Betrachtung über Markus (Synopsis)

Kapitel 1

Betrachtung über Markus (Synopsis)

Johannes der Täufer ist der Herold, der Vorläufer Dessen, der den Menschen die gute Botschaft brachte. Seine Botschaft ist neu, wenigstens in dem unbedingten und vollständigen Charakter, den sie annimmt, wie auch in ihrer direkten und unmittelbaren Anwendung. Es waren nicht die jüdischen Vorrechte, die durch Buße und Rückkehr zum Herrn erlangt werden sollten. Der Herr stand nach seiner Verheißung im Begriff zu kommen: um seinen Weg vor Ihm her zu bereiten, predigte Johannes die Buße zur Vergebung der Sünden. Das war es, was man bedurfte: Vergebung der Sünden für den Bußfertigen war die große Sache, der wesentliche Zweck der Sendung des Johannes.

Buße und Vergebung der Sünden weisen deutlich auf die Verantwortlichkeit des Menschen (hier Israels) in seiner natürlichen Stellung vor Gott hin; und indem dies hinsichtlich seines Zustandes Gott gegenüber klargestellt wird, wird der Mensch sowohl in sittlichem Sinn als auch im Blick auf seine Verantwortlichkeit passend für den Empfang der beabsichtigten Segnung – in sittlichem Sinn, indem er die Sünden grundsätzlich verurteilt, wie Gott es tut, und im Blick auf seine Verantwortlichkeit dadurch, dass Gott sie alle vergibt. Darum ist die Vergebung auch notwendigerweise etwas Gegenwärtiges und Tatsächliches. Es gibt sowohl eine Vergebung in der Regierung Gottes als auch eine rechtfertigende Vergebung; der Grundsatz ist indes bei beiden gleich, und die letzte bildet die Grundlage der ersten. Die erste kann von verschiedenen nebenher laufenden Handlungen Gottes begleitet sein, aber die Sünde wird nur im Blick auf die gegenwärtige Verbindung mit Gott nicht mehr zugerechnet; bei der zweiten Art von Vergebung aber ist die Nichtzurechnung wahr für die Ewigkeit. Diese rechtfertigende Vergebung ist (wie in Röm 4, wo die Anwendung des 32. Psalms den gewöhnlichen Charakter des Nichtzurechnens zeigt) auf das Werk Christi gegründet und daher unbedingt und unveränderlich. Die Sünde wird nicht zugerechnet und kann nie zugerechnet werden, weil das Werk, das sie aus den Augen Gottes entfernt, geschehen und vollbracht ist: das ist die ewige, unbedingte und in sich selbst unveränderliche Grundlage aller Wege Gottes mit dem Menschen in Gnade. Die Gnade herrscht durch die Gerechtigkeit. Heb 9 – 10 zeigen dies, wo das Gewissen und das Hinzunahen zu Gott, und zwar im Allerheiligsten, betrachtet werden. In Röm 3 – 5, wo es sich um Gericht, Zorn und Rechtfertigung handelt, finden wir das Nämliche. Es ist die Grundlage der Segnungen, nicht das Ende derselben, so groß es auch in sich selbst ist – Friede mit Gott und Versöhnung. Hier war es die Grundlage aller Segnungen, die Israel durch den neuen, auf den Tod Christi gegründeten Bund erlangen wird; aber da es verworfen wurde, traten die Glaubenden in bessere und himmlische Segnungen ein. In 2. Mo 32,14+34 finden wir Vergebung in Verbindung mit der göttlichen Regierung, nicht aber rechtfertigende Vergebung. In dem Fall der großen Sünde Davids wurde diese vergeben, als sie von ihm bekannt wurde; die Missetat wurde hinweg getan, aber in Verbindung mit schwerer Züchtigung, weil er den Feinden des HERRN Anlass zur Lästerung gegeben hatte. Gottes Herrlichkeit in Gerechtigkeit musste vor der Welt aufrecht gehalten werden (2. Sam 12,13+14).

Durch die Predigt Johannes des Täufers wurde Israel eine gegenwärtige Vergebung angeboten, die in den letzten Tagen ihre Erfüllung finden wird; und wenn dann ihre lange Verwerfung in einer mit der göttlichen Regierung in Verbindung stehenden Vergebung ihr Ende gefunden hat, wird ihnen (wenigstens dem Überrest) durch den Tod und das Blutvergießen Christi auch Vergebung und Rechtfertigung zuteil werden, damit sie sich der Verheißungen unter dem neuen Bund erfreuen können (vgl. Apg 3).

Die Propheten hatten allerdings die Vergebung angekündigt, wenn das Volk zu dem HERRN umkehren würde; allein jetzt war diese Vergebung der gegenwärtige Zweck der Predigt. Um teil daran zu haben, kommt das Volk in Masse zu Johannes. Ihr Gewissen war wenigstens beunruhigt; der Zustand Israels, wie groß auch der Stolz der Obersten sein mochte, wurde von dem Volk gefühlt, sobald etwas außerhalb der religiösen Gewohnheiten auf Herz und Gewissen wirkte, das will sagen, wenn Gott sprach. Sie bekennen ihre Sünden (V. 4. 5). Vielleicht war bei einzelnen nur das natürliche Gewissen aufgewacht, d. h. nicht ein wirklich lebendig machendes Werk vorhanden; aber jedenfalls war das Gewissen durch das Zeugnis Gottes in Tätigkeit gesetzt.

Indessen verkündigt Johannes (V. 6–8), der sich streng von dem Volk getrennt hielt und außerhalb der menschlichen Gesellschaft lebte, einen Anderen, Mächtigeren als er selbst, dessen Schuhriemen aufzulösen er nicht würdig war. Dieser sollte nicht nur Buße predigen, der man sich durch das Kommen zur Wassertaufe unterwarf; Er sollte den Heiligen Geist, die Kraft, denen verleihen, die sein Zeugnis annahmen.

Ohne längeren Aufenthalt geht unser Evangelist zu dem Dienst Dessen über, den Johannes auf diese Weise ankündigte. Er teilt nur in aller Kürze das mit, was Ihn in diesen Dienst einführte. Jesus nimmt seinen Platz inmitten der Bußfertigen seines Volkes ein, und indem Er sich der Taufe des Johannes unterzieht, sieht Er, wie die Himmel sich über Ihm öffnen und wie der Geist wie eine Taube auf Ihn hernieder fährt. Der Vater erkennt Ihn an als seinen Sohn auf der Erde, an dem Er Wohlgefallen gefunden hat. Und sogleich wird Jesus durch den Heiligen Geist in die Wüste geführt, wo Er vierzig Tage lang den Versuchungen Satans ausgesetzt ist. Er ist bei den wilden Tieren, und Engel üben ihren Dienst an Ihm aus (V. 12+13). In diesen zwei oder drei Versen sehen wir die ganze Stellung des Herrn, den Charakter, den Er auf Erden annimmt, sowie alle seine Beziehungen zu seiner Umgebung zusammengefasst. In Matthäus ist von den Einzelheiten dieser Stellung die Rede gewesen.

Danach verschwindet Johannes von dem Schauplatz, um dem öffentlichen Dienst Christi Platz zu machen, dessen Herold er nur war. Christus selbst erscheint auf der Stätte des Zeugnisses, indem Er erklärt, dass die Zeit erfüllt sei, dass es sich jetzt weder um Prophezeiungen, noch um zukünftige Tage handle, sondern dass Gott im Begriff stehe, Sein Reich aufzurichten, und dass sie Buße tun und die ihnen in jenem Augenblick verkündigte gute Botschaft annehmen sollten.

Nachdem unser Evangelist den Herrn so als Den eingeführt hat, der den öffentlichen Dienst übernimmt, der die Menschen zur Annahme der guten Botschaft, als einer gegenwärtigen Sache, aufforderte, berührt er nur flüchtig 1 die einzelnen Teile des Dienstes Jesu. Da die Zeit der Erfüllung der Wege Gottes gekommen ist, zeigt er uns Jesus als Den, der andere beruft, damit sie, Ihm folgend, dasselbe Werk in seinem Namen vollbringen. Sein Wort verfehlt seine Wirkung nicht; die von Ihm Berufenen verlassen alles und folgen Ihm nach 2. Am Sabbat geht Er in die Stadt, um zu lehren (V. 21+22). Sein Wort besteht nicht in Beweisführungen, in denen sich die menschliche Ungewissheit verrät. sondern Er tritt auf mit der Autorität jemandes, der die Wahrheit kennt, die er verkündigt – mit einer Autorität, die tatsächlich diejenige Gottes war, der allein die Wahrheit mitteilen kann. Er redet auch wie jemand, der mit dieser Autorität bekleidet ist; und Er lieferte die Beweise, dass Er es ist. Das Wort, das in dieser Weise an die Menschen herantritt, hat Gewalt über die Dämonen. Ein von einem Dämon besessener Mensch war anwesend, und der böse Geist legte wider seinen Willen von Dem Zeugnis ab, der da redete, und Dessen Gegenwart er nicht zu ertragen vermochte. Allein das Wort, das ihn erregt hatte, besaß auch die Gewalt, ihn auszutreiben. Jesus bedroht ihn und gebietet ihm zu schweigen und aus dem Menschen auszufahren; und nachdem der böse Geist sein wirkliches Vorhandensein und seine Bosheit kundgegeben hat, unterwirft er sich und fährt von dem Menschen aus. So groß war die Macht des Wortes Christi.

Es ist nicht befremdend, dass das Gerücht von diesem Wunder sich über das ganze Land hin verbreitete (V. 28): doch der Herr verfolgt den Pfad seines Dienstes, wo irgend sich Ihm Gelegenheit zum Wirken darbietet (V. 29 f.). Er tritt in das Haus des Petrus, dessen Schwiegermutter an einem Fieberanfall daniederlag, und heilt sie sogleich: und als der Sabbat zu Ende war, brachten sie alle Kranken zu Ihm, und Er, stets zu dienen bereit, heilt sie alle (V. 32–34). Gnadenreicher Herr! –

Doch nicht um sich mit einer Volksmenge zu umgeben, wirkte der Herr; am Morgen, lange vor Tagesanbruch, begibt Er sich in die Wüste, um zu beten. Das war der Charakter seines Dienstes; er wurde in Gemeinschaft mit seinem Gott und Vater und in der Abhängigkeit von Ihm vollbracht. Er geht allein an einen einsamen Ort; dort finden Ihn die Jünger und verkünden Ihm, dass alle Ihn suchen. Doch das Herz Jesu ist bei seinem Werk; der allgemeine Wunsch führt Ihn nicht zurück. Er verfolgt seinen Weg, um das Werk zu erfüllen, das Ihm zu tun gegeben war: die Wahrheit inmitten des Volkes zu verkündigen; denn das war der Dienst, dem Er sich widmete (V. 38).

So hingebend der Herr aber auch diesen Dienst vollbringen mochte, war sein Herz doch nicht für alles andere verschlossen; Er war immer in Person bei Gott. Ein armer Aussätziger kommt zu Ihm und erkennt seine Macht an, aber er ist ungewiss betreffs seines Willens, hinsichtlich der Liebe, die diese Macht handhabte. Der Aussatz, diese schreckliche Krankheit, schloss nicht nur den mit ihr Behafteten von allen aus, sondern verunreinigte auch jeden, der ihn nur anrührte (3. Mo 13 – 14; 5,3). Nichts aber hemmt Jesus in dem Dienst, zu dem seine Liebe Ihn ruft. Der Aussätzige war ein unglücklicher, aus der Gesellschaft seiner Mitmenschen ausgestoßener und von dem Haus des HERRN ausgeschlossener Mensch; doch in der Person Jesu war die Macht Gottes gegenwärtig. Der arme Mann sollte betreffs der Bereitwilligkeit, auf die sein zerschlagenes Herz nicht zu rechnen wagte, beruhigt werden. Wer würde sich um einen solch Elenden, wie er war, bekümmern? Hinsichtlich der Macht, die in Christus war, hatte er wohl Glauben, aber seine Gedanken über sich selbst verbargen ihm den Umfang der Liebe, die ihm begegnete.

Jesus streckt seine Hand aus und rührt ihn an. Der Niedrigstgesinnte unter den Menschen naht sich der Sünde und dem offenbaren Merkmal dessen und vertreibt dieses. Der Mensch, der so in der Macht seiner Liebe den Aussätzigen anrührte, ohne selbst verunreinigt zu werden, war der Gott, der allein den Aussatz vertreiben konnte, der jeden davon Befallenen zu einem Unglücklichen und Ausgestoßenen machte.

Der Herr redete mit einer Machtvollkommenheit, die sowohl seine Liebe als auch seine Gottheit enthüllt: „Ich will, sei gereinigt!“ (V. 41). „Ich will“ – sieh hier, mein Leser, die von dem Aussätzigen bezweifelte Liebe und die Autorität Gottes, der allein das Recht hat zu sagen: „Ich will!“ Die Wirkung folgt unmittelbar dem Ausdruck seines Willens. So ist es stets, wenn Gott redet. Und wer anders als der HERR allein konnte den Aussatz heilen? War Er Derjenige, der tief genug herabgestiegen war, um dieses befleckte Wesen zu berühren, das jeden anderen, der mit ihm in Verbindung getreten wäre, verunreinigt hätte? Ja, Er war der Einzige; aber es war Gott, der herabgestiegen war, die Liebe, die sich so tief herab ließ und die sich, indem sie dies tat, mächtig erwies für jeden, der auf sie vertraute. Es war die unbefleckliche Reinheit in Macht, die dem Verachtetsten in Liebe dienen konnte, ja, die ihre Freude daran fand. Er kam zu befleckten Menschen, nicht um durch die Berührung mit ihnen verunreinigt zu werden, sondern um die Befleckung zu beseitigen. Er rührte den Aussätzigen in Gnade an, und der Aussatz war verschwunden.

Jesus entzieht sich den Beifallsbezeugungen der Menschen und fordert den Geheilten auf, sich, dem Gesetz Moses gemäß, dem Priester zu zeigen; allein diese Unterwerfung unter das Gesetz war tatsächlich ein Zeugnis davon, dass Erder HERR war, denn unter dem Gesetz heilte der HERR allein in seiner unumschränkten Macht den Aussätzigen. Der Priester war nur der Zeuge davon, dass es geschehen war.

Fußnoten

  • 1 Diese Kürze kennzeichnet Markus, wie auch das Wörtchen „sogleich“.
  • 2 Es ist die Tatsache selbst, die hier, wie auch in Matthäus, erwähnt wird. Der Bericht des Evangelisten Lukas wird Gelegenheit geben, mehr auf die Einzelheiten der Berufung der Jünger einzugehen. Von den Tagen Johannes' des Täufers an waren sie mehr oder weniger mit dem Herrn in Verbindung gewesen - wenigstens die hier Genannten.
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