Betrachtung über 1. Korinther (Synopsis)

Kapitel 1

Betrachtung über 1. Korinther (Synopsis)

Paulus war ein Apostel durch Gottes Willen. Darauf gründete sich seine Autorität, mochte es mit anderen stehen, wie es wollte. Außerdem hatte die nämliche Berufung, die die Korinther zu Christen gemacht hatte, ihn zu einem Apostel gemacht. Er redet die korinthischen Gläubigen an als die Versammlung Gottes zu Korinth, indem er einen Charakterzug beifügt, dessen Bedeutung und Anwendung klar ist, wenn wir den Inhalt des Briefes betrachten: er nennt sie „Geheiligte in Christus Jesus“. Ferner wird in der Anrede die allgemeine Anwendung der Lehre und der Unterweisungen des Briefes betont sowie die allgemeine Autorität desselben über alle Christen, wo sich diese auch befinden mögen.

Glücklicherweise konnte der Apostel, wie groß auch sein Schmerz über den Zustand der Korinther sein mochte, seine Zuflucht zu der Gnade Gottes nehmen und so die ganze Fülle der Gnade, die Gott ihnen dargereicht hatte, anerkennen. Indes führte der Umstand, dass er die Korinther so mit Gott in Verbindung brachte, dahin, dass einerseits die Heiligkeit Gottes in ihrer ganzen Macht auf ihre Gewissen einwirkte, während andererseits dem Herzen des Apostels die Ermutigung der vollkommenen Gnade Gottes gegen sie zuteil wurde. Und diese Gnade selbst wurde in den Herzen der Korinther ein mächtiger Hebel für das Wort. Einer solchen Gnade gegenüber mussten sie sich der Sünde schämen. Auch kann es kein bemerkenswerteres Zeugnis für das Rechnen auf die Treue Gottes gegen sein Volk geben, als das, was wir hier finden. Unser Verhältnis zu Gott erfordert Heiligkeit: nur in Heiligkeit kann es genossen werden; aber es beruht auf der Treue Gottes. Der Wandel der Korinther war, wie wir wissen, ein trauriger. Der Apostel übersieht das Böse nach keiner Seite hin; aber dennoch erklärt er, dass Gott treu sei und sie befestigen werde bis ans Ende, damit sie – nicht errettet, sondern untadelig seien an dem Tag unseres Herrn Jesus Christus. Dann erst beginnt er sie zu tadeln! Welch ein wunderbares Zeugnis!

Paulus (der Geist selbst) verband so die Korinther mit Gott; und das, was Gott in dieser Verbindung mit ihnen war, übte seine ganze Kraft auf ihre Herzen und Gewissen aus. Zugleich öffnete der Apostel vermittels dieser Waffe ihr Herz für alles, was er ihnen zu sagen hatte. Man muss sehr nahe beim Herrn sein, um sich mit Christen, die schlecht wandeln, in einer solchen Weise beschäftigen, sie so betrachten zu können. Nicht dass man ihre Sünden schont – der Apostel ist weit davon entfernt, das zu tun; sondern es ist die Gnade, die ihre Gewissen dahin leitet, sich mit ihrer Sünde zu beschäftigen als Personen, die viel zu köstliche Beziehungen zu Gott haben, als dass sie in der Sünde verharren oder sie dulden könnten. Der Brief an die Galater gibt uns ein bemerkenswertes Beispiel von dem Vertrauen, das die Kenntnis der Gnade einflößt (vgl. Gal 4,20  mit Gal 5,10).

Die Korinther waren von Gott durch seine Gaben reich gemacht worden, und sein Zeugnis war dadurch unter ihnen bestätigt worden, so dass sie an keiner Gnadengabe Mangel litten, indem sie auf die Offenbarung des Herrn, die Erfüllung von allem, warteten. Feierlicher Tag! für den Gott, der sie berufen hatte, sie in seiner Treue befestigte, damit sie an diesem Tag untadelig seien, berufen, wie sie waren, zu der Verbindung und Gemeinschaft mit seinem Sohn Jesus Christus. Diese kurze aber köstliche Darstellung der Gnade und Treue Gottes dient dem Apostel als Grundlage (wenn auch der Zustand der Versammlung ihm nicht erlaubte, diesen Gegenstand so zu entwickeln, wie er es im Brief an die Epheser tut) für alle Ermahnungen und Unterweisungen, die er an die Korinther richtet, um ihre wankenden Schritte zu befestigen und zu leiten.

Der Apostel beschäftigt sich zuerst mit der Torheit der Korinther, die sich dahin kundgab, dass sie aus den hervorragendsten christlichen Lehrern und aus Christo selbst Häupter von Schulen machten. Christus war nicht zerteilt. Die Korinther waren nicht auf den Namen Pauli getauft worden; er hatte zwar gelegentlich einige unter ihnen getauft, aber er war gesandt zu predigen, nicht zu taufen 1; seine Sendung gründete sich auf Apg 26,16–18 und Apg 13,2ff, nicht aber auf Matthäus 28,19. Übrigens war diese ganze menschliche Weisheit nichts als Torheit, die von Gott zunichte gemacht wurde. Die Predigt vom Kreuz war die Kraft Gottes, und Gott hatte das Schwache, das Nichtige, das Törichte der Welt auserwählt, um die Weisheit und Kraft der Welt zunichte zu machen, damit das Evangelium sich offenbar als Gottes Kraft erwiese. Die Juden forderten ein Zeichen, die Griechen suchten Weisheit; Gott aber ließ Christus, den Gekreuzigten, predigen, den Juden ein Ärgernis, den Griechen eine Torheit, den Berufenen selbst aber Gottes Kraft. Durch das, was nicht ist, machte Gott das, was ist, zunichte, denn seine Schwachheit ist stärker als die Kraft der Welt, seine Torheit weiser als die Weisheit dieses Zeitlaufs. Kein Fleisch soll sich in seiner Gegenwart rühmen. Gott beschäftigte sich mit dem Gewissen, obwohl in Gnade, gemäß der wahren Stellung des verantwortlichen Menschen, und unterwarf sich nicht dem Urteil und den Schlüssen des menschlichen Geistes, zu denen der Mensch auch gar nicht berechtigt ist, und die ihn aus seiner Stellung herausbringen, als ob er Gott beurteilen könnte. Außerdem war der Christ sogar mehr als der bloße Gegenstand der Unterweisungen Gottes; er war selbst von Gott in Jesus Christus: sein Leben, sein Wesen, seine Stellung als Christ hatte er von Gott, und Christus war für ihn Weisheit von Gott, Gerechtigkeit, Heiligkeit und Erlösung – alles im Gegensatz zu den Anmaßungen des menschlichen Geistes, zu der falschen Gerechtigkeit des Juden unter dem Gesetz, zu den Mitteln und dem Maß der Heiligkeit, die dieses darbot, und endlich zu der menschlichen Schwachheit, deren letzte Spuren Gott bei der Befreiung beseitigen wird, die Er durch seine Kraft in Christus herbeiführt, wenn Er das Werk seiner Gnade vollenden wird. So sind wir von Gott, und Christus ist von Seiten Gottes alles für uns, damit, wer sich rühmt, sich des Herrn rühme – ein kurzes, aber kräftiges Zeugnis von dem, was das Christentum in seinen Grundlagen ist.

Fußnoten

  • 1 Diese Bemerkung ist umso beachtenswerter, als er betreffs des Abendmahls des Herrn eine besondere Offenbarung empfangen hatte. Doch diese letzte Verordnung hat Bezug auf die Einheit des Leibes, die in besonderer Weise das Zeugnis des Apostels ausmachte. Die Zwölf dagegen waren gesandt, die Nationen zu taufen (Mt 28).
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