Betrachtung über Matthäus (Synopsis)

Kapitel 8

Betrachtung über Matthäus (Synopsis)

Jetzt beginnt der Herr in der Mitte Israels sein geduldiges Leben des Zeugnisses, das mit seiner Verwerfung durch das Volk, das Gott so lange für Ihn und für dessen eigene Segnung aufbewahrt hatte, endigte. Er hatte das Reich angekündigt, hatte im ganzen Lande seine Macht ans Licht gestellt und seinen Charakter sowie die Gesinnung derer gezeigt die in das Reich eingehen sollten.

Sowohl die Wunder 1 Jesu, als auch dieses ganze Evangelium werden stets durch seine Stellung unter den Juden sowie durch die Handlungen Gottes mit ihnen bis zu seiner Verwerfung gekennzeichnet. Er ist der HERR, jedoch der dem Gesetz gehorsame Mensch, der den Eintritt der Heiden in das Reich (und dessen Errichtung als ein Geheimnis in der Welt) im voraus ankündigt, der die Erbauung der Kirche oder der Versammlung auf die Anerkennung hin, dass Er der Sohn des lebendigen Gottes sei, sowie die Errichtung des Reiches in Herrlichkeit voraussagt, und als Wirkung seiner Gegenwart die Verderbtheit des Volkes ans Licht stellt, wiewohl Er mit vollkommener Geduld die Last Israels auf seinem Herzen trägt 2. Er ist der HERR, in Güte gegenwärtig, äußerlich einer von ihnen – wunderbare Wahrheit!

Zunächst finden wir die Heilung eines Aussätzigen. der HERRallein konnte in seiner unumschränkten Güte den Aussätzigen heilen. Hier tut es Jesus. „Wenn du willst“, sagt der Aussätzige, „kannst du.“ – „Ich will“, antwortet der Herr; und während Er in seiner Person das offenbart, was alle Möglichkeit der Verunreinigung ausschließt, das, was über die Sünde erhaben ist, legt Er zugleich die vollkommenste Herablassung gegen den Verunreinigten an den Tag. Er rührt den Aussätzigen an und sagt: „Ich will, sei gereinigt!“ (V. 3). Wir sehen also, wie in der Person Jesu die Gnade, Macht und unbefleckbare Heiligkeit des HERRN in die unmittelbarste Nähe des Sünders herabsteigen und ihn gleichsam anrühren. Es war wirklich „der HERR, der dich heilt“ 3 (2. Mo 15,26). Zugleich verbirgt sich Jesus und gebietet dem soeben Geheilten, nach der Anordnung des Gesetzes zu dem Priester zu gehen und seine Gabe zu opfern. Er geht über den Platz eines dem Gesetz unterworfenen Juden nicht hinaus; aber der HERR war in Güte gegenwärtig.

In den nächsten Versen erblicken wir einen Heiden, der durch den Glauben die volle Wirkung jener Macht genießt, die sein Glaube Jesu zuschreibt, indem er so dem Herrn Gelegenheit gibt, die ernste Wahrheit ans Licht treten zu lassen, dass viele dieser armen Heiden ins Reich der Himmel eingehen und zu Tische liegen würden mit den Vätern, die von der jüdischen Nation als die Stammväter der Erben der Verheißung geehrt wurden, während sich die Kinder des Reiches in der äußersten Finsternis befinden würden. In der Tat erkannte der Glaube dieses Hauptmanns eine göttliche Macht in Jesu an – eine Macht, die durch die Herrlichkeit Dessen, der sie besaß, Israel zwar nicht verlassen, aber den Heiden die Tür öffnen und in den Ölbaum der Verheißung Zweige des wilden Ölbaumes einpfropfen würde an Stelle derjenigen, welche ausgeschnitten werden sollten. Die Art und Weise, in welcher diese Dinge in der Kirche ihre Erfüllung finden sollten, kam noch nicht in Frage. Noch verlässt Jesus Israel nicht. Er geht in das Haus des Petrus und heilt dessen Schwiegermutter sowie alle Kranken, die sich am Abend, als der Sabbat zu Ende war, um das Haus drängten. Sie werden geheilt, die Dämonen werden ausgetrieben, so dass sich die Weissagung von Jesajas erfüllte: „Fürwahr, er hat unsere Leiden getragen, und unsere Schmerzen hat er auf sich geladen“ (Jes 53,4). Jesus stellt sich von ganzem Herzen unter die Last all des Elends, das Israel niederdrückte, um es zu lindern und sie zu heilen. Es ist noch Emmanuel, der ihr Elend fühlt und in all ihrer Bedrängnis bedrängt ist (Jes 63,9), der aber mit der Macht gekommen ist, die Ihn zu ihrer Befreiung fähig erweist.

Die drei soeben besprochenen Heilungen zeigen in klarer und treffender Weise diesen Charakter des Dienstes Jesu. Er verbirgt sich, denn bis zu dem Augenblick, da Er den Heiden das Gericht ankündigen wird, erhebt Er seine Stimme nicht auf den Straßen: die Taube ruht auf Ihm. Diese Offenbarungen der Macht ziehen die Menschen zu Ihm hin; aber Er lässt sich dadurch nicht beirren; nie entfernt Er sich in seinem Geist von dem Platz, den Er eingenommen hat. Er ist der von den Menschen Verachtete und Verworfene; Er hat nicht, wo Er sein Haupt hinlege. Die Erde hatte mehr Raum für die Füchse und die Vögel als für Den, welchen wir vor wenigen Augenblicken als den HERRN erscheinen sahen, und Der wenigstens von denen anerkannt wurde, deren Bedürfnisse zu befriedigen Er sich niemals weigerte. Darum, wenn irgendein Mensch Ihm nachfolgen wollte, musste er alles verlassen, um den Herrn zu begleiten. Der nicht auf die Erde gekommen wäre, wenn nicht alles in Frage gestanden hätte, und Der nicht gekommen wäre, ohne ein unbedingtes Recht dazu zu haben, obschon dies zugleich in einer Liebe geschah, die nur mit ihrer Mission und mit der Not, die Ihn auf diese Erde brachte, beschäftigt sein konnte.

Der HERR auf Erden war alles oder nichts. Freilich musste dies innerlich in seinen Wirkungen gefühlt werden durch die Gnade, die, mittelst des Glaubens wirkend, den Gläubigen durch ein unauflösliches Band an Ihn knüpfte. Ohne das würde das Herz nicht auf die Probe gestellt worden sein; aber nichtsdestoweniger war es Tatsache, dass Er sogar persönlich unter ihnen war. Die Beweise davon mangelten nicht. Der Wind und die Meereswogen, denen der Herr nach menschlichen Begriffen ausgesetzt zu sein schien, gehorchten augenblicklich seiner Stimme – ein schlagender Tadel für den Unglauben, der Ihn aus dem Schlaf aufweckte und der es für möglich hielt, dass Er von den Wellen verschlungen werden könnte, und mit Ihm die Ratschlüsse und die Macht Dessen, der Wind und Wellen erschaffen hat. Augenscheinlich wurde dieser Sturm zugelassen, um den Glauben der Jünger auf die Probe zu stellen und die Würde der Person des Herrn hervortreten zu lassen. War der Feind das Werkzeug, um den Sturm hervorzubringen, so hatte sein Tun doch keinen anderen Erfolg, als dass der Herr seine Herrlichkeit offenbarte. Das ist allerdings immer der Fall im Blick auf Christus, und auch auf uns, wenn Glaube vorhanden ist.

Die Wirklichkeit dieser Macht nun und die Art, in der sie sich kundgab, gehen in auffallender Weise aus dem Folgenden hervor (V. 28 u. f.)

Der Herr steigt in der Gegend der Gergesener ans Land. Dort zeigt sich die Macht des Feindes mit allen ihren Schrecken. Wenn der Mensch, zu dem HERRN in Gnade gekommen war, Ihn nicht kannte, so kannten doch die Dämonen ihren Richter in der Person des Sohnes Gottes. Der Mensch war von ihnen besessen. Die Furcht derselben vor den Qualen des Gerichts am letzten Tag verbindet sich in den Gedanken des Besessenen mit der unmittelbaren Gegenwart des Herrn: „Bist du hierher gekommen, vor der Zeit uns zu quälen?“ Die bösen Geister wirken durch die Schrecken ihrer Macht auf den Menschen. Sie sind ohnmächtig, wenn man sie nicht fürchtet; aber nur der Glaube kann diese Furcht von dem Menschen wegnehmen. Ich rede jetzt nicht von den Lüsten, auf welche die bösen Geister wirken, noch von der List des Feindes, sondern von seiner Macht. „Widersteht dem Teufel, und er wird von euch fliehen.“ Hier begehren die Dämonen die Wirklichkeit dieser Macht zu offenbaren, und der Herr lässt es ihnen zu, um so kundwerden zu lassen, dass es sich in dieser Welt nicht bloß um den Menschen handelt, er sei gut oder böse, sondern auch um das, was stärker ist als der Mensch. Die Dämonen fahren in die Schweine, und diese kommen in dem Gewässer um – eine traurige Tatsache, die klar bewies, dass es sich weder um bloße Krankheit, noch um sündliche Lüste handelte, sondern um böse Geister; aber auch, Gott sei dafür gepriesen! um Einen, der, obwohl ein Mensch auf Erden, mächtiger war als sie. Sie werden gezwungen, diese Macht anzuerkennen, und sie berufen sich auf dieselbe. Da ist kein Gedanke an Widerstand. In der Versuchung in der Wüste war Satan überwunden worden. Jesus befreit gänzlich den Menschen, den sie mit ihrer bösen Macht überwältigt hatten. Vor Ihm war die Macht der Dämonen nichts. Er hätte die Welt von der ganzen Macht des Feindes und von allem Elend der Menschheit befreien können, wenn es sich darum allein gehandelt hätte. Der Starke war gebunden und der Herr beraubte ihn seiner Habe. Aber die Gegenwart Gottes, des HERRN, belästigt die Welt noch mehr als die Macht des Feindes den Geist und den Leib entwürdigt und beherrscht. Die friedliche und leider zu wenig beachtete Herrschaft des Feindes über das Herz ist mächtiger als seine Stärke. Diese weicht vor dem Wort Jesu; aber der Wille des Menschen fügt sich in die Welt, so wie sie ist, beherrscht durch den Einfluss Satans. Die Einwohner der Stadt, welche Zeugen der Befreiung des Besessenen und der in ihrer Mitte anwesenden Macht Jesu gewesen waren, bitten Ihn, Sich zu entfernen. Traurige Geschichte der Welt! Der Herr ist mit Macht hernieder gekommen, um die Welt, den Menschen, von der ganzen Gewalt des Feindes zu befreien; aber die Welt hat nicht gewollt. Der Mensch war nicht nur ein Sklave der Macht des Feindes, sondern auch innerlich von Gott entfernt. Er unterwarf sich dem Joch des Feindes; er hatte sich daran gewöhnt und wollte nicht die Gegenwart Gottes.

Ich zweifle nicht daran, dass das, was mit den Schweinen geschah, ein Bild von dem ist, was den gottlosen und gotteslästerlichen Juden widerfahren ist, die den Herrn Jesum verwarfen. Nichts könnte eindrucksvoller sein als die Art und Weise, wie eine göttliche Person, Emmanuel, obwohl ein Mensch in Gnade, in unserem Kapitel dargestellt ist.

Fußnoten

  • 1 Die Wunder Christi hatten einen besonderen Charakter. Sie waren nicht einfach Betätigungen der Macht, sondern sämtlich Handlungen der Macht Gottes, der in Güte diese Welt besuchte. Die Macht Gottes hatte sich oft auf besondere Weise gezeigt, von Moses an, aber häufig im Gericht. Die Wunder Christi dagegen dienten alle der Befreiung der Menschen von den bösen Folgen der Sünde. Es gab indes eine Ausnahme, nämlich die Verfluchung des Feigenbaums: doch diese war eine richterliche Verurteilung Israels oder des Menschen unter dem Alten Bund, als sich zwar viel äußerer Schein, aber keine Frucht vorfand.
  • 2 Ich möchte hier noch einige Bemerkungen hinzufügen, die wie ich denke, weiteres Licht auf den Zusammenhang dieses Evangeliums werfen. Die Kapitel 5-7 geben den Charakter an, der zum Eintritt in das Reich erforderlich ist und der den angenommenen Überrest kennzeichnen sollte, da der HERR mit der Nation auf dem Weg zum Richter war. In Kap. 8 u. 9 haben wir die andere Seite: Gnade und Güte treten hervor, Gott ist offenbart, Sein Charakter und seine Handlungen - jener neue Wein, der nicht in die alten Schläuche getan werden durfte, doch es ist Güte, offenbart in Macht, aber sie wird verworfen, der Sohn des Menschen (nicht der Messias), der nicht hatte, wohin Er sein Haupt legen konnte. Kap. 8 zeigt eine gegenwärtige Dazwischenkunft durch zeitliche Güte, verbunden mit Macht. Sie geht als Güte über Israel hinaus, indem sie in Gnade handelt mit dem, was von dem Lager Gottes ausgeschlossen war; sie zeigt eine Macht, die über aller Gewalt Satans, über jeder Krankheit und über den Elementen steht, und zwar indem Jesus die Last auf sich nimmt, obwohl Er sich Seiner Verwerfung bewusst ist. Kap. 8,17-20 erinnert uns an Jes 53,3+4. Der Zustand der Dinge fordert die entschiedene Nachfolge des Herrn, indem man alles verlässt. Dies führt zu dem traurigen Zeugnis, dass, wenn die göttliche Macht diejenige Satans austreibt, die also sich offenbarende göttliche Gegenwart der Welt unerträglich ist. Die Schweine stellen daraufhin Israel dar. Mt 9 zeigt die religiöse Seite seiner Gegenwart, in Gnade und Vergebung, sowie das Zeugnis, dass der HERR gegenwärtig war nach Ps 103, aber gegenwärtig, um Sünder zu rufen und nicht Gerechte; und das war es in Sonderheit, was für die alten Schläuche nicht passte. Endlich beschließt dieses Kapitel (die Langmut der Güte ausgenommen) in praktischem Sinn die Geschichte Israels. Der Herr kam, um das Leben Israels zu retten. Es war wirklich tot, als Er kam; doch wo inmitten der Ihn umgebenden Menge Glauben war, da war auch Heilung. Bei den Pharisäern zeigen sich die Lästerungen der Leiter des Volkes; doch die Geduld der Gnade bestand noch, und sie wird in Mt 10 gegen Israel ausgeübt; aber alles erwies sich als nutzlos (Mt 11). Der Sohn offenbarte den Vater, und dies bleibt und gibt Ruhe. Mt 12 enthüllt völlig das Gericht und die Verwerfung Israels. Mt 13 führt Christus als Sämann ein, indem Er nicht länger Frucht sucht an seinem Weinstock, und zeigt zugleich die jetzige Form des Reiches der Himmel.
  • 3 Wer einen Aussätzigen anrührte, wurde selbst unrein; aber der Hochgelobte naht dem Menschen, nimmt seine Uneinigkeit hinweg, ohne selbst davon befleckt zu werden. Der Aussätzige kannte die Macht Jesu, aber er war nicht seiner Güte gewiss. Die Worte: „Ich will!“ offenbarten dieselbe; aber der Herr sprach sie mit einem Recht, mit dem nur Gott sagen kann: „Ich will.“
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