Betrachtung über Markus (Synopsis)

Kapitel 7

Betrachtung über Markus (Synopsis)

Wie wir gesehen haben, hatte die regierende Macht unter den Juden sich dem Zeugniss Gottes feindlich gezeigt und den getötet, den Gott im Weg der Gerechtigkeit gesandt hatte. Die Schriftgelehrten und die, diee sich rühmten, der Gerechtigkeit nachzufolgen, hatten das Volk durch ihre Belehrung verderbt und das Gesetz Gottes übertreten. Sie wuschen die Becher und Krüge, nicht aber ihre Herzen; und wenn nur die Priester (die Religion) einen Vorteil daraus zogen, so setzten sie die Pflichten der Kinder gegen ihre Eltern beiseite (V. 1–13). Gott aber sieht das Herz an; und aus dem Herzen des Menschen geht hervor allerlei Unreinigkeit, Ungerechtigkeit und Gewalttätigkeit (V. 14–23). Das ist es, was den Menschen verunreinigt, nicht aber wenn er seine Hände nicht wäscht. Hier haben wir das Urteil über eine Religiosität ohne Gewissen und ohne Gottesfurcht sowie die wahre Beurteilung dessen, was das Herz des Menschen in den Augen Gottes ist, „der zu rein ist von Augen, um Böses zu sehen“ (Hab 1,13).

Gott muss aber auch sein eigenes Herz zeigen; und wenn Jesus das Herz des Menschen mit dem Auge Gottes beurteilte, wenn Er seine Wege und seine Treue gegen Israel offenbarte, so ließ Er dennoch durch dies alles ans Licht treten, was Gott für die war, die fühlten, dass sie ihn brauchten, und die im Glauben zu Ihm kamen, indem sie sich seine reine Güte zueigneten und darin ruhten. Aus den Gegenden von Tyrus und Sidon naht sich eine Frau aus dem verfluchten Geschlecht, eine Heidin und eine Syro-Phönizierin. Auf ihre Bitte, dass Er ihre Tochter heilen möchte (V. 24–30), erwidert der Herr, dass zuerst die Kinder (die Juden) befriedigt werden müssten, und dass es nicht recht sei, das Brot der Kinder zu nehmen und den Hunden hinzuwerfen – eine niederschmetternde Antwort, wenn bei der Frau nicht das Gefühl ihrer Not und der Güte Gottes jeden anderen Gedanken überwogen und verdrängt hatte. Diese beiden Dinge machten sie von Herzen demütig und bereit, die unumschränkte Gunst Gottes gegen das Volk seiner Wahl in dieser Welt anzuerkennen. Hatte nicht Gott ein Recht, sich ein Volk zu erwählen? Und sie gehörte diesem Volk nicht an. Indes hob dies seine Güte und Liebe nicht auf. Sie war nur ein heidnisches Hündchen; aber die Güte Gottes war so groß, dass Er sogar für Hunde Brot hatte. Christus, der vollkommene Ausdruck Gottes, Gott offenbart im Fleisch, konnte seine Güte und Gnade nicht verleugnen oder sogar sagen, dass der Glaube höhere Gedanken von Gott besitze, als was Er wirklich sei; denn Er selbst war diese Liebe. Die Unumschränktheit Gottes wurde von der Frau anerkannt und kein Anspruch auf irgendwelches Recht gemacht. Die arme Frau stützte sich nur auf die Gnade. Ihr Glaube ergriff mit einem von Gott geschenkten Verständnis die Gnade, die über die Verheißungen Israels hinausging. Sie drang ein in das Herz des Gottes der Liebe, wie Er uns in Jesus offenbart ist, gerade so wie Er in das unsrige eindringt, und sie genoss die Früchte davon. Denn das war es, was jetzt in die Erscheinung trat: Gott selbst unmittelbar in der Gegenwart des Menschen und in Verbindung mit ihm, und der Mensch, so wie er war, vor Gott. Es wurde dem Menschen keine Richtschnur mehr gegeben, kein System für ihn aufgerichtet, um sich selbst für Gott passend zu machen.

In dem folgenden Wunder (V. 31–37) sehen wir, wie der Herr durch dieselbe Gnade einem Menschen, der taub und unfähig war, seine Gedanken auszudrücken, Gehör und Sprache wiedergibt. Er konnte keinen Segen von dem verkündigten Wort, von Gott, empfangen und konnte Ihn nicht preisen. Der Herr ist in die Gegend zurückgekehrt, wo Er als das Licht Israels erschienen war; und hier beschäftigt Er sich nur mit dem Überrest: Er nimmt den Tauben von der Menge hinweg. Es ist dieselbe Gnade, die an die Stelle aller Ansprüche auf Gerechtigkeit im Menschen tritt und sich an Hilflosen erweist. Ihre Form, obschon hier zu Gunsten des Überrestes von Israel ausgeübt, ist auf den Zustand der Juden sowohl als auch der Heiden anwendbar: es ist Gnade. Doch für beide gilt dasselbe: Er nimmt den Mann von der Menge hinweg, damit das Werk Gottes gewirkt werde; die Masse der Menschen dieser Welt hatte keinen wirklichen Anteil daran. Das Herz Jesu ist über den Zustand des Menschen bewegt, und mehr noch über den seines stets geliebten Israel, von dem dieser arme Taubstumme ein treffendes Bild war. Jesus macht die Tauben hörend und die Stummen redend. Dies geschah hier mit einer einzelnen Person und wird in den letzten Tagen mit dem ganzen Überrest geschehen. Der Herr ist es, der da wirkt und „alles wohl macht“. Die Macht des Feindes ist zerstört. Die Taubheit des Menschen und die Unfähigkeit, seine Zunge zu dem zu gebrauchen, wozu Gott sie ihm gegeben hatte, sind weggenommen durch die Liebe Dessen, der da wirkt mit der Macht Gottes.

Im vorigen Kapitel bezeugte das Wunder der Speisung die Gegenwart des Gottes Israels gemäß seinen Verheißungen; die Heilung des Taubstummen hingegen zeugt von der Gnade, die die Grenzen dieser Verheißungen überschritt, und zwar von Seiten des Gottes, der den Zustand derer richtete, die sich anmaßten, auf dem Boden der Gerechtigkeit (der Gerechtigkeit eines Menschen, der in sich selbst böse war) ein Recht auf die Verheißungen zu haben – eines Gottes, der den Menschen befreite und in Liebe segnete, indem Er ihn der Macht Satans entzog und ihn befähigte, die Stimme Gottes zu vernehmen und Ihn zu preisen.

Es gibt noch einige bemerkenswerte Züge in diesem Teil der Geschichte des Herrn, auf die ich noch etwas näher eingehen möchte. Sie offenbaren den Geist, in dem Jesus zu jener Zeit wirkte. Er zieht sich von den Juden zurück, nachdem Er die Leere und Heuchelei ihres Gottesdienstes sowie die Bosheit jedes menschlichen Herzens, als einer Quelle von Verderbtheit und Sünde, ans Licht gestellt hat.

In diesem feierlichen Augenblick, der die Verwerfung Israels darlegte, entfernt sich der Herr weit von dem Volk und zieht sich an einen Ort zurück, wo sich zum Dienst unter Israel keine Gelegenheit darbot. Er begibt sich in das Gebiet der fremden und kanaanitischen Städte Tyrus und Sidon, und sein bedrücktes Herz will nicht, dass jemand wisse, wo Er sei (V. 24). Allein Gott hatte sich zu augenscheinlich in seiner Güte und Macht offenbart, als dass Jesus da, wo irgend Bedürfnisse vorhanden waren, hätte verborgen bleiben können. Das Gerücht von dem, was Er war, hatte sich überallhin verbreitet; und das scharfe Auge des Glaubens entdeckte in Ihm dasjenige, was allein seinen Bedürfnissen begegnen konnte. Während alle die, die äußerlich ein Recht auf die Verheißungen hatten, durch diesen Anspruch selbst und durch ihre Vorrechte getäuscht wurden, findet der Glaube Jesus – der Glaube, der sein Bedürfnis (und zwar nur dieses) kennt, und der da weiß, dass Jesus allein es befriedigen kann. Das, was Gott für den Glauben ist, wird dem, der dessen bedarf, offenbart, und zwar nach der Gnade und der Macht, die in Jesus sind. Den Juden verborgen, ist Er Gnade für den Sünder. Dies sehen wir auch, wenn Er den Tauben von seiner Taubheit und schweren Sprache heilt. Er führt ihn von der Menge hinweg, blickt zum Himmel und seufzt. Niedergedrückt in seinem Herzen durch den Unglauben des Volkes nimmt Er den Gegenstand der Ausübung seiner Macht beiseite, schaut hinauf zu der unumschränkten Quelle aller Güte, aller Hilfe für den Menschen, und ist tief betrübt bei dem Gedanken an den Zustand, in dem der Mensch gefunden wird.

Die Heilung des Taubstummen zeigt uns daher insbesondere den Überrest der Juden nach Wahl der Gnade. Er ist durch die göttliche Gnade von der Masse der Nation getrennt, indem in den wenigen der Glaube wirksam ist. Das Herz Christi ist weit davon entfernt, sein irdisches Volk zu verstoßen. Seine Seele ist niedergebeugt durch das Gefühl des Unglaubens, der Israel von Ihm und von der Befreiung trennt, und dennoch öffnet Er das taube Herz einzelner und löst ihre Zunge, damit der Gott Israels verherrlicht werde. Dasselbe finden wir bei dem Tod des Lazarus, wo Christus tief betrübt ist über den Kummer, den der Tod über das Herz des Menschen bringt. Dort handelte es sich jedoch um ein öffentliches Zeugnis.

Die in Mk 8,23 mitgeteilte Heilung des Blinden von Bethsaida wird uns ein weiteres Beispiel von dem soeben Bemerkten liefern. Jesus führt hier den Blinden zur Stadt hinaus. Er verlässt Israel nicht, wo irgend sich Glaube findet; aber Er trennt den Glaubenden von der Menge des Volkes und bringt ihn in Verbindung mit der Macht, der Gnade und dem Himmel, von wo die Segnung herabfloss – eine Segnung, die sich demzufolge auch auf die Heiden ausdehnte.

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