Betrachtung über Offenbarung (Synopsis)

Kapitel 6

Betrachtung über Offenbarung (Synopsis)

Die Ereignisse, die jetzt auf Erden eintreten sollen, nehmen mit dem Öffnen der Siegel ihren Lauf. Johannes, der sich inmitten des Verfalls der Versammlung befindet, führt uns in prophetischer Weise alles das vor Augen, was von dem Versagen der Versammlung an bis zu dem in Kapitel 19 geschilderten Kommen Christi stattfinden soll. Er erwähnt weder die Himmelfahrt noch die Entrückung, ausgenommen insoweit beide Ereignisse in Kapitel 12 zusammen geschaut werden.

Die Bedeutung der ersten Siegel ist einfach; ich habe auch in Bezug auf dieselben nichts zu bemerken, was besonders neu wäre. Zunächst haben wir Eroberungen eines mächtigen Herrschers, dann folgen Kriege, dann Hunger und endlich die Pest, welche die vier bösen Gerichte Gottes, wie Hesekiel sie nennt, im Gefolge hat, nämlich: Schwert, Hunger, Pest und die wilden Tiere der Erde. Diese Siegel stellen dar, in welcher Weise Gott zunächst in Seiner Vorsehung handeln wird; daher machen auch die vier lebendigen Wesen auf sie aufmerksam. Doch ist die Stimme Gottes, die Stimme des Allmächtigen, in ihnen; das wird von dem Ohre eines jeden, der den Geist hat, vernommen. So werden denn die Plagen, die Gott in Seiner Vorsehung schickt und welche die Schrift als solche bezeichnet, vollständig dargestellt. Nach diesen Plagen, die man als vorbereitende Maßregeln bezeichnen kann, folgen unmittelbare Gerichte. - Ich muss noch erwähnen, dass in Vers 8, wo die Plagen in ihrer Vollständigkeit erscheinen, nicht die ganze römische Erde von ihnen getroffen wird. Es ist nur der vierte, nicht der dritte Teil der Erde. Auch ist zu beachten, dass die Wirkung der Plagen nicht allgemein, sondern begrenzt ist.

Es sind die Heiligen, an welche Gott eigentlich denkt, und sie kommen nun in Erinnerung, ehe andere Ereignisse vorgeführt werden. Die, welche um des Wortes Gottes und um ihres Zeugnisses willen den Märtyrertod erlitten hatten, fragen, wie lang es noch dauern werde, bis sie gerächt werden würden; denn wir haben es hier stets mit einem Gott des Gerichts zu tun. dass sie unter dem Altar sind, bedeutet einfach, dass sie ihre Leiber als Opfer für die Wahrheit Gott hingegeben hatten. Die weißen Kleider sind das Zeugnis ihrer Gerechtigkeit, die deutliche Anerkennung, die Gott ihnen zuteil werden lässt; doch war die Zeit, dass sie gerächt werden sollten, noch nicht gekommen. Ich glaube nicht, dass das Geben von weißen Gewändern auf Auferstehung hindeutet. Die erste Auferstehung beruht auf unumschränkter Gnade; sie gibt uns denselben Platz mit Christo: „allezeit bei dem Herrn“, und ist eine Folge Seines Werkes sowie davon, dass Er unsere Gerechtigkeit ist, woran wir alle in gleicher Weise teilhaben. Weiße Gewänder, die auf solche Weise verliehen werden, bezeichnen vielmehr die Anerkennung der Gerechtigkeiten 1 der Heiligen; daher finden wir sie im 19. Kapitel, wo der Herr erscheint, wieder. Auch in dem Sendschreiben an Sardes lasen wir im Blick auf die Überwinder: „Sie werden mit mir einhergehen in weißen Kleidern, denn sie sind es wert.“ Ich leugne nicht, dass wir im Blute des Lammes gereinigt, und dass unsere Kleider in ihm weiß gemacht worden sind. Aber selbst im 7. Kapitel, wo dieser Ausdruck vorkommt, glaube ich, dass er sich besonders auf die Art und Weise bezieht, in der die Heiligen durch Glauben mit der leidenden Stellung Christi hienieden verbunden gewesen sind.

Hier werden ihnen weiße Gewänder gegeben; ihr Dienst wird anerkannt, aber was das Rächen ihres Blutes betrifft, so müssen sie noch warten, bis eine neue Verfolgungszeit ihnen Genossen zuführen wird, die ebenso wie sie geehrt und gerächt werden sollen. Dennoch bezeichnet das von ihnen kundgegebene Verlangen einen Fortschritt und wird veranlasst durch das Tun Gottes zur Herbeiführung jenes neuen Zustandes der Dinge, der mit dem Endgericht und der Beseitigung des Bösen enden wird.

Die Gerichte, von denen bisher die Rede war, sind, wie schon bemerkt, Wege der göttlichen Vorsehung. Nachdem aber der Ruf nach Rache ertönt ist, wird als Nächstes das ganze System der auf Erden bestehenden Regierung aufgelöst, und alle Bewohner der Erde werden in Schrecken versetzt. Wie deutlich erkennen wir daraus, dass wir es mit einer Stunde des Gerichts zu tun haben, und dass Gott ein Gott des Gerichts ist! Das Verlangen, dem die Heiligen hier Ausdruck geben, entspricht den Wünschen, denen wir in den Psalmen so oft begegnen. Es sind hier nicht Kinder, die vor dem Vater stehen, es ist nicht die Gnade, nicht das Evangelium oder die Versammlung, sondern Jehova: Gott erweist Sich als ein Gott des Gerichts, von dem die Handlungen gewogen werden. Wir stehen auf alttestamentlichem Boden, d. h. wir haben es hier mit der Weissagung zu tun, nicht mit der Gnade, wie sie Gottlosen zuteil wird, wenngleich die Vollstreckung des Gerichts den Segen herbeiführt.

Das Öffnen des sechsten Siegels hat ein Erdbeben, das heißt eine gewaltsame Erschütterung der ganzen, in der menschlichen Gesellschaft bestehenden Ordnung zur Folge. Von derselben werden alle Mächte, die an der Regierung der Erde beteiligt sind, heimgesucht, und indem nun die Kleinen und die Großen sehen, dass alles umgestürzt wird, sind sie (mit den bösen Gewissen, die sie haben) der Meinung, der Tag des Zornes des Lammes sei gekommen. Das ist indes nicht der Fall, wiewohl Gerichte eingetreten sind, welche die Aufrichtung Seines Reiches vorbereiten sollen.

Fußnoten

  • 1 Es ist sehr wohl möglich, dass die Mehrzahl „Gerechtigkeiten“ nichts anderes als eine hebräische Spracheigentümlichkeit für „Gerechtigkeit“ ist. Diese Ausdrucksweise kommt oft vor, wenn es sich um sittliche Dinge handelt. In jedem Falle kommt hier die Gerechtigkeit in Frage, welche die Heiligen bewiesen haben.
Nächstes Kapitel »« Vorheriges Kapitel