Betrachtung über den Propheten Jesaja (Synopsis)

Kapitel 50

Betrachtung über den Propheten Jesaja (Synopsis)

Kapitel 50 bespricht die Einzelheiten der Gerichte Gottes über Israel und die eigentliche Ursache der Verwerfung dieses Volkes 1. Es könnte nichts Ergreifenderes und Wunderbareres geben als die Art und Weise, wie die Person und das erste Kommen des Herrn in diesem Kapitel dargestellt werden, welches weniger der Erklärung als vielmehr eines eingehenden, hingebenden Erforschens bedarf. Jehova, der nach Seinem Gutdünken über Himmel und Erde verfügt, hat gelernt, den Mühseligen und Beladenen durch ein Wort aufzurichten, indem Er Selbst den Platz der Niedrigkeit und Demut eingenommen hat. Die Menschen aber – traurige und schreckliche Wahrheit! – haben diese Gelegenheit benutzt, um Ihn zu verachten und zu verspotten. Sie wollen nichts von Ihm wissen. Vor einer solchen Tatsache steht das Herz still und richtet sich; doch Gott sei Dank! es zerschmilzt auch vor dieser Liebe, die aus der Bosheit des Menschen Gelegenheit nahm, ihn in die Vollkommenheit Gottes Selbst (und diejenige des Menschen nach den göttlichen Ratschlüssen) einzuführen und sich zugleich jeder Not des Menschen anzupassen, damit er fühle, daß diese Liebe all sein Elend erfahren hat und kennt. Doch wie groß auch die Leiden und Mühseligkeiten, die mit einem solchen Dienste verknüpft waren, sein mochten, so wurde doch der Mensch Christus in Seinem Vertrauen auf Gott nicht wankend und wich keinen Augenblick zurück.

Hier wird also der Grund von Israels oder eigentlich Judas Verwerfung im voraus angegeben: als Jehova kam, war kein Mensch da (V. 2). Zu gleicher Zeit aber entdecken wir hier, mit Hilfe des Neuen Testamentes, die Stellung des Christen in sehr klarer und treffender Weise. Es ist die Stellung Christi Selbst, denn das, was Christus in diesem Kapitel ausspricht, legt der Apostel dem Gläubigen in den Mund. „Gott ist es, welcher rechtfertigt; wer ist, der verdamme? Christus ist es, der gestorben, ja noch mehr, der auch auferweckt, der auch zur Rechten Gottes ist ... Wer wird uns scheiden von der Liebe des Christus?“ (Röm 8, 33. 34). In Seiner Liebe hat der Herr Sich all den Dingen unterzogen, die uns eine solche Scheidung hätten möglich erscheinen lassen können, und sie sind die Beweise Seiner Liebe geworden. Überdies ist diese Liebe die Liebe Gottes, von der uns keine Kreatur zu scheiden vermag. Der Gläubige ist demnach, was seine Stellung vor Gott betrifft, mit Jesu einsgemacht.

Gott erkennt (nach dem Urteil des Glaubens) Ihn an, den die Juden verworfen haben, wodurch sie Gott gleichsam zwangen, ihnen einen Scheidebrief zu geben. Was sodann den Überrest kennzeichnet, ist ein neuer und wichtiger Grundsatz: sie horchen auf die Stimme des Knechtes, des Messias, sie achten auf das prophetische Wort. Wie wir soeben die Kirche in der Person Christi verborgen sahen, so finden wir hier (V. 10) den treuen Überrest Israels in den letzten Tagen gekennzeichnet. Die Übrigen aber, welche ihre Stütze in sich selbst, im Menschen und im Fleische suchen, werden in Herzeleid darniederliegen 2.

Fußnoten

  • 1 Es ist rührend zu sehen, wie in beiden Fällen, sowohl wenn es sich um die Abgötterei als auch wenn es sich um die Verwerfung Christi handelt, der Geist Gottes die Liebe und Treue Jehovas und deren Folgen darstellt, bevor Er mit dem Volke wegen ihrer Fehltritte in diesen Punkten rechtet; erst wird die nachfolgende Segnung betrachtet, dann das menschliche Böse; erst Gott, dann der Mensch. So war es in den Ratschlüssen Gottes vor Grundlegung der Welt: die völlige Erklärung der Segnung kommt später.
  • 2 Ich füge hier noch, damit man den Zusammenhang dieser Kapitel leichter verstehe, eine kurze Übersicht des Inhalts derselben bei. die Kapitel 40 - 48 behandeln die zwischen Gott und Israel bestehende Frage des Götzendienstes; Kapitel 49 - 57 reden von Christo. Das 49. Kapitel enthält eine Übersicht der Ratschlüsse und Wege Gottes in bezug auf Israel und den Messias: Gott will an Israel verherrlicht werden (V. 1 - 3). Christus hat umsonst gearbeitet; doch Sein Lohn ist bei Gott. 1. Er wird in den Augen Jehovas verherrlicht werden; 2. es ist zu gering, daß die Bewahrten in Israel durch Ihn zurückgebracht werden, Er soll das Heil Jehovas sein bis an das Ende der Erde; 3. zur Zeit der Annehmung erhört, ist Er zum Bunde für das Volk gesetzt; Zion wird wiederhergestellt werden. Im 50. Kapitel sehen wir Israel von Jehova geschieden, weil, als Jehova kam, niemand da war und niemand antwortete. Er war als Mensch in Niedrigkeit gekommen, um mit dem Menschen in seinem Elende vollkommenes Mitgefühl haben zu können. Verschmäht und verworfen, wird Er von Gott gerechtfertigt (V. 5 - 9). Diese Rechtfertigung Christi ist, wie wir bereits gesehen haben, die Rechtfertigung der Kirche. Im 10. Verse finden wir den jüdischen Überrest. Kapitel 50 zeigt uns die Leiden Christi von seiten der Menschen, während das 53. Kapitel die Leiden zur Versöhnung betrachtet. Kapitel 49 stellt die Herrlichkeit als die Folge davon dar, daß Christus die Stelle Israels eingenommen hat, als die Frucht Seiner Arbeit. Kapitel 50 zeigt die Folgen Seiner Verwerfung durch Israel, jedoch in Gnade, sowohl in bezug auf die damals noch nicht geoffenbarte Kirche als auch auf den Überrest, der ausdrücklich erwähnt wird; Kapitel 49 beschäftigt sich mehr mit der Regierung Gottes.
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