Betrachtung über das Buch Josua (Synopsis)

Kapitel 1

Betrachtung über das Buch Josua (Synopsis)

Das erste Kapitel zeigt uns Josua, wie er von HERR zum Dienste eingesetzt ist, der ihm befiehlt, über den Jordan in das Land zu ziehen, das Er den Kindern Israel gegeben hatte.

Lasst uns einen Augenblick bei diesem unmittelbaren Auftrag des HERRN verweilen. Hier hält Mose nicht die Stellung des lebenden Mittlers, sondern die des geschriebenen Wortes. Da alles, was er befahl, von Gott war, so war es augenscheinlich das Wort Gottes für Israel. Josua ist die Kraft, die sie in den Besitz der Verheißungen führt.

Zuerst haben wir den Grundsatz, nach dem in Besitz genommen wird: nicht durch die einfache Ausübung der göttlichen Kraft, wie es am Ende stattfinden wird, sondern in der Energie des Geistes und in Verbindung mit der Verantwortung des Menschen. Die Grenzen des verheißenen Landes werden angegeben, doch genügte es nicht, die von Gott festgesetzten Grenzen zu kennen, Gott hatte sie sehr genau bezeichnet, mit seinem Besitz hing aber eine Bedingung zusammen: „jeden Ort, auf den eure Fußsohle treten wird, euch habe ich ihn gegeben.“ Sie müssen dorthin gehen, mit der Hilfe und durch die Kraft Gottes die Hindernisse überwinden und tatsächlich Besitz ergreifen. Ohne dieses konnten sie es nicht besitzen, und tatsächlich geschah das auch. Sie haben nie von dem ganzen Land, das Gott ihnen gegeben hatte, Besitz ergriffen. Nichtsdestoweniger war dem Glauben die Verheißung sicher: „Es soll niemand vor dir bestehen alle Tage deines Lebens.“ Die Kraft des Geistes Gottes, die Kraft Christi durch seinen Geist (die wahre Energie des Gläubigen) genügt für alles. Denn es ist tatsächlich die Kraft Christi selbst, der allmächtige Kraft hat. Gleichzeitig wird die Verheißung, niemals verlassen noch versäumt zu werden (5. Mo 31,6. 8), in ihrer ganzen Bedeutung aufrechterhalten. Darauf kann man im Dienst des Herrn rechnen – auf eine solche Kraft seiner Gegenwart, dass niemand vor seinem Knecht bestehen wird, eine Kraft, die ihn niemals verlassen wird. Mit dieser völligen Ermutigung wird der, der durch den Geist wandelt, berufen, stark und mutig zu sein.

Danach kommt die Ermahnung des HERRN in Vers 7: „Nur sei sehr stark und mutig, dass du darauf achtest, zu tun nach dem ganzen Gesetz, das mein Knecht Mose (der Titel, der ihm hier bereits gegeben wird) dir geboten hat.“ Geistliche Kraft und Energie und der Mut des Glaubens sind erforderlich, damit das Herz den Mut hat zu gehorchen, damit es frei sei von den Einflüssen, den Befürchtungen und den Beweggründen, die auf den natürlichen Menschen einwirken, und die dahin neigen, die Gläubigen vom Pfad des Gehorsams abzulenken, und davon, dass sie auf das Wort Gottes achten.

In der Welt gibt es nichts, was so unvernünftig ist wie der Wandel, der uns in der Welt vorgestellt wird – nichts, das uns dem Hass ihrer Fürsten so preisgibt. Wenn nun Gott nicht mit uns ist, gibt es nichts so Törichtes, so Unsinniges; wenn Er mit uns ist, ist nichts so weise. Wenn wir nicht die Kraft seiner Gegenwart haben, wagen wir nicht, auf sein Wort zu achten, und in diesem Fall müssen wir uns davor hüten, in den Krieg zu ziehen. Wenn wir aber den Mut haben, den die allmächtige Kraft Gottes durch seine Verheißung eingibt, so können wir das gute und kostbare Wort unseres Gottes ergreifen; seine strengsten Vorschriften sind nur Weisheit, um das Fleisch aufzudecken, und Anweisungen, wie man es tötet, auf dass es uns weder mit Blindheit schlägt noch fesselt.

Der schwierigste Pfad, derjenige, der zum schärfsten Kampfe führt, ist nur der Weg zu Sieg und Ruhe, der uns in der Erkenntnis Gottes wachsen lässt. Es ist der Weg, auf dem wir in Gemeinschaft mit Gott sind, mit Ihm, der die Quelle aller Freude ist: es ist das Unterpfand und der Vorgeschmack ewigen und unendlichen Glücks.

Wenn nur dieses Wort von Gott, von dem HERRN, gehört wird – „Weiche nicht davon ab zur Rechten, noch zur Linken, damit es dir gelinge überall, wohin du gehst“ – welche Freude für den, der durch Gnade hervortritt, um das Werk Gottes zu tun!

Dann ermahnt ihn der Herr, dieses Buch des Gesetzes mit Fleiß zu studieren: „Denn dann wirst du auf deinem Weg Erfolg haben, und dann wird es dir gelingen.“ Hier sind also die zwei großen Grundsätze geistlichen Lebens, geistlicher Tätigkeit: erstens die sichere Gegenwart der allmächtigen Kraft Gottes, so dass nichts vor seinem Knecht bestehen kann; zweitens die Annahme seines Wortes, Unterwürfigkeit unter sein Wort, fleißiges Studieren seines Wortes und es als einen absoluten Führer anzunehmen, und dann auch den Mut zu haben, es wegen der Verheißung und Ermahnung Gottes zu tun.

Kurz gesagt, der Geist und das Wort sind absolut alles für das geistliche Leben. Mit dieser Kraft ausgerüstet, schreitet der Glaube voran, gekräftigt durch das ermutigende Wort unseres Gottes. Gott hat einen Weg in dieser Welt, wo Satan uns nicht antasten kann. Dies ist der Pfad, den Jesus ging. Satan ist der Fürst dieser Welt; es gibt aber einen göttlichen Pfad, und keinen anderen, der durch sie führt, und dort ist Gottes Kraft. Das Wort ist ihre Offenbarung. So hat der Herr den Starken gebunden. Er handelte durch die Kraft des Geistes und gebrauchte das Wort. Den Geist und das Wort kann man nicht trennen, ohne einerseits dem Fanatismus, andererseits dem Rationalismus zu verfallen – ohne den Platz der Abhängigkeit von Gott und seiner Führung zu verlassen. Die bloße Vernunft würde einige beherrschen, die Einbildungskraft die anderen.

Übrigens gibt es nichts Phantasiereicheres als die Vernunft, wenn sie ohne Führung ist! Als Ergebnis möchte der Feind der Seelen von beiden Besitz ergreifen. Dann würden wir den Menschen unter dem Einfluss Satans statt Gottes haben. Erbärmlicher Tausch! in dem sich der Ungläubige durch den schmeichelhaften Gedanken tröstet, dass es für ihn nichts Unerreichbares gibt, weil er alles auf die Grenzen seines eigenen Verstandes beschränkt. Nichts scheint mir so bedauerlich zu sein wie dieser Unglaube, der sich einbildet, dass es in der moralischen oder der intellektuellen Sphäre nichts anderes als die Gedanken des Menschen gibt, und der das Fassungsvermögen des Menschen, Licht von einem weit erhabeneren Geist anzunehmen, leugnet – das einzige, was den Menschen über sich selbst erhaben macht, während ihm zugleich der moralische Vorzug gewährt wird dadurch, dass er durch das Bewusstsein der Überlegenheit eines anderen demütig wird.

Gepriesen sei Gott, dass es einige gibt, die sich die Gnade, die dem Menschen von seiner vollkommenen Weisheit mitgeteilt wurde, zunutze gemacht haben! Selbst wenn das unvollkommene Gefäß, das sie empfing, ihre Wesenszüge und ihre Vollkommenheit ein wenig beeinträchtigt haben mag, so haben solche durch sie Nutzen gehabt, um ihre wahre Stellung einzunehmen. Glückselige Stellung vor dem Angesicht Dessen, den zu erkennen unendliche und ewige Freude bedeutet!

Es besteht noch eine wichtige praktische Regel, die in diesen Worten: „Habe ich dir nicht geboten?“ (Kap. 1, 9) beachtet werden muss. Wenn wir uns dessen nicht bewusst sind, dass wir den Willen Gottes tun – wenn wir uns, ehe wir zu handeln anfangen, nicht in seiner Gegenwart dessen vergewissert haben, werden wir den Mut nicht haben, es zu vollbringen. Es mag sein, dass das, was wir tun, wohl der Wille Gottes ist; wenn wir uns aber dessen nicht bewusst sind, so handeln wir zögernd, ohne Zuversicht, ohne Freude; wir werden durch den geringsten Widerstand zurückgestoßen, während uns, wenn wir sicher sind, dass wir seinen Willen tun, und dass Er gesagt hat: „Habe ich dir nicht geboten?“, durch Gnade nichts erschrecken kann.

Nichtsdestoweniger füge ich ein Wort hinzu oder, besser gesagt, ich lenke die Aufmerksamkeit des Lesers auf das, was Gott sagt; denn obwohl der Befehl Gottes uns mit Mut beseelt, den wir ohnedies nicht gehabt hätten, so ist doch keine Offenbarung an sich Kraft zum Handeln. Gott fügt aber hinzu: „Erschrick nicht und fürchte dich nicht! denn der HERR, dein Gott, ist mit dir überall, wohin du gehst.“

Im Neuen Testament haben wir eine auffallende Veranschaulichung dieses Grundsatzes: Paulus wurde bis in den dritten Himmel entrückt, wo er unaussprechliche Worte hörte, die der Mensch nicht sagen darf. War dies seine Kraft im Kampf? Zweifellos gab es innerlich seinen Ausblicken eine Reichweite, die sich auf sein ganzes Werk auswirkte; dies war aber nicht seine Kraft für das Werk. Im Gegenteil, es neigte dazu, ein falsches Vertrauen auf das Fleisch zu nähren; jedenfalls hätte es das Fleisch zu seiner Selbsterhöhung gebraucht.

Solche Offenbarungen machten Demütigung erforderlich und bewirkten von Gott aus nicht neue Erweisungen der Gunst (obwohl alles Gunst war), sondern das, was den Apostel demütigte und ihn schwach und verächtlich nach dem Fleisch machte 1. Indem er nun schwach ist, wird ihm auf eine andere Weise Kraft gegeben: nicht durch den Gebrauch oder das Bewusstsein von Offenbarungen, das hätte ihn schwach gemacht, indem es zur Erhöhung des Fleisches gedient hätte, sondern durch die Gnade und die Kraft Christi, die in dieser Schwachheit vollbracht wird. Darin lag seine einzige Kraft, und er rühmte sich dieser Schwachheit, in der die Kraft Christi in ihm vollbracht wurde und die zur Entfaltung dieser Kraft Gelegenheit gab; und die dadurch, dass Paulus schwach war, bewies, dass Christus selbst in dem Werk mit Paulus war. Wir bedürfen stets der unmittelbaren Kraft von Christus, wenn wir für Christus handeln – Kraft, die in Schwachheit vollbracht wird, um sein Werk zu tun – bleibende Kraft, denn ohne Ihn können wir nichts tun. Lasst uns diese Wahrheit festhalten.

Ich füge betreffs des Endes dieses Kapitels nur ein Wort hinzu. Es gibt Christen (ich kann nicht sagen, von Gott gutgeheißen), die ihren Platz diesseits des Jordans einnehmen, d. h. diesseits der Kraft des Todes und der Auferstehung, die durch den Geist Gottes auf die Seele angewendet wird. Der Ort, wo sie sich ansiedeln, ist nicht Ägypten; er ist jenseits des Roten Meeres, er ist innerhalb der Grenzen des Besitztums Israels – außerhalb Ägyptens und diesseits des Stromes Euphrat, des Flusses Babylons. Es ist aber nicht Kanaan. Es ist ein Land, das sie für ihr Vieh und für ihre Besitztümer gewählt haben; sie siedeln dort ihre Kinder und ihre Frauen an. Es ist nicht Josua, der dieses Land besiegte; es ist nicht der Ort des Zeugnisses über die Macht des Geistes Gottes – dieses Kanaan, das jenseits des Jordans liegt.

Immerhin, obwohl die Kinder und ihre Familien dort angesiedelt wurden, mussten die streitbaren Männer, ob sie wollten oder nicht, an den Kämpfen der Kinder Gottes teilnehmen, die keine Ruhe suchen als nur da, wo sich die Kraft Gottes befindet, d. h. in Kanaan, in den himmlischen Örtern, aus denen alle Feinde auszutreiben waren. Und wirklich, als die Sünde Israels und die daraus folgende Schwachheit das Volk den erfolgreichen Angriffen ihrer Feinde, der Feinde Gottes, preisgab, da war dieses Land das erste, das ihnen in die Hände fiel. „Wisst ihr nicht, dass Ramoth-Gilead unser ist?“ – in diesen Worten liegt kein Segen für das Volk, wenn es um seinen Verlust trauert. In dieser Zeit ging alles gut, d. h. solange Ruben, Gad und der halbe Stamm Manasse unter der Autorität Josuas bleiben und die Kraft Gottes durch ihn das Volk leitete. Auch sie sagen zu Josua das, was Gott gesagt hatte: „Sei stark und mutig!“

Wie oft geschieht es unter den Kindern Gottes, dass irgendein Grundsatz oder eine Verhaltenslinie eingeführt wird, die ihrem Wesen nach im Vergleich zur Vorzüglichkeit des Werkes, das nach dem Vorsatz Gottes vor sich geht, geringer sind, die sich aber, solange die Kraft Gottes diesem Vorsatz gemäß wirkt, nicht von diesem Werk lossagen, um sich eine hervorragende Stellung anzumaßen und Unbehagen und Kummer zu verursachen. Wenn aber dieser göttliche Strom infolge der Treulosigkeit des Menschen versiegt, dann erscheinen bittere Früchte: Geistlicher Verfall, Schwachheit, Neid, Trennung und direkte Unterwürfigkeit unter die böse Macht, die der Unmöglichkeit entspringt, das Geistliche mit dem Fleischlichen zu versöhnen und ein geistliches Zeugnis aufrechtzuerhalten, während man sich den Wegen dieser Welt anpasst.

Dieses Zeugnis gehört zur anderen Seite des Jordans. Die zwei und ein halb Stämme mögen diesem Lauf folgen, wenn sie wollen, aber wir können nicht aus Kanaan herauskommen, um uns ihnen anzuschließen. Doch ach! diese schönen Wiesen, so passend zum Weiden ihrer Herden, haben allzu viele Lots und Stämme Israels gefunden, um sich zu ihrem Schaden darin anzusiedeln. Die seichten Stellen, denen wir bei unserer christlichen Schifffahrt begegnen, können vielleicht während der Flut gefahrlos überquert werden, bei Ebbe aber ist ein geschicktes Steuern nötig, um ihnen auszuweichen und um allezeit in dem vollen Strom der Gnade Gottes zu schwimmen, in der Rinne, die sie für sich gemacht hat. Da ist aber ein sicherer und standhafter Steuermann, und wir sind in Sicherheit, wenn wir uns damit begnügen, Ihm nachzufolgen. Gott hat uns das gegeben, was wir dazu benötigen. Vielleicht müssen wir uns mit einem sehr kleinen Boot begnügen: der unfehlbare Steuermann wird darin sein.

Zuerst war Mose mit dem Vorschlag der zweieinhalb Stämme nicht zufrieden. Gewiss wurde die Sache erlaubt. Im allgemeinen aber sind die ersten Gedanken des Glaubens die besten: sie erwägen nur die Verheißungen, die volle Auswirkung der Verheißungen und die Gedanken Gottes. Spätere Gedanken stehen damit nicht in Verbindung.

Fußnoten

  • 1 Müßige Neugierde fragt, was dieser Dorn im Fleisch sein konnte. Für uns ist es ganz unwichtig, was es war. Er mag einen anderen Dorn für jeden Fall geben, in dem Gott es für gut befindet, einen zu senden. Es würde immer etwas Passendes geben, einen, der es nötig hat, zu demütigen. Zu unserer geistlichen Belehrung genügt es, durch das Wort zu wissen, dass es bei Paulus eine Schwachheit war, die dazu beitrug, ihn bei seiner Predigt persönlich verächtlich zu machen (Gal 4,14; 2. Kor 10,10). Der Absicht Gottes in einer solchen Prüfung, der Gefahr entgegenzutreten, ist jedem geistlichen Sinn so offensichtlich, dass es unnütz wäre, dabei zu verweilen.
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