander zusammenfanden, indem sie hofften, den Herrn der Herrlichkeit zu umgarnen und anzuklagen. Jede von ihnen fiel in die Falle, die sie Ihm gelegt hatten. Folglich offenbarten und verurteilten sie sich nur selbst. Wir lesen von den Priestern mit ihrer Frage nach der Autorität. (V. 1–8) und danach vom Volk, welches sich die Geschichte der Handlungsweise Gottes mit ihnen und die völlige Herausstellung ihres sittlichen Zustandes anhören muss. (V. 9–19). Des Weiteren finden wir die gerissenen Spione, die von den Hohenpriestern und Schriftgelehrten angeheuert waren und sich gerecht stellten. Dabei gedachten sie, Ihn in seinen Worten festzunageln und mit den irdischen Mächten in Konflikt zu bringen (V. 20–26).

Nach diesen gewahren wir die Sadduzäer, welche die Auferstehung leugneten. Hier wollen wir jedoch einen Augenblick verweilen, denn in der Darstellung gibt es einige spezielle und für Lukas besonders kennzeichnende und instruktive Einzelheiten. Vor allem müssen wir beachten, dass von allen Evangelisten allein Lukas die Menschen in den Aktivitäten dieses Lebens als „Söhne dieser Welt (dieses Zeitalters)“  bezeichnet. Es sind Menschen, die nur für die Gegenwart leben. „Die Söhne dieser Welt (dieses Zeitalters) heiraten und werden verheiratet; die aber würdig geachtet werden, jener Welt (jenes Zeitalters) teilhaftig zu sein und der Auferstehung aus den Toten, heiraten nicht, noch werden sie verheiratet; denn sie können auch nicht mehr sterben, denn sie sind Engeln gleich“ (V. 34–36). Im Auferstehungszustand gibt es diese Beziehung nicht mehr. Die Schwierigkeit bestand also nur für den Unglauben, der sie auch erst hervorgerufen hatte. Ja, was kann der Unglaube anders als täuschen. Er bildet sich Schwierigkeiten ein – und nirgendwo mehr als da, wo es sich um die sichere Wahrheit Gottes handelt. Alles dreht sich um die große Wahrheit der Auferstehung. Der Herr hat sie in ihrer endgültigen Form in seiner eigenen Person gezeigt, indem Er aus den Toten auferweckt worden ist – ein Ereignis, das damals kurz bevorstand. Ihre Wahrheit wurde von der aktivsten, gebildetsten und in den irdischen Dingen am besten unterrichteten Sekte unter den Juden der damaligen Zeit bekämpft und verworfen. Das waren die Leute, die der Lehre von der Auferstehung am meisten widerstanden.

Unser Herr führt noch einen anderen bemerkenswerten Gesichtspunkt an. Gott ist nicht ein Gott der Toten, sondern der Lebenden; „denn für ihn leben alle“ (V. 38). Zwei große Wahrheiten werden also vorgestellt: zum einen, dass für Gott alle Menschen auch nach dem Tod noch leben, zum anderen die zukünftige Auferstehung, wenn Jesus kommt und das neue Zeitalter einführt. Das war von ganz besonderem Wert für die nichtjüdischen Völker; denn es war eine der großen Fragen für den heidnischen Verstand, ob die Seele nach dem Tod weiter existiert und, erst recht, ob der Leib wieder aufersteht. Natürlich erwarteten die Juden, wenn man von dem ungläubigen Volksteil absieht, die Auferstehung. Der Geist Gottes gibt uns hier die Antwort unseres Herrn an die Sadduzäer insbesondere mit Bezug auf die nichtjüdischen Leser, indem Er sowohl nachweist, dass es eine Auferstehung gibt (wie wir es auch in den anderen Evangelien finden), als auch dass in jenem Stadium, wenn Seele und Leib voneinander getrennt sind, die Toten leben. Diese Belehrung passt ganz besonders zum Thema des Lukas.

Diese Wahrheit ist allerdings nicht auf unseren Abschnitt beschränkt. Wir finden anderswo ähnliche Aussagen. Zeigt nicht der Bericht von dem reichen Mann und dem armen Lazarus dasselbe (Lk 16)? Natürlich – und noch einiges mehr! Dort lesen wir nicht nur von der Existenz der Seele getrennt vom Leib nach dem Tod, sondern auch dass sofort Glückseligkeit bzw. Pein folgen. Sie beruhen nicht ausschließlich auf der Auferstehung. Daneben gibt es natürlich noch die letzte, öffentliche Verurteilung zur Pein für Leib und Seele vor dem großen weißen Thron (Off 20). In Kapitel 16 fühlt die Seele gleich nach der Auflösung ihrer Verbindung mit dem Leib die Glückseligkeit bzw. die Pein. Die aufgeführten Bilder sind natürlich der Vorstellungswelt des Leibes entnommen. So erfahren wir von einem Verlangen nach Kühlung der Zunge – eine Aussage, die Männer mit spekulativem Verstand als Beweis benutzen, dass von einer Zeit gesprochen wird, in der die Seele mit einem wirklichen Leib bekleidet ist. Das ist nicht richtig. Der Geist Gottes redet, um verstanden zu werden; und um von Menschen verstanden zu werden, muss Er sich zu einer Sprache herablassen, die unserer Auffassungsgabe entspricht. Er kann uns kein Verständnis von einem Zustand geben, den wir nie erfahren haben, es sei denn in Bildern aus unserem gegenwärtigen Leben. – Eine ähnliche Wahrheit erscheint auch später in dem Fall des bekehrten Räubers am Kreuz. Der Grundsatz ist dort derselbe, nämlich die unmittelbare Glückseligkeit unabhängig von der späteren Auferweckung des Leibes. Er erwartete Letztere, als er Jesus bat, beim Kommen in seinem Reich seiner zu gedenken. Doch die Antwort des Herrn enthielt mehr, und zwar die sofortige Segnung: „Heute wirst du mit mir im Paradiese sein“ (Lk 23, 43). Es ist für uns von praktischer Wichtigkeit: Wir können nicht fest genug auf der Bedeutung der Auferstehung bestehen sowie der Glückseligkeit bzw. Pein der Seele nach der Trennung vom Leib schon vor der Auferstehung. Indem wir die Überzeugung aufgeben, dass die Seele sich wirklich sofort in Pein oder Glückseligkeit befindet, haben wir den Weg zum Materialismus betreten. Jener ist nur ein Vorspiel für das Aufgeben der Wahrheit und Gnade Gottes einerseits sowie der Überzeugung von der schrecklichen Wirklichkeit der Sünde des Menschen und der Macht Satans andererseits. Der Materialismus ist seinem Wesen nach immer ungläubig, obwohl bei weitem nicht die einzige Art des Unglaubens.

Gegen Ende des Kapitels stellt unser Herr die große Frage bezüglich seiner Person und des Platzes, den Er bald einnehmen sollte, und zwar nicht auf dem Thron Davids, sondern auf dem Thron Gottes. Wurde nicht Er, der Sohn Davids, von David als Herr anerkannt? Auf der Person Christi und seiner Position beruht das ganze Christentum. Das Judentum setzt die Person Christi herab und sieht seine Stellung nicht bzw. leugnet sie. Das Christentum gründet sich nicht nur auf das vollbrachte Werk, sondern auch auf die Herrlichkeit der Person und der Würde dessen, der in Gott verherrlicht ist. Er nimmt diesen Platz als Mensch ein. Er, der sich als Mensch im Leiden erniedrigte, ist als Mensch zur Herrlichkeit Gottes in der Höhe erhoben worden.

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